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Aktuelles
Prozess gegen Walter Herrmann wegen angeblichem Verstoß gegen Jugendschutz, Teil I
Plädoyer für Erziehung zum Frieden
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

Freitag, 10. April 2015, Amtsgericht Köln: Die Verhandlung im Strafprozess gegen Walter Herrmann, den Betreiber der Kölner Klagemauer für Frieden, Völkerverständigung und Menschenrecht, wegen angeblichem Verstoßes gegen das Jugendschutzgesetz endet mit Protest. Als die Richterin ihr Urteil – Verwarnung zu 40 Tagessätzen a 15 Euro mit einjähriger Bewährungsfrist – verkündet hat und Walter Herrmann klar ist, dass das Urteil – seine vorgetragene Argumentation missachtend – schon vor der Verhandlung festgestanden haben muss, verlässt er – Berufung ankündigend – demonstrativ den Saal. Auch der überwiegende Teil des Publikums folgt ihm und verlässt den Ort der Verkündung eines nicht nachzuvollziehenden Urteils, das einem Akt von Zensur gleichkommt. Fünfzehn Gewaltopfer-Fotos sollen nicht mehr öffentlich gezeigt werden dürfen.


Kölner Klagemauer für Frieden, Völkerverständigung und Menschenrecht am Kölner Dom – zentrales Thema: die Opfer israelischer Gewaltverbrechen
Fotos: arbeiterfotografie.com (Anneliese Fikentscher, Klaus Franke, Andreas Neumann, Karl-Heinz Otten)

Die Verhandlung beginnt mit dem Verlesen der Anklageschrift. Danach äußert sich Walter Herrmann. Er trägt die unten dokumentierte Erklärung vor, in der er sein Handeln rechtfertigt und darlegt, dass die Vorwürfe der Anklage unangemessen, ungerechtfertigt und politisch motiviert sind. Der ausgebildete Pädagoge Walter Herrmann ergänzt die vorbereitete Erklärung mit frei vorgetragenen Ausführungen. Unter anderem macht er anhand von zwei von Jugendlichen geschriebenen Karten deutlich, welch positive Wirkung die Klagemauer-Aktion insbesondere auf Jugendliche hat. Es entsteht Mitgefühl – eine ganz entscheidende Voraussetzung für das Gelingen einer Friedenserziehung.




Karten, die von Jugendlichen geschrieben worden sind, nachdem sie sich im Beisein ihrer Eltern mit den Opfern der israelischen Gewaltverbrechen befasst hatten – Walter Herrmann hat sie im Rahmen der Gerichtsverhandlung gezeigt

Doch die Gedankengänge von Walter Herrmann scheinen bei der Richterin nicht anzukommen. Sie folgt der Staatsanwaltschaft, die die unbelegte Behauptung aufstellt, die Darstellung von Gewaltopfern würde Jugendlichen in ihrer Entwicklung schaden.


Walter Herrmann im Gericht

Das Jugendschutzgesetz verbietet das Zeigen von Abbildungen, die „Menschen, die sterben oder schweren körperlichen oder seelischen Leiden ausgesetzt sind oder waren, in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellen und ein tatsächliches Geschehen wiedergeben, ohne dass ein überwiegendes berechtigtes Interesse gerade an dieser Form der Berichterstattung vorliegt.“ (Jugendschutzgesetz § 15.2.3) Walter Herrmann, Betreiber der Kölner Klagemauer für Frieden, Völkerverständigung und Menschenrecht, war angeklagt, dagegen verstoßen zu haben.

Es muss einiges zusammenkommen, damit dieser Tatbestand erfüllt ist. Richtig ist: Walter Herrmann zeigt Menschen, die zu Tode gekommen sind oder die leiden. Diese Menschen sind Opfer eines Gewaltverbrechens. Israel hat es im Sommer 2014 an der palästinensischen Bevölkerung im Gaza-Streifen begangen. Richtig ist auch, dass die Bilder „ein tatsächliches Geschehen wiedergeben“. Falsch ist aber die Behauptung, Walter Herrmann zeige die Opfer „in einer die Menschenwürde verletzenden Weise“. Jeder Mensch mit gesundem Menschenverstand erkennt, dass es die Gewalttäter sind, die die Menschenwürde verletzen, nicht aber derjenige, der die Opfer in der Absicht zeigt, Gewaltverbrechen anzuprangern, damit sie in der Zukunft verhindert werden. Und es ist eindeutig falsch zu behaupten, es bestehe kein „überwiegendes berechtigtes Interesse gerade an dieser Form der Berichterstattung“. Das Gegenteil ist der Fall: es besteht ein exorbitantes Interesse daran. Denn wenn Politik und Medien bei der Verdeutlichung der Verbrechen versagen, müssen es Menschen tun, denen das moralische Empfinden noch nicht abhanden gekommen ist. Friedenspreisträger Walter Herrmann ist einer davon.

Elias Davidsson ergänzt in einem weiteren Artikel über „Ein kafkaeskes Gerichtsurteil“ weitere Aspekte der Urteilsbewertung. Insbesondere führt er aus, dass das Urteil auf unbelegten Behauptungen und Vermutungen basiert. Damit sei eine Grundregel des Strafrechts verletzt, nämlich, dass der Ankläger seine Anschuldigungen nachzuweisen hat.


Vier der fünfzehn Bilder mit den Folgen des israelischen Gewaltverbrechens – den „Liebesgrüßen aus Israel“ – die nach Auffassung von Staatsanwaltschaft und Amtsgericht nicht mehr gezeigt werden sollen


Weitere sechs der fünfzehn Bilder von Kindern, die Opfer des israelischen Gewaltverbrechens geworden sind und nach Auffassung von Staatsanwaltschaft und Amtsgericht nicht mehr gezeigt werden sollen (Bild 1 bis 12: ca. 10 x 10 cm groß)


Das ist eins der fünfzehn Bilder (oben links auf der Tafel), die nicht mehr gezeigt werden sollen. Warum?


Das ist ein weiteres Bild (unten auf der Tafel), das nicht mehr gezeigt werden soll. Warum?

Die Verhandlung endet mit Protest. Als die Richterin mit ihrer Urteilsbegründung beginnt, verlässt Walter Herrmann – seinen Ummut über das für ihn unverständliche Urteil äußernd – den Saal. Der überwiegende Teil des Publikums, das den Saal über die vorgesehenen Sitzplätze hinaus gefüllt hat, folgt ihm. Kölner Stadt-Anzeiger und Express behaupten demgegenüber, die Richterin habe den Saal räumen lassen.

Es ist der Öffentlichkeit nicht bekannt, wer Anzeige gegen Walter Herrmann erstattet hat. Die Justiz verheimlicht diese Information. Es ist anzunehmen, dass die Anzeige aus den Reihen derjenigen kommt, die Israels Gewaltverbrechen decken wollen und deshalb als Mittäter zu betrachten sind. Es ist verheerend, wenn statt die Täter und Mittäter zur Rechenschaft zu ziehen, diejenigen verfolgt werden, die sich für die Opfer einsetzen.

Verfolgungsjagd am Kölner Dom

Noch am Tag der Gerichtsverhandlung baut Walter Herrmann die Klagemauer wieder auf. Am Abend kommen Polizisten. Sie haben von der Staatsanwaltschaft den Auftrag erhalten, die Plakate mit den fünfzehn verbotenen Motiven zu beschlagnahmen. Walter Herrmann schildert den Vorgang:

„Die Staatsanwaltschaft hat die Polizei hier her geschickt. Es waren fünf Polizisten mit einem Einsatzleiter. Es war so, dass ich die Tafeln, die beschlagnahmt werden sollten, gerade weggenommen und unter den Arm geklemmt hatte, als die Polizei ankam – weil ich schon wusste, worauf die Sache hinauslaufen würde. Aber die wollten mir die Tafeln aus der Hand reißen. Ich habe einigen Umstehenden die Tafeln gegeben, damit sie damit verschwinden. Aber die Polizisten sind ihnen nachgelaufen. Aber ich bin noch schneller gewesen als sie und habe die Tafeln wieder an mich genommen und bin in Richtung [der Bäckerei] Merzenich gelaufen. Dort wurde ich von den Polizisten hingeschmissen. Und die wollten mir die Sachen entreißen und mich in Gewahrsam nehmen. Das hat sich zugespitzt. Es waren sehr viele Leute da – unglaublich viele, die ich auch darauf angesprochen habe, um was es geht. Das war eine schwierige Situation für die Polizei… Weil es ja ein Patt war, die Polizei sich nicht durchsetzen konnte – höchstens mit übermäßiger Gewalt, was der Polizei sehr geschadet hätte – kam es zu einem Gespräch zwischen mir und dem Einsatzleiter. Der sagte, er müsse der Staatsanwaltschaft etwas mitbringen. Ich bot ihm an, sich von drei Tafeln, die ich dabei hatte, eine auszuwählen. Er hat sich eine genommen. Und so war die Sache erstmal erledigt. Ohne die Unterstützung durch die Leute wäre das so nicht gelaufen.“

Am kommenden Tag erscheinen in der Lokalpresse mehrere Artikel – im Kölner Stadt-Anzeiger, im Express und in der Bild-Zeitung. Walter Herrmann ist zufrieden. Er hat zwar in der ersten Instanz eines Prozesses verloren, aber Öffentlichkeit gewonnen.


Bild-Zeitung vom 11. April 2015

Und die Klagemauer erfährt eine Neuerung. Eine Reihe von Fotos erhält eine aufklappbare Abdeckung. Das macht die Installation noch interessanter. Und es erfüllt die Jugendschutz-Auflagen des Gerichts. Denn es sind von nun an Erwachsene, die entscheiden, ob sie ihren Kindern ein Motiv zeigen oder nicht.


Bereits am Tag nach dem Zensur-Urteil versieht Walter Herrmann zensierte Fotos mit einer Klappe – Aufschrift „Zensiert! Aber aufklappbar (für Erwachsene)“


So können Erwachsene frei entscheiden, was sie ihren Kindern zumuten können


Walter Herrmann protestiert „gegen politische Zensur unter dem Vorwand des Jugendschutzes“

Ein würdiger Friedenspreisträger

Walter Herrmann, Träger des Aachener Friedenspreises von 1998, zeigt, dass er ein würdiger Friedenspreisträger ist. So schnell lässt er sich nicht einschüchtern, auch von staatlichen Institutionen nicht – und von seinen dekadenten Gegnern, die vor Aufrufen zu Mord und Brandstiftung nicht zurückschrecken, schon gar nicht.


Anhang – von Walter Herrmann vorgetragene Erklärung:

Die Gaza-Mahnwache auf der Domplatte skandalisiert den Einsatz exzessiver militärischer Gewalt gegen eine ghettoisierte, im Grund wehr- und schutzlose Bevölkerung, der zwangsläufig den Tod vieler Kinder zur Folge hatte.

Dies mit dem Ziel, eine öffentliche Auseinandersetzung über die offensichtliche Missachtung des Humanitären Völkerrechts herbeizuführen und Israel unter Druck zu setzen, in zivilisierter Form mit den Menschen im Gaza-Streifen umzugehen.

Die israelische Militäroffensive im Gaza, im Juli/August letzten Jahres, richtete dort ein Massaker an, bei dem über 500 Kinder ums Leben kamen. Es war das dritte und schwerste Massaker an der Gaza-Bevölkerung innerhalb von sechs Jahren.

Bedauerlicherweise ist Israel für die in Gaza begangenen Kriegsverbrechen bislang nicht zur Verantwortung gezogen worden, weder auf politischer Ebene noch auf der Ebene der internationalen Gerichtsbarkeit.

Wer das Vorgehen der israelischen Armee im Gaza-Streifen mit dem Statement: "Israel musste sich wehren!" glaubt rechtfertigen zu können, hat entweder keine Ahnung von dem, was im Gaza wirklich abgegangen ist, oder nimmt aus "Staatsräson" oder anderen Gründen bewusst Partei für die Verantwortlichen des jüngsten Gaza-Massakers.

Natürlich sollen die Fotos von schwer verletzten bzw. getöteten Kindern in der Klagemauer-Aktion zu Gaza aufrütteln. Worte allein reichen nicht aus. Die fraglichen Fotos wurden von Angehörigen der betroffenen Kinder ins Internet gestellt. Ihre Botschaft lautet: "Seht, was sie mit unseren Kindern gemacht haben!"

Das gegen die Aktion auf der Domplatte herangezogene Gesetz zum Schutz von Kindern und Jugendlichen greift hier nicht. Kinder sehen sich in aller Regel die Fotos gemeinsam mit ihren Eltern an und sprechen mit ihnen darüber. Inwiefern sollte die Begegnung mit der traurigen Wirklichkeit Kinder in ihrer Entwicklung gefährden? Die tatsächliche Reaktion der Kinder ist Mitgefühl. Die israelischen Soldaten, die das mörderische Handwerk betrieben haben, treten auf den Fotos auch gar nicht in Erscheinung.

Das Verlangen der Staatsanwaltschaft, 15 von ihr als bedenklich eingeschätzte Fotos aus der Klagemauer-Installation zu entfernen, impliziert meines Erachtens einen unverhältnismäßigen Eingriff in die vom Grundgesetz geschützte Demonstrationsfreiheit.

Einige Passagen in der Anklageschrift sprechen dafür, dass das Ansinnen der Staatsanwaltschaft politisch motiviert ist. Mir wird darin angekreidet:

(1.) "den israelisch-palästinensischen Konflikt zu einseitig zu Lasten Israels" zu bewerten;
(2.) die Bilder seien darauf angelegt, "auch beim minderjährigen Betrachter Aversionen und Wut auf die israelische Regierung und die israelische Armee zu schüren".


Siehe auch:

Prozess gegen Walter Herrmann wegen angeblichem Verstoß gegen Jugendschutz, Teil II
Ein kafkaeskes Gerichtsurteil
Von Elias Davidsson
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=21511

Online-Flyer Nr. 506  vom 15.04.2015

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