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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Krieg und Frieden
Die Kinder des Krieges — Zeugen des Faschismus
Die Seele ist voller Stolz und Trauer
Von Sinaida Moltschanowa, Orenburg

Den politischen Gegnern, die den Krieg nur vom Hörensagen kennen, die aber das Land der Sieger und der Führer jener Epoche bereits verleumdet haben, erklären wir: Denken Sie daran, wir sind die Zeugen des Krieges, die Zeugen des Faschismus – und wir leben noch! Ja, wir schätzen die vergangene, sowjetische Zeit sehr hoch. Es war eine Zeit, der Moral, Ideengehalt, Liebe, Freundschaft, Vertrauen, gegenseitiges Verständnis, das Füreinander-Einstehen und herzliche Ruhe eigen waren! Das Leben in einer Gesellschaft ohne Reich und Arm, ohne Erniedrigungen und Mißachtungen. Wir sind stolz auf unseren Sieg im Großen Vaterländischen Krieg.

Kinder des Krieges
Quelle: http://nnm.me/blogs/alex

Wir sind stolz auf unsere großen Heerführer, die diesen Sieg gewährleistet haben. Man denkt, daß Rußland solche Heerführer hervorgebracht hat, und daß auch Rußland wieder einen solchen Patriotismus hervorbringt, wie er unseren Vätern, Großvätern und Brüdern eigen war, die umgekommen sind, als sie ihre Heimat verteidigten. Es ist die Farbe und das Salz unserer Nation, unserer Familien, unseres Vaterlandes. Und wir, «die Kinder des Krieges», die Waisenkinder, die noch am Leben sind, verneigen uns vor ihnen und erinnern uns an sie. Wir erinnern uns an ihre Kommandeure, die mit ihnen zusammen auf den Schlachtfeldern umgekommen sind. Wir verbeugen uns an ihren Gräbern und am Grab des unbekannten Soldaten, der in diesem Krieg umgekommen ist.
 
Gegenwärtig erlebt unsere Generation einen Zivilisationsschock: wir sehen die heutige Realität, doch in uns brennt auch die Vergangenheit. Manchmal hört man irgendwelche Swanidses, Posners, Ganapolskis und Radsinskis und ähnliche Leute reden, und man fragt sich: Wer von denen hat eigentlich am Großen Vaterländischen Krieg teilgenommen? Wer hat denn den ganzen Krieg über auf dem von den Deutschen okkupierten Gebiet gelebt? Wer von denen hat denn Frontbriefe von den Vätern, den Söhne, den Töchterund den Verwandten erhalten? Wer kann da eigentlich mit dem persönlichen Beispiel den Faschismus noch rechtfertigen? Und wie kann man die Vergangenheit nur so hassen? Wie kann man nur die Sowjetunion so verachten?
 
Die Lügen über den Krieg kamen mit dem „Chamäleon der Perestrojka“ über uns – durch solche Gestalten wie Alexander Nikolajewitsch Jakowlew (das Altmitglied des Politbüros des ZK der KPdSU und ein Kumpan Gorbatschows). Sie kamen mit Resun, Wolkogonow, Radsinski und dergleichen – den Verleumdern im Fernsehen. Ich erinnere mich an Veröffentlichungen des „Ideologen der Perestrojka“ Jakowlew. Zum Beispiel schrieb er 2005 in der Zeitung „Argumente und Fakten“, man müsse den Krieg „von den Lügen
befreien“, wo er doch selber soviel gelogen und die Tatsachen über den Krieg entstellt hat, daß ich meiner Empörung darüber in einem Brief Ausdruck gab und schrieb: „Man muß den Krieg von solchen Lügnern wie Jakowlew und ähnlichen befreien.“
 
Ich will nicht hier politisieren, sondern über reale Ereignisse berichten, die sich mir fürs ganze Leben eingeprägt haben. Unsere Wahrheit über den Krieg ist die reine Wahrheit eines Kindes, die vollkommen bewußte Wahrheit, und nichts ist stärker und gerechter als ein Kindergedächtnis. Ständig wird heute die Geschichte umgeschrieben, ständig werden die Schulbücher ausgetauscht und man malt uns die Deutschen in rosaroten Farbtönen. Ja, wie gut sie doch sind, und wie sie die Kinder doch mit Schokolade gefüttert haben. Solche Deutschen haben wir nirgends erlebt – es gab sie einfach nicht. Wir haben diese „Güte“ tief empfunden, wie man sagt, am eigenen Leib verspürt.
 
Meine kleine Heimat war eine ukrainische Kleinstadt im Gebiet von Charkow. Sie befindet sich 30 km entfernt vom heute zerstörten SLAWJANSK. Und die Heimat meines Mannes ist das Gebiet von Brjansk. In einem sowjetischen Film (vielleicht war es „Die Stalingrader Schlacht“) bezeichnete J.W. Stalin unsere Stadt Barwenkowo als den „heißesten Punkt des Krieges“, weil sich dort furchtbare faschistische Gräueltaten abspielten. Diese Stadt war drei Jahre lang okkupiert. Wir sahen alle Kategorien von Faschisten, einschließlich der SS-Leute. Die SS-Leute waren Tiere.
 
In den ersten Tagen der Okkupation haben die Deutschen an den Säulen in unserer Stadt aller älteren Männer und Invaliden aufgehängt, die von der Einberufung befreit waren. Lange Zeit hingen sie an den Säulen – die Deutschen erlaubten es nicht, sie abzunehmen, und sie verjagten Frauen und Kinder, die diese Schau unter ihrem tierischen Gelächter mit ansehen mußten. Dieses ukrainische Städtchen mit einer Bevölkerung von etwa 30.000 Einwohnern war zum Ende des Krieges vollständig vom Antlitz der Erde ausgelöscht – in der Stadt gab es nicht ein einziges ganzes Haus, so wie jetzt an einigen Stellen im Südosten. Es blieben nur die Keller, Luftschutzkeller, Gräben und Erdlöcher übrig, in denen die Frauen mit den Kindern lebten. Eine Menge Häuser in der Stadt waren von den Deutschen zusammen mit den Menschen, die in ihnen wohnen, abgebrannt worden. Das war ein furchtbares Ereignis, ein unverzeihliches Verbrechen!
 
Nach dem Krieg ist tatsächlich niemand der männlichen Bevölkerung lebend nach Hause zurückgekehrt. In der Stadt blieben nur die Frauen, die Invaliden und die Kinder, denen alle Existenzgrundlagen entzogen waren. Mein Vater kam 1944 beim Forcieren des Dnepr ums Leben. Er liegt am Ufer des Dnepr, in einem kleinen ukrainischen Dorf, in einem brüderlichen Grab begraben, in dem Hunderte von Soldaten, die beim Forcieren des Dnjepr umkamen, beerdigt sind. Die Einwohner dieses Dorfes haben die Erinnerung an die gefallenen Kämpfer in den ganzen Nachkriegsjahren bewahrt, sie pflegen die Grabstätten und gedenken ihrer am Feiertag des Sieges. Die Generationen haben sich verändert und es ändert sich das Leben, doch die einfachen Menschen bewahren das Gedächtnis an den Krieg, weil es nicht allein um das menschliche Leid geht, sondern zugleich auch um den Stolz auf den Sieg über den Faschismus.
 
Man möchte sich tief verneigen vor diesen Menschen, um ihnen Ehrerbietung zu erweisen und ihnen zu danken, und um ihnen zum 70. Jahrestag des Sieges zu gratulieren! Man möchte, daß die Erinnerung an den Krieg, an den Heldenmut der gefallenen Soldaten, die unsere Heimat vom Faschismus befreiten und ihr Leben für uns, für ihre Kinder und für alle Nachkriegsgenerationen opferten, in ganz Rußland und in allen Ländern der ehemaligen Sowjetunion für ewig bewahrt bleibt. Die Seele weint, wenn man sieht, wie die Denkmäler für die Befreiern in meiner kleinen Heimat – in der Ukraine – zerstört werden.
 
Nach dem Krieg lebte unsere Mutti als Witwe mit uns drei kleinen Kindern noch 32 Jahre. Der Vater meines Mannes kehrte als Invalide mit Splittern in beiden Beinen in das Gebiet von Brjansk vom Krieg zurück. Während der deutschen Okkupation verunstalteten sich unsere Mütter, die jungen ukrainischen Schönheiten, um sich vor den Vergewaltigungen der Deutschen zu retten. Aber dennoch wurden sie vergewaltigt – und so kamen die verhaßten Kinder zur Welt. Und noch heute gibt es dort diese schon in die Jahre gekommenen Kinder der Deutschen… Es ist unmöglich, den Krieg zu vergessen und man darf auch diese furchtbare Zeit, die ständigen Ängste, die Erniedrigungen und den Hunger nicht vergessen. Und auch die Ohnmacht nicht. Doch selbst unter solchen unmenschlichen Bedingungen waren die Menschen Menschen geblieben, sie halfen einander, teilten sich die letzten Reste. Wir lebten im Keller, verbargen die Juden im Untergrund, und wir waren nicht allein. Die
Frauen riskierten die eigenen Kinder, um fremde Familien zu retten. Es gab verschiedene Weisen, sich zu verbergen, man versteckte sich in zuvor ausgehobenen Gruben, in Kellerlöchern, die mit kleinen Kübeln zugestellt wurden. In den Kellern der Kirche wurden unsere verletzten Soldaten versteckt, gefüttert und verbunden, wir versorgten sie mit unseren letzten Wäschestücken und mit Kleidung. Nachts gingen unsere Jungs heimlich hin und brachten sie ihnen. Einmal als die SS-Leute etwas Verdächtiges bemerkt hatten, fesselten sie meinen großen Bruder an eine Karre, stellten eine Melone auf seinen Kopf und zu ihrer Genugtuung schossen sie darauf – begleitet von unmenschlichem Gelächter. Sie zwangen ihn, mit bloßen Händen die elektrische Leitung anzufassen. Ich erinnere mich noch an seine verbrannten und verbundenen Hände. Bis heute sehe ich unsere arme und stolze Großmutter, die auf den Knien kriechend die Faschisten anflehte, das Kind zu verschonen. Die SS-Leute versuchten auf diese Weise meinen Bruder und seine minderjährigen Freunde zu einem Geständnis zu bringen. Doch sie haben nichts gesagt. Später wurde bekannt, daß sich während des ganzen Krieges in den Gewölben unter der Kirche unsere verletzten Soldaten befunden hatten, und die Jungen ständig zu ihnen Verbindung hielten. Mein Brüderchen war damals kaum zehn Jahre alt. Welch ein Kinderheldenmut!
 
Meine Mutter konnte zu dieser Zeit nicht laufen – die „guten“ Deutschen hatten ihr die Beine verbrannt, indem sie ihr einen Eimer mit Ätznatron darüber schütteten. Meine kleine Schwester, die ein paar Monate vor Anfang des Krieges geboren war, schlugen sie auf den Kopf. Wir versuchten dann am nächsten Morgen, sie in eine Decke zu wickeln und irgendwo zu verbergen, sogar in den Zweigen der Bäume. Wie mein Mann aussagte, haben die Deutschen solche kleinen Kinder in der Gegend von Brjansk so zu Tode geschlagen. Wir wurden mit Läusen vollgestopft, die sie in die Kochtöpfe warfen, wo das Essen gekocht wurde, und die ganze Zeit über hörten wir nur: „Das russische Schwein“…
 
Bis heute kann ich deutsche Reden nicht anhören. Ich kann die aufgehängten Männer nicht vergessen, die Brandstätten meiner Heimatstadt, die von den deutschen Bomben zerfetzten Menschen, unsere gefallenen Soldaten, und nicht den faschistischen Sadismus gegenüber Frauen, Kindern und alten Menschen. Viele Jahre sind vergangen, aber so etwas vergißt man nicht. Den Krieg und den Faschismus darf man nicht vergessen. Was unser Volk erlebt und erlitten hat, das muß man wissen, man muß sich intensiv damit befassen, und nicht, um es ein Leben lang wie einen Stein im Herzen zu tragen, sondern aus der Achtung vor der Vergangenheit. Und man muß sich erinnern, denn – wer diese Lektionen der Geschichte vergißt, der wird sie erneut erleben.
 
Ich erinnere mich an fast ein Dutzend unserer ganz jungen Soldaten, die bei uns im Hof von einer deutschen Bombe getroffen worden waren. Ich sehe noch vor mir, wie der Rumpf eines jungen Soldaten seitlich auf der Treppe lag, und woanders seine abgerissenen Beine. Und wie unsere Mutter, die vom Weinen, von Mitleid und vom Haß gegen die faschistischen Mörder bald verrückt wurde, mit einem Laken versuchte, die blutenden abgerissenen Körperteile zu verbinden, in der Hoffnung, den Verletzten zu retten, den sie mit den Nachbarinnen dann aber zusammen mit den anderen Soldaten in der Nacht unter Tränen beerdigten. Ich erinnere mich auch an die gefangenen Deutschen, die im Krieg von der grimmigen Kälte erfroren waren, die sich mit ihren umwickelten, erfrorenen Beinen dahinschleppten, und wie unsere Mütter ihnen halfen, so gut sie konnten. Und ich erinnere mich die abgeschossenen deutschen Flugzeuge, die in der Gegend unserer Stadt abgestürzt waren, und wie unsere Leute ihr Leben riskierten, um die Leichen der deutschen Flieger zu begraben. Ich erinnere mich, wie ich eine ganze Schürze voller Granaten, die bei uns in der Schlucht herumlagen, nach Hause getragen und neben dem Haus aufgestapelt habe, um sie als Spielzeug zu verwenden, die sich aber dann als Blindgänger erwiesen. Und nur unser verletzter Soldat, den die Frauen verbargen, hat mir und einer Reihe anderer Kinder, die sich bei uns aufhielten, das Leben gerettet.
 
Mein Bruder hat, weil er die Mutter und die Großmutter und uns Kinderchen bedauerte, die Nachricht vom Tode unseres Vaters vom Februar 1944 an, als er sie bekam, bis zum Tag des Sieges aufbewahrt. Dieser Tag war in unserer Familie ein wahrer Tag des tödlichen Schmerzes – die Mutter wurde ohnmächtig. Und später lasen wir ständig lange die Briefe des Vaters von der Front, in denen er der Mutter ständig schrieb: „Bitte, schütze die Kinder, ich werde unbedingt zurückkehren.“ Und er hätte nicht in den Krieg ziehen müssen, da er als Eisenbahner, eine Freistellung hatte. Doch haben dann die aufrechten jungen Männer die Freistellung auch wirklich benutzt? Mein Vater war ein Patriot. Eine tiefe Verneigung vor D.Tuchmanow und W.Charitonow für das unsterbliche Lied „Djen pobjedy“ (Tag des Sieges). Dieser Feiertag ist für uns – die „Kinder des Krieges“, die Waisenkinder – wirklich zunehmend ein Feiertag mit Tränen.
 
Ich erinnere mich an die Anschuldigungen Jakowlews, daß unsere Soldaten „Plünderer“ gewesen seien. Und ich erinnere mich daran, wie wir 1945, nach dem Sieg, den heimkehrenden Soldaten, die auf beheizten Güterwagen bei uns Rast machten, nach und nach alle unsere Bestände mitgaben. Und wir, die hungrigen Waisen, die „Kinder des Krieges“, standen manchmal den ganzen Tag lang am Bahndamm, um nur ja keine Staffel zu versäumen. Die vorbeiziehenden Soldaten gaben uns Brot und Bonbons dafür, und alles was sie hatten. Und wir verteilten diese Gaben an die anderen Kinder. Doch wie viele solcher  Zwischenstationen gab es auf ihrem Weg, und wie vielen solcher hungrigen Waisen, wie wir, sind sie begegnet! Nicht Plünderungen gab es, Herr „Genosse“, sondern Barmherzigkeit! Und wer hatte eine solche Barmherzigkeit? Die Faschisten hatten sie jedenfalls nicht!
 
Wie haben wir überlebt, die wir die Schrecken der deutschen Okkupation, den Verlust des Vaters und der nahen Verwandten, den Verlust unseres Elternhauses, den nagenden Hunger und das ständige Umherziehen erlebt haben? Wie haben unsere Mütter überlebt, die uns Kinder retteten? Sie haben an die beste Zukunft geglaubt, an die Sorge und die Unterstützung unseres sowjetischen Staates. Nach dem Ende des Krieges lebten wir in Erdhöhlen. Aber man hat uns nicht fallengelassen – der Staat hat uns geholfen, ein Haus aufzubauen. Die Mutter konnte arbeiten, und wir gingen zur Schule. Eine bemerkenswerte Besonderheit und eine erstaunliche Qualität unserer Jugend und unseres ganzen Volkes in jener Zeit war es, daß die Jugend wir bei allem Mangel, an dem wir litten, und den ganz und gar unkindlichen Schwierigkeiten, die wir hatten, immer nach Wissen dürsteten. Trotz schäbiger Kleidung und dürftigem Schuhwerk, beinahe nur einem Lehrbuch für die ganze Klasse, und der als Hefte benutzen Plakate und Zeitungen – wir lernten, ohne daß man uns dazu antreiben mußte.
 
Ein Jahrzehnt später schloß ich das Studium am Institut in Moskau ab. Der Mann beendete sein Studium am Institut in Lwow. Mehr als 50 Jahre lang haben wir in der Öl- und Gasindustrie studiert, haben wissenschaftliche Graduierungen erreicht. Auch mein Bruder und meine Schwester, beide Brüder meines Mannes haben eine abgeschlossene Hochschulbildung erhalten. An unserem Beispiel kann man sehr gut die vergangene sowjetische Zeit mit der heutigen „demokratischen“ Zeit vergleichen. Kann heute hat eine Frau mit drei Kindern eine Hochschulbildung erhalten? Können denn Kinder, die aus abgelegenen Dörfern kommen (wie mein Mann und seine Brüder), heute damit rechnen, eine Hochschulbildung zu erhalten? In einer der Ausgaben der „Sowjetskaja Rossija“ hat Alexandra Pachmutowa (1) die vergangene sowjetische und die heutige Zeit sehr treffend charakterisiert: „Wenn ich als Mädchen in dieser jetzigen Zeit geboren worden wäre, hätte es niemals eine Komponistin Pachmutowa gegeben. Bestenfalls wäre ich Kinderfrau bei irgendeinem Oligarchen geworden.“
 
Wir wurden auf Staatskosten ausgebildet, wir erhielten staatliche Stipendien und einen kostenlosen Wohnheimplatz. Aber heute gibt es nur Experimente – bei Schülern, Studenten, und in der Wissenschaft. Der Jugend bringt man bei, sich einen leichten Weg zu suchen: Verdiene Geld, wie du kannst, und habe hier und jetzt Vergnügen … Bei uns dagegen war man angesehen, wenn man den Abschluß als Ingenieur erreicht und beim Wettbewerb von mehr als 20 Bewerbern die Aufnahmeprüfungen bestanden hatte. Zum größten Bedauern muß man feststellen, daß in dieser heutigen stressigen Zeit die Reihen der ingenieurtechnischen Intelligenz bei den Unternehmen immer dünner werden. .
 
Und was haben wir nicht alles in den russischen Dörfern geleistet! Wir erinnern uns an unser früheres Dorf im Gebiet von Brjansk, an die Schönheit der russischen Natur: ringsumher verteilt waren kräftige Wälder, Waldwiesen mit Pilzen, Beeren und Nüssen. Der Fluss teilte das Dorf in zwei Teile, Fische gab es im Überfluß. Es war ein wohlhabendes russisches Dorf inmitten von Rußland mit freundlichen, klugen, fleißigen und wohlhabenden Bewohnern. Und in jedem Hof gab es als Lebensgrundlage Hühner, Enten, Gänse, Schweine und Kühe … Und was hatten wir für fruchtbare Gärten, was für fruchtbare Gemüsegärten! Wenn heute einer der führenden Leute behauptet hat, in Brjansk habe es niemals eine entwickelte Viehzucht gegeben, die Gegend sei einfach ausgestorben gewesen – das Gebiet von Brjansk war eine Kornkammer im Zentrum von Rußland, und hauptsächlich Moskau und das Moskauer Gebiet wurde mit Fleisch, Kartoffeln und allen möglichen Arten von Früchten versorgt.
 
Jetzt sind jene Schönheit und der Reichtum des russischen Dorfes verdampft – es gibt keine Bewohner mehr, die Häuser sind verfallen. Nicht nur dieses Brjansker Dorf ist abhandengekommen – Dutzende solcher Dörfer sind verlorengegangen. Die Felder sind mit Unkraut zugewachsen, das gesamte Land wurde verkauft, an wen ist nicht bekannt. Und im Laufe von 25 Jahren ist im Gebiet von Brjansk mittlerweile alles zerfallen, und nichts wird mehr aufgebaut.
 
Während unserer sowjetischen Jugendzeit lasen wir sehr viel – künstlerische, wie auch technische Literatur. Wir mochten und lasen die Klassiker, gingen ins Theater, trafen uns zum Tanz. Viele bedeutende Werke von Gorki, Puschkin, Lermontow, Tschechow, Tschernyschewski, Belinski, Gogol und der ukrainischen Klassiker kannten wir auswendig, und das bis heute: Kornejtschuk, Lessi die Ukrainerin, Franco u.a. Doch welches Gepäck bekommt die Jugend heute? Damals träumte jeder davon, wenigstens einmal ins Bolschoi-Theater zu kommen, Moskau, Leningrad oder den Kaukasus zu besuchen. Und alles war finanziell erschwinglich. Mit meinem Gehalt konnte ich damals im Laufe eines Monats 6 Mal nach Charkow zu meiner kranken Mutter hinunterfliegen. Und was ist jetzt zugänglich und wird besucht? Ja, für die Reichen – Courchevel, Miami, London, Paris usw. – und für die armen Menschen?
 
Als Schichtarbeiter brauchten wir uns in der Nacht nicht zu fürchten, wenn wir durch menschenleere Straßen heimwärts gingen, weil es damals kein Banditentum gab. Zu unserer Zeit hatten wir nicht nur in der Nacht, sondern auch am Tage keine Angst, die Kinder auf die Straße zu lassen. Die Arbeit machte uns immer Freude – wir arbeiteten viel, nahmen am Aufbau teil, beim Start, bei der Übernahme und beim Betrieb der Erdöl- und Gaskomplexe. Den Kindern wurde vom Staat obligatorisch der Besuch von Kinderkrippen und Kindergärten, sowie die Teilnahme an Pionierferienlagern gewährt.
 
Es war eine gute Zeit! Man möchte der heutigen Jugend gern die Vergangenheit zurückgeben, wo es eine gute Moral und Ideenreichtum gab, teilnahmsvolle Menschen und bemerkenswerte zwischenmenschliche Beziehungen. Die Beziehungen untereinander wurden eben nicht am Geld gemessen. Die Eltern und das damalige Erziehungssystem hatten in uns eine starke Energie verankert, die eigenen Bedürfnisse zu verwirklichen, deshalb war unserer Generation das Streben nach Vermehrung des Reichtums, nach Selbstbehauptung oder zur Demonstration der eigenen sozialen Bedeutsamkeit fremd. Heute hingegen gibt es bei uns nur „Stars“ – „Stars“ ohne jede nationale Bedeutung, „Helden“ jeglicher Couleur, unvergleichliche,
sagenhafte, einzigartige „Genies“. Solche Bewertungen haben jeglichen Sinn verloren, aber auch das Gefühl für Gerechtigkeit und Gewissen.
 
Und wie viele unschätzbare Berühmtheiten gab es bei uns auf dem Gebiet der Kultur und der Kunst! Ruslanow, Lemeschew, Koslowski, Magomajew, Troschin, Schulschenko, Sykin, Woronez, Sinjawski und viele andere. Und wie viele berühmte und Lieblingskünstler wir hatten! Wie viele hervorragende Filme wurden mit ihnen geschaffen! Und niemand von denen nannte sich damals ein „Star“. Wir und sie sind zu wahrer Kultur erzogen worden! Was flimmert dagegen heute über den Bildschirm? Ein Format gleicht dem anderen – es gibt keine echten Künstler und Sänger mehr. Und es gibt auch keine wirklichen Kenner der Kultur, es gibt nur noch inhaltslose und die Jugend zersetzende „Shows“. Es ist kränkend und sehr verletzend, wenn Leute, die keinerlei Autorität in der Gesellschaft haben, und keine Vorstellung von Werten, weder in der Vergangenheit, noch in der Gegenwart, die Geschichte ihrer Heimat verleumden.
 
Wir gratulieren allen Teilnehmern, den Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges, den Arbeitern im Hinterland und den „Kindern des Krieges“ zu dem bevorstehenden, großen und unvergleichlichen Feiertag – dem 70. Jahrestag des Sieges! Wir wünschen Ihnen allen Gesundheit, Geduld und ein langes Leben! Und wir wünschen, daß künftig niemals wieder die Faschisten unsere Heimat beherrschen! (PK)
 
(1) Alexandra Nikolajewna Pachmutowa (*1929), eine sehr bekannte und beliebte sowjetische Komponistin, Nationalpreisträgerin, Heldin der Sozialistischen Arbeit und zweifache Kunstpreisträgerin der Sowjetunion..
 
Quelle: „Sowjetskaja Rossija“ № 31 (14126) http://www.sovross.ru/
Wir danken Gerrit Junghans für die Übersetzung dieses Artikels von Sinaida Moltschanowa aus Orenburg.


Online-Flyer Nr. 505  vom 08.04.2015



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