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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Kommentar
Kann Jeremy Corbyn mit der Labour Party ein Atomwaffen-Verbot durchsetzen?
Vor den Wahlen in Großbritannien
Von Heinrich Frei

Jeremy Bernard Corbyn (66), der seit 1983 die Labour Party im britischen Unterhaus vertritt, und am am 12. September zum neuen Parteivorsitzenden gewählt wurde, erklärte, er würde nie Atomwaffen einsetzen. Er wird von den Medien, die immer noch über "Verteidigungsministerien“ berichten - auch in Staaten, die ständig Angriffs-Kriege führen – seitdem ständig ins politische Abseits gestellt. Und er wird von diesen als eine "Hypothek" für Labour betrachtet, eine Partei die unter Tony Blair so "erfolgreich“ war. 


Corbyn_Jeremy Bernard
Quelle: Wikipedia/
See Li from London

 

Corbyn soll gesagt haben, er würde als Premierminister "nie den Knopf für die britischen Atomraketen drücken". Solche Aussagen werden in Grossbritannien vom Militär-Establishment nicht goutiert und vermutlich auch nicht von den Labour-Abgeordneten, die für die britische Atomstreitmacht sind. Corbyns Installierung als Premierminister könnte beim Militär sogar eine Meuterei auslösen, soll ein General gesagt haben. Doch überlegen wir uns mal: Was würde passieren, wenn ein Konservativer oder ein Labour-Premierminister aus irgendeinem Grund den Abschuss von britischen   
                                                                           
Atomraketen bewilligen würde?

Begrenzter Atomkrieg: Nuklearer Winter, Abkühlung des Erdklimas

Heute ist bekannt: Bereits der Einsatz einer geringen Anzahl von Atomwaffen würde zum Zusammenbruch der Gesellschaft und zu einer Veränderung des Klimas führen. Ein so genannter nuklearer Winter könnte die Folge eines begrenzten Nuklearkrieges sein, eine Abkühlung des Erdklimas mit katastrophalen Folgen. Grossbritannien verfügt heute über vier ballistische Atom-U-Boote der Vanguard-Klasse, die im schottischen Faslane-on-Clyde stationiert sind. Jedes U-Boot kann mit maximal 16 Trident II D5 SLBM Interkontinental Raketen ausgestattet werden. Die Bomben dieser Raketen würden genügen, viele grosse Städte in Europa wie Hiroshima und Nagasaki zu zerstören. Eine Trident-Atombombe ist etwa achtmal stärker als die "Little Boy-Bombe", die auf Hiroshima abgeworfen wurde. Die Erneuerung der Trident Atom-U-Boote, was die britische Regierung heute plant, wird die Steuerzahler Grossbritanniens hundert Milliarden Pfund kosten, das sind 136 Milliarden Euro. Daneben kürzt die britische Regierung ständig wichtige Sozialleistungen. 

Scottish National Party und Grüne für Verschrottung der Trident-Raketen

Die Scottish National Party hatte die Verschrottung der Trident-Atomraketen zu einer ihrer zentralen Wahlparolen gemacht. Sie beklagt, die Atom-U-Boote, die an der Clyde, nur vierzig Meilen von Glasgow entfernt, stationiert sind, machten Schottland zu einem potentiellen Angriffsziel feindlicher Länder oder von Terroristen. 

Der frühere Labour-Führer Ed Miliband hingegen setzte sich aktiv für die Erneuerung des Trident-Nuklearprogramms ein. Noch im Januar dieses Jahres sorgte Labour gemeinsam mit den Konservativen dafür, dass eine von den Grünen und der Scottish National Party eingebrachte Resolution gegen die Erneuerung des Trident-Programms abgelehnt wurde. Die Resolution wurde mit 364 Stimmen zu 35 niedergestimmt. Nur neunzehn Labour-Abgeordnete stimmten dafür. (1) 

Atombomben in Deutschland, um den Frieden zu sichern?

Ein Politiker wie Jeremy Corbyn, der heute gegen Atomwaffen Stellung nimmt, wird deshalb als "Hypothek“ betrachtet. Frau Merkel von der christlichen Partei in Deutschland mit ihren sozialdemokratischen Regierungspartnern hingegen gelten als "normal“, wenn sie stillschweigend akzeptieren, dass in Büchel zwanzig US-Atombomben stationiert sind, "um den Frieden zu sichern", wie es heißt. Diese Bomben in Büchel werden nun durch neue ersetzt, um einen Einsatz von Atomwaffen, "um den Frieden zu sichern“, auch künftig zu ermöglichen. Die deutsche Luftwaffe trainiert heute, wie schon seit Jahren, in Büchel im Rahmen der "nuklearen Teilhabe" den Einsatz von Kernwaffen durch Jagdbomber vom Typ Tornado. (2) 

Ein Atomkrieg könnte das Ende der Menschheit bedeuten

In den letzten 60 Jahren hatten wir Glück, dass es nie zu einem atomaren Schlagabtausch der fünf UNO Sicherheitsratsmitglieder USA, Russland, Grossbritannien, Frankreich und China gekommen ist. Auch Israel, Pakistan und Indien setzten nie Atombomben bei ihren Kriegen ein. Vergessen wir nicht: Ein Atomkrieg könnte das Ende der Menschheit bedeuten. 

Es ist nicht genau bekannt, wie viele neue B61-12 Atombomben von den Vereinigten Staaten jetzt in Europa und in der Türkei stationiert werden. Nach den neuesten Schätzungen werden sie 70 B61-12 Atombomben in Italien bereit stellen (50 in Aviano und in Ghedi 20), 50 in der Türkei und 20 jeweils in Deutschland, Belgien und den Niederlanden, insgesamt also 180 nukleare Sprengköpfe. Wie viele Atombomben an Bord von US-Flugzeugträgern in den Häfen vor europäischen Gewässern sind, ist nicht bekannt. Beim Pentagon-Programm für den Bau der neuen 400 bis 500 B61-12 Atombomben wird mit Kosten von 8 bis 12 Milliarden Euro gerechnet. (3) 

Liste aller (bekannten) nuklearen Unfälle und Katastrophen seit 1945

Hier mal eine Liste mit allen (bekannten) atomaren Unfällen seit 1945, in die entweder Atomkraftwerke, militärische oder zivile Forschungsanlagen, Atom-U-Boote, Atom-Schiffe, Atombomben, Raketensilos mit Atombomben oder Kombinationen daraus verwickelt waren. Insbesondere die Amerikaner haben etliche Atombomben verloren, bei den Russen ist es wahrscheinlich einfach nur geheim gehalten worden. (4)
(PK)

(1) Siehe: „Pseudolinke unterstützen Scottish National Party bei Anti-Trident Kundgebung“ von Julie Hyland, 9. April 2015 (https://www.wsws.org/de/articles/2015/04/09/trid-a09.html)

(2) https://de.wikipedia.org/wiki/Nukleare_Teilhabe

(3) Siehe: Vers l’Italie les nouvelles bombes atomiques étasuniennes. Par Manlio Dinucci, Mondialisation.ca, 30 septembre 2015, il manifesto.info http://www.mondialisation.ca/vers-litalie-les-nouvelles-bombes-atomiques-etasuniennes/5478878

(4) https://www.timewasters-place.com/liste-aller-bekannten-nuklearen-unfalle-und-katastrophen-seit-1945/

 

Heinrich Frei, Architekt in Zürich, geb. 1941, ist in der Schweiz an verschiedenen friedenspolitischen Initiativen beteiligt. Mitarbeit im Förderverein "Neue Wege in Somalia" (www.nw-merka.ch) und von "Swisso Kalmo" (www.swisso-kalmo.ch). Er schreibt gelegentlich aufklärende Artikel für die NRhZ.



Online-Flyer Nr. 531  vom 07.10.2015



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