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Inland
Persönliche Erklärung an die Abgeordneten der Linksfraktion vom 06.03.2015
Wenn DIE LINKE die CDU/CSU rechts überholt
Von Sahra Wagenknecht

Am 27. Februar 2015 hat der Bundestag in namentlicher Abstimmung über einen Antrag mit dem beschönigenden Titel "Finanzhilfen zugunsten Griechenlands; Verlängerung der Stabilitätshilfe" abgestimmt. DIE LINKE hätte ein Zeichen setzen können, „die Syriza-Regierung in ihrem Ringen, Griechenland aus der verheerenden Krise, in die das Land durch die Diktate der Troika gestürzt wurde, wieder herauszuführen“. Doch stattdessen hat sie „einen Antrag der Bundesregierung, der auf genau diese katastrophale Politik der Auflagen und Kürzungsdiktate positiv Bezug nimmt und ihre Fortsetzung einfordert“, abgesegnet. Von 32 Nein-Stimmen kamen 29 von der CDU/CSU und nur 3 Nein-Stimmen von der Partei, die sich "DIE LINKE" nennt. Peter Gauweiler (CSU): „Ich habe… seit 2010 abgelehnt, weil es nicht um die Rettung Griechenlands ging, sondern um die Deckung fahrlässiger Bankgeschäfte durch den deutschen Steuerzahler.“ Der "linke" Gregor Gysi sprach in der Bundestagsdebatte von einer „klaren Kampfansage an die gescheiterte neoliberale Politik“, um gleich im nächsten Satz – Gelächter auslösend – zu offenbaren: „Wir stimmen... zu.“ Sahra Wagenknecht hat daraufhin am 6.3.2015 in einem Brief – gerichtet an die Abgeordneten der Linksfraktion – eine persönliche Erklärung abgegeben. Sie ist nachfolgend dokumentiert.


„Wir beginnen mit Griechenland. Wir verändern Europa. DIE LINKE.“ – Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine am 11. Januar 2015 beim Gedenken an Rosa Luxemburg in Berlin
Foto: arbeiterfotografie.com / Peter Asmussen

Liebe Genossinnen und Genossen, im Herbst steht die Neuwahl der Fraktionsspitze an. Ich möchte Euch rechtzeitig darüber informieren, dass ich nicht für die Funktion einer Fraktionsvorsitzenden kandidieren werde.

Den letzten Ausschlag für diese Entscheidung, über die ich schon seit längerem nachdenke, haben der Verlauf und die Ergebnisse der Fraktionssitzung von Freitag letzter Woche gegeben. Ich halte es für einen strategischen Fehler, dass die große Mehrheit der Fraktion dem Antrag der Bundesregierung auf Verlängerung des griechischen "Hilfsprogramms" zugestimmt hat. Wir alle unterstützen die Syriza-Regierung in ihrem Ringen, Griechenland aus der verheerenden Krise, in die das Land durch die Diktate der Troika gestürzt wurde, wieder herauszuführen. Ich denke, ich kann für mich in Anspruch nehmen, dass ich diese Solidarität in den letzten Wochen in sehr vielen öffentlichen Statements in deutschen und auch griechischen Medien zum Ausdruck gebracht habe. Aber wir haben im Bundestag nicht über das griechische Regierungsprogramm abgestimmt, sondern über einen Antrag der Bundesregierung, der auf genau diese katastrophale Politik der Auflagen und Kürzungsdiktate positiv Bezug nimmt und ihre Fortsetzung einfordert. Wir haben damit unsere bisherige europapolitische Positionierung zumindest infrage gestellt und geben den anderen Parteien die Gelegenheit, uns in Zukunft mit diesem Widerspruch vorzuführen.

Dass es um eine europapolitische Positionsverschiebung und nicht um taktische Meinungsverschiedenheiten geht, wurde spätestens dadurch deutlich, dass zwei unserer bisherigen Kernforderungen – die Forderung nach einem Schuldenschnitt für Griechenland und die Forderung nach einem mit EZB-Geld finanzierten Investitionsprogramm, beides im übrigen Forderungen, die auch Syriza immer wieder vorgetragen hat (so viel zum Thema „Solidarität"!) – in der Fraktionssitzung aus unserem eigenen Antrag gestrichen bzw. gar nicht erst aufgenommen wurden.

Es spricht für unsere ökonomische Kompetenz, dass die Linke schon 2010 mit der Forderung nach einem Schuldenschnitt, der Haftung von Banken und privaten Anlegern, einer Vermögensabgabe für Multimillionäre und EZB-Direktkrediten eine konsistente Alternative zu Merkels vermeintlichen „Euro-Rettungspaketen" in die Debatte eingebracht hat. Eine Alternative, die der Bevölkerung der betreffenden Länder viel Leid und den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern in Deutschland Milliardenverluste erspart hätte. Aber schon damals waren diese Positionen in der Fraktion nur gegen Widerstände durchsetzbar. Inzwischen werden sie von einem Teil der Fraktion massiv angegriffen, wie auch die Diskussionen auf unserer Klausurtagung im Januar gezeigt haben. Und das, obwohl die Entwicklung der letzten Jahre uns rechtgegeben hat.

Neben den inhaltlichen Entscheidungen markiert der Verlauf der Fraktionssitzung vom 27.2. für mich auch einen Umgang miteinander, den ich nicht akzeptiere. Dass mir die Fraktion per Mehrheitsbeschluss verweigert, ihr auch nur meine Argumente für ein anderes Stimmverhalten vorzutragen - bei einem Thema, für das ich seit 2010 öffentlich an vorderster Stelle die Positionen der Linken vertrete - ist ein offener Affront und unterstreicht, dass ein Teil der Fraktion in eine andere Richtung gehen möchte als ich sie für sinnvoll halte.

Ich engagiere mich politisch, weil ich es unerträglich finde, wie dreist die Regierungen Europas die Ungleichheit vergrößern, wie selbstverständlich Armut und Hungerlöhne selbst in Deutschland wieder geworden sind und wie ignorant alle Traditionen einer friedlichen Außenpolitik in den Wind geschlagen wurden. Ich will, dass es dazu mit der Linken eine selbstbewusste, angriffslustige und vor allem eine stärker werdende Gegenkraft gibt, die den Trend irgendwann auch in Deutschland wenden kann. Dafür will und werde ich weiterhin kämpfen, mit all der Kraft und den Fähigkeiten, die mir zur Verfügung stehen.

Bei den Mitgliedern der Fraktion, die mich unterstützt und die erwartet haben, dass ich im Herbst für den Fraktionsvorsitz kandidiere, möchte ich mich für ihr Vertrauen bedanken. Ich weiss, dass ich sie mit meiner Entscheidung enttäusche. Dennoch bitte ich sie um Verständnis. Ich bin überzeugt, dass ich politisch letztlich mehr bewege, wenn ich mich auf das konzentriere, was ich am besten kann.

Solidarische Grüße,
Sahra Wagenknecht



Ergebnis der Abstimmung des Bundestages am 27.2.2015 - 32 Nein-Stimmen - 29 Nein-Stimmen von der CDU/CSU - nur 3 Nein-Stimmen von der Partei DIE LINKE (Quelle: bundestag.de)
(PK)

Online-Flyer Nr. 501  vom 11.03.2015



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