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Kommentar
Jahresrückblick – vor allem auf den Wechsel von Springers Blome zum SPIEGEL
Das Randproblem
Von Harald Schauff

Armut in Deutschland wird immer noch klein geredet und geschrieben Na, war das nicht ein prima Jahr? Die Wirtschaft boomte nicht so, dafür brummte der Arbeitsmarkt: Über 43 Millionen Erwerbspersonen, ein neuer Rekord! Der DAX schwang sich gleichfalls zu Rekord-Höhen über die Marke von 10.000 Punkten auf. Dem Bundeshaushalt winkt die schwarze Null. Und über allem strahlt der goldene Blumenpott: Endlich wieder Fußball-Weltmeister.
 

Von Springer zum SPIEGEL:
Nikolaus Blome
 
Mit stolz geblähter Brust gehen wir, mit hängenden Köpfen und Schultern gehen die anderen. Vor 25 Jahren fiel die Mauer. Ein Grund mehr zum stolzpatriotischen Lächeln. Jedoch schaut die Mehrheit der Bevölkerung drein, als sei ihr das 100jährige Gedenken zum Ausbruch des I. Weltkrieges über die biergeschundene Leber gelaufen. Warum nur? Alles läuft, blüht, wächst und gedeiht. Kein Grund, so miesepetrig dreinzuschauen, befand ein Großteil der meinungsbildenden Zunft zum Jahreswechsel.
 
Hierzu zählt der vom Springer-Konzern auf den Chefsessel des SPIEGEL gewechselte Nikolaus Blome. Der wirtschaftspatriotische Zweckoptimist beklagte letztes Jahr in einem Kommentar (‘Die verwehte Chance’; SPIEGEL 31/2014) die Lethargie der Deutschen nach dem Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft. Die Welt warte gespannt, was die Deutschen aus ihrem goldenen Moment machten. Vermutlich könne sie lange warten.
 
Blome bemängelt die träge Verfasstheit einer Gesellschaft, die Bemerkenswertes leisten könne, jedoch nicht mit sich im Reinen sei. Vor gut 10 Jahren hätte Deutschland in Europa die rote Laterne gehabt, doch dann Reformen durchgeführt. mit soviel Erfolg, dass andere Staaten längst bemüht seien, davon zu lernen. Inzwischen sei leider der Begriff ‘Reform’ verfemt. Eine ‘schwere Hypothek’, findet Blome. Er spielt hier auf die Agenda-Reformen an, welche die Bedingungen für Millionäre verbesserten, während sie die von Millionen verschlechterten. Darauf soll die Nation doch bitte stolz sein. Sie ist nun Exportweltmeister, ein Riese, doch dieser gebärde sich unverständlich zwergenhaft.
 
Derartige Ansichten entstammen selbst der Zwergperspektive, die für sich den Gesamtüberblick beansprucht. Gern führt sie sich dabei schulmeisterlich auf. SPIEGEL-Schulmeister Blome von Springers Gnaden moniert, die Deutschen hielten ihre Gesellschaft für viel ungerechter, als sie tatsächlich sei. Sie glaubten, der Anteil jener, ‘die im unteren Siebtel der Einkommensverteilung zurecht kommen müssten’, sei deutlich höher und die Mittelschicht viel kleiner, als sie wirklich ist. Auch dieses ‘Zerrbild’ sei ‘alarmierend’.
 
Fragt sich nur, auf wessen Seite sich das Zerrbild befindet. Im Gegensatz zu Blome ist vielen in der Bevölkerung die auseinander klaffende Schere in der Verteilung von Einkommen und Vermögen offensichtlich nicht entgangen. Die Zahl derer, die trotz allem Boom immer schlechter über die Runden kommen, wächst beharrlich. Offiziell gelten inzwischen über 15 % der Bevölkerung als ‘armutsgefährdet’. Also etwas mehr als jede/r Siebte.
 
Ein Siebtel, das liest sich als Kinkerlitzchen, als zu verharmlosende Bagatelle, was ist das schon? Antwort: In absoluten Zahlen, die ein Blome lieber nicht nennt, weil sie nicht so blomig klingen: Über 11 Millionen Menschen. So viele sind einkommensmäßig an den äußersten Rand gedrängt. Dieser Rand ist ganz schön breit. Gemessen am gesamten Reichtum Deutschlands ist er skandalös breit. Und er drückt mächtig nach innen, dieser breite Rand. So mächtig, dass mindestens ein Drittel der Bevölkerung mit Geldsorgen zu kämpfen hat. Viele Monats-Budgets sind bereits überstrapaziert, wenn unerwartet der Kühlschrank oder die Waschmaschine den Geist aufgeben. Die ‘gefühlte’ Ungerechtigkeit der Bevölkerung hat also durchaus ihre Berechtigung. Sie ist so berechtigt wie die neoliberalen, protzpatriotischen blomigen Vorhaltungen an Überheblichkeit nicht zu überbieten sind. (PK)
 
Harald Schauff ist Redakteur der Arbeits- Obdachlosen- Selbsthilfe- Mitmach-Zeitung "Querkopf" die monatlich in Köln erscheint, dort auf der Straße verkauft wird und von der wir diesen Text mit Dank übernommen haben. Mehr Informationen http://www.querkopf-koeln.de/
 
 


Online-Flyer Nr. 493  vom 14.01.2015



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