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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Aktuelles
Berlin bleibt bei seiner Forderung nach Unterordnung Griechenlands
Countdown für Athen
Von Hans Georg

Unmittelbar vor dem Eurogruppen-Gipfel wich Berlin keinen Millimeter von der Forderung nach der Unterordnung Griechenlands unter seine Austeritätspolitik ab. Die Voraussetzungen für ein neues Hilfsprogramm seien "zurzeit nicht gegeben", erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel Montagabend in Paris. Sie war in der französischen Hauptstadt mit Präsident François Hollande zusammengetroffen, um die nach dem griechischen Referendum neu aufgebrochenen französischen Widerstände gegen die deutschen Spardiktate auszuhebeln.
 
Am Montag schien das Aufbegehren für kurze Zeit stärker Fuß zu fassen, als auch der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi einen Kurswechsel vollzog und sich unter dem Druck von Teilen der italienischen Öffentlichkeit für einen "dritten Weg" zwischen deutscher Austeritätspolitik und griechischen Forderungen aussprach. Die Europäische Zentralbank (EZB) folgte der deutschen Linie und hat den Druck auf die griechischen Banken verstärkt. Zudem hat der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) am Dienstag Panik geschürt und, Äußerungen deutscher Sozialdemokraten folgend, den Totalzusammenbruch Griechenlands in Aussicht gestellt. In der Boulevardpresse forderte er die EU-Kommission und die Eurostaaten auf, in Griechenland tätig zu werden und dort zu verhindern, "dass es wegen der akuten Finanznot zu Engpässen bei Medikamenten, Lebensmitteln oder Öl und Gas kommt". Direkte EU-Einmischung in Griechenland würde die missliebige Athener Regierung zumindest empfindlich schwächen.
 
Neue Widerstände
 
Kurz vor dem Euro-Gipfeltreffen hatte das "Nein" der griechischen Bevölkerung beim Referendum vom Sonntag die Debatte um die deutschen Spardiktate neu aufbrechen lassen. Widerstände kamen zunächst aus Paris, das bereits 2010 den deutschen Austeritätskurs hartnäckig zu verhindern versucht hatte, weil es absehbar war, dass er Frankreich gegenüber Deutschland ins Hintertreffen bringen würde (german-foreign-policy.com berichtete [1]). Am Montag hieß es nun in Paris, man sei "offen" für Verhandlungen mit Griechenland über ein neues Hilfsprogramm: "Es erscheint sehr natürlich für Frankreich, dass es sich gegenüber dem Ursprungsland der Demokratie entgegenkommend zeigt", erklärte Finanzminister Michel Sapin.[2] Selbst Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, der für seine wirtschaftsliberale Grundorientierung bekannt ist, sprach sich gegen harte Bedingungen für Athen aus.
 
Kurswechsel
 
Auch der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi hat unter dem Druck des Referendums und der Sympathien, die das griechische Aufbegehren in Teilen der italienischen Öffentlichkeit genießt, "offene" Verhandlungen gefordert. Noch am 30. Juni hatte er sich klar auf die deutsche Seite geschlagen und in einem Zeitungsinterview, an die griechische Regierung gewandt, erklärt: "Flexibilität zu fordern ist eine Sache. Eine andere ist es zu glauben, man sei schlauer als die anderen, wenn man sich nicht an die Regeln hält". "Immer den Deutschen die Schuld zu geben, kann die Stimmung aufhellen, aber nicht die Wirtschaft ankurbeln", hatte Renzi gesagt - und die Kritik Athens an Berlin ein "bequemes Alibi" genannt.[3] Jetzt wurde er mit den Worten zitiert: "Wenn wir Gefangene von Regelungen und Bürokratie bleiben, ist Europa am Ende." Der italienische Ministerpräsident verlangt einen - freilich nicht näher erläuterten - "dritten Weg" aus der Krise, der sich zwischen der deutschen Austeritätspolitik und den griechischen Forderungen bewegen soll.[4]
 
"Ein schändlicher Moment"
 
Der Widerstand gegen die deutsche Austeritätspolitik ist am Montag auch aus den Vereinigten Staaten befeuert worden. Dort sprechen sich seit Jahren Ökonomen und teils auch Regierungsvertreter gegen die Berliner Spardiktate aus. Im vergangenen Sommer warnten gleich mehrere Wirtschafts-Nobelpreisträger, zwar profitiere Deutschland kurzfristig vom Euro-Austeritätszwang; doch würden die von Berlin oktroyierten Kürzungsprogramme die Eurozone auf lange Sicht unweigerlich in eine schwere Depression treiben.[5] Am Montag hat der Nobelpreisträger Paul Krugman nun in einem international breit rezipierten Pressekommentar diese Warnung bekräftigt. "Europas selbsternannte Technokraten" seien "wie mittelalterliche Doktoren, die darauf bestanden, ihre Patienten bluten zu lassen", schrieb Krugman - "und die, wenn ihre Behandlung die Patienten nur noch kranker machte, einfach stärkeres Bluten verlangten".[6] Krugman äußerte sich auch zu der deutsch geführten Kampagne für ein "Ja" beim griechischen Referendum: "Der Versuch, die Griechen durch die Kürzung ihrer Bankenfinanzierung und durch die Drohung mit generellem Chaos in Panik zu versetzen, und das mit dem mehr oder weniger offenen Ziel, die aktuelle linke Regierung aus dem Amt zu jagen - das war ein schändlicher Moment in einem Europa, das den Anspruch erhebt, an demokratische Prinzipien zu glauben. Wäre die Kampagne erfolgreich gewesen, hätte man einen schrecklichen Präzedenzfall gesetzt."
 
Panik geschürt
 
Während US-Medien eine "Spaltung" in der Politik der Eurostaaten konstatierten [7], beharrte Berlin unmittelbar vor dem Eurogruppen-Gipfel unverändert auf seiner Austeritätspolitik. Am Montagvormittag hatten die Sprecher der Kanzlerin und des Finanzministers bekräftigt, man sehe gegenwärtig keine Grundlagen für Verhandlungen über ein neues Hilfsprogramm oder für einen Schuldenschnitt. Am Nachmittag stellte auch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) klar, die Bundesregierung sei nicht zu Zugeständnissen an Athen bereit: "Wenn Griechenland im Euro bleiben will", müsse die griechische Regierung "schnell ein substanzielles Angebot machen, das über ihre bisherige Bereitschaft hinausgeht". Athens "bisherige Bereitschaft" wird aber durch den Referendumsentscheid vom Sonntag definiert, sich den deutschen Spardiktaten nicht zu beugen; darüber hinauszugehen bedeutete, den erklärten Willen der Bevölkerung zu missachten. An Drohungen seines Parteikollegen Martin Schulz vom Sonntag anschließend, erklärte Gabriel: "Alle 27 (!) Mitgliedstaaten Europas (!)" - gemeint sind vermutlich die 28 Mitgliedstaaten der EU - "müssen jetzt gemeinsam auch für Hilfe bereitstehen, zum Beispiel bei der Versorgung mit lebenswichtigen Gütern, die importiert werden müssen und für die jetzt das Geld nicht da ist. Medikamente zum Beispiel." Diese Äußerung nimmt einen Totalzusammenbruch des griechischen Staates in den Blick, schürt damit Panik und stellt eine - humanitär begründete - Einmischung der EU in Griechenland in Aussicht.[8]
 
Druck auf die Banken erhöht
 
Unterstützt wird der Kurs Berlins weiterhin von der Europäischen Zentralbank (EZB). Sie hatte am Dienstag bestätigt, dass sie ihre Notkredite für die griechischen Banken zwar vorerst nicht zusammenstreichen wird; dagegen hatte sich unter anderem Paris energisch verwahrt. Allerdings verweigert die EZB die von Athen gewünschte leichte Erhöhung der Notkredite. Dies führt dazu, dass die griechischen Banken noch bis mindestens Mittwoch geschlossen bleiben und griechische Bürger weiterhin maximal 60 Euro pro Tag am Geldautomat abheben dürfen, was die Krise weiter verschärft. Lediglich ausländische Touristen sind von der Regelung ausgenommen und können sich Geldbeträge bis zur üblichen Höchstgrenze auszahlen lassen. Zugleich verstärkt die EZB ihren Druck auf Griechenland, indem sie die Pfänder für ihre Notfallkredite erhöht.[9] Insider berichten, es handele sich um eine Erhöhung um bis zu zehn Prozent; dies treibt die griechischen Banken ein Stück näher an den Kollaps. Eine endgültige Entscheidung über die Notkredite wurde unmittelbar nach dem Ende des Eurogruppen-Gipfels am Dienstag erwartet - abhängig vom Ausgang des Treffens.
 
Ultimatum
 
Kanzlerin Merkel hatte sich bei ihrem Montagstreffen mit dem französischen Präsidenten François Hollande bemüht, die neu aufgebrochenen Pariser Widerstände auszuhebeln. Die bisherigen deutschen Positionen blieben dabei unangetastet: Die Voraussetzungen für ein erneutes Hilfsprogramm für Griechenland seien "zurzeit nicht gegeben", erklärte Merkel nach dem Treffen. Die Kanzlerin konnte beim Eurogruppen-Gipfel auf klare Unterstützung unter anderem der Niederlande, der finnischen Rechtsregierung und der baltischen Staaten zählen; der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte hatte Athen schon am Montagabend ein Ultimatum gestellt und für Dienstag eine endgültige Entscheidung zur Unterordnung unter die Austeritätspolitik verlangt, was freilich nur unter Missachtung des "Nein" beim Referendum vom Sonntag möglich gewesen wäre.
 
Das Ansehen in der Welt
 
Das einzige Argument, das Berlin und die ihm folgenden Staaten noch ins Zweifeln hätte bringen können, hatte Außenminister Frank-Walter Steinmeier bereits vor dem Referendum in Griechenland genannt: "Selbst wenn wir eine solche Entwicklung finanz- und währungspolitisch bewältigen könnten, wäre das Signal eines 'Grexit' an die Länder außerhalb der EU verheerend". In den USA, China oder Indien werde sorgfältig beobachtet, ob Berlin und Brüssel die Krise lösen könnten; für den Fall, dass Griechenland aus dem Euro ausscheiden muss, warnte Steinmeier: "Europa würde in Teilen der Welt an Ansehen verlieren und Glaubwürdigkeit einbüßen." Die Folge wäre ein herber Rückschlag für das deutsche Streben nach einer eigenständigen Weltpolitik.[10]
 
Mehr zum Thema: Von Irrläufern, Zockern und Bürschchen, Die strategische Flanke, Austerität um jeden Preis, Zum Teufel gejagt, Das Referendum als Chance und Die erste Niederlage.(PK)
 
[1] S. dazu Ein Tabubruch, Die Frage der Führung und Die Macht in Europa.
[2] Michaela Wiegel: Frankreichs Sozialisten verstehen die Griechen. www.faz.net 06.07.2015.
[3] Renzi: siamo fuori dalla linea del fuoco, vi spiego perché. www.ilsole24ore.com 30.06.2015.
[4] Grecia, Renzi: "Europa cambi o è finita". www repubblica.it 06.07.2015.
[5] S. dazu Unter der deutschen Rute (II).
[6] Paul Krugman: Ending Greece's Bleeding. www.nytimes.com 05.07.2015.
[7] Liz Alderman, Jack Ewing: Rift Emerges as Europe Gears Up for New Talks on Greece Bailout. www.nytimes.com 06.07.2015.
[8] Gabriels letzte Äußerungen zu Griechenland im Originalton. www.zeit.de 06.07.2015.
[9] EZB verschärft Bedingungen für Notkredite. www.faz.net 06.07.2015.
[10] Hans Monath, Stephan Haselberger: "Signal eines Grexit wäre verheerend". www.tagesspiegel.de 04.07.2015.
 


Online-Flyer Nr. 517  vom 07.07.2015

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