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Globales
Deutsche Konzerne wollen von Ägyptens Milliardenaufträgen profitieren
Präsident Abd al Fattah al Sisi in Berlin
Von Hans Georg

Bemühungen um lukrative Geschäfte für deutsche Unternehmen in Ägypten dominierten die Gespräche des ägyptischen Staatspräsidenten Abd al Fattah al Sisi in Berlin. Ägypten ist der bedeutendste deutsche Wirtschaftsstandort auf dem afrikanischen Kontinent nach Südafrika; von neuen Infrastrukturprojekten wollen deutsche Firmen, etwa Siemens, mit Milliardenaufträgen profitieren. Den Geschäften wird nicht zuletzt deshalb Bedeutung beigemessen, weil sie die Stellung Deutschlands in Ägypten erheblich stärken könnten - gegen den wachsenden Einfluss nicht zuletzt Russlands.
 

Staatspräsident Abd al Fattah al Sisi
Quelle: wikipedia/Kremlin.ru
Moskau hat in den letzten zwei Jahren seine Kooperation mit Kairo deutlich intensiviert, wird unter anderem den Bau eines ägyptischen Kernkraftwerks unterstützen und die Zusammenarbeit mit den ägyptischen Streitkräften ausbauen. Die beiden Staaten unterstützen gemeinsam die offizielle Regierung Libyens - im Unterschied zum Westen, der für eine Vermittlung zwischen der Regierung und den unterschiedlichen islamistischen Milizen im Lande plädiert. In Kairo wird inzwischen sogar über den Beitritt zum BRICS-Bündnis diskutiert. Der Westen schwächele, urteilen Experten; dies öffne politischen Raum für Russland.
 
Ein lukrativer Standort
 
Ägypten besitzt für die deutsche Wirtschaft eine nicht zu vernachlässigende Bedeutung. Das Land verzeichnet mit einem Volumen von über einer Milliarde Euro fast ein Achtel der gesamten unmittelbaren und mittelbaren deutschen Direktinvestitionen auf dem afrikanischen Kontinent; nur in Südafrika haben deutsche Unternehmen größere Summen investiert. Ägypten ist zudem zweitgrößter afrikanischer Abnehmer deutscher Waren (ebenfalls nach Südafrika) und hat letztes Jahr deutsche Produkte im Wert von fast drei Milliarden Euro gekauft. Für manchen Mittelständler ist Ägypten ein günstiger Standort, der niedrigste Löhne mit räumlicher Nähe zu den europäischen Märkten verbindet. Der Automobilzulieferer Leoni etwa betreibt dort drei Werke mit rund 4.500 Arbeitskräften. Hinzu kommt, dass die Regierung milliardenschwere Investitionsprogramme angekündigt hat - den Bau einer neuen Hauptstadt östlich von Kairo etwa, für den 45 Milliarden US-Dollar veranschlagt werden, vor allem aber Investitionen in die marode Energieerzeugung.
 
Milliardenaufträge
 
Vor allem davon erhoffen sich deutsche Unternehmen gegenwärtig profitable Aufträge. Siemens hat bereits im März, wie Konzernchef Joe Kaeser berichtet, "einen Vertrag über einen Kraftwerksbau mit einer Stromerzeugungskapazität von 4,4 Gigawatt für etwa zwei Milliarden Euro sowie ein Abkommen über Windparks von zwei Gigawatt für weitere zwei Milliarden Euro" unterzeichnet - und zudem "eine exklusive Rahmenvereinbarung zur Planung des Aufbaus von weiteren 6,6 Megawatt Kapazität" geschlossen.[1] Der Gesamtwert beläuft sich auf gut zehn Milliarden Euro. Am vergangenen Donnerstag sollten in Verhandlungen mit dem ägyptischen Staatspräsidenten Al Sisi weitere Abmachungen getroffen werden; so soll Kairo Gasturbinen kaufen, die dem Siemenswerk in der Berliner Huttenstraße für zwei Jahre Vollauslastung sichern. Der deutsche Konzern will die Zahl seiner Mitarbeiter in Ägypten im Gegenzug von 500 auf rund 1.500 aufstocken, nicht zuletzt, um Rotorblätter für Windturbinen herzustellen. Nicht geschadet haben wird, dass die bundeseigene Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) die ägyptische Regierung seit Jahren in puncto Erneuerbare Energien berät - und dass die deutsche KfW wichtige Windenergieprojekte in Ägypten mit Krediten unterstützt.
 
Putin in Kairo
 
Die deutsche Wirtschaft muss sich in Ägypten inzwischen nicht nur gegen chinesische und US-amerikanische, sondern zunehmend auch gegen russische Konkurrenz durchsetzen. Dies zeigen Absprachen, die der russische Staatspräsident Wladimir Putin bei einem Kairo-Besuch im Februar mit seinem ägyptischen Amtskollegen Al Sisi getroffen hat. Demnach wird Kairo beim Bau seines ersten Atomkraftwerks auf Moskaus Hilfe zurückgreifen können. Es handelt sich um ein Kraftwerk mit insgesamt vier Blöcken, die jeweils eine Leistung von 1.200 Megawatt erbringen.[2] Darüber hinaus sei Ägypten ohnehin auf Lieferungen aus Russland angewiesen, erklärt Mohsen Adel, der Vizepräsident der ägyptischen Vereinigung für Finanz- und Investitionsstudien: "Viele strategische Industrie- und Energieerzeugungsanlagen" würden - zurückgehend auf frühere Zeiten ägyptisch-sowjetischer Kooperation - "ausschließlich mit russischer Technologie betrieben".[3] Schließlich nähern sich beide Seiten auch auf rüstungsindustrieller und militärischer Ebene einander an. Während Putins Besuch in der ägyptischen Hauptstadt habe man sich nicht nur über gemeinsame Militärtrainings ausgetauscht, hieß es in ägyptischen Medien; Russland biete Ägypten darüber hinaus MiG-29-Kampfjets, Luftverteidigungssysteme und Panzerabwehrraketen vom Typ Kornet an. Zwar sei Kairo bestrebt, den bisherigen Hauptlieferanten Washington nicht zu verärgern; doch werde man sich die Chance zur Diversifizierung der Lieferanten wohl nicht entgehen lassen.[4]
 
Ägyptisch-russische Initiativen
 
Auf dem Feld der Militärpolitik ergeben sich mittlerweile auch ägyptisch-russische Initiativen in Drittstaaten, die westlichen Interessen unmittelbar zuwiderlaufen. Ein Beispiel bietet Libyen. Kairo hat sich dort auf die Seite der gewählten Regierung gestellt, die gegenwärtig in Tobruk ihren Sitz hat; Ägypten hat sie punktuell auch mit Militärschlägen unterstützt. Bereits während Putins Kairo-Besuch im Februar standen gemeinsame ägyptisch-russische Gespräche über Libyen auf der Tagesordnung. Sollte die UNO ihr Waffenembargo gegen das vom Bürgerkrieg geschüttelte Land aufheben, wäre Moskau wohl geneigt, in Absprache mit Kairo Waffen an die offiziellen libyschen Streitkräfte zu liefern - für deren Krieg gegen die islamistischen Milizen im Land.[5] Dies widerspräche klar der Position des Westens, der auf einer Vermittlung zwischen der gewählten Regierung und den islamistischen Milizen besteht. Die Lage in Libyen war auch Gegenstand von Gesprächen beim aktuellen Berlin-Besuch des ägyptischen Staatspräsidenten Al Sisi.
 
Die BRICS-Debatte
 
Die zunehmende ägyptisch-russische Kooperation weiterführend, verhandelt Kairo mittlerweile sogar über den Abschluss eines Freihandelsabkommens mit der Eurasischen Wirtschaftsunion. Es ist nicht der einzige Interessent: Letzte Woche hat Vietnam ein solches Freihandelsabkommen mit dem östlichen Wirtschaftsbündnis geschlossen; Berichten zufolge erwägen auch Tunesien, Indien und Israel einen solchen Schritt. In Kairo wird darüber hinaus darüber diskutiert, sich den "BRICS" anzuschließen, einem Bündnis Brasiliens, Russlands, Indiens, Chinas und Südafrikas, das im Juli eine eigene Entwicklungsbank - in Konkurrenz zur Weltbank - gründen will.[6] Ägypten müsse wohl zunächst seine wirtschaftlichen Schwierigkeiten überwinden und politisch stabiler werden, schrieb Ende Mai Al Sayed Amin Shalaby, Executive Director des Egyptian Council for Foreign Affairs, in der ägyptischen Presse. Gelinge ihm dies, dann sei es reif für den Beitritt zu den BRICS.[7]
 
Westlicher Einflussverlust
 
Wie weit die Annäherung Ägyptens an Russland tatsächlich gehen wird, ist trotz aller Vorstöße noch nicht abschließend ausgemacht; eine Rolle spielen wird die Frage, über die in diesen Tagen auch in Berlin verhandelt wird: wie eng die westlichen Staaten in Zukunft mit Kairo kooperieren werden. Experten raten, den Einfluss der EU- und der NATO-Staaten nicht zu überschätzen. "Der Westen verliert immer mehr an Einfluss im Nahen Osten", urteilt etwa Amr Adly vom US-amerikanischen Carnegie Middle East Center in Kairo: "Das führt dazu, dass mehr Raum entsteht für andere internationale Akteure wie Russland" - nicht nur, aber auch in Ägypten.[8](PK)
 
Mehr zum Thema: Sisi in Berlin (I).
 
[1] Mathias Brüggmann: "Das ist ein Megadeal". www.handelsblatt.com 15.03.2015.
[2] Waffen und ein AKW aus Russland. www.tagesschau.de 10.02.2015.
[3], [4] Ahmed Eleiba: Egypt: Time for turning to Russian arms? english.ahram.org.eg 15.02.2015.
[5] Ayah Aman: Egypt acts as middleman for Russia-Libya arms deal. www.al-monitor.com 19.02.2015.
[6] S. dazu Umrisse einer multipolaren Welt.
[7] Al Sayed Amin Shalaby: When will Egypt join BRICS? weekly.ahram.org.eg 27.05.2015.
[8] Khalid El Kaoutit: Keine russischen Waffen für Ägypten. www.dw.de 09.02.2015.
 
 
Diesen Artikel haben wir mit Dank von gfp übernommen:
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59129


Online-Flyer Nr. 514  vom 10.06.2015

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