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Aktueller Online-Flyer vom 24. April 2024  

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Krieg und Frieden
Strategiepapier von 1991
Stationierungsrecht nach der Deutschen Einheit
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

Im Juli 2015 wurde der von Freidenkern und Arbeiterfotografie initiierte Aufruf "Sagt NEIN, ächtet Aggressionen, bannt die Weltkriegsgefahr!" öffentlich. Darin wird neben dem Ausstieg aus dem NATO-Vertrag auch die Kündigung des Vertrags über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte gefordert. Jetzt ist ein Strategiepapier aus dem Bundesverteidigungsministerium aus dem Jahr 1991 aufgetaucht, das insbesondere diesen Vertrag zum Thema hat. Der ehemalige Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Willy Wimmer, hat es kenFM zukommen lassen. Das 13-seitige Papier trägt die Überschrift "Das Stationierungsrecht nach der Deutschen Einheit". Ken Jebsen: "Es hat es im Rückblick in sich. Kohl wollte Frieden. Merkel hat kein Problem, Deutschland in einen Krieg zu führen." In der Tat macht das Papier deutlich, wie überlegt worden ist, die aus der Stationierung fremder Truppen resultierenden Einschränkungen der Souveränität der BRD zu reduzieren. Die NRhZ dokumentiert das Papier als Text-Dokument.


Willy Wimmer und Rainer Rupp (mit dem Buch "Wiederkehr der Hasardeure - Schattenstrategen, Kriegstreiber, stille Profiteure 1914 und heute")
Foto: arbeiterfotografie.com

Rechtlich bedeutsame Phasen der Einheit

Der Prozess der Deutschen Einheit in den Jahren 1989 und 1990 zeigte trotz des von allen Beteiligten und internationalen Beobachtern unbestrittenen zügigen Verlaufs klare auch für Juristen bedeutsame Abschnitte.

Für die Rechtsentwicklung zur Einheit war zunächst der Versuch einer neuen Gestaltung des Verhältnisses zwischen den beiden deutschen Staaten, der in dem Zehn-Punkte-Programm des Bundeskanzlers Helmut Kohl vom 28. November 1989 zum Ausdruck kam, bezeichnend. Bevor die hier implizierten Rechtsfragen und die Grenzfrage zwischen Deutschland und Polen und des Verhältnisses zu den Vier-Sieger-Mächten des Zweiten Weltkrieges weiter erörtert oder nur geklärt werden konnten, signalisierte die Wahl in der DDR am 18. März 1990 bereits das Ende dieser ersten Phase und eine neue, die Einigung beschleunigende Entwicklung. Die direkte Kooperation zwischen den beiden deutschen Regierungen ging unter dem Druck des Einigungswillens des Volkes über die in der Kanzlererklärung noch vorgesehenen Zwischenstufen hinweg und führte in der zweiten Phase zur Wirtschaft- und Währungsunion am 01. Juli 1990. Auch in dieser zweiten Phase, die sich wie die erste auf die inneren Aspekte der Deutschen Einheit konzentrierte, kam eine weitere Beschleunigung dadurch zustande, daß die äußeren Aspekte der Deutschen Einheit mehr und »ehr als dringlich erkannt wurden. Die in Ost und West betonte Bedingung einer definitiven Grenze zu Polen wurde mit der Entschließung des Deutschen Bundestages zur deutsch-polnischen Grenze vom 2l. Juni 1990 als lösbar signalisiert. (Diese Entschließung bezog sogar den Vertrag zwischen Polen und der DDR über die Abgrenzung in der Oderbucht vom 22. Mai 1989, [obwohl] er nicht in allen Punkten dem völkerrechtlichen Äquidistanzprinzip entsprach, in die neue Grenzziehung ein). Der als feierliche Zeremonie in Berlin vollzogene Austritt der DDR aus dem Warschauer Pakt fügte ein weiteres Element zur Lösung der äußeren Aspekte hinzu. Als dann die Wirtschaft- und Währungsunion am 01. Juli 1990 vollzogen und damit zugleich dokumentiert war, daß Deutschland als Einheit noch vor dem Beginn des Europäischen Binnenmarktes im Jahre 1992 seine Einheit vollziehen würde, begann eine dritte Phase der Rechtsentwicklung zur Einheit, sie war die intensivste und vollzog sich im Zeitraum zwischen dem l. Juli und dem 3. Oktober 1990. Die äußeren Aspekte waren in dieser Phase nicht nur gleichrangig, sondern gewannen im September sogar Vorrang vor den bereits im August mit der Unterzeichnung des Einigungsvertrages rechtlich gelösten innerstaatlichen Aspekten. Die entscheidenden rechtlichen Eckwerte für die äußeren Aspekte der Deutschen Einheit wurden in der dritten Einigungsphase gesetzt. Als entscheidende Elemente sind zu nennen:
  • die Einigung während des Moskauer Gipfeltreffens zwischen Bundeskanzler Kohl und Präsident Gorbatschow am 16.Juli 1990 über die Mitgliedschaft eines wiedervereinigten Deutschlands in der NATO, die Begrenzung der Bundeswehr auf 370.000 Soldaten, die dauernde Beschränkung für nicht-deutsche NATO-Truppen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR sowie den Abzug der sowjetischen Streitkräfte aus Deutschland bis Ende 1994;

  • der Einigungsvertrag vom 31. August 1990, der die Wehrverfassung der Bundesrepublik Deutschland auf das Ganze wiedervereinigte Deutschland übertrug mit Ausnahme der stationierungsrechtlichen Verträge und Abkommen mit den westlichen Verbündeten, die auf das Beitrittsgebiet der nicht ausgedehnt wurden;

  • der Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland vom 12. September 1990 (Souveränitätsvertrag), mit dem die Zwei-Plus-Vier-Gespräche zwischen den beiden deutschen Staaten und den Vier-Mächten abgeschlossen wurden und der dem wiedervereinigten Deutschland unter den oben genannten Bedingungen des Moskauer Gipfels und der Regelung der deutsch-polnischen Grenze die volle Souveränität zuerkannte;

  • Vereinbarungen und das In-Kraft-Setzen eines vorläufigen Stationierungsrechts für die westlichen Verbündeten in Deutschland und die sowjetischen Streitkräfte im Gebiet der DDR durch mehrere Verträge und Notenwechsel zwischen den Vier-Mächten und Deutschland im September 1990.
Diese internationalen Absprachen und Verträge waren die Voraussetzung dafür, daß mit dem formellen Akt der Wiedervereinigung am 03. Oktober 1990 ein wiedervereinigtes und voll souveränes Deutschland entstehen konnte. Damit war die entscheidende dritte Phase der Wiedervereinigung beendet. Sie war vor allem mit dem Gipfeltreffen in Moskau im Juli und den internationalen Vereinbarungen im September 1990 von den äußeren Aspekten der Wiedervereinigung und den künftigen Grundlagen des Aufenthalts- und Stationierungsrechts geprägt. Mit dem Souveränitätsdatum vom 03. Oktober ist gleichzeitig für das Stationierungsrecht eine neue Ausgangslage gegeben. Die seitdem begonnene vierte Phase, die gegenwärtig noch andauert und nicht vor 1994 abgeschlossen sein dürfte, ist vom Vollzug des Souveränitätsvertrages und damit vom Wandel des übernommenen Stationierungsrechts im Westen- und Ostteil Deutschlands geprägt. Wichtige rechtliche Signale für einen solchen Vollzug der wiedergewonnenen Souveränität wurden im Laufe des Jahres 1991 bereits gesetzt. So wurde die für den militärischen Luftverkehr mit der NATO vereinbarte innerdeutsche Luftverkehrszone (Air Identification Zone - ADIZ) aus dem Jahre 1970 aufgehoben. Die bereits im Herbst 1990 gegründete deutsch-sowjetische Gemischte Kommission nahm mit zahlreichen Arbeitsgruppen die Arbeit auf, um Einzelfragen des Vertrages über den Aufenthalt und Abzug sowjetischer Streitkräfte zu regeln. Schließlich hat die Bundesregierung nach Anhörung der betroffenen Bundesländer am 2l. Juni 1990 die sechs westlichen Stationierungsländer um Neuverhandlungen über das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut gebeten. Diese Verhandlungen sind ab September 1991 zu führen und dürften erhebliche Zeit in Anspruch nehmen. Die vierte Phase der Deutschen Einheit ist somit durch einen Wandel des Stationierungsrechts geprägt. Dieser Wandel hat seine Grundlage nicht nur in der wiedergewonnenen deutschen Souveränität, sondern zusätzlich im Wegfall der bisherigen Bedrohung, dem einseitigen substantiellen Abbau der Streitkräfte in Mitteleuropa, den Abkommen zur Verminderung der konventionellen und strategischen Streitkräfte in Europa, dem Erlöschen des Warschauer Paktes sowie dem begonnenen Wandel der Militärstrategie der NATO. Ohne den Einfluß dieser Faktoren zu unterschätzen, ist aus rechtlicher Sicht vor allem von Belang, von welchen Prinzipien die oben genannten Verhandlungen aus der Sicht der wiedererlangten deutschen Souveränität auszugehen haben.

Neue Rechtsgrundlagen

Als völlig neues Element bleibt nach dem 03. Oktober 1990 der unterschiedliche Rechtsstatus für die NATO-Streitkräfte auf der einen und die sowjetischen Streitkräfte in Deutschland auf der anderen Seite au beachten.

Mit der Wiedervereinigung ist die DDR als Staat erloschen. Die zwischen der DDR und der Sowjetunion geschlossenen Verträge Über die Rechte der sowjetischen Truppe gelten nicht im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland weiter. Maßgebend ist vielmehr der am 12. Oktober 1990 geschlossene und inzwischen in Kraft getretene Vertrag über den Aufenthalt und Abzug der sowjetischen Truppen aus Deutschland (Abzugsvertrag). Dieser Vertrag gewährt den sowjetischen Truppen ein Aufenthaltsrecht in ihrem bisherigen Stationierungsgebiet und legt ihre Rechte einschließlich Streitkräftebewegungen, Übungen und Manövern im einzelnen fest. Dabei ist die Dauer des Aufenthalts in gegenseitiger Vereinbarung bis Ende 1994 begrenzt. Für den Abzug der Streitkräfte in vier Jahresetappen hat der Oberkommandierende inzwischen einen Abzugsplan vorgelegt. Mit substantiellen Verminderungen wurde in der ersten Jahreshälfte 1991 bereits begonnen.

Die mit der sowjetischen Seite in kurzer Zeit ausgehandelten und inzwischen durch Einzelabsprache ergänzten Regelungen berücksichtigen die Erfahrung, die Deutschland als Stationierungsland in Jahrzehnten in der Praxis mit den Verbündeten gewonnen hat. Über die eigentliche Regelung hinaus sind die deutschen Stellen bemüht, die nunmehr für die sowjetischen Streitkräfte verbindlichen deutschen Rechtsgrundsätze, zum Beispiel den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beim Schußwaffengebrauch, zu erläutern. Eine solche kooperative Rechtspraxis kann einen Werbeeffekt für die Rechtsstaatlichkeit in den sowjetischen Streitkräften entfalten. Das grundsätzliche Interesse von östlichen Streitkräften an den westlichen Wehrrechtsprinzipien haben mehrere östliche Repräsentanten kürzlich auf dem XII. Kongreß der Internationalen Gesellschaft für Wehrrecht und Kriegsvölkerrecht vom 23. bis 27. Mai 1991 in Brüssel bekundet. Aus deutscher Sicht kommt es im Verhältnis zu den sowjetischen Streitkräften vor allem darauf an, in den wenigen verbleibenden Jahren bis zum vollständigen Abzug eine Grundlage für nützliche künftige Beziehungen auf dem Gebiet des Stationierungs- und Wehrrechts zu legen, damit die künftige Zusammenarbeit erleichtert wird.

Von der Materie des Stationierungsrechts bleibt gegenüber der Sowjetunion die permanente Verpflichtung aus dem Souveränitätsvertrag, keine nicht-deutschen NATO-Streitkräfte auf dem Gebiet der ehemaligen DDR zu stationieren und auch Manöver verbündeter Truppen nur unter Berücksichtigung sowjetischer Sicherheitsinteressen durchzuführen. Für deutsche Streitkräfte gelten vergleichbare Einschränkungen nach 1994 in keiner Weise mehr. Diese im Grunde gespaltene Rechtslage betreffend das Gebiet des NATO-Mitgliedes Deutschland hat jedoch angesichts der geänderten NATO-Strategie kein grundsätzliches Gewicht. Nach dem NATO-Vertrag und dem WEU-Vertrag hat die Bundesrepublik Deutschland einen Beistandsanspruch, der sich auf das gesamte deutsche Staatsgebiet erstreckt. Die Beistandspflicht der Verbündeten ist daher rechtlich von der Stationierungsbegrenzung nicht eingeschränkt. Allerdings wird Deutschland - selbst im Falle der Veränderung des Stationierungsrechts im Westen Deutschlands - einen dauernd unterschiedlichen Status für die Präsens ausländischer Streitkräfte zwischen Ost und West beibehalten. Der Ostteil Deutschlands, die ehemalige DDR, wird einer steten internationalen Begrenzung für Streitkräftestationierung und Manöver unterliegen. In der Praxis der NATO wird dieser Beschränkung aber kaum Gewicht beizumessen sein, da in keinem der anderen westlichen Bündnisländer die Stationierung ausländischer Streitkräfte mehr als territorial punktuelle Bedeutung hat. Für die Bundesrepublik Deutschland bedeutet die Einschränkung militärischer Präsens somit im Ergebnis einen Schritt zur Angleichung an internationale Normalität. Allerdings gibt die geschilderte Rechtslage Anlaß zur Prüfung, ob und in welcher Weise über die bereits getroffene Besuchsregelung für verbündete Streitkräfte in dem Gebiet der ehemaligen DDR hinaus eine Begrenzung des Aufenthaltsrechts und mögliche Ausnahmen davon noch zu vereinbaren bleiben. Dafür spricht, daß das Stationierungsrecht vor dem 03. Oktober 1990 keine territorialen Einschränkungen kannte.

Die Rechtsgrundlagen betreffend die sechs westlichen Stationierungsmächte weisen größere Komplexität auf. Mit dem Souveränitätsvertrag vom 03. Oktober 1990 haben die Drei Mächte, die USA, Großbritannien und Frankreich die bis dahin verbliebenen Besatzungsrechte aufgegeben. Diese betrafen die Behandlung Deutschlands als Ganzes und das Besatzungsrecht in Berlin. Für eine Übergangszeit wurden mit den drei Mächten Vereinbarungen getroffen, die für ihre in Berlin stationierten Truppen das in der Bundesrepublik Deutschland geltende Stationierungsrecht zur Grundlage machen und die die Rechte im Militärverkehr zwischen den alten Bundesländern und Berlin festlegen. Dabei ist von deutscher Seite in den Verhandlungen dargelegt worden, man gehe davon aus, daß mit dem Abzug der sowjetischen Truppen aus der ehemaligen DDR auch die Truppenpräsens der Westmachte in Berlin beendet werde. Dem entsprechen inzwischen die Stationierungsplanungen auf westlicher Seite.

Infolge der Wiedervereinigung sind weitere der früheren Grundlagen der Truppenstationierung entweder entfallen oder aber rechtlichen Veränderungen entworfen.

So wurde der Überleitungsvertrag vom 26. Mai 1952, der wichtige Grundsätze für das Aufenthaltsrecht der früheren Besatzungsmächte als Verbündete in der Bundesrepublik Deutschland regelte, im September 1990 durch Notenwechsel zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Westmächten für obsolet erklärt.

Der Aufenthaltsvertrag, der die Rechtsgrundlage für die Stationierung von Truppen der Westmächte in der Bundesrepublik Deutschland darstellt, enthält eine Regelung, die Neuverhandlungen im Falle der Wiedervereinigung ermöglicht. Gleiches gilt für das NATO-Truppenstatut und das Zusatzabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den sechs westlichen Stationierungsmächten.

Prinzipien für Neuverhandlungen

Zur künftigen Rechtsstellung der in Deutschland stationierten ausländischen Streitkräfte hat es seit der Wiedervereinigung eine Reihe grundsätzlicher politischer Forderungen gegeben. Die Forderungen richten sich auf allgemein mehr Normalität des Aufenthalts und der Stationierung der Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland, auf bilaterale Gleichheit und Gegenseitigkeit in den Vereinbarungen auf multilaterale Gleichheit und Gegenseitigkeit, eine weitgehende Statusanpassung an das deutsche Recht sowie die allgemeinen Bedingungen für Manöver, Übungen und Liegenschaften.

Der Bundesrat, der für eine Delegation der Länder die Beteiligung an den Neuverhandlungen zum Zusatzabkommen anstrebt, hat gemäß einem Entschließungsantrag des Landes Rheinland-Pfalz vom 04. Oktober 1990 ausgesprochen, das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut werde der neuen Lage nicht mehr gerecht. Die Rechtsstellung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber den Stationierungsstreitkräften sei derjenigen anderer NATO-Partner gegenüber ihren Stationierungskräften anzugleichen. Der Status der Stationierungskräfte sei demjenigen der Bundeswehr anzugleichen. Zu diesem 2weck seien unter anderem Vorrechte bei Manövern und Übungen zu beseitigen, in den Liegenschaften deutsches Recht durchzusetzen und die Rechte deutscher Arbeitnehmer zu verbessern.  Der Verteidigungsausschuß hat sich in mehreren Sitzungen im April 1991 mit dem Stationierungsrecht befaßt. In einer schriftlichen Antwort auf gestellte Fragen hat das Bundesministerium der Verteidigung darauf hingewiesen, daß die Bundesrepublik Deutschland den verbündeten Streitkräften für ihre Aufgaben in Erfüllung völkerrechtlicher Verträge Liegenschaften zur Verfügung stelle. Die Rechtsgrundlage bildeten insbesondere der Aufenthaltsvertrag vom 03. Oktober 1954, das NATO-Truppenstatut vom 19. Juni 1954 und das Zusatzabkommen vom 03. August 1959. Nach Artikel 48 Absatz 5 des Zusatzabkommens seien die verbündeten Streitkräfte verpflichtet, laufend ihren Bedarf an Liegenschaften zu überprüfen und nicht mehr benötigte Liegenschaften zurückzugeben. Dieser Aspekt gewinne angesichts der Verminderung des Umfanges der stationierten Verbündeten besondere Bedeutung. Bei den Überprüfungsbehandlungen werde der Komplex Liegenschaften einen der Schwerpunkte bilden. Als Vertreter der Bundesregierung hat Staatssekretär Dr. Lautenschläger auf eine parlamentarische Anfrage am 30. April 1991 geantwortet, daß die Bundesregierung die Verhandlungen zur Überprüfung des Zusatzabkommens in enger Zusammenarbeit mit den Ländern vorbereiten wolle. Das NATO-Truppenstatut selbst, welches in allen sechzehn Staaten des Bündnisses in gleicher Weise gilt, soll sowohl nach Auffassung der Regierung als auch nach der Einschätzung der Äußerungen aus der Opposition nicht in Frage gestellt werden. Auch der Aufenthaltsvertrag von 1954 ist formell nicht Gegenstand des von der Bundesregierung gestellten Überprüfungsantrages. Gleichwohl können sich aus den Neuverhandlungen zum Zusatzabkommen, aus der Überprüfung und Neufestlegung der NATO-Strategie und der Entwicklung der europäischen Verteidigungsidentität Perspektiven ergeben, die die Grundlagen des Aufenthalts von Streitkräften in Deutschland berühren. Das deutsche Interesse an einem Verbleib substantieller verbündeter Streitkräfte ist nicht zuletzt mit Blick auf die sicherheitspolitische Kooperation und den strategischen Verbund der NATO nicht zweifelhaft. Gleichwohl bedeuten die Prinzipien der bilateralen und multilateralen Gegenseitigkeit und die Anwendung gleicher Streitkräftestandards zwischen Bundeswehr und Stationierungsstreitkräften eine grundlegende Veränderung der Bedingungen des Aufenthaltes von Streitkräften in Deutschland. Die Gegenseitigkeit in den bilateralen Beziehungen würde beispielsweise bedeuten, daß alle Leistungen, die bisher kostenlos den Streitkräften der Vereinigten Staaten in der Bundesrepublik Deutschland gewährt werden, einen Ausgleich zugunsten der Bundesrepublik Deutschland oder der Bundeswehr zu finden hätten. Dabei ist offensichtlich, daß ein solches formales Vorangehen auf praktische Schwierigkeiten stößt, weil vergleichbare Stationierungsverhältnisse in Deutschland und in den USA oder anderen verbündeten Staaten nicht gegeben sind. Als Rechtsprinzip würde jedoch die bilaterale Gegenseitigkeit eine Verbesserung zugunsten der Bundesrepublik Deutschland im Sinne von mehr Gleichheit bestätigen.

Ähnliches gilt für die multilaterale Gegenseitigkeit. Wie in dem oben angeführten Beschluß angesprochen, würde die Gleichheit der Stationierungsbedingungen in allen NATO-Staaten in der Zukunft ein durchgängiges Prinzip bilden. Gleiche Mindeststandards wären für den Fall eines Aufenthalts von Truppen multilateral in allen NATO-Staaten abzusichern. Ein solches Konzept der multilateralen Gegenseitigkeit bei Stationierungsaufenthalten würde gleichzeitig die verstärkte politische Aufgabe der NATO und die neuen strategischen Überlegungen, die nicht mehr auf der Konfrontation in Mitteleuropa beruhen, zum Ausdruck bringen. Es würde in der Sicherheitszusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas die Attraktivität der NATO erhöhen. Ein weiterer Aspekt aus dem Bereich der Rüstungskontrolle dürfte für das künftige Stationierungsrecht im Sinne der Gegenseitigkeit und Gleichheit an Interesse gewinnen. Die im Rahmen der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa und der Vereinbarungen über vertrauensbildende und sicherheitsbildende Maßnahmen zu errichtenden Instrumentarien werden im Osten und im Westen Europas ein neues Sicherheitsnetz begründen. Die vereinbarten Verminderungen für schwere Waffen und die zu erwartenden Begrenzungen der personellen Streitkräftestärken aller Staaten in Europa führen zur Errichtung eines dauernden Verifikationsinstrumentariums, welches alle Streitkräfte ergreift. Streitkräftestationierung bedeutet deshalb notwendigerweise zusätzliche Verifikationen. Um auch in dieser Angelegenheit Gegenseitigkeit, Gleichheit und Ausgewogenheit zu erstreben, sollten deshalb Stationierungskonzentrationen zu Lasten einzelner Regionen oder Staaten möglichst vermieden werden. Dem entspricht die neue Stationierungsplanung der NATO, die auf die Verlegung schwerer Waffen von Mitteleuropa an die Nord- und Südregion gerichtet ist. Für das Personal der Streitkräfte ist ebenfalls ein Mehr an Verteilung auf alle Bündnisstaaten geboten.

Die Gegenseitigkeit bei der Anwendung der Bundeswehrstandards auch für Stationierungsstreitkräfte, insbesondere bei Manöver, Übungen und Anwendung des Umweltrechts bilden angesichts jahrzehntelanger eingefahrener Stationierungspraxis keine leichte Aufgabe. Von verbündeter Seite wird darauf hingewiesen, daß Aufgabe und Struktur der NATO-Streitkräfte keineswegs soweit übereinstimmen, daß gleiche Übungsstandards in der Bundesrepublik Deutschland praktiziert werden könnten. Zur Lösung müßten die anstehenden Einzelfragen geprüft werden. Lösungen sind möglich. Das haben die Absprachen und Maßnahmen zur Einschränkung des Tiefflugs in den beiden letzten Jahren gezeigt.

Ein Grundproblem in der Anwendung des Prinzips der Gegenseitigkeit scheint die Tatsache zu sein, daß die Bundesrepublik von der Bestätigung ihrer Souveränität im Stationierungsrecht eine Verringerung der bisherigen Stationierungskonzentration auf die Bundesrepublik Deutschland und auch damit eine Verringerung der Belastungen erwarten könnte, während aus Sicht der Stationierungsmächte zumindest keine Erschwerung oder finanzielle zusätzliche Belastung aus der Veränderung des Stationierungsrechts erwachsen sollte. Dies haben im amerikanischen Senat unter anderem die Beratungen im Jahre 1999 [falsch, vermutlich 1989 gemeint] gezeigt. Der Bericht des zuständigen Komitees weist darauf hin, daß das amerikanische Verteidigungsministerium Neuverhandlungen betreffend das Stationierungsrecht mit verschiedenen Staaten unternehmen sollte. Dabei sollten unter anderem mit Deutschland, England, Japan und Korea günstigere Vereinbarungen als bisher geschlossen werden.

Es ist richtig, daß die globalen Aspekte in künftigen deutsch-amerikanischen Stationierungsvereinbarungen Berücksichtigung finden sollten. Präsident Bush hat schon im August 1990 ausgesprochen, daß die amerikanischen Streitkräfte in Europa die globalen militärischen Interessen der USA in Rechnung stellen müssen. Der Golfkonflikt hat mit der Verlegung des VII. Amerikanischen Korps in den Golf innerhalb von nur wenigen Wochen die Bedeutung der globalen Reichweite einer solchen Stationierung unterstrichen. Der Einsatz von Streitkräften außerhalb der bestehenden NATO-Beistandspflicht und der organisierten Verteidigungsinfrastruktur berührt aber die Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland direkt. Konsultation und Zustimmung vor dem Einsatz, die eine Praxis in den vergangenen Jahrzehnten war, sollte daher im deutschen Interesse rechtlich im Zusammenhang mit dem stationierungsrecht festgelegt werden.

Abgesehen von solchen längerfristigen Überlegungen sind für die gegenwärtigen Stationierungsverhandlungen zum Zusatzabkommen eine Fülle von Einzeländerungen in Betracht zu ziehen. Dazu gehört die zwingende Anwendung des Deutschen Rechts in allen Fällen, in denen dies anwendbar ist. Betroffen wären die Bereiche Manöver und Übungen, Liegenschaften, Straßenverkehr, Luftverkehr und Umweltschutz. Einzelne Vorschriften des Zusatzabkommens, die inzwischen nicht mehr praktiziert werden, könnten entsprechend der bereits eingetretenen Praxis ganz entfallen. Hierzu würden die Bestimmungen über die Beteiligung der Stationierungsstreitkräfte bei Luftaufnahmen und die Festlegung besonderer Tieffluggebiete gehören. In solchen Fällen würde entsprechend dem Gegenseitigkeitsprinzip Stationierungsstreitkräften die gleichen Bedingungen gewährt, die auch für die Bundeswehr gelten.

Aussichten

Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die deutsche Wiedervereinigung mit der Wiedererlangung der vollen Souveränität eine Angleichung des Stationierungsrechts im Sinne von internationaler Normalität, Gegenseitigkeit und Gleichheit im westlichen Bündnis erfordert.

Die gegenwärtigen Neuverhandlungen zur Überprüfung des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut sind ein wichtiger Schritt in diese Richtung. In ihrer Bedeutung reichen diese Verhandlungen über die Frage der Prüfung und Neuverhandlungen einzelner Bestimmungen des Stationierungsrechts hinaus. Für die weitere Entwicklung des Stationierungsrechts werden aus der Souveränität politische Forderungen im Sinne von mehr Normalität im Vergleich mit der Rechtslage in den übrigen Bündnisstaaten, Wahrung der bilateralen Gegenseitigkeit, Wahrung der multilateralen Gegenseitigkeit und Einhaltung des Rechtsstandards der Bundeswehr auch für stationierte Streitkräfte geprägt.

Die Wechselwirkungen zwischen Stationierungsrecht und Rüstungskontrollrecht nehmen zu. Truppenstationierungen haben eine Verdichtung des Netzes der Verifikation und der Rüstungskontrolle zur unmittelbaren Folge. Dies bedeutet nicht nur Beschränkungen militärischer Aktivitäten, sondern auch zusätzliche Kontrolle und zusätzliche finanzielle Lasten. Eine gleichmäßige Verteilung solcher Lasten in Europa, auch über die Bündnisgrenzen hinaus ist anzustreben. Rüstungskontrolle und ein alle Einzelstaaten übergreifende Stationierungspraxis sowie in entsprechender Rechtsgrundlage erleichtern beide für sich und in ihrer Wechselwirkung die sicherheitspolitische Stabilität in ganz Europa.

Für die Stationierung in Deutschland bleibt in erster Linie die rechtliche Gestaltung der Beziehungen zu den drei Westmächten maßgeblich. Die von diesen Staaten angekündigten Truppenabzüge und die Neugestaltung der NATO-Strategie bieten über die begonnenen Verhandlungen zum Zusatzabkommen hinaus eine breite Perspektive für eine künftige Regelung im Sinne der oben dargestellten Prinzipien.


Siehe auch:
Fire statt Feiern!
Kommentar zum Strategie-Papier von Ken Jebsen
https://www.facebook.com/media/set/?set=a.10153020268586583.1073741829.352426141582&type=3

Ein Dokument zur vertanen Friedenschance in Europa
Kommentar zum Strategie-Papier von Albrecht Müller
http://www.nachdenkseiten.de/?p=27630

KenFM am Telefon:
Willy Wimmer zum Stationierungsrecht von 1991
https://youtu.be/7vFV1uK0JwA

Neues zum Aufruf "Sagt NEIN, ächtet Aggressionen, bannt die Weltkriegsgefahr!"
NATO-frei und US-Truppen-frei in zwei Jahren
NRhZ 522 vom 05.08.2015
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=21894

Offener Brief an die Mitglieder des Deutschen Bundestages
Sagt NEIN, ächtet Aggressionen, bannt die Weltkriegsgefahr!
NRhZ 525 vom 27.08.2015
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=21974

Bundestagsreaktionen auf Offenen Brief "SAGT NEIN... bannt Weltkriegsgefahr!"
"Rekord" bei den Antworten: 627 von 631
NRhZ 527 vom 09.09.2015
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22015

Forderung nach NATO-Austritt auch in Italien und Frankreich
Ausdruck eines politischen Reifeprozesses
NRhZ 528 vom 16.09.2015
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22043

Online-Flyer Nr. 529  vom 23.09.2015

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