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Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

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Globales
Deutschland als "Gegengewicht zum Hegemon USA" eingestuft
Der Ruf nach EU-Führung
Von Hans Georg

Die deutsche Dominanz über die EU wird von nennenswerten Teilen der Eliten in zahlreichen Ländern weltweit akzeptiert und in nicht wenigen Fällen positiv bewertet. Dies behauptet die deutsche Entwicklungsorganisation GIZ in einer aktuellen Untersuchung über das internationale Image der Bundesrepublik. Demnach werde Berlins "Führungsrolle in Europa" weithin "nüchtern festgestellt und neutral bis anerkennend gesehen". Darüber hinaus heiße es immer wieder, Deutschland solle sich künftig auch stärker an Kriegen beteiligen als bisher. Oft werde die Bundesrepublik explizit "als Gegengewicht zum Hegemon USA" eingestuft.
 

Deutschlands Ansehen in der Welt
Die Untersuchung basiert auf einer Umfrage, die die GIZ in 26 Staaten auf vier Kontinenten durchgeführt hat. Befragt wurden überwiegend Personen, die enge persönliche, politische oder geschäftliche Bindungen in die Bundesrepublik unterhalten und die selbst zu den bessergestellten oder sogar herrschenden Kreisen ("Entscheidungsträger") in ihren Heimatländern zählen. Im Ergebnis zeigt die Studie, dass das deutsche Establishment sich bei seinem globalen Machtstreben auf prinzipiell kooperationswillige Segmente in den Eliten anderer Staaten stützen kann. Ignoriert wurden in der Umfrage die unteren Mittel- und die Unterschichten, die etwa in Griechenland von Berlin in die Verarmung getrieben wurden. Bei ihnen wächst der Unmut über die deutsche Dominanz.
 
Deutschlandnah
 
Die Studie zum internationalen Image der Bundesrepublik, die die Entwicklungsorganisation GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) unlängst unter dem Titel "Deutschland in den Augen der Welt" veröffentlicht hat, stützt sich auf qualitative Interviews mit 179 Personen aus 26 Ländern Europas, Amerikas, Afrikas und Asiens. Die Auswahl der Länder erfolgte, wie die GIZ erläutert, nach ihrer politischen und ökonomischen "Relevanz für Deutschland" und nach ihrem globalen Einfluss. Bei der Auswahl der Gesprächspartner griffen die GIZ-Landesdirektoren auf "ihre jeweiligen Zugänge und vielfältigen Kontakte" zurück, um eine Vorschlagsliste zusammenzustellen. Zwar habe man darauf geachtet, "dass kein direktes Abhängigkeitsverhältnis zum Unternehmen GIZ bestand", heißt es in der Untersuchung. Der Rückgriff auf die Netzwerke eines Instruments der deutschen Außenpolitik bot jedoch die Gewähr, dass "der Großteil der Befragten ... entweder einige Zeit in Deutschland gelebt oder gearbeitet" hatte oder zumindest "intensive Geschäftsverbindungen mit deutschen Firmen oder familiäre Verbindungen" in die Bundesrepublik unterhielt.[1]
 
Eliten
 
Zudem wurden durchweg Personen befragt, die den bessergestellten oder sogar den herrschenden Kreisen in ihren Ländern angehören. Zu den Gesprächspartnern, die die GIZ in ihrer Untersuchung namentlich auflistet, zählten in Frankreich etwa eine Dozentin für deutsche Philosophie, eine Senatorin der Regierungspartei PS, ein Chefberater am Rechnungshof, ein Asien-Experte des European Council on Foreign Relations (ECFR) und eine Programmkoordinatorin des Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD). In Italien stellte sich der GIZ eine Mitarbeiterin des Außenministeriums zur Verfügung, in Marokko ein Angestellter des Energie- und in den Niederlanden ein Abteilungsleiter des Wirtschaftsministeriums. In China befragte die GIZ einen Vertreter der Volkswagen AG, in Griechenland den Vertriebsleiter von Enercon, des größten deutschen Herstellers von Windkraftanlagen. Die Ergebnisse der Untersuchung bieten Einblicke in die Stimmung in denjenigen Segmenten der jeweiligen nationalen Eliten, mit denen das deutsche Establishment bei seinen globalen Aktivitäten kooperiert.
 
Reif für Taten
 
Wie die GIZ berichtet, werden von ihren Gesprächspartnern "die ökonomische Dominanz Deutschlands und eine daraus abgeleitete Führungsrolle in Europa nüchtern festgestellt und neutral bis anerkennend gesehen". Das sei nicht selbstverständlich: In einer früheren Studie aus dem Jahr 2012 seien noch "Befürchtungen hinsichtlich einer neuen Dominanz Deutschlands" zu verzeichnen gewesen. Diese Dominanz erscheine den Befragten heute als gegebene "Realität". "Eine starke Stellung Deutschlands" werde dabei nicht nur toleriert, sondern "partiell sogar als notwendig erachtet, nicht nur von Befragten außerhalb Europas, sondern auch aus Nachbarländern Deutschlands", heißt es weiter: "Grundsätzlich scheint man Deutschland die Fähigkeit, aus der ersten Reihe zu führen, zuzutrauen." Man räume der Bundesrepublik bereitwillig "eine herausragende Position in der Weltpolitik ein". Einwände, die sich aus der deutschen Verbrechensgeschichte ergeben, werden - glaubt man der GIZ - in den Deutschland verbundenen Teilen der auswärtigen Eliten nicht mehr geäußert. "Die Geschichte wiederholt sich nicht", wird etwa ein Gesprächspartner zitiert. Vielmehr höre man immer wieder die Forderung, die Bundesrepublik solle in Zukunft deutlich stärker als bisher mit kriegerischen Mitteln intervenieren ("mehr Beteiligung an militärischer Konfliktlösung"). Auch in dieser Hinsicht seien "die Zeit und Deutschland nun reif ... für Taten".
 
Ohnmachtsgefühle
 
Allerdings fordern die befragten Teile der auswärtigen Eliten eine gewisse Teilhabe ein. "Im Ausland" wolle man von Deutschlands "Leistungsfähigkeit profitieren", heißt es, "und zwar auf allen Ebenen - wirtschaftlich, politisch und kulturell". Manche erhofften sich Vorteile von einer engeren wirtschaftlichen Kooperation; insbesondere die Eliten der EU-Staaten wünschten darüber hinaus explizit "konzertiertes europäisches Handeln". "Deutsche Alleingänge werden nicht von jedem goutiert, sondern vielmehr scheint Konsens darin zu bestehen, dass deutsche Führung nur mit und aus Europa heraus funktionieren kann", schreiben die Autoren: "Gerade die europäischen Staaten" warnten "vor lehrmeisterlichem Auftreten Deutschlands in Europa und vor Sonderregelungen, die man aufgrund der Vorrangstellung einseitig nutze". Politische Optionen jenseits der deutschen Dominanz seien nirgends zu erkennen. "Selbst Befragte aus Europa, die das Agieren Deutschlands, wie etwa die Austeritätspolitik in der europäischen Finanzkrise, als 'dominant' betrachten und kritisch bewerten, benennen keine echte Alternative", heißt es in der Untersuchung. Ein Gesprächspartner aus Frankreich wird mit der Einschätzung zitiert: "Wir wissen, egal, was Deutschland macht - wir werden damit zurechtkommen müssen". Die GIZ erkennt darin "realistische(n) Respekt und ein gewisses Gefühl von Ohnmacht".
 
"Größe verpflichtet"
 
Klare Aussagen trifft die GIZ zum Verhältnis zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten. Aufbauend auf ihrer dominanten Stellung in der EU werde die Bundesrepublik "als Gegengewicht zum Hegemon USA" eingestuft, heißt es in der Untersuchung. "Größe verpflichtet", urteilt die GIZ: "Als Teil Europas eine gesunde Alternative zum Hegemon USA aufzubauen, sehen viele nicht nur als Möglichkeit, sondern als Aufgabe."
 
"Willkommen im Club"
 
Daran anschließend hält die GIZ auch warnende Stimmen fest. "Mit zunehmender Macht, Einfluss und Rolle in der Welt wird auch Deutschland Unmut auf sich ziehen", wird ein US-Bürger in der Untersuchung zitiert. Es sei "das Schicksal von mächtigen Nationen, dass sie über kurz oder lang terroristischen Anschlägen ausgesetzt" seien: "Deutschland wird hier auf lange Sicht keine Ausnahme bleiben. Willkommen im Club."
 
Oben und unten
 
Gänzlich unberücksichtigt bleiben in der Umfrage die unteren Mittel- und die Unterschichten - vor allem auch in Ländern wie Griechenland, die unter der deutschen Dominanz besonders zu leiden haben. Dort sind Massenproteste gegen die Berliner Diktate inzwischen fast an der Tagesordnung. Einen Hinweis darauf, wie es der deutschen Politik gelingt, zumindest Teile der griechischen Eliten ungeachtet der Massenproteste an sich zu binden, hat im vergangenen Jahr eine Untersuchung der Bertelsmann Stiftung geliefert. Die Analyse befasste sich mit dem Auseinanderdriften der reichen und der armen Spektren der Bevölkerung in den EU-Ländern und stellte fest: "Gerade ... in den südeuropäischen Krisenstaaten ... ist die soziale Ungerechtigkeit durch die Krise nochmals deutlich gestiegen."[2] Am stärksten sei dies in Griechenland der Fall gewesen. Dort trafen die Berliner Spardiktate vor allem die Unterschichten, schonten jedoch das Establishment. Offene Revolten der traditionellen griechischen Eliten bleiben bis heute aus.
 
Mehr zum Thema: Schlafende Dämonen, Die Neuvermessung der deutschen Weltpolitik, Die Eliten wollen mehr, In und durch Europa führen und Die Bilanz eines Jahres. (PK)
 
[1] Zitate hier und im Folgenden aus: Deutschland in den Augen der Welt. Zentrale Ergebnisse der zweiten GIZ-Erhebung 2015. Bonn/Eschborn 2015.
[2] EU-Gerechtigkeitsindex: Kernergebnisse und Ableitungen. www.bertelsmann-stiftung.de
 
 
Diesen Beitrag haben wir mit Dank übernommen von http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59190


Online-Flyer Nr. 527  vom 09.09.2015

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