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Globales
Schweden und Finnland diskutieren NATO-Beitritt wegen Russland-Konflikt
Die NATO-Norderweiterung
Von Hans Georg

Deutsche Regierungsberater sprechen sich für eine stärkere Einbindung der offiziell militärisch neutralen Staaten Schweden und Finnland in die westlichen Militärstrukturen aus. Die zunehmende Kooperation der beiden Länder mit der NATO und ihre Aktivitäten im Rahmen der gemeinsamen EU-Militärpolitik seien sehr zu begrüßen, heißt es in einer aktuellen Analyse aus der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP): "Davon profitiert auch Deutschland."
 

Unterstützt auch von Bundeswehr-
Generalinspekteur Volker Wieker
Tatsächlich beteiligen sich Schweden und Finnland nicht nur seit Jahren an einer EU Battlegroup; beide diskutieren zurzeit auch über einen etwaigen NATO-Beitritt. Während die Eliten in Stockholm und Helsinki erkennbar auf eine Mitgliedschaft im westlichen Kriegsbündnis dringen, verweigern sich die Bevölkerungen trotz des propagandistisch genutzten Russland-Konflikts diesem Schritt bisher mit klarer Mehrheit. Eingeleitet worden ist die militärische Annäherung Finnlands und Schwedens an die NATO bereits Jahre vor dem Beginn der Ukraine-Krise. Wie Experten urteilen, hat sie mittlerweile informell ein Ausmaß erreicht, das die formelle Mitgliedschaft im Bündnis womöglich ersetzbar macht.
 
Eliten ohne Mehrheit
 
Ausgangspunkt für das Plädoyer aus der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), die militärische Einbindung der offiziell noch militärisch neutralen Staaten Finnland und Schweden voranzutreiben, ist die aktuelle Debatte in den beiden Ländern um mögliche Konsequenzen aus dem Konflikt mit Russland. Wie eine aktuelle SWP-Analyse festhält, führen die sich zuspitzenden Spannungen zwischen dem Westen und Moskau in Stockholm und Helsinki nicht nur zur Bereitschaft, "zusätzliche Mittel für die Landesverteidigung zur Verfügung zu stellen", sondern auch dazu, dass "die Debatte über einen NATO-Beitritt zuletzt an Fahrt aufgenommen" hat.[1] In ihren offiziellen Stellungnahmen zum NATO-Beitritt sind die politischen Spitzen in beiden Ländern gespalten. Zumindest für Finnland ist jedoch Helsinkis ehemaliger Europaminister Pertti Salolainen laut einem Bericht überzeugt, "dass sich die meisten ... Außenpolitikexperten inzwischen für einen Nato-Beitritt aussprächen".[2] Allerdings folgt die Bevölkerung den Eliten noch nicht. In Finnland plädierte im Januar bei einer Umfrage nur ein Viertel der Befragten für die NATO-Mitgliedschaft; auch in Schweden gibt es keine Mehrheit dafür. Allerdings wurde dort im Januar erstmals ein Anstieg der NATO-Befürworter von 37 Prozent (Oktober 2014) auf 47 Prozent festgestellt, wobei nicht alle Umfragen diesen Anstieg bestätigen.[3]
 
NATO Response Force
 
Entgegen den medialen Darstellungen sind die Bestrebungen in Schweden und Finnland, sich der NATO anzunähern, durch den Konflikt mit Russland wohl verstärkt, nicht aber ausgelöst worden. Beide Staaten gehören der NATO-"Partnership for Peace" seit deren Gründung im Jahr 1994 an; beide haben bereits in den 1990er Jahren an den NATO-Interventionen in Jugoslawien und nach der Jahrtausendwende am Afghanistan-Einsatz teilgenommen. Eine weitere Annäherung ist seit Jahren deutlich erkennbar. Finnland hat sich 2008 grundsätzlich bereit erklärt, Soldaten für die Schnelle Eingreiftruppe der NATO (NATO Response Force, NRF) zur Verfügung zu stellen. Schweden hat sich 2010 erstmals an einem NRF-Manöver beteiligt. Erst den nächsten Schritt vollzogen beide Staaten nach der Eskalation des Russland-Konflikts - mit der Unterzeichnung eines sogenannten Host Nation Support Agreements auf dem NATO-Gipfel in Newport am 4./5. September 2014. Es legt fest, dass NATO-Truppen im Land Station machen und die nationale Infrastruktur nutzen dürfen - auch im Kriegsfall. Im aktuellen Konflikt mit Moskau ist es von besonderer Bedeutung, weil Finnland eine rund 1.300 Kilometer lange Grenze zu Russland hat.[4]
 
Nordic Battlegroup
 
Wie die SWP konstatiert, setzen Finnland und Schweden nicht nur auf die NATO, sondern auch auf den Ausbau der EU-Militärpolitik. "Beide Länder unterstützen die gegenwärtige GSVP [Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik] nicht nur mit überproportional großen Beiträgen", schreibt der Think-Tank: "Auch langfristig setzen sie sich für eine vertiefte militärische Integration ein".[5] Unter anderem beteiligen sie sich an der "Nordic Battlegroup" der EU. Diese hielt sich erstmals im ersten Halbjahr 2008, danach erneut im ersten Halbjahr 2011 einsatzbereit; seit dem 1. Januar steht sie zum dritten Mal für etwaige EU-Kampfeinsätze zur Verfügung. Schweden stellt den Großteil der Soldaten und übernimmt die Führung; beteiligt sind zudem Finnland, Norwegen, Estland, Lettland, Litauen und Irland.[6] Beobachter verweisen darauf, dass schwedische Spezialkräfte bereits im Rahmen der ersten EU-Intervention 2003 in der Demokratischen Republik Kongo Erfahrungen sammeln konnten. Nicht zuletzt deswegen sei die Nordic Battlegroup bestens geeignet, als erste Battlegroup überhaupt - bislang wurden die Einheiten noch nie genutzt - in einen Krieg zu ziehen. Darauf dringen nicht zuletzt Teile des schwedischen Establishments: Werde nicht bald eine Battlegroup einmal praktisch eingesetzt, dann sei das gesamte Konzept vom Scheitern bedroht, wird der frühere schwedische Außenminister (2006-2014) Carl Bildt zitiert.[7]
 
So eng wie möglich
 
Neben der Annäherung an die NATO und der Beteiligung an der EU-Militärpolitik bauen Finnland und Schweden auch eine eigene nordische Militärkooperation aus. Dies gilt für bilaterale Formate wie den schwedisch-finnischen "Aktionsplan" zum Ausbau der militärischen Zusammenarbeit vom Mai 2014 oder für eine vergleichbare Vereinbarung zwischen Schweden und Dänemark vom März 2015. Vor allem aber wird der Zusammenschluss NORDEFCO (Nordic Defence Cooperation, sie umfasst Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden) systematisch gestärkt. 2009 gegründet, soll das Bündnis gemeinsame Operationen der nordischen Länder ermöglichen. Auch NORDEFCO nimmt den Russland-Konflikt zum Anlass, eine stärkere Zusammenarbeit zu forcieren. Man müsse gegen Moskau eine "tiefere Kooperation" anstreben, heißt es in einer Stellungnahme, die die NORDEFCO-Verteidigungsminister vor wenigen Tagen veröffentlichten; dabei gehe es um mehr gemeinsame Manöver, um einen Ausbau der Rüstungskooperation und um einen intensiveren Austausch geheimdienstlicher Informationen.[8] Zudem arbeitet NORDEFCO immer enger mit den baltischen Staaten zusammen. Es gehe insbesondere darum, Schweden und Finnland "so eng wie möglich an die NATO zu binden", wird Janne Haaland Matlary, eine Beraterin der norwegischen Verteidigungsministerin zitiert. Die Bevölkerungen beider Länder seien noch nicht "verängstigt" genug, um einem NATO-Beitritt zuzustimmen.[9] Die gewünschte Kooperation lasse sich aber durchaus auch ohne die Mitgliedschaft in dem Kriegsbündnis erzielen - quasi als informelle NATO-Norderweiterung.
 
Deutschland profitiert

Die SWP stuft die immer engere Einbindung der formal militärisch neutralen Staaten Finnland und Schweden in die westlichen Militärstrukturen als günstig für die Bundesrepublik ein. Die Kooperationen könnten "einen Beitrag zu stabiler Sicherheit in Nordeuropa leisten", heißt es bei dem Think-Tank: "Davon profitiert auch Deutschland."[10] Entsprechend werden die Maßnahmen von Berlin aktiv unterstützt. So hielt sich zum Beispiel Bundeswehr-Generalinspekteur Volker Wieker am 6. und 7. Februar 2013 - lange vor der Eskalation des Konflikts mit Russland - in Helsinki auf, um mit seinem finnischen Amtskollegen die Weiterentwicklung von NORDEFCO zu besprechen.[11] Im März 2014 nahmen mehr als 300 deutsche Soldaten an einem Manöver in Norwegen teil, das gut 16.000 Militärs aus NATO- und NORDEFCO-Staaten zusammenführte. Im Mai werden deutsche Militärs sich am Manöver "Arctic Challenge" in Norwegen beteiligen - gemeinsam mit Soldaten aus den NORDEFCO-Ländern Norwegen, Schweden und Finnland, aus den NATO-Mitgliedsländern USA, Großbritannien und Frankreich sowie aus der formal noch neutralen Schweiz. Russland werde die Kriegsübung wohl als Aggression betrachten, urteilt Verteidigungsexpertin Haaland Matlary; das solle man jedoch nicht überbewerten.[12] Russland habe sich bereits in der Vergangenheit über derartige Manöver beschwert. Entscheidend sei es, die westliche Militärkooperation zu stärken.(PK)
 
[1] Tobias Etzold, Christian Opitz: Zwischen Allianzfreiheit und Einbindung. SWP-Aktuell April 2015.
[2] Ann-Dorit Boy: Nichts mehr ausschließen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 15.04.2015.
[3] Tobias Etzold, Christian Opitz: Zwischen Allianzfreiheit und Einbindung. SWP-Aktuell April 2015.
[4] S. dazu Ein Ring um Russland.
[5] Tobias Etzold, Christian Opitz: Zwischen Allianzfreiheit und Einbindung. SWP-Aktuell April 2015.
[6] Dänemark nimmt an der gemeinsamen EU-Militärpolitik nicht teil.
[7] Jan Joel Andersson: If not now, when? The Nordic EU Battlegroup. EUISS Alert 11/2015.
[8], [9] Sveinung Berg Bentzrød: Russian aggression: Nordic states extend their military cooperation. www.aftenposten.no 09.04.2015.
[10] Tobias Etzold, Christian Opitz: Zwischen Allianzfreiheit und Einbindung. SWP-Aktuell April 2015.
[11] Sveinung Berg Bentzrød: Russian aggression: Nordic states extend their military cooperation. www.aftenposten.no 09.04.2015.
[12] S. dazu Militärische Insellösungen.
 
Diesen Beitrag haben wir mit Dank von http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59093 übernommen.


Online-Flyer Nr. 507  vom 22.04.2015

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