NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

Fenster schließen

Kommentar
Zwei Tage Bergblick mit Vollpension für 7 Personen zu knapp 360 Millionen
Elmau in Bayern: Gipfel der Verschwendung
Von Wolfgang Blaschka

Der bayerische Hang zum Opulenten ist legendär. Da lässt man sich nicht lumpen, wenn es zu repräsentieren gilt. Gerade wenn man dadurch ein bisschen Weltpolitik spielen, zumindest die Kulisse dazu beisteuern kann. Anfang Juni sind die G7-Staats- und Regierungschefs zu Gast; für die sollte nichts zu teuer sein. Vielleicht strahlt ja ein wenig Ruhm, Glanz oder zumindest Tourismus-Werbung aufs Oberland ab. Die zwei Tage Aussicht für 7 Leute werden Bayern allerdings teuer zu stehen kommen. Zwar gibt es im Freistaat noch längst nicht genügend Kita-Plätze, aber die Mächtigen sollen es schön, sauber und sicher haben. Angeblich wollte der Freistaat Bayern für die Gipfel-Sause in Elmau lockere 130 Millionen spendiert haben. Soviel war im Haushalt veranschlagt. Nun sollen die tatsächlichen Kosten jedoch auf das knapp Dreifache explodiert sein, wie der Präsident des bayerischen Bundes der Steuerzahler moniert. Rolf von Hohenhau, pikanterweise selbst CSU-Mitglied, hält der seehoferschen Staatsregierung vor, sie habe Kommunalpolitiker und Polizeibeamte unter Druck gesetzt zu schweigen, um die wahren Kosten zu verschleiern. Nur unter strikter Zusicherung kompletter Anonymität gelang es seinem Mitarbeiter Ralf Schneider in verschiedenen konspirativen Treffs, ihnen reale Zahlen zu entlocken.
 
„Ich kam mir vor wie in einem Agentenkrimi“, berichtet Schneider. Es herrsche ein Klima der Angst. "Einige befürchten sogar, dass sie abgehört werden, und wollten deshalb nicht am Telefon sprechen", bestätigte Rolf von Hohenhau. Daher könne Schneider die Kosten auch nicht detailliert aufschlüsseln, denn „wenn wir die genauen Einzelsummen nennen würden, ließe das Rückschlüsse auf unsere Quellen zu und würde diese gefährden“. Daher also nur eine Schätzung. Der Mammutanteil entfällt auf Personalkosten.
 
Wird alles einberechnet mitsamt Anreise und Überstunden für das Heer zum Schutz der Weltbeherrscher, dann kommt man auf einen deutlich höheren Betrag: Horrende 359 Millionen. Für dieses stattliche Sümmchen igelt man sich hermetisch ein in der temporären Alpenfestung mit einem gigantischen Aufgebot von Ordnungshütern, Spezialkräften und Sicherheits-Beamten in Uniform und Zivil.
 
Die stehen in Bataillonsstärke zur Verfügung. Seehofer stellt Putin in den Schatten; der hatte zum 9. Mai auf dem Roten Platz 16.000 Soldaten paradieren lassen. Da marschiert Bayern stärker auf: Allein aus deutschen Bundesländern wurden mehr als 17.000 Polizistinnen und Polizisten abkommandiert, und aus Österreich noch einmal 2.100 Uniformierte, die mit Flugabwehrraketen und persönlichem Körpereinsatz dafür zu sorgen haben, dass nur die richtigen akkreditierten Journalisten eingelassen werden und kritische Stimmen möglichst ausgesperrt bleiben. Vor allem natürlich G7-Gegner, die gegen das sündteure Spektakel protestieren wollen. Und das nicht nur wegen der Steuergeld-Verpulverung.
 
Dabei hatte Innenminister Joachim Herrmann noch im letzten Jahr groß getönt, auch in Bayern herrsche selbstredend Demokratie, und das Versammlungsgesetz sei ein hohes Gut; Demonstrationen dürften also bis auf 200 Meter an den Tagungsort heran auf Hör- und Sichtweite der versammelten Welt-Elite, um dieser die grundsätzliche Ablehnung ihrer verheerenden Politik kundzutun. Davon ist jetzt nicht mehr die Rede. In der heißen Phase geht es nur noch darum, jeglicher Kritik am Gipfel präventiv zu begegnen.
 
So bezeichnet das Innenministerium die reale Kostenschätzung als "atemberaubenden Unsinn und im höchsten Maße unseriös", und dessen Sprecher Oliver Platzer nebuliert: „Es ist überhaupt nicht nachvollziehbar, auf welcher Basis diese Schätzung erfolgt sein soll. Der Steuerzahlerbund tut so, also würden wir nur Geld reinstecken, das dann nachher einfach weg ist. Aber wenn wir zum Beispiel einen Pkw anschaffen, dann fährt der ja auch nach dem G7-Gipfel für die Polizei. Und wenn wir neue Computer kaufen, können diese später anderswo eingesetzt werden". So gelingt nachhaltige Polizei-Aufrüstung unter der Hand ohne lange Landtags-Debatten mittels unabweisbaren Nachtragshaushalts. In die Gesamtkosten für den Groß-Event inclusive Bewirtung, Bewachung und modernster Infrastruktur müssen die neuen Autos und Computer freilich eingerechnet werden.
 
Man will sich im Innenministerium auf „Kostenspiele“ gar nicht erst einlassen. „Die Kosten hängen davon ab, wie der Gipfel verläuft – deshalb kann man auch erst hinterher eine seriöse Gesamtrechnung machen“, betont Platzer. Will heißen: Es hängt alles vom Verhalten der Gipfelgegner ab. Würden sie brav zuhause bleiben, käm's billiger. Dass einige Informationen nicht öffentlich gemacht werden, erklärt er so: „Wir wollen nicht, dass Details zur Einsatzplanung bekannt werden, die die Einsätze gefährden könnten. Terroristen oder Chaoten sollen schließlich nicht darauf hingewiesen werden, welche Einheiten wann wo stationiert sind.“ So wird die Geheimniskrämerei zur Antiterror-Strategie hochstilisiert, und Intransparenz zur Staatsdoktrin erklärt. So denkt nun mal ein CSU-geführter Gewaltapparat im Sicherheitswahn: Pure Paranoia Politica Bavariensis. Besuche beim Psychotherapeuten kämen billiger.
 
Rings um Elmau wurden in doppelter Ausführung Glasfaserkabel verlegt, damit das öffentliche Mobilfunknetz während der Gipfel-Tage ausgeknipst werden kann, ohne dass es die Anwohner spürbar vermissen. Nur die Gipfelstürmer sollen nicht ungestört telefonieren können. Ihnen werden Camps verwehrt und strenge Auflagen gemacht. In Klais sollen sie gerade mal 40 Meter weit ziehen dürfen, und am Ortsschild soll Schluss sein. Das wäre Demonstrations-Einschränkungsrekord! Auch die G7-Gäste sollen sich kurzer Wege erfreuen: Ein Helikopter-Landeplatz wurde bereits ins Naturschutzgebiet betoniert. Der muss danach wieder weggerissen und in jenen begrünten Wander-Parkplatz zurückverwandelt werden, der er vorher war. Die dafür gefällten Bäume werden jedoch so schnell nicht wieder nachwachsen.
 
Auch umliegende Gemeinden bekamen das eine oder andere Zuckerl ab: Ein neues Feuerwehrauto, einen renovierten Rathausplatz oder einen frisch aufpolierten Bahnsteig, an dem wegen der temporären Sperrung des Zugverkehrs in den tollen Tagen zwischen Garmisch-Partenkirchen und Mittenwald allerdings kein Zug hält. Manche Straßen, die extra geteert wurden, müssen danach wieder abgetragen werden wegen der Naturschutz-Satzung. Ebenso wie der 7 km lange Absperrzaun, der nachher noch als Lawinenschutz verwendet werden kann. Die versprochene nachhaltige Infrastruktur-Aufmöbelung erschöpft sich in Resteverwertung.
 
Das Meiste geht für Personalkosten und Sicherheitsmaßnahmen drauf. „Das verbleibende Drittel setzt sich aus vielen Einzelposten zusammen“, rechnet Schneider, beispielsweise 10 Millionen für neue Wasserleitungen und rund acht Millionen für die sogenannte Ertüchtigung von Gebäuden zur Verwahrung von Straftätern, also für Übergangsgefängnisse. Dort werden 110 Richter rund um die Uhr in drei Schichten Haftprüfungen durchziehen. Etwa vier Millionen veranschlagt der Steuerzahlerbund für Schäden durch mögliche Krawalle, die der Freistaat schon mal pauschal für potenziell Geschädigte einkalkuliert hat. Dafür ließen sich ganz schön viele Farbbeutelspuren von den Lüftlmalereien kratzen. Man scheint es geradezu darauf anzulegen, dass "was passiert". Nur so ließe sich der Aufwand nachträglich halbwegs rechtfertigen. Vorsicht also vor staatlichen Agents provocateurs!
 
Jeder umliegende Berggipfel wird besetzt, bewacht und bewehrt wie bei einer groß angelegten Bürgerkriegsübung. Insgesamt ein Schweinegeld für die beiden Tage, an denen die lupenreinsten Demokraten des Planeten ganz feudal im pompösen Schlosshotel residieren und exklusiv den prächtigen Bergblick genießen dürfen für knapp 24 Stunden. Der Bund steuert dazu karge 40 Millionen bei, obwohl er den ganzen Aufwand selbstherrlich verursacht hat. Das hat schon feudale Züge. Nicht einmal Jubelvolk dulden die Herrschaften in ihrer Nähe; die Hofberichterstattung sollen die Mainstream-Medien draußen besorgen und gute Laune verbreiten.
 
Dafür wurden aus der Bevölkerung per Internet sogenannte "G7-Botschafter" gesucht. Wichtigste Einstellungs-Voraussetzung neben Fremdsprachen-Kenntnissen: Eigenes Dirndl oder Lederhosen und die schriftliche Einverständnis-Erklärung zu einer umfassenden Sicherheits-Überprüfung durch Geheimdienste und Polizeibehörden. Vielleicht finden sich noch ein paar Naive, die den Gipfel der Verschwendung als Wohltat für die Bevölkerung verkaufen wollen. Angesichts der Bahn- und Straßensperren ausgerechnet zum Ende der Pfingstferien dürfte sich der Applaus jedoch in abgeriegelten Grenzen halten. (PK)
 
Wolfgang Blaschka hat diesen Kommentar auf der Rationalgalerie-Seite von Ulrich Gellermann veröffentlicht.


Online-Flyer Nr. 514  vom 10.06.2015



Startseite           nach oben