NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 24. April 2024  

Fenster schließen

Globales
10 Stunden mit Kippa und Kamera unterwegs in den Straßen von Paris
Ein Werbegag für Netanjahus "Alija"?
Von Doris Pumphrey

Während immer mehr Palästinenser von ihrem Land vertrieben werden, der israelische Siedlungsbau und Raub von überlebenswichtigen Agrarflächen auf palästinensischem Gebiet vorangetrieben wird, fordert Benjamin Netanjahu Europäer, besonders französische Staatsbürger auf, nach Israel auszuwandern. So erklärte er nach den Anschlägen in Paris Anfang Januar: "Jeder Jude, jede Jüdin, die nach Israel kommen wollen, sind willkommen. Sie kommen nicht in ein fremdes Land, sondern in die Heimat ihrer Vorväter. Mit Gottes Hilfe werden viele von euch nach Israel kommen." (1)

Zvika Klein ist in Paris angekommen und setzt seine Kippa auf.
Alle Bilder aus Zvika Kleins Werbefilm für Netanjahu
 
Gott kann ja ein wenig nachgeholfen werden, dachte sich wohl der israelische Journalist Zvika Klein. Um nun der Welt den "Antisemitismus" Frankreichs vorzuführen, begab er sich also nach Paris, setzte sich die Kippa auf und lief dort am 3. und 4. Februar zehn Stunden lang durch die Straßen, vorzugsweise in Vierteln mit hohem Anteil muslimischer Bevölkerung. Der Fotograf Dov Belhassen begleitete ihn mit einer GoPro-Kamera und ein Bodyguard sollte ihn beschützen.
 
Netanjahus williger Emissär Zvika durchquerte Paris "mit klopfendem Herzen, negativen Gedanken" und "voller Furcht", wie er später berichtete. Es seien "zehn Stunden Schikane" gewesen, schrieb die Times of Israel. Die Medien, auch hierzulande, berichteten von zehn Stunden Angst und Schrecken. Er sei "beschimpft, bedroht, bespuckt" worden. Das ins Netz eingestellte Video wurde millionenfach angeklickt.
 
Zehn Stunden "Antisemitismus" in der französischen Hauptstadt zusammengerafft in ein Video von knapp 80 Sekunden. Man kann wohl davon ausgehen, dass der Kippa-Träger in diese 80 Sekunden alle "Beweise" gepackt hat. Schließlich soll das Video ja zeigen, warum die israelische Regierung französischen Staatsbürgern dringend rät, in Israel Zuflucht zu suchen.
 
Es ist nicht ausgeschlossen, dass es die eine oder andere Beleidigung gab. Aber dieses Video als Beweis, dass Frankreich das "antisemitischste Land Europas" sein soll? Wohl eher "ein Video, das alle zum Narren hält", wie die kanadische Ausgabe der Huffington Post titelte. (2) .
Schauen wir uns den "Beweis" mal näher an. (3) In den wenigen Sekunden des Videos sehen wir also den Kippa-Träger mit ein paar Passanten und wir hören Stimmen, wobei nur selten klar ist, vom wem sie stammen. Selbst für den, der Französisch versteht, ist nicht alles, was man hört, verständlich und auch nicht unbedingt zuzuordnen. Doch Zvika Klein will sicher gehen, dass wir alles "richtig" verstehen und hilft ein wenig nach mit Untertiteln. Dass diese nicht in jedem Fall Transkript des Gesagten sind, wird zumindest in einer Sequenz ganz eindeutig. Bei Sekunde 20 fragt ein Mann, mit dem Rücken zu Zvika Klein – er hat ihn offensichtlicht noch gar nicht wahrgenommen – in ein offenes Autofenster: "T'as pas acheté du mouton, non?" (Hast kein Lamm gekauft, nein?). Im Untertitel macht Zvkika Klein daraus: "Wie geht's? Bist du jüdisch?" Etwas grotesk, würde man meinen.
 
Ein wenig später, verfolgt ihn ein Mann, dem, im Augenblick da er hinter einem Baum verschwindet, der Ausspruch "Jude" untergetitelt wird. Er ist auffälligerweise auch noch der einzige, dessen Gesicht unkenntlich gemacht wird.

Keine Spucke, wie Zvika behauptet, sondern nur etwas Papier auf dem Weg
  
Zvika Klein sorgt sich wohl, dass wir das Gesehene auch ja richtig interpretieren. Wir beobachten, dass eine der beiden Frauen, die Zvika Kleins Weg kreuzen, mit ihrer Fußspitze versehentlich ein Stück Papier erwischt und vor sich her stößt, und wir hören auch das dazu passende Geräusch (Sekunde 57 bis 59). Falsch, sagt uns jedoch der Journalist. Sie "spuckt", untertitelt er – und wir sollen denken: den Juden an. Dem Untertitel zu folge, sagt irgendjemand aus der Menge von jungen Leuten: "Es lebe Palästina". Ein "Beweis" für Antisemitismus?
 
Klein geht an vier muslimischen Frauen vorbei (1:14 – 1:15), die ihm offensichtlich keinerlei Aufmerksamkeit schenken und doch hören wir im Video eine Stimme, die ihn in Englisch anzischt "Jew!". Sollen wir nun denken, dieser Ausspruch wäre von diesen Frauen gekommen?
 
Da das Video den aufmerksamen Zuschauer trotz aller Anweisungen in den Untertiteln nicht so richtig erschüttern kann, schiebt Zvika Klein in einem Absatz nach: "Zwei Jugendliche warteten auf uns an der nächsten Straßenecke" (4) und folgert, "wahrscheinlich hatten sie gehört, dass ein Jude durch ihre Nachbarschaft spazierte". Sonst stehen Jugendliche anscheinend nicht an Straßenecken - Zvika Klein muss sich für sehr wichtig halten. Seine Begleiter rieten ihm, das Ganze schnell abzubrechen. "Noch ein paar Minuten und sie hätten dich gelyncht", meinte gar sein Leibwächter. Das Gruselszenario genügt ihm aber noch nicht.
Nichts ist Zvika Klein zu peinlich. Der israelische Journalist setzt noch eins drauf. Nach zwei Tagen in Paris weiß er es genau: "Sie müssen wissen, im heutigen Paris ist Juden der Zugang zu bestimmten Gebieten verwehrt." Und nachts? "Nun, Juden ziehen es vor zuhause zu bleiben, da ist es sicherer."
 
Aber wer ist eigentlich Zvika Klein? Er stammt aus Chicago, emigrierte 1985 mit seinen Eltern nach Israel und lebte in der israelischen Siedlung Ginot Shomron. Er war als Sprecher der Israelischen Armee zuständig für die ultra-orthodoxe Presse. Heute arbeitet er u.a. für das israelische Nachrichtenportal nrg.co.il, Eigentum von Sheldon Adelton, einem US-Milliardär. Adelton ist nicht nur Geldgeber für die Republikanische Partei, sondern auch Benjamin Netanjahus persönlicher Freund und wichtiger Unterstützer im Wahlkampf. Davor arbeitete Zvika Klein für die "World Zionist Organization", die "Jewish Agency" und die zionistische Jugendorganisation "World Bnei Akiva". Sie spielen eine wichtige Rolle für die Siedlerbewegung und werben weltweit für die "Alija", die "Rückkehr" nach Israel. Noch Fragen? (PK)
 
(1) http://www.tagesschau.de/ausland/einwanderung-israel-101.html
(2) http://quebec.huffingtonpost.ca/antoine-dupin/juif-a-paris-10h-video_b_6714662.html
(3) https://www.youtube.com/watch?v=AltyhmrIFgo
(4) http://www.nrg.co.il/online/1/ART2/676/485.html
 
Mehr über die Kampagne für die "Alija" in Frankreich siehe auch in dem englischen Artikel http://www.palaestina-portal.eu/Stimmen_international/pumphrey_george_zionist_judeophobic_semitism.htm#_ftnref29
 
Doris Pumphrey ist Aktivistin in der Antikriegsbewegung, Berlin 


Online-Flyer Nr. 500  vom 04.03.2015



Startseite           nach oben