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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Globales
Normalisierung der Beziehungen zu Kuba:
Haben die USA ihre Lektion gelernt?
Von Nelson P. Valdés

Vor 1898 war Kuba eine Nation ohne Staat. Es hatte zwar einen Kolonialstatus, jedoch auch eine sich entwickelnde eigene Kultur und Identität, eine aufstrebende Nationalität mit eigener Geschichte. Seine Souveränität wurde von Spaniens Imperialsystem verwaltet. Das Land war in sich noch nicht gesellschaftlich integriert. Bis 1886 wurde die Sklaverei beibehalten. In den Zeiten des Kampfes um nationale Unabhängigkeit richtete sich der Kampf auch gegen Sklaverei. Außerdem waren alle Kubaner, damals Kubaner der ersten Generation, in denen der Sinn für eine einmalige nationale Identität und Symbolik in Opposition zu dem beschriebenen Status und der dem spanischen Kolonialregime zugewiesenen Macht aufkam.
 

Kubas Präsident Raúl Castro stimmte der Wiederauf-
nahme diplomatischer Beziehungen mit den USA zu
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Zwischen 1898 und 1934 wurden dann Kubas Rechtsinstitutionen und politisch-administrative Praktiken letztlich von der U.S.-Regierung bestimmt. Während die Insel von 1898 – 1902 unter militärischer U.S.-Besatzung stand, hatten die Vereinigten Staaten nach diesem neokolonialen System durch die erzwungene Einführung des "Platt Amendment’s“ (1) in die kubanische Verfassung etliche Militärniederlassungen und andere Zugeständnisse erlangt.
 
So kam es, dass Kuba damals zwar ein klar umrissenes Gebiet hatte, ein kubanischer Staat war und eine kubanische Regierung hatte, der Staat jedoch wegen des "Platt Amendment’s" (2) und der formalen Wirtschaft nicht die Macht hatte, seine eigenen Entscheidungen zu treffen und die politische und kulturelle Kontrolle von den Vereinigten Staaten ausgeübt wurde. Das war eine andere koloniale Kontrolle, als die Kuba unter den Spaniern erfahren hatte, denn es gab einen Anschein von Autonomie, die irgendwie der Situation des heutigen Gemeinwesens von Puerto Rico ähnelt. Kurz, der souveränste Agent in Kuba war der U.S.-Botschafter.
 
Zwischen 1934 und 1959 war Kuba ein Nationalstaat mit begrenzter Souveränität. Während der FDR-Jahre [Amtszeit von Franklin D. Roosevelt, Anm. d. Ü.], schaffte die zweite Kubanische Republik das "Platt Amendment" mit Einverständnis der Vereinigten Staaten ab und beendete so formal die U.S.-Kontrolle. Diese Änderungen verwandelten Kuba in eine semi-unabhängige moderne Republik, die Vereinigten Staaten übten jedoch direkte Kontrolle über die kubanische politische Klasse und das kubanische Militär aus. Kuba wurde über die Anwesenheit der U.S.-Firmen, -Schulen, -Gesellschaftsclubs, über die Militärintegration und neuen Techniken des modernen Reklamewesens, über Wissenschaft, Technologie und kulturelle Produkte und die Kommerzialisierung beeinflusst.
 
Die Vereinigten Staaten beschränkten Kubas Selbstbestimmung und bestimmten so den Grad des Erlaubten (ähnlich der Situation in der Dominikanischen Republik). Skurrilerweise griff der kubanische Staat ausgerechnet in der Zeit der Übernahme des "New Deal’s“, des aufkommenden keynesianischen Wirtschaftsmodells, offen in die Funktionen von Kubas nicht so freiem internen Markt ein. Die indirekte Ausübung der Wirtschaftskontrolle wurde der U.S.-Regierung über das Zuckerquotensystem, das 1934 eingeführte Jones-Costigan-Gesetz ermöglicht sowie durch Handelsabkommen, ausländische Investoren und politische und ökonomische "Berater“. Dies alles wurde durch einen heimischen und militärischen Apparat zur Beibehaltung des neokolonialen Arrangements abgesichert, im Wesentlichen zur Fortführung dessen, was die Kanonenboot-Diplomatie und die U.S.-Marine zuvor gewährleistet hatten.
 
Seit 1959 war die kubanische Nation ein souveräner Staat ohne ausländische Kontrolle im Inneren. Die Erlangung des souveränen Status brachte jedoch riesige Kosten für diese nationale Unabhängigkeit mit sich, da die Vereinigten Staaten sich für koordinierte, facettenreiche Akte internationaler Einmischung einsetzten, wozu die Blockade, Massenpropaganda, Förderung einer einheimischen Opposition ("Dissidenten“) und von außerhalb, konzentriert in Miami, gehörte. Daher ist Kuba ein souveräner Nationalstaat mit ständiger Umsturzgefahr und der Erduldung abnormaler Beziehungen zu seinem größten Nachbarn. Die U.S.-Regierung verhängte diese Kampagne als den zu bezahlenden Preis eines kleinen Landes für seinen Wunsch nach wahrer Unhabhängigkeit.
 
Kubanische nationale Souveränität bedeutete Selbstbestimmung auf den Gebieten der Politik, Ökonomie, Gesellschaft, Kultur und Außenpolitik. National-orientierte Politik beinhaltete einen Bruch mit traditionellen Mustern und einer sozialen, politischen und kulturellen Revolution sowie auch Unabhängigkeit in den Auslandsbeziehungen.
 
Innerhalb der U.S.-Regierung und weiten Teilen der amerikanischen Gesellschaft wurde Kubas Geltendmachung von nationaler Selbstbestimmung mit Anti-Amerikanismus gleichgesetzt. Doch die revolutionäre Bewegung war nie anti-amerikanisch, sondern richtete sich immer gegen die auferlegte neokoloniale Kontrolle. Gemäß der Verhaltensweise einer Kolonialmacht interpretierten die Vereinigten Staaten das Recht auf Selbstbestimmung als Bedrohung ihrer eigenen Interessen in Kuba.
 
Die Kubanische Revolution will versuchen, einen neuen Nationalstaat zu bilden mit einer vereinigten Regierung und staatlichen Institutionen, die sich auf eine einheitliche nationale Ideologie gründet, die sich aus Konzepten der Solidarität und der Verteidigung der weniger entwickelten Länder und Bevölkerungen der Welt speist.
 
Die Nationsbildung wurde von den Kubanern als ein sozialer, politischer, wirtschaftlicher und kultureller Prozess verstanden, in dem die Entscheidungen von einer aktivierten Bevölkerung und organisierten Gruppen und Institutionen getroffen werden. Das hat einen Prozess der Dekolonialisierung zur Folge, der den Ausländern die Kontrolle seiner lebenswichtigen Systeme entzieht. Die Vereinigten Staaten setzten andererseits die Dekolonialisierung oder Nationalisierung kubanischer Institutionen mit Kommunismus gleich.
 
Kubanischer Nationalismus bedeutete in wirtschaftlicher Hinsicht die Schaffung einer Ökonomie, in der die Hauptressourcen von den Kubanern und ihrem Staat kontrolliert würden. Das bedeutete die Nationalisierung der Produktionsmittel. Die Nationalisierung beeinflusste ausländische Investitionen auf der Insel. Das wurde von den Vereinigten Staaten als ein Angriff auf den Kapitalismus gesehen, auch wenn die Produktionsmittel an kubanische Kapitalisten übereignet werden sollten.
 
Kubanischer Nationalismus im politischen Sinne bedeutete, dass die kubanischen Revolutionäre ihr Recht auf Souveränität betonten, einschließlich des Rechts auf Nicht-Einmischung in innere Angelegenheiten der Insel, „Cuba para cubanos“ klang sehr nach der Reaktion des Südens gegenüber den Abenteurern im Norden nach dem U.S.-Bürgerkrieg. Die Kubaner betonten, dass Souveränität auch Gleichheit der Nationen bedeutete. Doch die U.S.-Regierung beanspruchte das Recht, den Kubanern zu erzählen, wie sie ihr eigenes Land zu organisieren hätten. Seltsamerweise hatte die staatliche Bürgerbewegung im "Tiefen Süden“ [trotz wesentlicher Unterschiede in Bezug auf Gerechtigkeit und Gleichheit] eine starke Ähnlichkeit mit den kubanischen Argumenten für deren Selbstbestimmung.
 
Kultureller Nationalismus ging auch ins Alltägliche über, da die Revolutionäre verkündeten, kubanische Produkte seien mit U.S.-Produkten gleichwertig. [Coppelia vs. Angebot im Vergleich mit Baskin Robbins], „Cuban is beautiful“ wurde in Verbindung mit kultureller Unabhängigkeit zu einem Lebensgefühl. 1959 warben kubanische Kapitalisten mit “consuma productos cubanos”.
 
Natürlich geriet solche Politik in Konflikt mit den Vereinigten Staaten, die die Karibik als ihren eigenen Hinterhof betrachteten. Die von den Vereinigten Staaten 1823 einseitig verkündete Monroe-Doktrin machte das Recht der Vereinigten Staaten geltend, Lateinamerika zu erzählen, was das Beste für seine Region sei.
 
Was die Kubaner als Recht auf Selbstbestimmung erachteten, nannten die Vereinigten Staaten „kommunistische Subversion“ und sowjetisches Eindringen in seine Einflusssphäre. Diese Politik gegenüber Lateinamerika beinhaltete die Annahme, dass die Interessen Lateinamerikas mit den Interessen der Vereinigten Staaten übereinstimmten.
 
Die Vereinigten Staaten fanden zwar Verbündete innerhalb Kubas, die sich mit den U.S.-Interessen identifizierten, sie waren jedoch vor allem aus der Oberschicht, die von der vergangenen Beziehung zu den Vereinigten Staaten profitiert hatten. Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten in Lateinamerika sprachen von Panamerikanismus, doch südlich der Grenze gab es seit den 1820ern einen Lateinamerikanismus, der auf einem anderen Konzept von der Einheit der Hemisphäre beruhte – einem der Gleichen und ohne die Dominanz der Vereinigten Staaten.
 
Die Vereinigten Staaten sahen jeden Versuch zur Erreichung nationaler Unabhängigkeit, nationaler Befreiung oder sozialer Revolution in Kuba wie in Lateinamerika als antikapitalistisch an (gleichbedeutend mit Kommunismus) und als eine Herausforderung für ihre Vorherrschaft in der Hemisphäre, und jede Regierung, die sich dafür engagierte, war „diktatorisch“ und prosowjetisch. Die Vereinigten Staaten pflegten ihre Versuche zur Wiedergewinnung ihrer Macht über Kuba unter dem Deckmantel des Anti-Kommunismus’ und der Verteidigung der „Demokratie“ zu verstecken und sich mit den Schichten und Teilen innerhalb Kubas Oberschicht zu verbünden, die gegen eine sozialökonomische und politische Revolution waren.
 
Die kubanischen Revolutionäre reagierten darauf mit der Identifizierung des vorherigen neokolonialen Status mit amerikanischer Kontrolle und dem amerikanischen Kapitalismus und nahmen so eine antikapitalistische Haltung ein, die sie mit dem Sozialismus identifizieren sollten.
 
Nationale Unabhängigkeit und Sozialismus sollten die gleiche Bedeutung erhalten. Die kubanischen Revolutionäre wollen sich mit den niederen Schichten, den Arbeitern und den Armen, verbinden, die am meisten von dem drastischen Wandel der Machtverhältnisse profitieren sollten.
 
Heute bauen Kuba und ein signifikanter Anteil von Lateinamerika an zahlreichen Allianzen, Institutionen und Programmen, die schließlich auf eine „Große Nation des Südens“ hinauslaufen könnten, während die Vereinigten Staaten unfähig zu sein scheinen zu verstehen, was andernorts in der Hemisphäre geschieht. So werden die gegenüber Kuba begangenen Irrtümer andernorts weiterhin wiederholt.
 
Am 14. August haben die Vereinigten Staaten wieder einmal formale diplomatische Beziehungen zu Kuba aufgenommen. Noch müssen aber die meisten der ihm auferlegten wirtschaftlichen und kommerziellen Beschränkungen aufgehoben werden. Hoffentlich wird sich dieser Zustand in nächster Zukunft ändern. Dann müssen wir abwarten und sehen, ob die amerikanische Einmischung in die inneren Angelegenheiten Kubas ebenfalls abnehmen werden. Wenn das geschieht, dann wird eine neue Zeit in der Geschichte der Hemisphäre anbrechen. (PK)
 
1) Näheres zu "Platt Amendment“, siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Platt_Amendment
 
Nelson P. Valdés ist Professor, em., der Universität von Neu Mexiko.
Dieser Artikel wurde unter der Mitarbeit von Robert Sandels geschrieben.
Übersetzung: Josie Michel-Brüning
 
Anmerkung der Übersetzerin:
 
Noam Chomsky und Edward Herman zitieren in ihrem Buch “The Washington Connection and Third World Fascism: The Political Economy of Human Rights: Volume 1,“ [Die Verbindung Washingtons zum Faschismus der Dritten Welt: Die politische Wirtschaftlichkeit von Menschenrechten: Band 1, Anm. d. Ü.], das 1979 nicht in Druck gehen durfte, offizielle Verlautbarungen des Planungsbeauftragten vom State Department, George Kennan, um die Denkweise hinter der U.S.-Politik zu Lateinamerika und der gesamten Welt zu veranschaulichen. 1948 schrieb Kennan die Politik-Planungstudie 23, in der er vertrat, dass, wenn die USA ihre Position der Weltbeherrschung behalten und ausbauen wollten, könnten sie wahrhaftig nicht die Menschenrechte und die Demokratie in Übersee respektieren. In dem Dokument heißt es:
‚Uns gehören um die 50% des Reichtums der Welt, wir bilden aber nur 6 % seiner Bevölkerung ... In dieser Lage können wir nicht vermeiden, Gegenstand des Neides und der Missgunst zu sein. Unsere wahre Aufgabe für die kommende Zeit besteht darin, ein Raster von Beziehungen auszuarbeiten, dass uns weiterhin erlaubt, diese Ungleichheit aufrechtzuerhalten ... Um das zu tun, werden wir die Sentimentalität und Tagträumerei aufgeben müssen, und unsere Aufmerksamkeit wird sich überall auf unsere unmittelbaren nationalen Ziele konzentrieren müssen ... Wir sollten aufhören, über vage und unrealistische Ziele wie Menschenrechte, Anhebung des Lebensstandards und der Demokratisierung zu sprechen.’
Kennan arbeitete dieses Konzept für eine Unterweisung von U.S.-Botschaftern in lateinamerikanischen Ländern aus. Von höchster Priorität war dabei zu vermeiden, dass sich der Gedanke, dass Regierungen für das Wohlergehen ihrer Bevölkerung verantwortlich sind’, ausbreiten würde. Um ein Ausufern dieser Idee zu bekämpfen, argumentierte Kennan, ‚wir sollten uns nicht vor der Unterdrückung durch die Polizei der örtlichen Regierung scheuen ... Es ist besser, ein starkes Regime an der Macht zu haben als ein liberales, das nachgiebig und entspannt und von Kommunisten durchsetzt ist.’“ (Vgl.: http://www.dissidentvoice.org/2009/01/edward-herman-on-latin-america-and-the-us/)
 
Von Nelson P. Valdés, siehe: http://www.counterpunch.org/2015/08/13/normalizing-relations-with-cuba-has-the-u-s-learned-its-lesson/
und https://realcuba.wordpress.com/2015/08/13/normalizing-relations-with-cuba-has-the-u-s-learned-its-lesson/


Online-Flyer Nr. 527  vom 09.09.2015

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