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Kultur und Wissen
Forderung nach Cannabis-Freigabe sollte Eltern und Lehrer alarmieren
Wie wäre es, wenn Ihr Kind Drogen nähme?
Von Rudolf Hänsel

„Ich bin eine ganz normale Mutter von ganz normalen Kindern – aber ich bin auch die Mutter eines ehemaligen Drogenabhängigen.“ Mit diesem Satz beginnt der Vortrag einer Mutter aus einem Elternkreis drogengefährdeter und drogenabhängiger Jugendlicher. Und sie sagt weiter: „Dabei hatten mein Mann und ich, sicherlich wie die große Mehrzahl von jungen Eltern, einen so schönen Traum von einer Familie, von unserer Familie. Unser Heim sollte von Liebe, von Freude, Vertrauen, Fürsorge, Stabilität und Wärme erfüllt sein. Wir waren bereit und willens, alles zu tun, das zu verwirklichen. Wir erlebten auch, dass unser Traum wahr wurde...bis...bis er sich über Nacht zum Albtraum wandelte. Liebe wurde zur Erpressbarkeit, Freude zur Beklemmung, Vertrauen zu Misstrauen, Fürsorge zur Sorge, Stabilität zum Ausgeliefertsein und Wärme zur Angst. (...) Wir konnten uns überhaupt nicht vorstellen, dass eines unserer Kinder Drogen konsumieren oder drogenabhängig werden würde.“ (1) 



Quelle: NRhZ-Archiv

Anstieg des Cannabiskonsums bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen

Der Vortrag der betroffenen Mutter hatte den Titel „Können Sie sich vorstellen, wie es wäre...wenn Ihr Kind Drogen nähme?“ und wurde vor 30 Jahren gehalten. Es war die Zeit einer regelrechten Drogenschwemme, die sich seit den sechziger Jahren mit Hilfe einer stark propagierten Drogenideologie lawinenartig in Europa ausbreitete. Und wie ist die Situation in Deutschland heute, dreißig Jahre später? Müssen sich Eltern Sorgen machen? Einige Bundesländer fordern nämlich vehement die Freigabe des illegalen Rauschgifts Cannabis und damit eine Liberalisierung der Drogenpolitik. In Bayern wurde am 11. September beim Landtag sogar der Antrag für ein Volksbegehren „JA zur Legalisierung von Cannabis in Bayern!“ eingereicht. (2) Mit einer Liberalisierung der Drogenpolitik wird der missbräuchliche Konsum jedoch nicht eingedämmt, sondern im Gegenteil ausgeweitet. Deshalb sollten sich Eltern und Lehrer vor allem wegen der gravierenden gesundheitlichen und psychischen Folgen für pubertierende Jugendliche tatsächlich Sorgen machen. 

Am 15. 09. 2015 veröffentlichten die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler, in einer Pressemitteilung die Ergebnisse einer neuen Studie zum Cannabiskonsum. Das Resultat: Der Cannabiskonsum bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen steigt an. Mortler führt den Anstieg auch auf die gegenwärtige Forderung nach einer Cannabis-Freigabe zurück: „Offenbar wirkt sich die Gesundheitsgefahren verharmlosende Argumentation der Befürworter einer Legalisierung von Cannabis bereits negativ aus. (...) Es ist davon auszugehen, dass rund 600.000 vorwiegend junge Menschen Probleme mit dem Konsum von Cannabis haben.“ (3) Sie fordert deshalb neben den bestehenden gesetzlichen Regelungen dringend eine fachlich fundierte Aufklärung der Kinder und Jugendlichen. 

Die Leiterin der BZgA, Dr. Heidrun Theiss, warnt ebenfalls vor einer Besorgnis erregenden Entwicklung in Deutschland und schreibt: „Die gegenwärtige Zunahme des Cannabiskonsums bei jungen Menschen ist aus gesundheitlicher Sicht eine bedenkliche Entwicklung. Den aktuellen Forschungsergebnissen zufolge leidet die Hirnleistungsfähigkeit mit zunehmender Dauer und Intensität des Konsums von Cannabis. Umfangreiche Präventionsangebote sind deshalb unverzichtbar, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken und junge Menschen davon zu überzeugen, gar nicht erst mit dem Konsum von Cannabis anzufangen.“ (4) 

Bereits am 19. 3. 2015 befassten sich im Bundesgesundheitsministerium Experten mit den gesundheitlichen und psychischen Folgen jugendlichen Cannabiskonsums. Das Ergebnis ihrer Gespräche war eindeutig: „Die Experten machten deutlich, dass jugendlicher Cannabiskonsum die Entwicklung des heranwachsenden Gehirns beeinträchtigt und bleibende Schäden nicht auszuschließen sind. Die aktuelle Forschungslage belegt, dass vor allem im Jugendalter begonnener, hochdosierter, langjähriger und intensiver Cannabiskonsum mit einer Reihe von gesundheitlichen Problemen verbunden ist: Abhängigkeit, Entzugssymptome, kognitive Einbußen, Angststörungen und körperliche Schäden in der Lunge und am Herzen. Früher Cannabiskonsum kann Psychosen auslösen und/oder begünstigen.“ 

Weiter heißt es: „Etwa 10% der regelmäßigen Cannabiskonsumenten entwickeln eine Abhängigkeit; bei denen, die jung beginnen, steigt das Risiko der Abhängigkeitsentwicklung um das sechsfache an. In der Regel haben starke Cannabiskonsumenten zusätzliche Persönlichkeitsstörungen, Angststörungen und Depressionen und andere Suchtprobleme. Jugendlicher Cannabiskonsum kann auch die Schulentwicklung negativ beeinflussen, bis hin zur Schulverweigerung oder dem Schulabbruch, mit entsprechenden lebenslangen Auswirkungen.“ Alle Expertinnen und Experten waren sich darin einig, „dass Cannabis an Kinder und Jugendliche nicht abgegeben werden darf. (...) Wenn die Risikowahrnehmung des Cannabiskonsums zurückgeht – etwa durch die falsche Botschaft, Kiffen sei harmlos – besteht die Gefahr, dass noch mehr konsumiert wird.“ (5) 

Cannabis – eine berauschende, gesundheitsgefährdende Substanz

Cannabis ist eine berauschende Substanz, deren Konsum gesundheitsgefährdend ist. „Kiffen“ ist die Szene-Bezeichnung für das Inhalieren von Cannabis bzw. von Marihuana (zerkleinerte Blätter oder Teile der ganzen Pflanze) und Haschisch (das gepresste Harz der Blüten). Cannabis enthält mindestens vier rauscherzeugende Cannabinoide (chemische Stoffe). Das bekannteste mit dem größten Anteil an der Erzeugung des Rausches ist das Tetrahydrocannabinol (THC). Die gefährliche Eigenschaft der Cannabinoide besteht in deren Fettlöslichkeit. Das heißt, sie lagern sich im menschlichen Fettgewebe ab – speziell im peripheren Nervensystem, im Gehirn und in den Fortpflanzungsorganen – und entfalten dort ihre Wirkung. 

Da die Cannabinoide nur sehr langsam abgebaut und aus dem Körper ausgeschieden werden, kommt es zu einer Anreicherung von Giftstoffen. So dauert es drei Tage bis zu einer Woche, bis nur die Hälfte des THC von einer einzigen Marihuana-Zigarette abgebaut und ausgeschieden ist. Wissenschaftlich nachgewiesen sind seit vielen Jahren Schädigungen der Lunge, des Herzens, des Immunsystems, des Erbmaterials, der Sexualentwicklung, der Embryonalentwicklung bei Schwangerschaft, des Gehirns und das Auslösen von Psychosen. Aus diesem Grund haben sich in der Drogenkonvention der Vereinten Nationen 184 Staaten – darunter Deutschland – verpflichtet, den Umgang mit Cannabis und anderen Drogen ausschließlich zu medizinischen oder wissenschaftlichen Zwecken zuzulassen. Die Wirkungen der Droge sind bei einem Jugendlichen in der Pubertät zudem völlig anders und wesentlich schädlicher als bei Erwachsenen. 

Kiffen vergiftet kreativste Köpfe

Alle diese wissenschaftlichen Befunde sind seit Jahrzehnten bekannt und unter seriösen Experten unstrittig. Auch ein neuerer Experten-Beitrag zum Cannabis-Konsum mit dem Titel „Kiffen vergiftet die kreativsten Köpfe“ von Professor Holm-Hadulla, Facharzt für Psychiatrie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie bestätigt die bisherigen Befunde. (6) Holm-Hadulla zitiert darin u. a. die angesehene Fachzeitschrift „New England Journal of Medicine“, die 2014 die wissenschaftlichen Daten zum Cannabis-Konsum zusammengefasst und bewertet hat und zu alarmierenden Ergebnissen kam: 

„Bei häufigem Konsum von den heute üblichen hochdosierten Cannabisprodukten verdoppelt sich das Psychose-Risiko. Schädigungen der Hirnentwicklung, die mit Störungen von Motivation, Konzentration und Gedächtnis einhergehen, gelten als wissenschaftlich bewiesen. (...) Besonders gefährlich ist der Cannabiskonsum während der Pubertät. Diese Lebensphase ist wegen der in dieser Zeit stattfindenden neuralen Umbauprozesse besonders anfällig. Deswegen ist es katastrophal, wenn Jugendliche schon mit zwölf Jahren oder früher beginnen, Haschisch und Marihuana zu rauchen und große Mengen Alkohol zu trinken. (...) Neben Hirnveränderungen und psychotischen Erkrankungen kann Cannabis zu weniger deutlichen, aber doch gravierenden Entwicklungsbeeinträchtigungen führen. (...) So dient Cannabis eben nicht dem emanzipatorischen Unabhängigkeitsstreben, sondern dem resignativen Einfügen in bestehende Missstände.“ (7) 

Faktoren, die zum Drogenkonsum führen

Die Entscheidung, Drogen zu nehmen, ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Einer der entscheidendsten ist ihre Verfügbarkeit. Wieso haben unsere Kinder mit Drogen zu tun? Weil der Drogenhandel ein gutes Geschäft ist mit großem Profit. Wenn damit nicht sehr viel zu verdienen wäre, hätten Eltern keine Sorgen. Der Jugendliche würde nicht an Drogen kommen, der Markt wäre leer. Auf geschätzte 330 Milliarden Dollar beläuft sich der Umsatz des weltweiten Drogenhandels; in Deutschland sind es ca. 2,5 Mrd. Euro pro Jahr. Der größte Teil des Umsatzes entfällt auf Cannabis, das in Deutschland die am häufigsten konsumierte illegale Droge ist. Die geforderte Legalisierung könnte einen Wirtschaftsboom auslösen. Profitieren würde die Staatskasse, d. h. der Staat würde zum Dealer werden. 

Des Weiteren ist die schon erwähnte Einstellung der Bevölkerung, speziell die von Eltern und Lehrern gegenüber dem Drogenmissbrauch von großer Bedeutung – also die soziale Akzeptanz oder Nichtakzeptanz von Drogen. Soziale Akzeptanz bedeutet für den jungen Menschen, dass die Droge ungefährlich ist und er mit ihr experimentieren kann. Mangelnde Aufklärung, Verharmlosung oder sogar Propagierung von Drogen senken die Hemmschwelle für den Einstieg. Deshalb ist ein gesetzliches Verbot wichtig. Es stellt für den Jugendlichen eine Klippe dar und damit einen Schutz vor dem Abgleiten in den missbräuchlichen Drogenkonsum. 

Ein wesentlicher Grund für die Verbreitung der Sucht ist die direkte persönliche (d. h. psychosoziale) Ansteckung zwischen einem Drogenkonsumenten und einem Neueinsteiger aufgrund des Gruppendrucks von Gleichaltrigen (peer-pressure). Gerade in der Pubertät, einer Zeit des Suchens nach Selbstfindung, nach der eigenen Identität und einer Zeit des Erprobens neuer Verhaltensweisen bekommen die Gleichaltrigen (peers) neben Eltern und Lehrern eine immer größere Bedeutung für den einzelnen. Die frühe Stärkung der Persönlichkeit und des Selbstwertgefühls des Jugendlichen ist deshalb der größte Schutz. Er ist dann in der Lage, nein zu sagen, wenn ihm Drogen angeboten werden. 

Schutz der Jugend durch Stärkung der Persönlichkeit und Aufklärung

Drogenprävention beginnt bereits in frühester Kindheit in der Familie. Die Vermittlung positiver menschlicher Werte sowie die Erziehung zu Mitgefühl, Kooperationsfähigkeit, sozialer Verantwortung und Toleranz ist dabei von großer Bedeutung. Der Heranwachsende wird dadurch zu einer menschlich gefestigten Persönlichkeit, die in der Lage ist, auftretende Schwierigkeiten konstruktiv zu lösen. Diese Erziehungsarbeit sollte in der Schule fortgesetzt und ergänzt werden. Wenn Lehrer die Schüler ermutigen und ihnen Freude am Lernen vermitteln, wenn sie die jungen Menschen zu einer Klassengemeinschaft zusammen führen, ihnen zum Schulerfolg verhelfen und ihnen eine Berufsperspektive sowie einen Sinn im Leben vermitteln können, werden diese Jugendlichen nicht in der Drogen-Subkultur landen. Dazu gehört auch, dass sie über die Auswirkungen der Drogen auf Körper, Psyche und Gesellschaft aufgeklärt werden. (PK) 

(1) Vortrag von Frau Elsa Meyer am 8. 11.1985. Veröffentlicht in der EK Schriftenreihe Nr. 1 des Elternkreises drogengefährdeter und drogenabhängiger Jugendlicher e. V., Bonn.
(2) http://ja-zu-cannabis.de/
(3) Pressemitteilung der Drogenbeauftragten der Bundesregierung und der BZfA vom 15.09.2015 „Neue BZgA-Studie: Anstieg des Cannabiskonsums bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen“.
(4) A. a. O., S. 2.
(5) http://www.drogenbeauftragte.de/index.php?id=3028
(6) http://www.faz.net/aktuell/wissen/kiffen-vergiftet-die-kreativsten-koepfe-13675745.html?
(7) A. a. O., S. 3f. 

Dr. Rudolf Hänsel ist Erziehungswissenschaftler und Diplom-Psychologe. Sie erreichen ihn unter www.psychologische-menschenkenntnis.de.

 



Online-Flyer Nr. 531  vom 07.10.2015



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