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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Globales
Aggressive deutsche Außenpolitik schafft aktiv Fluchtursachen
Afghanen auf die Flucht getrieben
Von Hans Georg

Die Bundesregierung legitimiert deutsche Militäreinsätze mit der angeblichen Bekämpfung von Fluchtursachen. Die Bundeswehr müsse in Mali operieren, damit "Menschen nicht mehr fliehen müssen vor Gewalt und Hoffnungslosigkeit", behauptete Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen Anfang vergangener Woche bei einem Besuch in der malischen Hauptstadt Bamako. Damit nutzt sie die aktuelle Flüchtlingskrise in Deutschland, um Sympathien für Interventionen der deutschen Streitkräfte zu wecken. Tatsächlich trägt die Bundesrepublik mit ihrer aggressiven Außenpolitik aktiv dazu bei, Fluchtursachen erst zu schaffen. Ein herausragendes Beispiel ist die bundesdeutsche Afghanistan-Politik seit den 1980er Jahren. Bonn heizte damals gemeinsam mit anderen westlichen Staaten durch Hilfen für die Mujahedin den afghanischen Bürgerkrieg an; Millionen Menschen flohen aus dem Land. Von den politischen, ökonomischen und vor allem sozialen Verwüstungen hat sich Afghanistan nie erholt. Auch dem im Jahr 2001 gestarteten Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch, dessen Hauptteil im vergangenen Jahr beendet wurde, folgt nun eine neue Fluchtbewegung.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen
NRhZ-Archiv
 
In legitimatorischer Absicht
 
Die Bundeswehr müsse im Ausland, etwa in Mali, operieren, um Fluchtursachen zu beseitigen, behauptete Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen Anfang vergangener Woche bei einem Besuch in der malischen Hauptstadt Bamako: Es gelte, mit der Militärintervention dazu beizutragen, "dass Menschen nicht mehr fliehen müssen vor Gewalt und Hoffnungslosigkeit".[1] Anlass ihres Besuchs war die Übernahme des Kommandos über den sogenannten Ausbildungseinsatz "EUTM Mali" durch die Bundeswehr. Die Truppe, die mit ihren rund 160 Soldaten ungefähr ein Drittel des gesamten Kontingents stellt, führt damit zum ersten Mal eine EU-Militärintervention auf dem afrikanischen Kontinent. Während die Verteidigungsministerin mit der Behauptung, man wolle in Mali lediglich Fluchtursachen bekämpfen, die aktuelle Flüchtlingskrise in Deutschland zu nutzen sucht, um Sympathien für eine Intervention der deutschen Streitkräfte zu gewinnen, trifft in der Tat das Gegenteil ihrer Behauptung zu: Die aggressive deutsche Außenpolitik trägt aktiv dazu bei, Fluchtursachen erst zu schaffen.
 
Zu geostrategischen Zwecken
 
Afghanistan bietet ein geradezu klassisches Beispiel dafür, wie die aggressive Außenpolitik der westlichen Staaten - auch der Bundesrepublik - massiv dazu beiträgt, Menschen auf die Flucht zu treiben. Im Falle Afghanistans lässt sich der Ursprung dieser Entwicklung bis in den Sommer 1979 zurückverfolgen - in die Zeit vor der sowjetischen Intervention. Der damalige Nationale Sicherheitsberater der US-Regierung, Zbigniew Brzezinski, hat vor Jahren bestätigt, dass die erste Direktive zur geheimen Unterstützung für die aufständischen Mujahedin in Afghanistan bereits am 3. Juli 1979 von US-Präsident Jimmy Carter unterzeichnet wurde.[2] Es ging zunächst darum, Widerstände gegen die prosowjetische Regierung in Kabul zu befeuern; zudem habe man mit der Unterstützung für die Mujahedin "absichtlich die Wahrscheinlichkeit erhöht", dass die Sowjetunion zugunsten ihres afghanischen Verbündeten interveniere. "Wir haben jetzt die Möglichkeit, der UdSSR ihr Vietnam zu bereiten", will Brzezinski am Tag des sowjetischen Einmarschs in Afghanistan an Carter geschrieben haben. Gewalttätige Unruhen wurden also zu übergeordneten geostrategischen Zwecken gezielt befeuert. Niemand kann sich im Unklaren darüber gewesen sein, dass eine bewusste Eskalation von Unruhen geeignet ist, Menschen auf die Flucht zu treiben.
 
Kriegsbeteiligung
 
Über das Befeuern der Unruhen im Jahr 1979 hinaus haben die Vereinigten Staaten gemeinsam mit ausgewählten westlichen Verbündeten den gesamten Afghanistan-Krieg der 1980er Jahre angeheizt - indem sie die Mujahedin wie auch deren arabische Unterstützer mit jährlichen Beträgen in bis zu dreistelliger Millionenhöhe finanzierten. Zu den arabischen Milizionären am Hindukusch gehörten damals auch Usama bin Ladin sowie weitere Jihadisten; aus ihren Netzwerken und Strukturen im Afghanistan-Krieg entstand Al Qaida. In die systematische Kriegsunterstützung für die Mujahedin ist auch die Bundesrepublik involviert gewesen. "Nahe Peschawar bildeten GSG9-Beamte Gotteskrieger ... aus", heißt es etwa in einem Standardwerk über den Bundesnachrichtendienst (BND) und seine Geschichte: "Arabische Freiwillige erhielten auch Training und Unterweisung im pakistanischen Chaman und sogar in Oberbayern." "In Afghanistan selbst waren ein Sanitätsoffizier und ein Major des Amtes für Nachrichtenwesen der Bundeswehr unterwegs, um Mudschaheddingruppen zu unterstützen", heißt es in dem erwähnten Standardwerk weiter zur Bonner Beteiligung am damaligen Afghanistan-Krieg.[3] Diese schloss, wie man inzwischen weiß, auch bewaffnete Kampfhandlungen ein.[4] Wer sich an einem Krieg beteiligt, weiß, dass bislang noch jeder umfangreiche Waffengang Menschen zur Flucht veranlasst hat.
 
Furchtbare Zustände
 
Allein in den 1980er Jahren sind laut Schätzungen des UNHCR mehr als sechs Millionen Afghanen aus ihrem Land geflohen [5] - auf die Flucht getrieben von einem Krieg, den der Westen mit provoziert und sich dann tatkräftig durch die Unterstützung einer Kriegspartei an ihm beteiligt hat. Involviert war auch die Bundesrepublik. Dass geostrategische Motive - und nicht eine angebliche Sorge um die afghanische Bevölkerung - die Ursache für die fluchtauslösende Kriegsbeteiligung der 1980er Jahre waren, zeigt sich daran, dass der Westen in den 1990er Jahren jedes Interesse an Afghanistan verlor, während seine vormaligen Verbündeten, die Mujahedin, in dem politisch, ökonomisch und sozial ruinierten Land den Krieg weiterführten. Bezüglich der Zustände, die die westliche Einmischung im Afghanistan der 1980er Jahre mit hervorgebracht hat, spricht es Bände, dass in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre signifikante Teile der afghanischen Bevölkerung die sukzessive Übernahme der Macht durch die Taliban begrüßten, weil diese wenigstens eine gewisse Stabilität im Land erzwangen. Vor diesen Zuständen, für die der Westen eine Mitverantwortung trägt, flohen in den 1990er Jahren erneut mehr als sechs Millionen Afghanen.[6]
 
Schlimmer denn je
 
Afghanistan hat sich nie wieder von den Zerstörungen erholt, die in den 1980er Jahren in Gang gesetzt wurden. Die in der westlichen Öffentlichkeit zu PR-Zwecken genährte - ohnehin nie glaubhafte - Illusion, der Krieg des Jahres 2001 und das anschließende Besatzungsregime sollten und würden die Verhältnisse am Hindukusch bessern, zerschellt inzwischen endgültig an der Realität: "Im Jahr des deutschen Truppenrückzugs ist die aktuelle Zahl der aus Afghanistan nach Deutschland Geflüchteten ein Indiz für die erschreckende Tatsache, dass Terror und Gewalt im Land schlimmer wüten denn je", konstatiert "Pro Asyl".[7] Wie die Flüchtlingsorganisation berichtet, befanden sich Ende vergangenen Jahres 15.950 Afghaninnen und Afghanen in der Bundesrepublik im Asylverfahren. 3.982 afghanischen Flüchtlingen war das Asyl verweigert worden; sie besaßen deshalb in dem Staat, der sich in den 1980er Jahren an der Zerstörung ihres Heimatlandes beteiligt hatte, nur den prekären Aufenthaltsstatus der "Duldung", mussten daher in Flüchtlingslagern leben und durften nicht arbeiten. Auch in diesen Tagen kommen Flüchtlinge aus Afghanistan in Deutschland an, weil die Gewalt und die desolaten Verhältnisse dort ihren Verbleib unmöglich machen. Ihnen wäre dieses Schicksal vielleicht erspart geblieben, hätten die westlichen Staaten, darunter die Bundesrepublik, in den Jahren ab 1979 darauf verzichtet, zur Erlangung geostrategischer Vorteile den Ruin eines ganzen Landes in Kauf zu nehmen. (PK)
 
Mehr zum Thema: Auf die Flucht getrieben (I).
[1] Von der Leyen: Ursachen von Flüchtlingskrisen bekämpfen. www.dtoday.de 28.07.2015.
[2] Brzezinski: "Oui, la CIA est entrée en Afghanistan avant les Russes...". Le Nouvel Observateur 15.01.1998.
[3] Peter F. Müller, Michael Mueller (mit Erich Schmidt-Eenboom): Gegen Freund und Feind. Der BND: Geheime Politik und schmutzige Geschäfte. Hamburg 2002.
[4] Unser Krieg. ZDF 08.10.2013. S. dazu Der Krieg kehrt heim (II).
[5], [6] Rüdiger Schöch: Afghan refugees in Pakistan during the 1980s: Cold War politics and registration practice. UNHCR, June 2008.
[7] Zahlen und Fakten 2014. www.proasyl.de.
 
Diesen Artikel haben wir mit Dank übernommen von http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59171


Online-Flyer Nr. 522  vom 05.08.2015

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