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Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

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Krieg und Frieden
Horst Teltschik und Antje Vollmer: Bock oder Gärtner?
Irritierender Friedensappell
Von Wolfgang Effenberger

Der von über 60 Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Kultur erstunterzeichnete Appell "Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!" richtet sich an die Bundesregierung, an die Bundestagsabgeordneten und auch an die Medien. Initiiert wurde der Appell parteiübergreifend vom früheren Kanzlerberater Horst Teltschik (CDU), dem ehemaligen Verteidigungsstaatssekretär Walther Stützle (SPD) und der früheren Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer (Grüne). Gefolgt sind ihm inzwischen noch zahlreiche echte FriedensfreundInnen.

Horst Teltschik
Quelle: wikipedia
 
Zur Motivation für den Appell sagt Horst Teltschik: "Uns geht es um ein politisches Signal, dass die berechtigte Kritik an der russischen Ukraine-Politik nicht dazu führt, dass die Fortschritte, die wir in den vergangenen 25 Jahren in den Beziehungen mit Russland erreicht haben, aufgekündigt werden"(1). Das klingt aus dem Mund eines in der Wolle gefärbten Transatlantikers (Atlantikbrücke Atlantische Initiative, Aspen Institut, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik DGAP) doch recht überraschend, zumal er in den Jahren 1999 bis 2008 die „Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik“ organisierte und leitete.
 
Wo blieb 1999 sein Aufschrei gegen den völkerrechtswidrigen Jugoslawienkrieg? Nachdem die serbische Seite den Vertrag in Rambouillet unterschreiben wollte, verbanden damals der deutsche Außenminister Fischer und die US-Außenministerin Albright den Vertrag mit einem Ultimatum: Der „Annex B“ verlangte, dass Jugoslawien ein NATO-Protektorat werden sollte. Im Weigerungsfall wurde die Bombardierung angedroht.
Vor diesem Hintergrund wirkte es fast schon zynisch, wenn Teltschik als Beirat der „Atlantischen Initiative“ sich für eine Verteidigung der „gemeinsamen Interessen und Wertvorstellungen des Westens“ einsetzte. Der Lohn blieb nicht aus: Im Rahmen eines Festaktes im Bundesministerium der Verteidigung wurde Herrn Prof. Dr. h.c. Horst Teltschik von Karl-Theodor zu Guttenberg (Atlantiker und Mitglied im European Council on Foreign Relations) am 16. November 2010 die Manfred-Wörner-Medaille verliehen. Seit Anfang der Ukraine-Krise spielt sich Teltschik in allen möglichen Talkshows in den Vordergrund, übrigens ähnlich wie Ex-NATO-General Kujat, betont seine Verdienste für die Wiedervereinigung und zeigt partielles Verständnis für die russische Position.
 
Ähnlich ist es bei Antje Vollmer. In einem Beitrag von DeutschlandradioKultur heisst es:
„Die grüne Politikerin und Theologin Antje Vollmer ist verärgert, dass sich einige ihrer Parteikollegen widerstandslos der Kriegslogik anschließen. Und auch sonst seien pazifistische Einstellungen in der Öffentlichkeit Mangelware. Warum nur?“(2)
 

Antje Vollmer
Quelle: wikipedia
Diese Frage müsste Antje Vollmer, von 1994 bis 2005 Vizepräsidentin im Deutschen Bundestag, eigentlich selbst beantworten können. Ist sie nicht mitverantwortlich, dass aus den Grünen eine Kriegsbefürworterpartei geworden ist? Warum hat sie 1999 nicht die Lüge von Rambouillet, die die Fahrkarte in den Krieg bedeutete, rechtzeitig aufgedeckt. Bis heute hat sie eine öffentliche Aufarbeitung dieses von den Grünen mit angezettelten völkerrechtswidrigen Angriffskriegs gescheut. Als Vizepräsidentin des Bundestages hat sie am 5. Mai 1999 zugelassen, dass der Abgeordnete Fred Gebhardt (PDS) nach seiner Aussage über den Annex B „Es war Erpressung, ein reiner Kapitulationsvertrag“, nicht vor hämischen Angriffen geschützt wurde.(3)
 
So wundert es nicht, wenn heute der Aufruf vehement von der Grünen-Spitze angegriffen wird. Die Co-Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Frau Katrin Göring-Eckardt – bis September 2013 war sie zudem Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland – hat am 9. Dezember 2014 unter der Überschrift „Kein deutscher Sonderweg zu Putin“ wider den Relativismus des Aufrufs "Nicht in unserem Namen" gewettert: „Entspannung mit Russland kann es nur geben, wenn dort Demokratie und Freiheit wachsen“(4). Auf diesem Weg scheint ein notwendiger „Regime Change“ nicht ausgeschlossen. Bereit steht Chodorkowski als postrevolutionärer Übergangspräsident.(5) Für die Transatlantikerin (Mitglied der Atlantikbrücke) sind Sanktionen nur Teil der Diplomatie. Schon am 13. Oktober 2014 hat Frau Göring-Eckardt eine UN-Militärmission gegen die Terrorgruppe "Islamischer Staat" unter Beteiligung der Bundeswehr gefordert. Im Hinblick auf die Kämpfe um die nordsyrische Stadt Kobane sagte sie, Deutschland müsse bei den Vereinten Nationen initiativ werden und sich für "ein robustes Mandat" einsetzen. Der IS sei "nur militärisch zu bekämpfen"(6). Nun ist es soweit: Die Bundesregierung will bewaffnete Bundeswehrausbilder in den Nordirak schicken.(7)
 
So wundert es nicht, dass auch bei anderen Mitgliedern der Grünen-Führungsregie der Friedensappell auf massiven Widerspruch stieß. Für den in atlantische Netzwerke fest eingebundenen Parteichef Cem Özdemir, Komplize von Joschka Fischer im „European Council on Foreign Relations“, richtet sich der Appell an die Falschen: „Es ist Russlands autoritärer Herrscher Putin, der ein neues Wettrüsten auslöst, seine Nachbarn bedroht und besetzt und im eigenen Land Jagd auf Andersdenkende machen lässt.“(8) Geradezu entsetzt über den Aufruf ist Rebecca Harms, die Fraktionschefin der Grünen im Europaparlament. Sie hält den Aufruf für eine politisch-intellektuelle Zumutung. Bei den Autoren sei eine „Mischung aus Undifferenziertheit und Voreingenommenheit“ festzustellen.
 
In dieser Front findet sich auch der Alpha- und FAZ-Journalist Klaus-Dieter Frankenberger. Dieser umtriebige Transatlantiker hat sich speziell auf Gerhard Schröder eingeschossen. Unter dem Titel „Russland-Politik Schröders Gedächtnisschwund“ stellt Frankenberger die Frage: „Will sich der Putin-Freund verspätet von eigenen Positionen distanzieren?“(9)
 
Heribert Prantl hat seinen SZ-Kommentar mit „Debatte um andere Russlandpolitik - Brennende Sorge“(10) überschrieben. Unweigerlich kommt die Enyzklika von Papst Pius XI. „Mit brennender Sorge“ in Erinnerung. Hier warnte Pius am 14. März 1937 vor den Gefahren der Hitler-Diktatur. Wollte hier Prantl eine Parallele zu Putin ziehen? Wie dem auch sei, die Sorge um die Entwicklung zwischen NATO-EU und Russland ist berechtigt.
Prantl hebt hervor, dass in dem Aufruf die russische Annexion der Krim durchaus als völkerrechtswidrig verurteilt wird; spricht von Namen, die gewichtig sind, und von der Sorge um den Krieg, die Gewicht hat. Hier hätte es ihm und den Autoren des Aufrufs gut angestanden, auch auf das „Andere Amerika“(11) zu verweisen, z.B. auf die Anfang 2014 erschienen die Memoiren des ehemaligen CIA-Chefs und Verteidigungsministers unter Bush und Obama, Robert M. Gates. Gates kritisiert darin scharf die US-Außenpolitik seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, die er selbst in hoher Position mittragen musste. Nach Gates Einschätzung haben die USA die Chance zur Friedenspolitik nach dem Kalten Krieg nicht genutzt, sondern im Gegenteil mit der Eingliederung ehemaliger Ostblockstaaten in die NATO Russland in die Enge getrieben. Im Falle von Georgien und der Ukraine spricht er sogar von einer „monumentalen Provokation“(12) Russlands. 
 
In der September/Oktober-Ausgabe 2014 der CFR-Hauspostille „Foreign Affairs“ erschien ein Artikel des US- Politikwissenschaftlers John J. Mearsheimer. Das Council on Foreign Relations (CFR) zählt neben dem Brookings Institut, der Carnegie Stiftung und dem Chatham House zu den vier weltweit führenden privaten Think Tanks und hat die Aufgabe, über die Parteien hinaus für eine Kontinuität in der amerikanischen Außenpolitik zu sorgen. In seinem Artikel “Why the Ukraine Crisis Is the West’s Fault”(13) („Warum die Ukraine-Krise die Schuld des Westens ist“) erklärt Mearsheimer auf 13 Seiten (!) warum nicht Russland, sondern die USA und die EU hauptverantwortlich für den eskalierenden Ukraine-Konflikt sind.(14) Diese Sichtweise wird von dem Aufruf völlig negiert und lässt beim kritischen Leser Zweifel aufkommen und Fragen nach der Motiven stellen. Bei einigen Unterzeichnern des Aufrufs dürften die Bedenken begründet sein. Stutzig macht auch der Umstand, dass ausgewiesene Friedensfreunde - hier sei an Egon Bahr erinnert - sowie ein ganzes Geistesspektrum der schreibenden Zunft – die sogenannten Linksintellektuellen – fehlen? Ist der Aufruf mit seiner zurückhaltenden West-Kritik nur als Alibi für unsere "funktionierende" Demokratie gedacht? Oder eine Täuschung der Öffentlichkeit ähnlich wie Obamas Untersuchung der Foltervorwürfe gegen die CIA unter G.W. Bush, die uns weismachen soll, dass unter Obama alles genau anders ist?
 
Dagegen scheint das Verhalten der Großmedien, voran ARD + ZDF und aller „Qualitäts“- Zeitungen und -Magazine, zu sprechen, die den Aufruf mehrheitlich einfach negieren und damit sogar gegen ihre gesetzliche und berufsmäßige wie moralische Informationspflicht verstoßen. Nachdem zunächst in der Redaktion der ZEIT unter dem Protegé von Josef Joffe, dem „Starkarriereparvenü“ Giovanni di Lorenzo, Gallebrühe gegen den Aufruf gebrodelt hatte, veröffentlichte zeit-o n l i n e am 9. Dezember einen zustimmend-würdigenden Pro-Kommentar vom früheren "Zeit"-Herausgeber und ehemaligen Alphajournalisten Theo Sommer, den nach dem Jugoslawienkrieg „Kriegs“minister Scharping mit dem Ehrenkreuz der Bundeswehr in Gold ausgezeichnet hatte.
 
Alles in allem setzt der Aufruf jedoch ein hoffnungsvolles Zeichen. Und warum sollte man einen dem Frieden dienenden Appell, auch wenn er von konservativen bis neoliberalen Transatlantikern mit unterschrieben wurde, nicht unterstützen? Mit Herzog, Dohnanyi, Schily, Grün, Diepgen, Jörges, Luitpold für Frieden mit Russland – das könnte doch schon eine Art Wende sein, oder? Auf die Propagandisten in manchen Redaktionen der „Qualitätsmedien“ dürfte es vielleicht doch einen kleinen Eindruck machen. Also, trotz aller Irritationen: Im Zweifelsfall für den Frieden! (PK)
 
 
(1) http://www.zeit.de/politik/2014-12/aufruf-russland-dialog [8.12.2014]
(2) http://www.deutschlandradiokultur.de/krieg-und-krise-pazifismus-jetzt-erst-recht.1005.de.html?dram:article_id=300098 [8.12.2014]
(3) Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 14/38 vom 05.05.1999
(4) http://www.zeit.de/politik/deutschland/2014-12/russland-putin-westen-aufruf-katrin-goering-eckardt [8.12.2014]
(5) Jens Berger: Chodorkowski ruft zur Revolution auf, vom 10. Dezember 2014 unter http://www.nachdenkseiten.de/?p=24220 [11.12.2014]
(6) http://www.tagesschau.de/inland/goering-eckardt-bundeswehr-kobane-101.html
 [13.10.2014]
(7) Severin Weiland: Bewaffnete Bundeswehrsoldaten im Irak: Deutschlands nächster Einsatz, unter http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswehr-mission-im-irak-regierung-gegen-verfassungs-neuauslegung-a-1007926.html
(8) http://www.mz-web.de/politik/promi-kampagne--wieder-krieg-in-europa---scharfe-kritik-an-aufruf-zu-anderer-russland-politik,20642162,29262140.html [11.112.2014]
(9) http://www.faz.net/aktuell/politik/russland-politik-schroeders-gedaechtnisschwund-13306441.html [6.12.2014]
(10) http://www.sueddeutsche.de/politik/debatte-um-andere-russlandpolitik-brennende-sorge-1.2256375 [11.12.2014]
(11) Vgl. Wolfgang Effenberger/Willy Wimmer: Wiederkehr der Hasardeure, Höhr-Grenzhausen 2014
(12) Gates, Robert M.: Duty: memoirs of a Secretary at war. New York 2014, S. 157 f.
(13) John J. Mearsheimer: Why the Ukraine Crisis Is the West’s Fault The Liberal Delusions That Provoked Putin From our, in Foreign Affairs, Ausgabe September/October 2014 unter http://www.foreignaffairs.com/articles/141769/john-j-mearsheimer/why-the-ukraine-crisis-is-the-wests-fault [4.12.2004]
14 Wolfgang Effenberger: Kalter Krieg war gestern – Krieg ist heute, unter http://www.anderweltonline.com/politik/politik-2014/kalter-krieg-war-gestern-krieg-ist-heute
 [6.12.2014]
 
Wolfgang Effenberger (geb. 1946) erhielt als Pionierhauptmann bei der Bundeswehr in der Zeit des Kalten Krieges tiefere Einblicke in den Irrsinn hochgerüsteter Militärapparate. Als erklärter Fachmann für geopolitische Fragestellungen und Autor mehrerer Bücher setzt er sich heute engagiert für den Frieden ein. „Auch vor 1914 gab es – wie heute – Kriegstreiber und Mahner, die recht genau antizipierten, dass dieser Krieg eine ganz andere Dimension haben wird. Feindbildpflege war ... ebenso üblich wie jetzt und führte dazu, dass die Wahrnehmung von ,Kriegsschuld' lange getrübt war. Dem setzt Effenberger eine vielschichtige Betrachtung entgegen, die er stets mit aktuellen Bezügen, die wir etwa vom Irakkrieg her kennen, nachvollziehbar macht.“ (Alexandra Bader auf „Ceiberweiber.at“, 16. Okt. 2014)


Online-Flyer Nr. 490  vom 24.12.2014

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