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Globales
Die Restauration des Kapitalismus brachte internationale Unterordnung
Tschechien sucht nach äußerem Gleichgewicht
Von Anton Latzo

Anfang September 2015 weilte Staatspräsident Milos Zeman zu Besuch in China. Im Mai war er in Moskau. Das fand statt, obwohl es sowohl innenpolitisch als auch außenpolitisch (EU-) starken Druck gab, der diese Reisen verhindern sollte. Ein wichtiges Ziel sei, so Zeman, die bisherige wirtschaftliche Zusammenarbeit zu vertiefen.

Damit wird einem sich verstärkenden Erfordernis der inneren Entwicklung Tschechiens Rechnung getragen. Tschechien ist offensichtlich damit konfrontiert, dass es – wie auch andere ehemalige sozialistischen Staaten in Europa – wegen der einseitige Ausrichtung seiner Politik auf die EU, Deutschland, die anderen Mächte der EU und auf die USA immer deutlicher mit negativen Wirkungen auf eine selbstbestimmte innere ökonomische und politische Entwicklung und auf die Möglichkeiten der Gestaltung seiner Außenpolitik entsprechend den nationalen Interessen des Landes zu rechnen hat.
 
Die konterrevolutionären Umwälzungen, die mit der „samtenen Revolution“ 1989 eingeleitet wurden, haben inzwischen den Weg der kapitalistischen Normalisierung durchschritten. Sie haben in den vergangenen 25 Jahren zu großen sozialen Unterschieden und immer mehr Ungleichheit geführt. Die Gesellschaft hat sich erneut – wie in Vorkriegszeiten - und immer mehr polarisiert. So manche Linke, die damals meinten, ein dritter Weg zwischen Sozialismus und Kapitalismus sei möglich, mussten zur Kenntnis nehmen, dass es nur die Alternative gibt: Sozialismus oder Kapitalismus.
 
Die „Reformen“, die nach 1989 in der Wirtschaft durchgeführt wurden, führten zu einer unkontrollierten Zerstörung der Wirtschaft des Landes. Die Veränderungen, die in der materiell-technischen Basis in der zweiten Hälfte der 90er Jahre einsetzten, fanden auf der Grundlage des Eindringens des ausländischen Kapitals statt. Dieses interessierte sich nicht für den Stand und die Perspektive der tschechischen Wirtschaft, für die nationalen Interessen Tschechiens, sondern nur für das Gedeihen der eigenen Unternehmen, weil es Profit erzielen wollte.
 
Die sich herausbildende Kompradoren-Bourgeoisie verfolgte im Prozess ihrer Einbindung in dieses System des Kapitalismus eine naive, dilettantische Politik, die ihrer persönlichen Bereicherung diente, aber dem Niedergang der Wirtschaft und dem Zerfall der Gesellschaft Vorschub leistete. Auf dem geschwächten Organismus haben sich dann auch schnell die Parasiten vermehrt. Durch ihr Tun hat sich der Abhängigkeitsgrad Tschechiens vom ausländischen Kapital und seinen Institutionen derart intensiviert, dass man anstelle des Begriffs „Abhängigkeit“ den der „Unterordnung“ setzen muss.  
 
So kam es dazu, dass das Auslandskapital drei Viertel der bedeutendsten tschechischen Firmen und mehr als die Hälfte der tschechischen Wirtschaft beherrscht. Tschechien nahm die Gestalt einer Montagehalle an. Das Risiko der einfachen Ersetzbarkeit und der Verlegung ins Ausland dauert an und schafft Unsicherheit. Tschechien wurde so zum Anhängsel der Wirtschaft der EU, zum Sublieferanten, dem autonomes Know how fehlt, ein Verkäufer von Arbeitskräften und Importeur von Lebensmitteln.
 
Tragende Säule der tschechischen Wirtschaft ist die Automobilproduktion. Sie ist aber völlig in der Hand ausländischen Kapitals. Das Skoda-Werk in Mlada Boleslav ist seit 1991 Teil des Volkswagenkonzerns. Ausländische Firmen erbringen in der Automobilindustrie 94 Prozent der Produktion. In der Kautschuk- und Plastikproduktion und teilweise bei Elektromotoren, wo Siemens dominiert, werden zwei Drittel der Produktion von ausländischen Firmen abgedeckt. Tschechische Betriebe sind nur zu sieben Prozent an den Umsätzen des Sektors beteiligt.
 
Die Banken, die 84 Prozent des tschechischen Finanzsektors ausmachen und Stützpfeiler der einheimischen Wirtschaft sein sollten, wurden zu 95 Prozent an große ausländische Finanzinstitute verschleudert.
 
Im Einzelhandel Tschechiens operieren fünf Supermarktketten:Tesco, Kaufland, Hypernova, Globus und Interspar. Deutsche Unternehmen wie Kaufland, Makro, Penny Market und Lidl haben die entscheidenden Anteile.
 
Im Bereich der Medien sind in Tschechien, nach Polen, die meisten ausländischen Investitionen von allen Ländern Mittel- und Osteuropas konzentriert. Am sichtbarsten wird das auf dem Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt, wo das Verhältnis zwischen einheimischen und ausländischen Herausgebern nach Auflagenhöhe 13 Prozent zu 87 Prozent ist.
 
Der Grad der Abhängigkeit Tschechiens von seiner internationalen ökonomischen Umgebung erlaubt, anstelle der Charakterisierung mit „Abhängigkeit“ den Begriff „Unterordnung“ zu verwenden. (PK)
 
Anton Latzo, geb. 1938, ist Historiker und Politikwissenschaftler, war am Institut für Internationale Beziehungen der DDR in Potsdam-Babelsberg Lehrstuhlleiter für Geschichte und Politik der damaligen Warschauer Vertragsstaaten. Er verfolgt auch nach 1990 die Entwicklung und Politik dieser Länder und hat in letzter Zeit besonders zum Kampf in der Ukraine, zum 8. Mai und Betrachtungen zu anderen osteuropäischen Staaten veröffentlicht.
 


Online-Flyer Nr. 529  vom 23.09.2015

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