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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Globales
Gerhard Feldbauers neues Buch »Die Augustrevolution 1945 in Vietnam«
Von Vietnam lernen – Eine wertvolle Lektüre
Von Heinz-W. Hammer

Um es vorweg zu sagen: Dieses neue Buch von Gerhard Feldbauer hat es in sich. Und es bemüht sich nicht, »objektiv« oder »neutral« daherzukommen. Es bezieht Stellung und basiert dabei auf fundamentalem Faktenwissen.
 

Ho Chi Minh - nicht nur in Vietnam
Identifikationsfigur vieler Revolutionäre
NRhZ-Archiv
Vietnam: Der Sieg des Volkes gegen die Aggressoren des US-Imperialismus am 30. April 1975 ist allgemein bekannt und in unzähligen Publikationen – darunter auch mehrere vom Autor des hier besprochenen Buches – überliefert.
 
Feldbauer, der seine Promotionsdissertation im Jahre 1972 zur Geschichte Vietnams an der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften der DDR verfasste, analysiert die Vorgeschichte und Grundlagen dieses historischen Sieges, die 30 Jahre zuvor, vor nunmehr 70 Jahren, mit der Augustrevolution ihren Ursprung hatten.
 
Wer die bisherigen, umfangreichen Vietnam-Publikationen von Feldbauer, der zusammen mit seiner Frau Irene von 1967-1970 als Auslandskorrespondent der DDR-Nachrichtgenagentur ADN in Hanoi akkreditiert war und dabei mehrmals mit Ho Chi Minh zusammengetroffen ist, verfolgt hat, wird feststellen, dass im Geschichtsabriss zahlreiche bisher unveröffentlichte Quellen und Aspekte berücksichtigt wurden. Ausdrücklich berücksichtigt wurde u.a. der Einfluss, den die vietnamesische Revolution auf Cuba (S. 11ff) hatte und welche Erfahrungen für den gesamten lateinamerikanischen Kontinent der Kampf der KP Vietnams auch heute noch hat (S. 14).
 
Eine zentrale Rolle spielt natürlich Ho Chi Minh, der für ganze Generationen von Revolutionären nicht nur in Vietnam zur Identifikationsfigur wurde und den Feldbauer als »unbestrittenen Führer« und »vor allem Leninist, aber das von echtem Schrot und Korn« (S. 20, 26) bezeichnet, ohne ihn allerdings zu idealisieren, denn »es würde nicht der Persönlichkeit Ho’s entsprechen, ihn als meinen Mann ohne Fehl und Tadel darzustellen, den Weg der Partei unter seiner Führung als stets gradlinig, ohne Abweichungen oder Probleme.« (S. 28)
 
Kein Abweichen oder Schwanken gab es allerdings in Bezug auf die Rolle Lenins, der Sowjetunion und der Kommunistischen Internationale, die für die Entwicklung der KPV sowie die gesamte revolutionäre Entwicklung von ebenso entscheidender Bedeutung waren wie der von Beginn an prinzipielle Internationalismus der vietnamesischen Revolutionäre. Dies wird an zahlreichen Stellen des Buches mit vielen Fakten und Quellenangaben nachgewiesen. Die Geschichte Vietnams mit seinen Traditionen nationaler Unbhängigkeitskämpfe vom 6. Jahrhundert (!) bis heute (S. 31ff) als Vorgeschichte der Gründung der KPV 1930 (S. 85ff) als dessen »gesetzmäßiges Ergebnis« (S.93) liest sich überaus spannend. Die geschilderten blutigen Klassenschlachten strafen all jene Lügen, die heute noch oder wieder Illusionen über den Imperialismus verbreiten. Nicht nur in diesem Zusammenhang bietet der Blick in die vietnamesische Geschichte Lehren für aktuelle Entwicklungen nicht nur in diesem Teil der Welt.
 
Als markantes Beispiel werden der Bezug auf die Haltung von Marx und Engels zur Kolonialpolitik (S. 66) sowie insbesondere der auf den II. Weltkongress der Kommunistischen Internationale über die nationale und koloniale Frage (7. Kapitel, S. 66ff) hervorgehoben.
 
Mit den Darstellungen der (Vor-)Geschichte der Gründung der KPV, die als »der entscheidende historische Wendepunkt in der Geschichte des vietnamesischen Volkes und seiner nationalen Befreiungsbewegung« (S. 91ff) eingeordnet wird, werden überaus wichtige Erkenntnisse und Erfahrungen vermittelt, wie eine revolutionäre, eine kommunistische Partei (unabhängig von ihrer zahlenmäßigen Stärke) verfasst sein muss, um den Kampf mit dem übermächtig scheinenden Gegner aufnehmen zu können. (S. 80ff)
 
Die KPV organisierte die sich herausbildende Arbeiterklasse als Führerin einer revolutionären Massenbewegung im Bündnis mit vor allem den arbeitenden Bauern, die 90% der Bevölkerung darstellten (S. 108) und anderen sozialen Schichten (S. 98ff). Der im September 1930 beginnende Bauernaufstand, der in eine nationale Befreiungsrevolution überging, an deren Spitze vor allem die Kommunisten standen, wurde »von der Kolonialmacht und den einheimischen Feudalherren in einem Meer von Blut ertränkt. Ihrem Terror fielen Zehntausende Arbeiter und Bauern zum Opfer. Dutzende Dörfer wurden völlig zerstört und Tausende Häuser niedergebrannt. Im Mai/Juni 1931 musste die Mehrzahl der Rätegemeinden den Kampf einstellen.« (S. 103ff) Dennoch waren diese Kämpfe keinesfalls umsonst: »Die Massenkämpfe 1930/31, in denen zum ersten Mal in der vietnamesischen Geschichte revolutionäre Machtorgane des arbeitenden Volkes entstanden, waren zu diesem Zeitpunkt die größte, umfassendste und tief gehende Bewegung der Volksmassen seit der kolonialen Eroberung. Sie erschütterte das Herrschaftssystem des ausländischen Imperialismus und seiner einheimischen Feudalstützen in den Grundfesten und markierte zugleich mit dem Übergang der Führung des nationalen Befreiungskampfes an die Arbeiterklasse und ihre revolutionäre Kampfpartei den Beginn einer qualitativ neuen Etappe der nationalen Befreiungsbewegung in Vietnam (…) Ho Chi Minh, der die Massenkämpfe von 1930/31 das Vorspiel zur Augustrevolution nannte, schätzte zur Bedeutung der vietnamesischen Rätemacht ein: "Obwohl die Franzosen die Bewegung durch blutigen Terror niederschlugen, bewiesen die Sowjets von Nghe Tinh den heldenhaften Geist und die revolutionäre Kraft der vietnamesischen Werktätigen. Obwohl die Bewegung nicht erfolgreich war, schmiedete sie die Kräfte für die siegreiche Augustrevolution."« (S. 125-127)
 
Als Antwort auf den brutalen Kolonialterror entwickelte die KPV eine Militärpolitik, die immer dem politischen Kampf untergeordnet war (S. 128ff) und zugleich eine »entscheidende Grundlage bei der Ausarbeitung ihres Militärprogramms der nationalen Befreiungsrevolution und der folgenden sozialistischen Revolution« (S.139) darstellte sowie letztlich zur Gründung der Volksarmee unter ihrem legendär gewordenen Kommandeur und späteren Verteidigungsminiter der DRV, Vo Nguyen Giap führte (S. 142ff).
 
Begünstigt durch die internationale Lage und den Vormarsch der sowjetischen Roten Armee auf allen Schlachtfeldern des Großen Vaterländischen Krieges sowie der bis dahin entwickelten Volksbefreiungsbewegung unter Führung der KPV konnte Ho Chi Minh am 2. September 1945 die Gründung der Demokratischen Republik Vietnam ausrufen. Am 6. Januar 1946 konnte das vietnamesische Volk erstmals in seiner Geschichte eine Nationalversammlung wählen, woraus die Viet Minh als überwältigende Wahlsieger hervorgingen, und am 2. März wurde Ho Chi Minh zum Präsidenten gewählt (S. 147). Doch die französische Kolonialmacht scherte sich wieder einmal einen Dreck um Volkes Willen und intervenierte militärisch. Die nachfolgende Entwicklung des Befreiungskrieges kulminierte in der legendären, fünfundfünfzigtägigen Schlacht von Dien Bien Phu, die am 13. März 1954 begann, in deren Folge sich die französischen Kolonialisten geschlagen geben mussten. Der bereits erwähnte Kommandeur dieses ruhmreichen Kampfes, der spätere General Giap, wurde später von »Le Monde« zu den Ursachen des Sieges befragt und antwortete: »Rufen Sie sich die Französische Revolution in das Gedächtnis zurück, erinnern Sie sich an Valmy und Ihre schlecht bewaffneten Soldaten gegenüber der preußischen Berufsarmee. Trotzdem siegten Ihre Soldaten. Um uns zu verstehen, denken Sie an diese historischen Stunden Ihres Volkes. Suchen Sie die Realität. Ein Volk, das für seine Unabhängigkeit kämpft, vollbringt legendäre Heldentaten.« (S. 152)
 
Wie weiter?
 
Gerhard Feldbauer reiht sich nicht ein in den Chor derjenigen, die Vietnam als sozialistisches Land bereits »abgeschrieben« haben. Vielmehr verweist er einerseits auf die kaum vorstellbaren, bis heute wirkenden Kriegslasten (detailliert dokumentiert auf den Seiten 153ff) und andererseits auf die Haltung der KPV im Jahr der europäischen Konterrevolution: »Denn die KPV bestand auch in der schicksalsschweren Zeit, die 1989/90 mit der Niederlage des Sozialismus in Europa einsetzte, ihre Bewährungsprobe. Hoffnungen der Gegner des Sozialismus, die KPV werde den Weg osteuropäischer „kommunistischer und Arbeiterparteien“ gehen und den Pfad der Sozialdemokratie einschlagen, erwiesen sich als Trugschluss (…) Die Partei Ho Chi Minhs und seiner Nachfolger hat sich nicht „gewendet“. Während in Osteuropa die KPs zerfielen, stieg die Mitgliederzahl der vietnamesischen in dieser Zeit um rund 500.000 auf 2,5 Millionen an. Zum 40. Jahrestag des Sieges zählte sie 3,6 Millionen Mitglieder, darunter 60 Prozent Jugendliche.« (S. 10) Ergänzend zitiert er abschließend den langjährigen Vorsitzenden der deutsch-vietnamesichen Freundschaftsgesellschaft, Prof. Günter Giesenfeld, wonach ein gewisser »Pragmatismus als politisches Leitmotiv die ganze Geschichte der vietnamesischen Partei und des vietnamesischen Widerstandskampfes« (S. 158f) durchziehe – und dies mit dem Ziel der Erhaltung des Sozialismus.
 
Die vorliegende Arbeit stützt sich auf zahlreiche, in Fußnoten detalliert belegte Quellen und verfügt über einen hilfreichen Anhang mit einer Zeittafel (S.159-162), einer Liste häufig verwendeter Abkürzungen (S.163-164), mehreren (unbedingt lesenswerten!) Dokumenten der KPV (S. 164-176), einem Quellen-, Literatur- und Dokumente-Verzeichnis (S. 177-180) sowie einer Übersicht weiterer Veröffentlichungen des Autors (S. 181-182)
 
Die Herausgeber Anna C. Heinrich und Frank Flegel schreiben in ihrem Vorwort sehr zutreffend, »dass die Beschäftigung mit dem Text zu einem reinen Lesegenuss bei gleichzeitigem hohen Erkenntnisgewinn wird«. Diesem Eindruck sei seitens des Rezensenten nur noch hinzugefügt, dass dem Buch möglichst viele Leserinnen und Leser gegönnt werden. (PK)
 
Gerhard Feldbauer: "Die Augustrevolution 1945 in Vietnam / Die Kommunistische Partei – Organisator der siegreichen nationalen Befreiungsrevolution", Hannover 2015, ISBN: 978-3-00-050226-2; 184 S., € 14,00; Hrsg. und Bezugsadresse: offen-siv, Frank Flegel, Egerweg 8, 30599 Hannover (oder in jeder guten Buchhandlung)
 
Heinz-W. Hammer, Vorsitzender der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba, ist erreichbar über die Holtener Straße 2, 45143 Essen, Tel. & Fax: 0201 – 62 26 30, fg.essen@tele2.de, www.cubafreundschaft.de
 
 
 
 
 
 

Online-Flyer Nr. 526  vom 02.09.2015

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