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Aktuelles
Prozess gegen Walter Herrmann wegen angeblichem Verstoß gegen Jugendschutz, Teil II
Ein kafkaeskes Gerichtsurteil
Von Elias Davidsson

Am Freitag, dem 10. April 2015, fand vor dem Kölner Amtsgericht die Hauptverhandlung im Strafprozess gegen Walter Herrmann, dem Betreiber der "Kölner Klagemauer für Frieden, Völkerverständigung und Menschenrecht", in einer Strafsache wegen Gewaltdarstellung statt. Walter Herrmann wurde zur Last gelegt, er stelle Gewalt öffentlich „in einer die Menschenwürde verletzenden Weise“ dar. Und das verstoße gegen das Jugendschutzgesetz. Es geht um die abscheuliche, brutale, vom israelischen Militär ausgehende, gegen die palästinensische Bevölkerung im Gaza-Streifen gerichtete Gewalt vom Sommer 2014. Die Amtsrichterin sprach ihr Urteil.


Kölner Klagemauer für Frieden, Völkerverständigung und Menschenrecht am Kölner Dom
Foto: arbeiterfotografie.com

Das öffentliche Interesse war groß. Der Gerichtssaal war übervoll. Walter verzichtete auf einen Rechtsanwalt; er verteidigte sich selbst. Die junge Staatsanwältin verlas die Anklage. Daraufhin wurde Walter Herrmann aufgefordert, seine Position zu schildern. Eine richtige Debatte fand nicht statt. Nach einigem Hin und Her verkündete die Amtsrichterin ihr Urteil gegen Walter Herrmann: Verwarnung zu 40 Tagessätzen a 15 Euro mit einjähriger Bewährungsfrist.

Angeklagt wegen angeblichen Verstoßes gegen das Jugendschutzgesetz


Angeklagt war Walter Herrmann auf Grund des Jugendschutzgesetzes § 15.1.1 in Verbindung mit § 15.2.3:

15.1.1:  Trägermedien, deren Aufnahme in die Liste jugendgefährdender Medien nach § 24 Abs. 3 Satz 1 bekannt gemacht ist, dürfen nicht einem Kind oder einer jugendlichen Person angeboten, überlassen oder sonst zugänglich gemacht werden.

15.2.3:  Den Beschränkungen des Absatzes 1 unterliegen, ohne dass es einer Aufnahme in die Liste und einer Bekanntmachung bedarf, schwer jugendgefährdende Trägermedien, die Menschen, die sterben oder schweren körperlichen oder seelischen Leiden ausgesetzt sind oder waren, in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellen und ein tatsächliches Geschehen wiedergeben, ohne dass ein überwiegendes berechtigtes Interesse gerade an dieser Form der Berichterstattung vorliegt.

24.3.1:  Wird ein Trägermedium in die Liste aufgenommen oder aus ihr gestrichen, so ist dies unter Hinweis auf die zugrunde liegende Entscheidung im Bundesanzeiger bekannt zu machen.

Klagemauer: notwendiges Mittel der Gegendarstellung

In der Klagemauer, die Walter Herrmann seit Jahren auf der Domplatte in Köln unentgeltlich und uneigennützig als Protest gegen die unmenschliche Unterdrückung der Palästinenser durch den Staat Israel, betreibt, hat er auch Abbildungen von Kindern aufgehängt, die durch israelische Luftangriffe und andere Angriffe schwer verletzt oder getötet wurden. Da deutsche Medien – Fernsehen, Rundfunk und Zeitungen – die Gewalttaten des Staates Israel in der Regel verharmlosen und Partei für Israel nehmen, versucht Walter Herrmann mit seinen sehr bescheidenen Mitteln und durch ehrenamtlichen Einsatz, eine öffentliche Gegendarstellung zu erreichen, die zumindest Besuchern auf der Domplatte in Köln zur Verfügung steht.

Walter Herrmann drängt sich den Passanten nicht auf, und seine Bilder, deren Inhalte erst aus einer Entfernung von weniger als zwei Metern erkennbar sind, drängen sich ebenfalls nicht auf. Eine Minderheit der Passanten nimmt sich die Zeit, die Klagemauer zu besichtigen, zumeist Erwachsene, darunter aber auch Erwachsene mit Kindern oder Jugendlichen, und gelegentlich Jugendliche ohne Erwachsene. Walter Herrmann ist üblicherweise am Ort und versucht so gut wie er kann, Besuchern, die es wünschen, den Zweck der Klagemauer zu erklären. Als ausgebildeter Pädagoge ist er fähig, den Kontext der Bilder zu erklären. Die Arbeit von Walter Herrmann wird auch von in Deutschland und Israel wohnhaften Juden unterstützt, die genau wie er die Verbrechen des Staates Israel als eine Verletzung der jüdischen Ethik und des Völkerrechts öffentlich machen wollen.

Urteil ohne Belege

Die Staatsanwältin behauptete in der Hauptverhandlung,
(a) dass die vom Angeklagten aufgehängten Bilder von verletzten palästinensischen Kindern die geistige Entwicklung jugendlicher Betrachter gefährden. Dafür hat sie keine Belege eines Sachverständigen vorgelegt.
(b) dass viele Kinder ohne ihre Eltern die Klagemauer besuchen und besichtigen. Dafür hat sie keine Zahlen genannt. Ihre Behauptung basiert auf Vermutungen.
(c) dass sich die Bilder den Passanten aufdrängen. Sie hat für diese höchst subjektive Behauptung keinen Beweis vorgelegt. Sie erwähnte nicht, ob sie überhaupt die Klagemauer besichtigt hatte.

Diese drei unbelegten Behauptungen der Staatsanwältin hat die Richterin ohne Vorbehalt in ihr Urteil einbezogen. Damit hat sie eine Grundregel des Strafrechts verletzt, nämlich, dass der Ankläger seine Anschuldigungen nachweisen muss.

Die Richterin hat darüber hinaus behauptet, dass sie zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußerung – auf das Walter Herrmann sich beruft – und dem Jugendschutzgesetz abwägen müsste. Sie erklärte nicht, wie sie zwischen diesen Rechten abwägen wolle. Lediglich aus  ihrem Urteil ist zu schließen, dass für sie der Jugendschutz Vorrang hatte.

Da die Richterin von der Staatsanwältin die Beweise für ihre Behauptungen nicht einforderte und eine willkürliche Abwägung von Rechten unternahm, scheint es, dass sie die Normen der Menschenrechte nicht ausreichend gut kennt. Mit dem verkündeten Urteil schadet sie demzufolge dem Ruf der deutschen Justiz und trägt weder zum Frieden noch zur Gerechtigkeit bei.

Abschließende Betrachtung

Da das Gros der deutschen Medien die Kriegsverbrechen des Staates Israel verschweigt und die systematische Unterdrückung der Palästinenser durch Israel verharmlost, ist es von erheblichem öffentliche Interesse, eine Gegendarstellung zu fördern, was Walter Herrmann und wenige andere, uneigennützig und mit bescheidenen Mitteln, tun. Dieses öffentliche Interesse beruht u.a. auf der Pflicht Deutschlands, den Einhalt des internationalen humanitären Rechtes durch andere Staaten – hier Israel – zu gewährleisten. Da die deutsche Regierung dieser Pflicht nicht nachkommt, müssen Bürger die Regierung dazu bewegen. Die Arbeit von Walter Herrmann trägt dazu bei.

Über die genaue Wirkung von Bildern auf die geistige Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist sich die Wissenschaft nicht einig. Man ist sich zwar einigermaßen einig, dass eine ständige Berieselung mit Filmen von Gewalttaten schädlich ist. Im Falle der Klagemauer sind aber keine Gewalttaten dargestellt, sondern die Folgen von Gewalttaten, also das Gegenteil von einer Verherrlichung von Gewalt.

Friedenserziehung von Kindern und Jugendlichen beruht zum Teil auf der Erkenntnis, dass Kriege grausame Folgen haben. Bilder von Kriegsopfern helfen Kindern und Jugendlichen, sich gegen die Verherrlichung von Waffentechnologie und Militär zu immunisieren. Kinder und Jugendliche, die solche Bilder nie gesehen haben, sind in dieser Hinsicht anfälliger. Gerade das Ausklammern solcher Bilder in den USA hat zur Verharmlosung der Kriegsführung und ihrer Folgen geführt. Ganze Völker haben dies mit dem Leben bezahlt.

Für die deutsche Regierung ist die vorbehaltlose Unterstützung des Staates Israel deutsche Staatsräson. Kein anderer Staat genießt diesen Status. Durch diese spezielle Behandlung – auch in militärischer und wirtschaftlicher Hinsicht – fördert Deutschland die Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung. Für Friedensaktivisten ergibt sich damit die Pflicht, die kriegerischen Untaten des Staates Israels besonders hervorzuheben. Wenn deutsche Journalisten ihre Aufklärungsarbeit in Bezug auf Palästina erfüllen würden, wäre die Klagemauer, was Palästina betrifft, überflüssig.(PK)


Elias Davidsson ist Komponist, Musiker und Menschenrechtsaktivist. Er wurde 1941 in Palästina als Sohn jüdischer Eltern geboren, die ihre Heimat Deutschland im Rahmen des zwischen Nazis und Zionisten geschlossenen Ha'awara-Abkommens verlassen hatten und nach Palästina ausgewandert waren. 1962 ging er nach Island. Als Rentner kehrte er in die Heimat seiner Eltern zurück. Im Zentrum seines politischen Betätigungsfelds stehen die Themen Menschenrecht und Terrorismus.


Siehe auch:

Prozess gegen Walter Herrmann wegen angeblichem Verstoß gegen Jugendschutz, Teil I
Plädoyer für Erziehung zum Frieden
Von Annliese Fikentscher und Andreas Neumann
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=21510

Online-Flyer Nr. 506  vom 15.04.2015

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