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Kommentar
Der deutsche Flugzeug-Absturz in den französischen Alpen
Vorverurteilungen des Co-Piloten ohne Ende
Von Rudolf Hänsel

Vor drei Wochen ist in den französischen Alpen eine deutsche Germanwings-Maschine abgestürzt. 150 Menschen wurden durch das tragische Unglück getötet. Was ist passiert? Die Nachrichtenmeldungen in den darauf folgenden Stunden überschlugen sich. Ein Terroranschlag wurde von höchsten deutschen und amerikanischen Stellen noch vor irgendeiner Untersuchung ausgeschlossen. Bereits am Tag nach dem Unglück schien die Absturzursache geklärt: Der Co-Pilot habe Selbstmord begangen und die Maschine absichtlich zum Absturz gebracht. Das Entsetzen weltweit war groß. Und seitdem gibt es unzählige Meldungen über vermeintliche und „wirkliche“ Motive des Co-Piloten. Dabei reiht sich eine Vorverurteilung von sogenannten Experten an die andere.
 
Ein neuerer Feuilleton-Beitrag eines deutschen Psychiaters und Psychotherapeuten in einer großen deutschen Tageszeitung hat mich besonders empört. Im Artikel „Der kalte Hass des Narzissten“ (F.A.Z. vom 13. April) hat der Kollege Rainer M. Holm-Hadulla die vermeintliche – da bisher nicht bewiesene – Tat des toten Piloten der Germanwings-Maschine als Experte psychologisch analysiert. Dabei kommt er zu meinem großen Erstaunen – und zwar ausschließlich aufgrund seiner persönlichen Mutmaßungen über das Innenleben des Piloten – zu folgenden Ergebnissen bzw. Feststellungen: „Aus psychologischer Sicht ergibt sich, dass kalter Hass und narzisstische Wut das Leben so vieler Menschen vernichteten und die Hoffnungen so vieler Angehöriger zerstörten.“ Am Ende des Artikels schlussfolgert er dann: „Die grandiose Zerstörung macht das Verbrechen von Andreas Lubitz einem terroristischen Anschlag vergleichbar. Der kalte Hass kann so stark werden, dass ohne Rücksicht auf individuelles Leben von Hunderten der eigene Narzissmus exekutiert wird. Andreas Lubitz ist dafür verantwortlich.“
 
Diese unbewiesenen Feststellungen des Herrn Kollegen empfinde ich als eine schwerwiegende Vorverurteilung des Germanwings-Piloten und als Verletzung der psychologischen Ethik. Als Psychologe frage ich mich, wie kommt ein Kollege nur zu solchen weitreichenden Schlussfolgerungen bzw. Behauptungen – ohne den Piloten und Menschen Andreas Lubitz zu kennen. Auch bin ich erstaunt darüber, wieso eine große Tageszeitung wie die „Frankfurter Allgemeine“ diese mehr als fragwürdige psychologische Analyse unhinterfragt abdruckt. Die Frage sei erlaubt, ob es sich bei diesem Feuilleton-Beitrag möglicherweise um eine Auftragsarbeit handelt.
 
Aufgrund der vielen unerträglichen Mutmaßungen und Vorverurteilungen der Massenmedien während der letzten drei Wochen sind meine Gedanken immer wieder bei den Eltern, Freunden und Angehörigen von Andreas Lubitz. Wie werden sie sich wohl fühlen, frage ich mich dann? Wahrscheinlich entsetzlich. Im Internet fand ich bisher nur einen mitmenschlichen Artikel mit der Überschrift „A 320-Absturz: Verbrechen an Familie Lubitz aus Montabaur“ (https://buergerstimme.com/Design2/2015/03)
 
Bereits vor ein bis zwei Wochen haben mir zuverlässige Freunde verschiedene Artikel aus alternativen Medien mit ganz anderen Erklärungen für den Absturz der Germanwings-Maschine zukommen lassen. In diesen Artikeln spekuliert man über einen Abschuss der Germanwings-Maschine oder einen von außerhalb des Fliegers herbeigeführten Absturz auf höheren geheimdienstlichen Befehl hin. Fürwahr ein Horrorszenarium. Aber eine solche Erklärung würde sich einreihen lassen in die Spekulationen über die anderen mysteriösen Flugzeug-Unglücke der letzten Zeit.
 
Doch obwohl viele bisherige Fakten und unaufgeklärten Fragen für diese Theorie sprechen könnten, würde ich mich niemals dazu hergeben, zu behaupten, das Unglück in den französischen Alpen sei ein Terror- oder Staatsterror-Akt gewesen. Und zwar nicht nur deshalb, weil mir mysteriöse Ereignisse, in die eventuell Geheimdienste verwickelt sein könnten, zu heiß wären, um sie anzufassen, sondern vor allem deswegen, weil es sich auch bei diesen gruseligen Hypothesen erst einmal nur um Mutmaßungen handelt, für die zwar einiges spricht, die aber ebenso wie der angebliche Selbstmord des Andreas Lubitz in keiner Weise bewiesen sind.(PK)
 
Dr. Rudolf Hänsel ist Diplompsychologe, Erziehungswissenschaftler, Buchautor und Autor von Fachartikeln zur Gewaltprävention, Mediengewalt und Werteerziehung.  www.psychologische-menschenkenntnis.de

Online-Flyer Nr. 506  vom 15.04.2015

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