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Kommentar
Allensbach-Umfrage offenbart ein sozialpsychologisches Phänomen
Meinungsklima der Angst
Von Rudolf Hänsel

Die gegenwärtige Flüchtlingskrise verunsichert und ängstigt deutsche Bürger. Laut einer Allensbach-Umfrage wächst die Sorge vor den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen. Politiker werden als ratlos und unter Realitäts- und Kontrollverlust leidend wahrgenommen. Die Lösung der Krise wird ihnen nicht zugetraut. Eine öffentliche politische Diskussion über die Risiken der derzeitigen Entwicklung wird vermisst. Aus Angst, als ausländerfeindlich zu gelten, werden diese Bedenken aber nur in vertrauten persönlichen Gesprächen geäußert. Ansonsten schweigt man.

Normalerweise tauschen sich mündige Bürger untereinander frei über das Geschehen im eigenen Land aus und wollen mitreden. Das entspricht nicht nur der sozialen Natur des Menschen, sondern auch dem Wesen einer Demokratie, die laut Verfassung die Meinungsfreiheit des Souveräns schützen und ihn mitbestimmen lassen muss. Wird das den Bürgern vorenthalten und schafft der Staat stattdessen ein Meinungsklima der Angst und des Duckmäusertums, gebärdet er sich diktatorisch. Das dürfen wir Bürger nicht hinnehmen.

In der repräsentativen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (1) decken sich zum einen zentrale Aussagen der Befragten nicht mit der veröffentlichten Meinung der Mainstreammedien in den letzten Wochen, z.B. der allgegenwärtigen „Willkommenskultur“. Zwei Drittel der Bevölkerung gehen davon aus, dass die durch überzogene Anreize ausgelöste Flüchtlingswelle wegen der deutlichen Zunahme von Muslimen Deutschland stark verändern wird. Außerdem wird ein Einschleusen von Terroristen ins Land befürchtet. In persönlichen Gesprächen lehnen nahezu 70 Prozent die Aufnahme weiterer Flüchtlinge ab. Zum anderen wird eine sozialpsychologische Tendenz in der Bevölkerung offenkundig: Aus Angst, dem rechten Rand zugeordnet zu werden, wenn man öffentlich über seine aktuellen Sorgen spricht, schweigt man.

43 Prozent der erwachsenen Bevölkerung haben den Eindruck, dass man in Deutschland außerhalb des Kreises vertrauter Gesprächspartner seine Meinung zur Flüchtlingssituation nicht frei äußern dürfe und sehr vorsichtig sein müsse, was man sagt. Grund sei die Sorge, in eine Ecke gestellt zu werden, in die man nicht gehöre und nicht gehören wolle. In Wahrheit sei die große Mehrheit jener, die der anhaltende Flüchtlingsstrom besorgt stimmt, weder ausländerfeindlich noch dem rechten Rand zuzuordnen. Viele jedoch befürchten, dass sie in diesen Verdacht geraten, wenn sie öffentlich ihre Besorgnis äußern. 55 Prozent der Befragten, die sich große Sorgen machen, beklagen außerdem, dass die Risiken der derzeitigen Entwicklung weder in der öffentlichen politischen Diskussion noch in der Berichterstattung der Medien ausreichend berücksichtigt werden. Immer mehr kritische Bürger bewegen sich deshalb im digitalen Nachrichten-Universum.

Nach der Theorie der Schweigespirale (Noelle-Neumann) schwindet die Bereitschaft der Menschen, sich öffentlich zu ihrer Meinung zu einem in der Gesellschaft diskutierten Thema zu bekennen, wenn ihre eigene Auffassung von der bekannten Mehrheitsmeinung bzw. vom allgemeinen Meinungsklima abweicht. Je stärker dieser Gegensatz ist, desto größer sind aus Furcht vor Isolation die Hemmungen. Die Massenmedien, speziell das Fernsehen üben großen Einfluss auf ihre Rezipienten  und damit auf die öffentliche Meinung aus, indem sie dem einzelnen gegenüber eine bestimmte Meinung als angebliche Mehrheitsmeinung präsentieren und ihn so unter Druck setzen, sich nicht andersartig zu äußern. Dieses sozialpsychologische Phänomen herrscht erstaunlicherweise auch in sozialen Netzwerken vor. (2)

Nur wenn Bürger ihre Meinung frei äußern und darüber streiten können, sind sie fähig, einen politischen Willen zu bilden. Weshalb warten dann souveräne Bürger wie hypnotisierte Kaninchen auf die Entscheidungen oder Versäumnisse der Regierung, wenn sie Politiker eh als ratlos und realitätsfremd erleben? Wieso erheben sie nicht den Anspruch auf eine freie und gleiche Teilhabe an der öffentlichen Gewalt? Der Souverän hat doch letztlich die Folgen einer verfehlten Politik zu tragen. Also hat er auch mitzureden bei einer so gravierenden Frage wie der des weiteren Zustroms und der Integration von über einer Million Flüchtlingen. Das würde sich zudem positiv auf seine Lebenszufriedenheit und sein politisches Engagement als Bürger auswirken. Auch die Jugend, die sich laut neuester Shellstudie 2015 mehrheitlich von den Parteien übergangen fühlt und  politikverdrossen ist, würde dadurch wieder mehr politisches Interesse zeigen. (PK)

(1) http://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/zweifel-an-loesung-der -fluechtlingskriese-durch-die-politik-13866897.html?
(2)
https://de.wikipedia.org/wiki/schweigespirale.

Dr. Rudolf Hänsel ist Erziehungswissenschaftler und Dipl.-Psychologe. Sie erreichen ihn unter www.psychologische-menschenkenntnis.de.

 



Online-Flyer Nr. 534  vom 28.10.2015



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