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Globales
VW macht Fortschritte
Vom Grobstaub zum Feinstaub
Von Wolfgang Blaschka

Der groß angelegte, seit 2011 hausintern auch den Mitarbeitern bekannte Betrug der VW-AG mit manipulierter Diesel-Schadstoff-Software droht weitere Kreise zu ziehen. Auch andere deutsche Automobilhersteller bangen nun um den Weltruf deutscher Ingenieurskunst. Der Mythos "Made in Germany" geriete in Gefahr, stünde er künftig als Synonym für vorsätzliche Umweltverschmutzung, kriminellen Kundenbetrug und wissentlichen Gesetzesbruch.

Amerika-Chef von VW, Michael Horn
Quelle: Deutschlandfunk.de
 
Neu wäre das nicht, wenn man die schwarzen Kassen von Siemens oder die Libor-Zinsmanipulationen der stolzen Deutschen Bank, immerhin des Flaggschiffs der deutschen Finanzwirtschaft, nicht vergisst. Manche deutsche Konzernetagen strotzen nur so von "Unregelmäßigkeiten". Besonders forsch klang der merkwürdige Satz des bisherigen VW-Chefs, als er noch den ahnungslosen Vorstandsvorsitzenden des größten Autobauers Europas geben konnte: "Ich bin bestürzt über das, was in den vergangenen Tagen geschehen ist“, sagte Winterkorn. Im Klartext: Die Aufdeckung des Skandals sei der eigentliche Skandal, und der mache ihn doch zutiefst betroffen. Eine clevere Formulierung, die kaum mehr auffiel als bodenlose Frechheit im zerknirschten Verlautbarungswust.
 
„Wir waren unehrlich zur Umweltbehörde EPA, wir waren unehrlich zu den Behörden in Kalifornien und, am schlimmsten von allem, wir waren unehrlich zu unseren Kunden. Um es auf gut Deutsch zu sagen: Wir haben totalen Mist gebaut“, ließ sich der Amerika-Chef von VW, Michael Horn, bei einer Auto-Präsentation in New York vernehmen, so als wolle er seinen obersten Chef entlasten.
 
Ausgerechnet jenen Autonarren, der "mit jeder Schraube auf Du" gestanden haben soll, detailversessen wie kaum ein anderer in der Konzernleitung, der von nichts gewusst haben wollte, was in seiner zentralen Entwicklungsabteilung vor sich gegangen war? So eine Software musste doch in Auftrag gegeben, programmiert, bezahlt und serienmäßig eingebaut worden sein! Verbirgt sich unter den 600.000 VW-Arbeitern weltweit etwa ein pfiffiger Bastel-Strolch irgendwo in den USA, der sich das als Sabotage ausgedacht hat?
Dazu war das Täuschungsmanöver zu ausgeklügelt. Es findet sich in 482.000 Fahrzeugen wieder, und sollte die "Clean-Diesel"-Offensive in den USA vorantreiben, wo der Marktanteil von VW unter drei Prozent liegt. Dort gilt der Langstrecken-Treibstoff zudem noch als Traktor-Antrieb und ist teurer als das spottbillige Benzin. Obendrein relativiert die Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Highways die vergleichsweise Leistungsstärke des Diesel ohnehin. Mit dem künstlich ergaunerten Öko-Image ist es erstmal vorbei. Die Werbeclips mit vorgehaltenen weißen Handtüchern am Auspuff verschwanden stillschweigend aus den VW-Internet-Plattformen.
 
Hierzulande sind rund 13,8 Millionen dieselgetriebene Autos unterwegs. Ihr Anteil an der gesamten PKW-Flotte beträgt stattliche 31 Prozent. Die Deutsche Umwelthilfe in Berlin wirft den Autoherstellern nicht erst seit kurzem vor, die reale Umweltbelastung durch Dieselantriebs-Abgase klein zu testen. Was VW kann, konnten das nicht auch andere? Die Antwort werden nur flächendeckende Reihen-Untersuchungen im Straßenverkehrs-Betrieb liefern, unter Realbedingungen, nicht in der Elektronik-Testwerkstatt, wo die raffiniert frisierte Software die Prüfsituation sofort erkennt, sobald nur zwei Reifen bewegt werden, während das Lenkrad stillsteht.
 
Dann regelt nämlich ein elektronisch gesteuerter Katalysator die Einspritzung synthetischer Harnsäure hoch, um durch Aufsplittung in harmlosen Stickstoff und Wasser die schädlichen Stickoxide zu neutralisieren. Deren Grenzwerte liegen in Deutschland bei 80 Milligramm pro Kilometer; in den USA sind nur 40 mg pro gefahrener Meile (1,6 km) erlaubt. Offenbar wollte VW seinen Kunden nicht zumuten, andauernd Harnstoff nachschütten oder gar in den Tank pissen zu müssen. Es war bestimmt nur "gut gemeint". An eine Reizung oder gar Schädigung von Atemwegen hatten die vorgeblich so "umweltfreundlichen" Betrüger offenbar nicht gedacht. Ihnen ging es ums Aufpolieren des ramponierten Images der Marke VW, um Promotion ihrer Tochtergesellschaften Audi, Seat & Co.
 
Dabei war die Entlarvung der Trickserei zunächst gar nicht mal böse gemeint. Im Gegenteil: Die Wissenschaftler Drew Kodjak und John German vom Forschungsinstitut International Council on Clean Transportation waren Fans von abgasarmen Autos. Sie wollten eigentlich in Zusammenarbeit mit der Universität West Virginia nur beweisen, dass man auch in Europa schadstoffärmere Diesel-Autos fahren könnte. „Wir dachten, alles sei in Ordnung. Wir wollten mit unseren Tests die Europäer überzeugen, US-Standards einzuführen. Aber etwas stimmte mit den Ergebnissen nicht“, gab John German zu Protokoll. Dennoch war ihr Vertrauen in die Weltmarke noch nicht vollends erschüttert. Sie sprachen beim Konzern vor, um die Diskrepanzen aufzuklären. „Wir waren aber schockiert. Der Schadstoffausstoß war so extrem hoch, allein beim Jetta dreißig Mal höher als beim offiziellen Abgastest. Wir wussten nicht, was wir davon halten sollten“. Erst nach weiteren Tests schlugen sie bei der Umweltbehörde EPA Alarm.
 
Nach seinem gequälten Schuldeingeständnis und der wimmernd geknödelten Entschuldigung mit fast tränenerstickter Stimme mochte Winterkorn noch darauf hoffen, sein Mandat bis 2018 verlängert zu bekommen, doch nun ist sein engster Vertrauter Müller von Porsche nachgerückt. Neuanfang sieht anders aus. Kurz zuvor hatte der alte Boss noch getönt: „Volkswagen braucht einen Neuanfang, auch personell“. Die VW AG praktiziert jetzt genau das Gegenteil: Kontinuität. Volkswagen steht freilich in übelster Gründer-Tradition.
 
Deren Geschäftspraktiken waren von Anfang an auf Betrug ausgelegt: Der für 990 Reichsmark versprochene KdF-Wagen in einer jährlichen Auflage von 150.000 wurde nie ausgeliefert, sondern in kleiner Serie für NS-Parteigrößen reserviert und an die Wehrmacht ausgeliefert als Kommandeurwagen oder Allrad-Geländewagen. Wer nach dem Krieg sein vollgeklebtes Markenheftchen eintauschen wollte, bekam einen Bezugsschein, der allerdings 5000 Reichsmark statt der avisierten 990 RM kostete; erst im Jahr 1961 bot VW den geprellten Sparern einen Vergleich an: Nun wurde das entwertete Papier als Anzahlung von 600 D-Mark auf den Erwerb eines viel teureren Neuwagens immerhin akzeptiert. Wer dagegen Bargeld sehen wollte, wurde mit schändlichen 100 DM abgefunden.
 
Zu Kriegsbeginn 1939 stand das in eine strukturschwache Gegend Niedersachsens geklotzte Werk gerade mal im Rohbau fertig neben der 1938 auf grünen Marschwiesen gegründeten "Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben", in der es ab 1942 selbstredend ein "Arbeitsdorf" für rund 800 politische Häftlinge gab, und später noch viel mehr Baracken für die 20.000 von der SS "gemieteten" sowjetischen Zwangsarbeiter, die 1944 schließlich zwei Drittel der VW-Belegschaft stellten. Die baute auch Teile für die Rakete V1.
 
Ferdinand Porsche war nämlich nicht nur Konstrukteur, sondern auch einer der ersten Wehrwirtschaftsführer des NS-Regimes, der nach Kriegsende zwar für 22 Monate in französischer Haft saß, aber nie rechtskräftig verurteilt wurde. Erst nach dem Krieg wurde die Reißbrett-Siedlung übrigens von den Briten in Wolfsburg umbenannt nach dem gleichnamigen Schloss in der Nähe, nicht jedoch mit der gelegentlich unterstellten Absicht, dem "Onkel Wolf" von der "Wolfsschanze" ein postumes Denkmal zu setzen. Noch vor der Währungsreform 1948 wurden bereits erste Exemplare des "Käfers" 1947 in die Niederlande exportiert, 1949 dann in die USA, wo dem "Beetle" sein Name gegeben worden war von der „New York Times“, erstaunlicherweise bereits 1938. Damals sah es noch nach Massenmobilität in Deutschland aus. Die bekam dann allerdings eine ganz andere Dimension außerhalb der Landesgrenzen.
 
Der KdF-Wagen wurde umkonstruiert zum Kübelwagen für den Krieg, teilweise sogar schwimmfähig. Insgesamt 60.000 Kriegs-Fahrzeuge wurden gebaut. Die wöchentlichen 5-Reichsmark-Marken der 340.000 Sparer waren am Ende umsonst geklebt und verfielen dem gähnenden Schwarzen Loch des Kriegsgrauens, in das eben "alles in Scherben" fiel. Dagegen zerstäuben die paar zusätzlichen Rußpartikel heute zu fast nichts. „Peanuts!“ würde Ackermann sagen. Winterkorn dachte vermutlich: „Feinstaub!“, immer noch besser als Grobstaub. 35 Prozent Kursverlust in zwei Tagen sind allemal günstiger als der totale Ruin in Trümmern, wiewohl kein Pappenstiel. Immerhin fraßen die Kursverluste von den 86 Mrd. Eigenkapital ungefähr die Hälfte. Satte 18 Milliarden Strafzahlungen könnten fällig werden, dazu noch die in den USA exorbitant hohen privaten Entschädigungssummen. Dennoch liegt das VW-Werk nicht wie nach dem Zweiten Weltkrieg zu zwei Dritteln in Schutt. Volkswagen macht insofern kulturelle Fortschritte: Vom Kriegsgeschäft zum stinknormalen Geschäftskrieg, wie er zwischen transnationalen Konzernen brutalst ausgetragen wird. (PK)
 
Diesen Artikel haben wir mit Dank von Uli Gellermanns Rationalgalerie übernommen - http://www.rationalgalerie.de/kritik/vw-macht-fortschritte.html
 


Online-Flyer Nr. 530  vom 30.09.2015

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