NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

zurück  
Druckversion

Globales
22 Jahre, nachdem Politik und Medien sich vor der Türkei verbeugt hatten:
Aktuelle Debatte um das PKK-Verbot
Von Civaka Azad

Seit der Verbotsverfügung am 26. November 1993 wurde das Betätigungsverbot gegen die Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) von der deutschen Öffentlichkeit selten so sehr in Frage gestellt wie gegenwärtig. Auch im deutschen Bundestag lösten die letzten Ereignisse im Kampf gegen die Banden des Islamischen Staates (IS) in Syrien und im Irak grundsätzliche Diskussionen über das PKK-Verbot aus.
 

Immer wieder Demonstrationen von Kurden
gegen PKK-Verbot
Quelle: Civaka Azad
In allen Fraktionen des Bundestags gibt es mittlerweile Fürsprecher für die Aufhebung des Verbots, einige fordern zumindest eine Überprüfung, ob die derzeitige Verbotspolitik noch angemessen ist. Schlagzeilen wie „Die PKK gehört zu Deutschland“ schmücken die größten Tageszeitungen. Nahezu alle TV-Diskussionsrunden haben sich mindestens einmal mit dieser Thematik befasst. Zweifellos ist dieser in breiten Teilen der Gesellschaft geführte Diskurs vor allem den Entwicklungen der letzten Monate im Mittleren Osten und dem Verhalten und der Position der PKK darin geschuldet.
 
Die PKK rückt in den Fokus
 
Denn während sich die bestehenden Repräsentanten der Exekutivgewalt in Syrien, dem Irak und dem zur KRG (Autonome Region Kurdistan/Südkurdistan) gehörenden Gebiet in Folge der Angriffe des Islamischen Staates zurückzogen, und somit die Bevölkerung schutz- und
wehrlos den Überfällen der IS-Barbaren überließen, waren es die zur PKK gehörenden KämpferInnen der HPG, die gemeinsam mit den Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) und Volksverteidigungseinheiten (YPG) aus Rojava die in Syrien und im Irak lebenden Menschen, darunter vor allem Angehörige religiöser Minderheiten wie die Êzîden und Christen, vor einem Massaker bewahrten.
 
Aber nicht nur der militärische Kampf der kurdischen Freiheitsbewegung, sondern auch das weiterentwickelte Konzept für Demokratischen Konföderalismus des seit 1999 in der Türkei gefangen gehaltenen ehemaligen PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan wird von vielen als zukunftweisendes Modell für die Gesellschaften des Mittleren Osten erkannt. Welche Kraft schon jetzt dieses Modell entwickeln konnte, zeigen gerade die Menschen in Rojava, die unter schwierigsten Bedingungen das basisdemokratische Gesellschaftssystem im IS-Krieg aufbauen und auch selbst verteidigen.
 

Kundgebung für den seit 1999 im Gefängnis
sitzenden Abdullah Öcalan
Quelle: Civaka Azad
In dieser Situation rückte nicht nur die PKK in den Fokus der Öffentlichkeit, sondern zeitgleich mit ihr auch die Widersprüche ihres Verbots in Deutschland. Auf Letzteres machte unter anderem auch der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele aufmerksam. In einer an den außenpoliti- schen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion während einer Plenarsitzung gerichteten Frage wollte er wissen, ob es nicht sehr schizophren oder pervers sei, „die PKK auf der einen Seite, weil sie dort [im Irak] Positives bewirkt hat, zu loben und sie auf der anderen Seite hier strafrechtlich zu verfolgen“. CDU-Fraktionsvorsitzender Kauder sprach gar von einer möglichen Bewaffnung der PKK. Indessen erklärte der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Mützenich, dass sich die deutsche Bundesregierung dadurch strafbar machen würde, solange die PKK als terroristische Vereinigung gelistet sei.
 
Politisches Dilemma
 
Es ist nicht schwer zu erkennen, dass sich das Verbot längst zu einem politischen Dilemma entwickelt hat. Entgegen einigen Stimmen, die das Verbot für „nicht mehr zeitgemäß“ halten, erklärte die innenpolitische Sprecherin der Linken, Ulla Jelpke, „das Verbot der PKK ist und war noch nie zeitgemäß. Die Bundesregierung ist dadurch bestrebt, einer unrechtmäßigen Verbotserteilung eine Legitimation zu verschaffen.“
 
Dass das Verbot hinsichtlich der politischen Lage im Mittleren Osten und den Interessen Deutschlands nicht mehr passend ist, scheint für alle Seiten unstrittig. Um die Debatte bewerten zu können ist es notwendig, die politischen Beweggründe für den Verbotsentscheid Revue passieren zu lassen.
 
Verbotsbegründung
 
Am 26. November 1993 verkündete der damalige CDU-Bundesinnenminister Manfred Kanther das Verbot der PKK. Als primärer Beweggrund hierfür sind die bilateralen Beziehungen zur Türkei und die damit verbundenen außenpolitischen Interessen der BRD anzusehen. In einer Passage der 50-seitigen Verbotsbegründung heißt es denn auch: „Der Grad der Beeinträchtigung der außenpolitischen Beziehungen ist durch zahlreiche Demarchen (diplomatische Schreiben) der türkischen Regierung sowie dadurch deutlich geworden, dass die türkische Seite bei allen politischen Spitzengesprächen der letzten Zeit … den Vorwurf erhoben hat, die Bundesregierung dulde PKK-Aktivitäten auf deutschem Boden und kontrolliere sie nicht oder nur mangelhaft. Die Türkei trägt im Einzelnen vor, die Propagandatätigkeit in einer für den Bestand des türkischen Staates lebenswichtigen Frage zu dulden und damit zur Destabilisierung in der Südostregion indirekt beizutragen.“ Außerdem würde eine Duldung der PKK-Aktivitäten in Deutschland die „deutsche Außenpolitik unglaubwürdig machen und das Vertrauen eines wichtigen Bündnispartners, auf das Wert gelegt wird, untergraben.“
 
Ein weiterer Ausdruck der damals äußerst harmonischen deutschtürkischen Beziehungen waren die bereits zuvor an Ankara verschenkten Bestände der aufgelösten Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR, darunter viele Maschinenpistolen und -gewehre, Panzerfahrzeuge, die nachweislich im „schmutzigen Krieg“ des türkischen Staates gegen die kurdische Bevölkerung eingesetzt wurden. Die Ergebnisse dieses „schmutzigen Krieges“ in Kurdistan waren mindestens 4000 entvölkerte und zerstörte Dörfer, 17.000 ermordete Aktivisten und Aktivistinnen durch sogenannte unbekannte Täter, die straflos blieben und weiterhin geschützt werden, sowie rund 4,5 Mio. Flüchtlinge aus den kurdischen Siedlungsgebieten.
 
Kriminalisierung und Stigmatisierung
 
Für die Kurdinnen und Kurden in Deutschland begann mit dem Verbot eine Phase der Stigmatisierung und Kriminalisierung einhergehend mit gesellschaftlicher Isolierung, Ausgrenzung und Diskriminierung. Nach wie vor ist für viele der Begriff „Kurde“ und „Terrorist“ gleichbedeutend. Durch das Verbot wurde und wird kurdisch-stämmigen Menschen die politische bzw. gesellschaftliche Aktivität als „Kurdin“ bzw. „Kurde“ schlichtweg verwehrt. Denn die Gesetzeslage stellte alles unter Strafe, was die gedanklichen Ziele der PKK unterstützen könnte. Dazu zählen beispielsweise die Forderung nach Unterricht in kurdischer Sprache oder die Förderung der kurdischen Kultur.
 
In diesem Sinne sind auch die Schließungen und das Verbot von dutzenden Vereinen, zahlreichen Zeitungen und mehreren Fernsehsendern zu bewerten. Menschen, die wegen des Krieges in Kurdistan alles aufgeben und ihr Land verlassen mussten, wurden dadurch auch hier wieder unmenschlichen Situationen und einer starken Repression ausgesetzt.
 
Abbau von Vorurteilen
 
Auf Grundlage dieser Realität wurden der öffentlichen Wahrnehmung Vorurteile aufoktroyiert, die sie für den Blick auf die Ziele und die Praxis der PKK blind machten. Denn Frauenemanzipation, der Aufbau und die Verteidigung demokratischer Gesellschaftsstrukturen sowie die Freiheit und Gleichheit sämtlicher ethnischer und religiöser Gruppierungen stehen nicht erst seit dem Vormarsch des IS in der Region auf der Agenda der PKK. In einem Mittleren Osten voller Diktaturen, autoritärer Regime und unzähligen ethnischen und religiösen Konflikten konnte die PKK eine starke demokratische Dynamik in der gesamten Region entwickeln, die von den Gesellschaften vor Ort mit Leben gefüllt werden konnte.
 
Die Welt von heute ist nicht mehr dieselbe wie im Jahre 1993. Wir blicken heute sowohl auf ein anderes Europa als auch ein anderes Deutschland. Ebenso können wir eine entwickelte kurdische Gesellschaft wahrnehmen, die sich ihr Selbstbewusstsein im langen Kampf für ihre Legitimität erstritt. Den wichtigsten Faktor dabei spielt die PKK, die durch eine zeitgemäße,
transparente Politik, mit ihren Vorschlägen eines basisdemokratischen Systems mehr und mehr Menschen gewinnen konnte – in allen Teilen Kurdistans.
 
Ohne Kurden und Kurdinnen und mit ihnen die PKK kann der heutige Nahe bzw. Mittlere Osten nicht länger gesehen werden. Die KurdInnen sind die dynamischste Kraft der Region geworden, eine regionale oder internationale Politik, an der sie nicht gleichberechtigt beteiligt werden, wird ohne Erfolg bleiben.
 
Es muss verstanden werden, dass sich die kurdischen Gesellschaften selbst organisieren und ihre politische Vertretung wählen. Dies muss auch von der bundesdeutschen Politik verstanden werden. Mit der Aufhebung des politischen Betätigungsverbots für Kurdinnen und Kurden in Deutschland könnte die deutsche Politik für den Friedensprozess in der Türkei ein deutliches Zeichen setzen. Die Aufhebung des PKK-Verbots würde ebenso helfen den Keil zu lösen, der zwischen die kurdische und deutsche Gesellschaft getrieben wurde, und so das gesellschaftliche Zusammenleben hier erleichtern. (PK)
 
Diesen Beitrag haben wir mit Dank aus der Februar-Ausgabe der Zeitschrift "Civaka Azad" übernommen, die vom Kurdischen Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V. in Frankfurt herausgegeben wird. Kontakte: www.civaka-azad.org // info@civaka-azad.org


Online-Flyer Nr. 497  vom 11.02.2015

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE