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Globales
Beim "Peacekeeping"-Einsatz in Syrien auch die Bundeswehr beteiligen?
Deutschlands ordnungspolitischer Radius
Von Hans Georg

Ein deutscher Regierungsberater erhält eine führende Position bei den künftigen Verhandlungen über eine Beendigung des Syrien-Kriegs. Der Direktor der vom Bundeskanzleramt finanzierten Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Volker Perthes, wird eine von vier "Arbeitsgruppen" leiten, die der UN-Sondergesandte für Syrien, Staffan de Mistura, unlängst eingerichtet hat, um konkrete Gespräche zwischen Syriens Regierung und der Opposition zu strukturieren. Perthes, einer der erfahrensten deutschen Nah- und Mittelostexperten, schreibt der Bundesrepublik gemeinsam mit der EU "primär ordnungspolitische Verantwortung" für die an Europa grenzenden Gebiete Nordafrikas sowie des Nahen und Mittleren Ostens zu.

Prof. Dr. Volker Perthes
NRhZ-Archiv
 
Er tritt dabei dafür ein, an einem möglichen "Peacekeeping"-Einsatz in Syrien auch die Bundeswehr zu beteiligen. Die von ihm geleitete SWP befasst sich in einem aktuellen Projekt mit der gegenwärtig stattfindenden "Fragmentierung Syriens" und mit der "Entwicklung von Politikoptionen" für den zerstörten Staat. Vor drei Jahren hatte sie noch - unter dem Titel "The Day After" - die syrische Exilopposition bei Planungen für die Neuorganisation Syriens nach dem als sicher erwarteten Sturz Assads unterstützt.
 
Schonfrist für Assad
 
Hintergrund für die Bildung der "Arbeitsgruppen" durch de Mistura sind die neuen Verhandlungen über eine Wende im Syrien-Krieg, die zur Zeit am Rande der UNO-Generalversammlung in New York geführt werden. Nach längeren Vorarbeiten und auf Drängen Russlands [1] zeichnet sich im Westen die Bereitschaft ab, nicht mehr auf den einseitigen Sturz der Regierung Assad zu setzen, sondern einem Interessenabgleich zuzustimmen und dazu Verhandlungen zwischen der syrischen Regierung und der Opposition zu unterstützen. Äußerungen aus Teheran deuten darauf hin, dass der geplante Deal nach einer gewissen Schonfrist die Entmachtung Assads beinhaltet. "Jetzt" dürfe Syriens Regierung "nicht geschwächt werden", wird der iranische Staatspräsident Hassan Rohani zitiert; sobald die direkte Bedrohung durch jihadistische Terroristen jedoch beseitigt sei, "können wir sofort die Reformen verfolgen, die es in Syrien geben muss".[2] Dazu passen neuere Äußerungen aus Berlin. Bereits in der vergangenen Woche hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel bekräftigt, es müsse auch mit Assad verhandelt werden. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat sich dem angeschlossen, am gestrigen Montag allerdings hinzugefügt: "Assad kann nicht Teil einer langfristigen Lösung sein".[3]
 
Vorstufe einer Nationalkonferenz
 
Während die Pläne für Verhandlungen unter Einschluss der Regierung Assad von Teilen des Establishments in Washington wie in Berlin noch bekämpft werden, hat de Mistura im Namen der UNO bereits "Arbeitsgruppen" für künftige Gespräche gebildet. Sie werden sämtlich von Europäern geleitet, denen - im Unterschied zu US-Amerikanern oder Russen - offenbar zugetraut wird, sowohl bei der Regierung in Damaskus wie auch bei den syrischen Oppositionellen als Mittler akzeptiert zu werden. Jan Egeland (Norwegen) soll die "Arbeitsgruppe Sicherheit und Schutz" leiten, Nicolas Michel (Schweiz) die "Arbeitsgruppe Politische und rechtliche Fragen", Birgitta Holst Alani (Schweden) die "Arbeitsgruppe Öffentlicher Dienst, Wiederaufbau und Entwicklung" und Volker Perthes (Deutschland) die "Arbeitsgruppe Militär, Sicherheit und Terrorabwehr". De Mistura zufolge sollen "die Ergebnisse der Arbeitsgruppen irgendwann die Grundlage für eine Vereinbarung zur Beendigung des Konflikts bilden".[4] Perthes begreift die Gespräche als mögliche "Vorstufe einer größeren syrischen Nationalkonferenz", "in der Syrer und Syrerinnen über die Zukunft ihres Landes beraten".[5]
 
Instabiles Umfeld
 
Mit Perthes hat die Bundesrepublik als einziger der großen westlichen Staaten einen einflussreichen Regierungsberater an exponierter Stelle in den UN-"Arbeitsgruppen" platzieren können. Perthes, ein herausragender Kenner des Nahen und Mittleren Ostens, leitet seit dem Jahr 2005 den vom Bundeskanzleramt finanzierten Berliner Think-Tank Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). In seiner Eigenschaft als SWP-Direktor hat er sich im Februar in der Debatte um das neue "Weißbuch" der Bundeswehr zur weltpolitischen Stellung Deutschlands geäußert. Perthes zufolge sei die Bundesrepublik eine "verantwortliche mittlere Macht", die "mit anderen zusammen die europäische und die globale Ordnung wahrt und entwickelt". Der "Radius", "in dem Deutschland und Europa primär ordnungspolitische Verantwortung tragen", erstrecke sich auf "Europa selbst", "aber sicherlich auch (auf) die östliche Nachbarschaft und die südliche Peripherie, also Afrika und de(n) Nahe(n) Osten".[6] Die Äußerung entspricht der Festlegung eines Strategiepapiers, das vor zwei Jahren unter Federführung der SWP und des German Marshall Fund of the United States und unter Mitwirkung von rund 50 Fachleuten aus dem deutschen Establishment erstellt worden ist. Darin heißt es, die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik solle sich "in erster Linie auf das zunehmend instabil werdende europäische Umfeld von Nordafrika über den Mittleren Osten bis Zentralasien konzentrieren" - dies "nicht zuletzt, um die amerikanischen NATO-Verbündeten im Zuge ihres wachsenden Engagements in Asien zu entlasten".[7] Diesen Vorstellungen tragen die neuen deutschen Syrien-Aktivitäten Rechnung.
 
Politikoptionen
 
Entsprechend hat sich die SWP unter Perthes' Leitung in den vergangenen Jahren immer wieder mit Syrien, einem wichtigen Land im "instabil werdenden europäischen Umfeld", befasst. Eine herausragende Rolle spielte dabei das Projekt "The Day After", das die SWP im ersten Halbjahr 2012 gemeinsam mit dem United States Institute of Peace (USIP) betrieb. Es zielte offen darauf ab, Grundlagen für eine staatliche Neuordnung Syriens nach Assads Sturz zu schaffen, und führte zu diesem Zweck mehr als 40 Aktivisten der syrischen Exilopposition in Berlin zusammen. Neben Liberalen waren auch Muslimbrüder beteiligt; nicht vertreten war dagegen die im Land verbliebene linke Opposition, die bis heute den gewaltsamen Sturz der Regierung ablehnt und auf friedliche Konfliktlösung setzt.[8] Während SWP und USIP mit den Neuordnungsplänen für Syrien befasst waren, wiesen die westlichen Mächte Anfang 2012 einen Vorschlag Moskaus zurück, der einen Interessenabgleich hätte herstellen und den Syrien-Krieg bereits 2012 beenden können (german-foreign-policy.com berichtete [9]). Aktuell betreibt die SWP ein Projekt, das "die Fragmentierung Syriens" untersucht und "die Entwicklung von Politikoptionen" für das zerstörte Land ins Zentrum stellt. Es läuft noch bis Dezember und wird aus Sondermitteln des Auswärtigen Amts finanziert.
 
Bundeswehr-Einsatz
 
SWP-Direktor Perthes, der im Rahmen der UN-Verhandlungen zwischen der Regierung in Damaskus und der syrischen Opposition die Arbeitsgruppe "Militär, Sicherheit und Terrorabwehr" leitet, spricht sich für einen Bundeswehr-Einsatz in Syrien aus. "Auch ein Waffenstillstand oder ein Übergangsabkommen zwischen der heutigen Regierung und der Opposition" werde "Angst und Misstrauen nicht ausräumen", erklärt Perthes: "Provokationen und Rückschläge werden kaum ausbleiben. Vieles wird deshalb für eine internationale Peacekeeping-Mission sprechen."[10] Der SWP-Direktor fordert: "Deutschland sollte sich nicht entziehen, wenn die Vereinten Nationen dann Truppensteller suchen." Abgesehen davon werde auch bei einer Einigung zwischen Regierung und Opposition in Syrien weiterhin Krieg herrschen: "Es wird dann darum gehen, den IS zurückzudrängen - politisch und militärisch. Beides wird Syrien nicht ohne internationale Hilfe schaffen." Ein Bundeswehr-Einsatz in Syrien entspräche den Plänen im deutschen Establishment, im "europäische(n) Umfeld von Nordafrika über den Mittleren Osten bis Zentralasien" [11] stärker Präsenz zu zeigen - politisch, aber auch militärisch. (PK)
 
[1] S. dazu Machtkampf in Nahost.
[2] Andreas Ross, Majid Sattar: Neuer Anlauf unter neuen Vorzeichen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 28.09.2015.
[3] Von der Leyen: Assad nicht ausschließen. www.faz.net 28.09.2015.
[4] Erdogan will mit Putin über Syrien reden. diepresse.com 22.09.2015.
[5] Volker Perthes: Eine Lösung für Syrien. Handelsblatt 21.09.2015.
[6] Volker Perthes: Wissenschaft und Weißbuch. Berlin 17.02.2015. www.bmvg.de. S. dazu Modernes Strategieverständnis (II).
[7] Neue Macht - Neue Verantwortung. Elemente einer deutschen Außen- und Sicherheitspolitik für eine Welt im Umbruch. Ein Papier der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und des German Marshall Fund of the United States (GMF). Oktober 2013. S. dazu Die Neuvermessung der deutschen Weltpolitik.
[8] S. dazu The Day After, The Day After (II), The Day After (III) und The Day After (IV).
[9] S. dazu Zynische Optionen.
[10] Volker Perthes: Eine Lösung für Syrien. Handelsblatt 21.09.2015.
[11] Neue Macht - Neue Verantwortung. Elemente einer deutschen Außen- und Sicherheitspolitik für eine Welt im Umbruch. Ein Papier der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und des German Marshall Fund of the United States (GMF). Oktober 2013. S. dazu Die Neuvermessung der deutschen Weltpolitik.
 
Diesen Artikel haben wir mit Dank übernommen von http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59212
 


Online-Flyer Nr. 530  vom 30.09.2015

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