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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Kommentar
Eine der ältesten Weltkulturen würde abrupt enden
Netanjahus Rede vor dem Kongress
Von Uri Avnery

Ganz plötzlich erinnerte sie mich an etwas. Ich sah mir DIE Rede Benjamin Netanjahus vor dem Kongress der Vereinigten Staaten an. Eine Reihe wie die andere von Männern in Anzügen (und einige vereinzelte Frauen) sprang auf und ab, auf und ab, applaudierte wild und rief Beifall. Es war das Rufen, das meine Erinnerung weckte. Wo hatte ich es doch schon zuvor gehört?

Netanjahu vor dem US-Kongress
Quelle: heute
 
Und dann fiel es mir wieder ein: Es war ein anderes Parlament, eines in der Mitte der 1930er Jahre. Der Führer sprach. Eine Reihe von Reichstagsabgeordneten wie die andere lauschte hingebungsvoll. Alle paar Minuten sprangen die Abgeordneten auf und riefen Beifall.
Natürlich ist der Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika kein Reichstag. Die Abgeordneten tragen dunkle Anzüge und nicht braune Hemden. Sie rufen nicht „Heil“, sondern etwas Unverständliches. Aber der Klang des Rufens war derselbe. Ziemlich schockierend.            
Aber dann kehrte ich in die Gegenwart zurück. Der Anblick war nicht erschreckend, sondern lächerlich. Da waren tatsächlich die Abgeordneten des mächtigsten Parlaments der Welt und sie benahmen sich wie ein Haufen Trottel.
Niemals hätte sich dergleichen in der Knesset abspielen können. Ich habe keine sehr hohe Meinung von unserem Parlament, in dem ich einmal Abgeordneter war, aber mit dieser Versammlung verglichen, ist die Knesset die Erfüllung von Platons Traum.
 
ABBA EBAN verglich einmal eine Rede Menachem Begins mit einem französischen Schaumomelett: viel Luft und sehr wenig Teig.
Dasselbe könnte man über DIE Rede sagen
Was enthielt sie? Natürlich den Holocaust. Dabei saß der moralische Blender Elie Wiesel auf der Galerie gleich neben Sarah’le, die den Triumph ihres Mannes sichtbar auskostete. (Ein paar Tage zuvor hatte sie die Frau eines Majors in Israel angeschrien: „Ihr Mann reicht meinem Mann nicht einmal bis an die Knöchel!“)
In der Rede wurde das Buch Esther erwähnt, das von der Rettung der persischen Juden vor dem bösen persischen Minister Haman erzählt. Dieser hatte die Absicht, sie auszurotten. Niemand weiß, wie diese zweifelhafte Schrift in die Bibel gelangt ist. Gott wird darin nicht erwähnt, sie hat nichts mit dem Heiligen Land zu tun und Esther ist eher eine Prostituierte als eine Heldin. Das Buch endet mit einem Massenmord, den die Juden an den Persern verüben.   
Die Rede enthielt wie alle Reden Netanjahus viel über die Leiden der Juden im Verlauf der Zeitalter und über die Absichten der bösen Iraner, der neuen Nazis, uns zu vernichten. Aber das wird nicht geschehen, weil wir dieses Mal zu unserem Schutz einen Benjamin Netanjahu haben. Und natürlich die US-Republikaner.
Es war eine gute Rede. Niemand kann eine schlechte Rede halten, wenn Hunderte von Bewunderern an jedem Wort hängen und alle paar Minuten applaudieren. Allerdings wird sie in keine Anthologie der größten Reden der Welt aufgenommen werden.
Netanjahu hält sich für einen zweiten Churchill. Und tatsächlich war Churchill der einzige ausländische Führer vor Netanjahu, der zum dritten Mal vor beiden Häusern des Kongresses sprechen sollte. Aber Churchill kam, um die Allianz mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten Franklin Delano Roosevelt, der bei den britischen Kriegsbemühungen eine wichtige Rolle spielte, zu festigen, während Netanjahu gekommen war, um dem gegenwärtigen Präsidenten ins Gesicht zu spucken.
 
WAS ENTHIELT DIE Rede nicht?
Sie enthielt kein Wort über Palästina und die Palästinenser. Kein Wort über Frieden, die Zweistaatenlösung, das Westjordanland, den Gazastreifen oder Jerusalem. Kein Wort über Apartheid, die Besetzung und die Siedlungen. Kein Wort über Israels Nuklearausrüstung.
Und natürlich kein Wort über die Idee einer kernwaffenfreien Region mit gegenseitiger Kontrolle.
Tatsächlich gab es überhaupt keinen konkreten Vorschlag. Nach der Anprangerung des schlechten Handels mit dem Iran, der im Entstehen sei, und der Andeutung, Barack Obama und John Kerry seien Betrogene und Idioten, bot er keine Alternative an.
Warum nicht? Ich vermute, dass der Originaltext DER Rede eine Menge Vorschläge enthielt: Verheerende neue Sanktionen gegen den Iran. Die Forderung nach der vollkommenen Zerstörung aller iranischen Atomanlagen. Und am unausweichlichen Ende: einen gemeinsamen militärischen Angriff von USA und Israel.
Alles das kam in Netanjahus Rede nicht vor. Er war in deutlichen Worten von Obama-Leuten gewarnt worden, dass die Enthüllung von Einzelheiten der Verhandlungen als Vertrauensbruch betrachtet würde. Er war von seinen republikanischen Gastgebern informiert worden, dass die amerikanische Öffentlichkeit nicht in der Stimmung sei, schon wieder von einem Krieg zu hören.
Was blieb übrig? Eine langweilige Erzählung von wohlbekannten Tatsachen über die Verhandlungen. Es war der einzige ermüdende Teil der Rede. Minutenlang sprang niemand auf und niemand rief Beifall. Elie Wiesel wurde als Schlafender gezeigt. Die wichtigste Person im Saal, der Besitzer der Kongress-Republikaner und Netanjahus Sheldon Adelson, wurde überhaupt nicht gezeigt. Aber er war da und passte wie ein Schießhund auf seine Diener auf.
Übrigens, was ist denn nun aus Netanjahus Krieg geworden?
Erinnern Sie sich, dass die Israelischen Verteidigungskräfte drauf und dran waren, den Iran in Grund und Boden zu bomben? Dass die Militärmacht der USA drauf und dran war, alle Atomanlagen im Iran „auszuschalten“?
Leser dieser Kolumne erinnern sich vielleicht auch daran, dass ich ihnen vor Jahren versichert habe, dass es keinen Krieg geben werde. Ohne Wenn und Aber. Keine halb offene Hintertür zum Rückzug. Ich versicherte, dass es keinen Krieg geben werde, basta.
Viel später sprachen sich alle ehemaligen Militär- und Geheimdienstchefs gegen den Krieg aus. Der Armeestabschef Benny Gantz, der in dieser Woche seine Dienstzeit beendet hat, deckte auf, dass niemals ein Entwurf eines Operationsbefehls für einen Angriff auf die Atomanlagen des Iran angefertigt worden sei.
Warum nicht? Weil eine derartige Operation zu einer weltweiten Katastrophe führen könnte. Der Iran hätte sofort die Straße von Hormuz geschlossen, die ja nur ein paar Dutzend Kilometer breit ist und die etwa 35% des gesamten verschifften Erdöls der Welt passieren müssen. Das hätte unmittelbar einen weltweiten Zusammenbruch der Wirtschaft bedeutet.
Um die Wasserstraße wieder zu öffnen und offen zu halten, hätte ein großer Teil des Iran mit Hilfe eines Bodenkrieges besetzt werden müssen, die Stiefel auf dem Erdboden. Selbst Republikaner schaudert es bei diesem Gedanken.
Die militärischen Fähigkeiten Israels wären einem solchen Abenteuer durchaus nicht gewachsen. Und natürlich kann Israel nicht davon träumen, ohne ausdrückliches Einverständnis Amerikas einen Krieg zu beginnen.
So sieht die Wirklichkeit aus. Sie ist ungeeignet für Reden. Sogar amerikanische Senatoren sind in der Lage, das zu begreifen.
 
DAS HERZSTÜCK DER Rede war die Dämonisierung des Iran. Der Iran ist der Inbegriff des Bösen. Seine Führer sind untermenschliche Ungeheuer. In der ganzen Welt sind iranische Terroristen am Werk und planen monströse Gräueltaten. Sie bauen Interkontinentalraketen, um die USA zu zerstören. Sobald sie Atomsprengköpfe haben – jetzt oder in zehn Jahren – werden sie Israel vernichten.
Tatsächlich würde Israels Zweit-Schlag-Fähigkeit, die sich auf die von Deutschland gelieferten Unterseeboote gründet, innerhalb von Minuten den Iran vernichten. Eine der ältesten Weltkulturen würde abrupt enden. Die Ajatollahs wären klinisch geistesgestört, wenn sie Derartiges riskierten.
Netanjahu tut so, als glaubte er, dass sie es wären. Aber seit Jahren führt Israel jetzt freundschaftliche geheime Verhandlungen mit der iranischen Regierung über die Eilat-Aschkelon-Öl-Pipeline durch Israel, die von einem iranisch-israelischen Konsortium gebaut wurde. Vor der Islamischen Revolution war Iran Israels zuverlässigster Verbündeter in der Region. Gleich nach der Revolution belieferte Israel den Iran mit Waffen, mit denen er gegen Saddam Husseins Irak kämpfen sollte (die berüchtigte Iran-Kontra-Affäre). Und wenn wir schon auf Esther und ihre sexuellen Bemühungen um die Rettung der Juden zurückgreifen, warum sollten wir dann nicht auch den Perserkönig Kyros den Großen nennen, der den jüdischen Gefangenen erlaubte, aus dem von ihm eroberten Babylon nach Jerusalem zurückzukehren?
Wenn man die iranische Führung nach ihrem Verhalten beurteilt, kann man sagen, dass sie etwas von ihrem anfänglichen religiösen Eifer verloren hat. Sie verhält sich (allerdings redet sie nicht immer so) sehr rational, sie führt die Verhandlungen so hartnäckig, wie man es von Persern erwarten kann, die sich ihres riesigen Kulturerbes bewusst sind, das sogar noch älter als das Judentum ist. Netanjahu hat Recht, wenn er sagt, man sollte ihnen nicht blindlings vertrauen, aber seine Dämonisierung ist lächerlich.
Im weiter gefassten Kontext sind Israel und der Iran bereits indirekt Verbündete. Für beide ist der Islamische Staat (IS) der Todfeind. Meiner Ansicht nach ist IS für Israel letzten Endes weit gefährlicher als der Iran. Und ich denke, dass für Teheran IS ein weit gefährlicherer Feind als Israel ist.
(Der einzige denkwürdige Satz in DER Rede war: „Der Feind meines Feindes ist auch mein Feind“.)
Schlimmstenfalls wird der Iran am Ende seine Bombe haben. Na und?
Ich mag ja ein arroganter Israeli sein, aber ich weigere mich, mich in Angst versetzen zu lassen. Ich wohne keine zwei Kilometer von der israelischen Armeeführung entfernt im Zentrum Tel Avivs und im Fall eines Kernwaffen-Austauschs würde ich verdampfen. Und doch fühle ich mich ziemlich sicher.
Die Vereinigten Staaten waren jahrzehntelang (und sind es noch heute) Tausenden von russischen Atombomben ausgesetzt, die Millionen Menschen innerhalb von Minuten hätten beseitigen können. Sie fühlen sich unter dem Schirm des „Gleichgewichts des Schreckens“ sicher. Schlimmstenfalls würde zwischen uns und dem Iran dasselbe Gleichgewicht zur Wirkung kommen.
 
WELCHE Alternative hat Netanjahu zu Obamas Politik genannt? Obama beeilte sich, darauf hinzuweisen, dass Netanjahu keine angeboten habe.
 
Der bestmögliche Handel wird gestrichen. Die Gefahr wird für zehn Jahre oder mehr aufgeschoben. Und, wie Chaim Weizmann einmal sagte: „Die Zukunft kommt und sorgt für die Zukunft“.
Innerhalb dieser zehn Jahre wird vieles geschehen. Regime werden wechseln, Feindschaften werden sich in Allianzen verwandeln und umgekehrt. Alles ist möglich.
Wenn Gott und die israelischen Wähler wollen, ist selbst Frieden zwischen Israel und Palästina möglich. Das würde allen israelisch-muslimischen Beziehungen den Stachel nehmen. (PK)
 
Uri Avnery, geboren 1923 in Deutschland, israelischer Journalist, Schriftsteller und Friedensaktivist, war in drei Legislaturperioden für insgesamt zehn Jahre Parlamentsabgeordneter in der Knesset. Sein neues Buch „Israel im arabischen Frühling – Betrachtungen zur gegenwärtigen politischen Situation im Orient“ hat eine unserer AutorInnen für die NRhZ rezensiert.
Für die Übersetzung dieses Buches und Avnerys Artikel aus dem Englischen danken wir der Schriftstellerin Ingrid von Heiseler. Sie hat ein neues eBuch bei Amazon veröffentlicht: "Ira Chernus, Amerikanische Nationalmythen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft". Alle ihre eBücher findet man unter http://www.amazon.com/s/ref=nb_sb_noss?url=search-alias%3Daps&field-keywords.
http://ingridvonheiseler.formatlabor.net
 


Online-Flyer Nr. 501  vom 11.03.2015

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