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Literatur
Stephen Kimber: „Diesseits und jenseits der Straße von Florida"
Die wahre Geschichte der ‚Cuban Five‘
Von Josie Michel-Brüning

Ursprünglich sei der Autor nur einer von vielen kanadischen Touristen in Kuba gewesen: „2004 verbrachten meine Frau und ich eine Woche in Breezes Jibacoa, einem Badestrand auf halbem Weg zwischen Havanna und Varadero,“, erzählt er in seinem Prolog. „Dies ist nicht das Buch, das ich schreiben wollte,“ beginnt er. „Es sollte ein Roman werden, eine Liebesgeschichte, die teilweise in Kuba spielt. Im Frühjahr 2009 fuhr ich nach Kuba, um einige vorläufige Erkundungen dafür einzuholen und wurde damit konfrontiert, dass die wahre Geschichte der Cuban Five seltsamer, aber dafür interessanter ist.“


Den eigentlichen Anstoß zu diesem Sachbuch habe ihm sein Reiseführer in Havanna gegeben, als der auf seine Frage, ob er glaube, dass sich die Beziehungen zwischen den USA und Kuba unter der Obama-Administration entspannen könnten, antwortete: „Es spielt keine Rolle, wer der Präsident der Vereinigten Staaten oder wer in Kuba im Amt ist. Nichts wird sich ändern zwischen Kuba und den Vereinigten Staaten, bevor sie nicht die Sache mit den Fünfen lösen."

Erstaunt nimmt er auch dessen Hinweis wahr, dass Fidel Castro 2005 in einer öffentlichen Rede ausführlich über die geheime Mission des Literaturnobelpreisträgers Gabriel García Marquez im Weißen Haus in Sachen von exilkubanischen Organisationen ausgehenden Terroranschlägen gesprochen habe, die im Internet in mehreren Sprachen zur Verfügung stehe. 

Wenn auch sehr neugierig geworden, misstraut er der Sache zunächst noch gründlich, stellt er doch fest: Während ihm in Kuba jedes Schulkind die Namen der „fünf Helden“, Gerardo Hernández, Ramón Labañino, Antonio Guerrero, Fernando González und René González aufsagen kann, scheinen sie nicht nur in seiner Heimat, sondern auch in den USA weitgehend unbekannt zu sein, abgesehen allerdings von der Gegend in und um Miami, dort werden sie nur als „Castros Spione“ gehandelt. 

Beide Versionen, erscheinen ihm voreingenommen bzw. „zu einfach“, und er geht auf die Spurensuche, an der er uns teilhaben lässt. Sie führt ihn in die ehemaligen CIA-Trainingslager für Exilkubaner und zu den Lebensgeschichten der berüchtigsten Schweinebuchtveteranen wie Orlando Bosch Ávila und Luis Posada Carriles, die – dank mächtiger Freunde wie dem Gründer der „Cuban American National Foundation (CANF)“ – selbst für die Einfädelung des ersten Terroranschlags auf die Luftfahrt, nämlich auf die Cubana Aviacion 1973, der 76 Menschen an Bord das Leben kostete, nie wirklich zur Rechenschaft gezogen wurden. 

Er findet heraus, wie der Gründer der CANF, Jorge Mas Canosa, seinen sagenhaften Aufstieg nahm und an Einfluss auf die Presse gewann, insbesondere vor Ort auf „Miami Herald“ und „El Nuevo Herald“, die quasi zu seinem Sprachrohr wurden, und auf Bill Clinton, der das von der Demokratischen Partei abgelehnte, die Blockade gegen Kuba verschärfende Helms-Burton-Gesetz nach vorherigem Widerstreben aus wahltaktischen Gründen dann doch einführte, bis hinein in die neuen Regierungen der zerfallenen UdSSR und die Europas. 

Er freundet sich mit dem altgedienten „Miami-Herald"-Journalisten Juan Tamayo an, der ihm Zugang zu den Archiven der Zeitung verschafft. Seine Recherche führt ihn hinter die Kulissen der jeweiligen exilkubanischen Organisationen, lässt ihn deren geleugnete, aber dennoch zum Sturz des „Castro-Regimes“ vorhandenen paramilitärischen Gruppen wie Alpha 66, Comandos F 4 bis Omega 7 entdecken und führt so die Notwehrsituation aus Sicht der Kubaner vor Augen, die nicht mit Gewalt zu ihrem Glück gezwungen, um ihre Revolution betrogen und von den USA annektiert werden wollen, und zu den Motiven der in Miami in einem 7-monatigen Schauprozess verurteilten „Spione“ der kubanischen „illegalen Agenten“ zur Verhinderung von weiteren Terroranschlägen auf ihr Land. Er schafft dies nur mit anschaulicher Wiedergabe der Fakten und Orte des Geschehens.

Kimber kann nach Interviews mit den Familienangehörigen der Fünf, mit dem 2013 bereits freien René und über die Korrespondenz mit Gerardo im Gefängnis deren Lebens- und Liebesgeschichten wiedergeben und lässt uns deren seelische Konflikte nachempfinden.

Der Leser erfährt beispielsweise auch detailliert, wie der Pilot René González 1990 unter Vortäuschung einer Flugzeugentführung aus Kuba wie zuvor schon der andere kubanische Agent und Pilot Juan Pablo Roque, in die Organisation „Brothers to the Rescue“ in Miami aufgenommen wurde, die von José Basulto offiziell zur Rettung von Bootsflüchtlingen aus Kuba gegründet worden war, und deren geheime Pläne im Verstoß gegen das U.S.-Neutralitätsgesetz erfahren konnte, wie dann Gerardo Hernández 1994 als der Puertoricaner „Manuel Viramontez“ einreiste, um als Angola-Veteran und frisch gebackener kubanischer Diplomat den Agentenring „Red Avispa“, zu leiten, indem er dann die Informationen der anderen sammelt und kodiert nach Kuba übermittelt. Kimber kann sogar dessen Schriftverkehr mit der Geheimdienstzentrale in Havanna zitieren, woraus hervorgeht, wie fürsorglich Gerardo sich für das Wohl der ihm Anvertrauten einsetzt, dafür dass René seine Ehefrau Olga zu sich holen kann, dass Antonio die Beziehung zu seiner Maggy weiter pflegen darf, ja, und unter anderem auch dafür, dass dem Agenten Juan Pablo Roque Anfang 1996 mit der „Operación Venecia“  eine sichere Heimreise garantiert wird. Es lässt sich also belegen, dass Gerardo nichts mit dem Abschuss der Piloten der „Brothers to the Rescue“ im Februar 1996, der maßgeblichen Zeit, zu tun hatte, der ihm später dennoch vor Gericht mit der Anklage „Verschwörung zum Mord“ ein Strafurteil von zweimal lebenslänglich, plus 15 Jahre, einbringen sollte. 

Gerardo wurde jedoch, ohne dass er es bemerkt hätte, schon einige Zeit vom FBI beobachtet. In seiner Abwesenheit war in seine Wohnung eingebrochen worden - man hatte ihn den „Royal Sovereign“ genannt, bevor man die „10 Spione“ auf Anweisung des mit den Exilkubanern verbrüderten puertoricanischen neuen Leiters des FBI Hector Pesquera im Morgengrauen des 12. Septembers 1998 in ihren Wohnungen überfiel und verhaftete. Und das, nachdem das FBI zuvor doch durchaus von der Arbeit der kubanischen illegalen Agenten profitiert hatte, denn sie hatten es anonym vor illegalen Drogen- und Waffentransporten gewarnt. 

Nun aber erfahren wir von den erbitterten und wütenden Verhören des FBI insbesondere der „nichtgeständigen“ Fünf, der Zermürbungstaktik durch insgesamt 17-monatige Isolationshaft, der Bestechungsangebote seitens der Staatsanwaltschaft, denen die fünf anderen der verhafteten „kubanischen Spione“ erlagen, und im Gegenzug mildere Strafen und neue Identitäten erhielten. 

Kimber lässt uns auch die Bombenattentate des verschuldeten jungen, über Posada Carriles’ Mittelsmänner in San Salvador gedungenen Raúl Ernesto Cruz León auf Hotels in Havanna miterleben, bei denen der ebenfalls junge italienische Kaufmann Fabio Di Celmo ums Leben kam. Er beschreibt, wie es einem der nicht entdeckten kubanischen Agenten, Percy Alvarado Godoy, gelang, sich über die Einschleusung in die CANF für einen Terroranschlag auf das Tropicana in Havanna zu verdingen, um das geplante Attentat, bei dem Hunderte Menschen ihr Leben verloren hätten, so zu verhindern. 

Kimber nahm auch an Gerichtsverhandlungen 2011 in El Paso gegen Posada wegen der Anklage illegaler Einreise in die USA teil, wonach dieser dank seines „tüchtigen“ Anwalts und einer offensichtlich nicht an den Einzelheiten der Zeugenaussagen interessierten Richterin freigesprochen wurde. Und er beschreibt das subversive Geschäft des in Kuba zu 15 Jahren Haft verurteilten amerikanischen Subunternehmers Alan Gross aus Maryland im Auftrag der „Pan American Development Organisation“, die zum Teil von der „United States Agency for International Development“ USAID finanziert wird – gegründet 1961 als „humanitärer“ Arm der US-Außenpolitik. 

Nach der Lektüre von über 20.000 Seiten von Gerichtsprotokollen, Dokumenten über den längsten Justizfall amerikanischer Geschichte, Berichten über Kuba und dessen langjährige Konflikte mit den Vereinigten Staaten, Rückgriff auf namhafte Autoren wie Anne Louise Bardach, Keith Bolender und Jean-Guy Allard, Interviews mit Personen „diesseits und jenseits“ der Straße von Florida, schrieb er ein Sachbuch, das ihm zum Agententhriller geriet.

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung seines Werks 2013 lebte René González nach Verbüßung seiner gesamten Gefängnisstrafe schon als freier Mann in Kuba und Fernandos Entlassung aus dem Gefängnis stand im Februar 2014 bevor. 

Auf Bitten der Übersetzer steuerte einer der „Fünf", Fernando González, jetzt Vizepräsident des kubanischen Instituts für Völkerfreundschaft ICAP, 2015 einen Epilog bei und die Übersetzer ein die Angaben des Autors bestätigendes und ergänzendes Nachwort, das auch den Brief von Günter Grass an die Internationale Kommission zur Untersuchung des Falles der „Cuban Five" in London im März 2014 enthält. 

Mit dem vom Autor selbst dann 2015 noch hinzugefügten Epilog macht er es zunächst wieder spannend, indem er auf die geplanten Aktivitäten des „Internationalen Komitees für die Freiheit der Cuban 5“ in den USA eingeht, deren Verunsicherung über das Besuchsverbot für Alicia Jrapko und Bill Hackwell bei Gerardo im Hochsicherheitsgefängnis von Victorville, Kalifornien, Anfang Dezember 2014, deren Verunsicherung zwischen Bangen und Hoffen, bis er die für alle, einschließlich Gerardos, Ramons und Antonios, überraschende glückliche Heimkunft der letzten Drei der „Fünf" am 17. Dezember 2014 beschreibt. Natürlich ist er auch den 18-monatigen geheimen diplomatischen Verhandlungen zwischen den USA und Kuba über den „Gefangenenaustausch“ zur Wahrung des Gesichts beider Seiten nachgegangen und kann deren maßgebliche prominente Verhandlungsführer und Vermittler, sowie auch die Verantwortlichen der ebenso geheimen Vermittlung einer künstlichen Befruchtung von Adriana Pérez, der Ehefrau von Gerardo Hernández, benennen.

Letztere hatte die Geburt von Gema (zu deutsch: das Juwel), einer gesunden Tochter, für Adriana und Gerardo am 6. Januar 2015 zur Folge. Damit machte er sein Werk noch zu einem Beleg für den möglichen Sieg der ansteckenden tapferen Liebe der Betroffenen für einander und ihr Heimatland und der daher ebenso ausdauernden internationalen Solidarität über die „große Politik“ und den Hass der „Ewiggestrigen“. 

Der aktuellen deutschen Ausgabe wurde auch noch ein Kommentar des bekannten Autors, Professors an der Humbold-Universität und Unterstützers der Internationalen Kampagne zur Befreiung der „Cuban Five“, Roger Willemsen, hinzugefügt. (PK)

 

Stephen Kimber ist Journalistikprofessor an der Universität King’s College in Halifax, preisgekrönter Schriftsteller, Herausgeber, Rundfunksprecher und Autor des Romans, „Reparations“, von 10 Sachbüchern und von „What Lies Across the Water. The Real Story of the ‚Cuban Five’“, für das er den kanadischen „Evelyn-Richardson-Preis“ für das beste Sachbuch des Jahres 2014 erhielt.
Die 300-seitige deutsche Ausgabe, „Diesseits und jenseits der Straße von Florida: Die wahre Geschichte der 'Cuban Five' - Ein Agententhriller, wie ihn das Leben schrieb“ erscheint im V.A.S.-Verlag, Bad Homburg, und kostet 20 Euro, ISBN: 978-3-88864-546-4.



Online-Flyer Nr. 532  vom 14.10.2015



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