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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Globales
Mitten in der deutschen Ukraine-Hysterie: Eine denkwürdige Reise
LINKER Ukraine-Bericht an Lammert
Von Ulrich Gellermann, Wolfgang Gehrcke und Andrej Hunko

Die Bundestagsabgeordneten Wolfgang Gehrcke und Andrej Hunko von der LINKEN waren mehrere Tage in der Ukraine. Anders als das offizielle Deutschland und seine angeschlossenen Medien haben die beiden nicht nur mit den West-Ukrainischen Autoritäten gesprochen, sondern auch mit Vertretern der Ost-Ukrainischen Flüchtlinge und der Ost-Ukrainischen Autonomie-Bewegung (im Bericht "Rebellen" genannt). Im Ergebnis dieser Reise legen sie dem Parlament einen Bericht vor.
 
 
Zwar darf man davon ausgehe, dass der Bundestagspräsident, dem der Bericht der beiden Abgeordneten übergeben wurde, lesen kann. Aber dieses Lesen wird eher folgenlos bleiben. Deshalb geben wir diesen Bericht mit Unterstützung des Autors der RATIONALGALERIE, Ulrich Gellermann, auch an die LeserInnen der NRhZ weiter:
 
"Die Bundestagsabgeordneten Wolfgang Gehrcke und Andrej Hunko führten in der Ukraine und im russischen Gebiet Rostow am Don Gespräche
 
- im ukrainischen Außenministerium,
- in der deutschen Botschaft,
- mit ukrainischen Linken inklusive der Kommunistischen Partei der Ukraine,
- mit Vertretern der Partei „Udar“ (Vitalij Klitschko) in Odessa,
- mit Vertretern der Verwaltung in Odessa – Stadt und Gebiet,
- mit Vertretern der OSZE-Mission in der Ukraine und
- mit Vertretern territorialer Verwaltungen im Gebiet Rostow am Don.
Erstmals (!) sprachen Abgeordnete des Bundestages mit
- Flüchtlingen, die aus der Ost-Ukraine nach Russland geflohen sind,
- Vertretern der so genannten Rebellen aus dem Donezk-Gebiet,
- mit Familienangehörigen der am 2. Mai 2014 beim Massaker im Gewerkschaftshaus von
Odessa Ermordeten und
- mit Vertretern der OSZE-Mission in Russland an den beiden Kontrollpunkten an der russisch- ukrainischen Grenze.
 
 
Alle diese Gespräche erlauben uns, ein klareres Bild von der Situation in der Ukraine zu gewinnen und Vorschläge zur Gestaltung der deutschen Ukraine- und Russland-Politik zu unterbreiten.
 
EIN ZUSAMMENLEBEN NICHT MEHR MÖGLICH
 
1. In der Ukraine herrscht Krieg, Bürgerkrieg, der allerdings von außen befeuert wird. Offener Bürgerkrieg in der Ost-Ukraine, vor allem in den Gebieten Donezk und Lugansk mit einer hohen Anzahl von Toten und Verletzten sowie weitgehender Zerstörung der Infrastruktur. Die Bevölkerung leidet und hungert. Die Anzahl der Toten liegt offensichtlich höher als bisher in der Öffentlichkeit bekannt. Die Zahlen werden von beiden Seiten als Teil der Propaganda eingesetzt.
Nach Aussagen der Vertreter aus Donezk haben durch die Angriffe der ukrainischen Armee inklusive der sogenannten Freiwilligenbataillone um die 5.000 Zivilisten in den Volksrepubliken ihr Leben verloren und bis zu 30.000 Armeeangehörige sind umgekommen. Das Gebiet zwischen Donezk und Lugansk wird von unterschiedlichen Rebellengruppierungen gehalten, während in Donezk und Lugansk jeweils zentrale Kommandostrukturen entstanden sind. „Ein Zusammenleben ist nicht mehr möglich“, hörten wir vielfach als Konsequenz aus den Ereignissen.
 
2. Krieg herrscht auch dort, wo er nicht im Krieg der Armee gegen Aufständische und Bevölkerung stattfindet und sich in den Köpfen und in einem aggressiven politischen Klima niederschlägt. Die Aussage des ukrainischen Präsidenten Poroschenko über den „totalen Krieg“, auf den man sich vorbereiten müsse, schafft ein Klima des Krieges auch in anderen Gebieten, in denen nicht gekämpft wird, zum Beispiel in Odessa. Mit „Krieg“ wird das Massaker im Gewerkschaftshaus von Odessa am 2. Mai 2014, die Bekämpfung linker Ideen, die antirussische Hysterie erklärt und gerechtfertigt. Der Kriegszustand im umfassenden Sinne ist die aktuelle zusätzliche Spaltung des Landes. Die Ukraine ist mehrfach gespalten:
 
- territorial in Ost und West,
- vertiefte soziale Spaltungen,
- kulturell und
- ideologisch.
 
Die Spaltungen vertiefen sich in einer Dramatik, dass die Frage, ob der staatliche Zusammenhalt der Ukraine aufrechterhalten werden kann, nur auf der Basis von weitgehenden föderalen Regelungen und Versöhnungsprozessen beantwortet werden kann. Diese gehen über das Minsker Protokoll hinaus und über sie muss rasch verhandelt werden.
 
Den Realitäten ins Auge sehen
 
3. Die westliche Ukraine-Politik weigert sich beharrlich, Realitäten wahrzunehmen. Es ist eine Realität, dass sich im Donbass, auch mit Hilfe aus Russland, eine neue politische Macht etabliert hat. Die Weigerung, diese Macht zur Kenntnis zu nehmen und mit ihr zu verhandeln, führt einerseits zur Radikalisierung auf Seiten der „Rebellen“ und ermuntert andererseits die Kiewer Führung, weiter und verstärkt auf die militärische Karte zu setzen. Die LINKE sollte diesen Zirkel der Blindheit durchbrechen. Realitätsverweigerung kommt auch in der ständigen Wiederholung der Phrase, dass das Problem des faschistischen Einflusses mit der Wahlniederlage von Svoboda geregelt wäre, zum Ausdruck. Wahr ist hingegen, dass der Ungeist des Faschismus und Rassismus bis in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen ist. Es hat zum Beispiel Wahlabsprachen zwischen Svoboda und der Jazeniuk-Partei gegeben. Nazi-Figuren üben wichtige Staatsfunktionen aus, zum Beispiel die des Polizeipräsidenten von Kiew.
Das politische Klima ist aggressiv nationalistisch und antirussisch, auch in den Parteien von Poroschenko und Jazeniuk. Die USA schüren die Westbindung der Ukraine in aggressiver Form. In der Ukraine spricht man von der Partei des Krieges – Jazeniuk – und der Partei des Friedens – Poroschenko. Das ist falsch, aber es gibt gesellschaftlich eine Bewegung des Friedens und eine Bewegung des Krieges. Hier muss sich die Linke in Deutschland als eine Bewegung für Frieden einordnen.

Humanität und soziale Gerechtigkei
 
4. Menschen in den Kriegsgebieten werden mit Waffen getötet, gefoltert, sie verhungern oder sterben mangels Lebensmitteln. Kriegsverbrechen und Missachtung elementarer humanistischer Standards gibt es auf beiden Seiten. Vom Tode bedroht sind Kinder besonders in Lugansk und Donezk. In diese Gebiete sind bisher nur russische Hilfslieferungen gelangt. Die Vorhaltungen, dass sich in den russischen Lastwagen auch Waffen befinden könnten, waren Unsinn. Die Grenze zwischen Russland und der Ost-Ukraine ist über 2.000 km lang und war ursprünglich ohne jede Bedeutung. Sie konnte also jederzeit und an jeder Stelle überquert werden. - Bei Hilfen geht es um Hilfe. Die Versorgung der Flüchtlinge auf russischer Seite ist vom humanitären Standpunkt vorbildlich und wurde auch von der UNHCR gelobt. Wir schlagen vor: Deutschland entsendet je einen Hilfstransport nach Donezk und Lugansk. Die Verabredung dazu treffen Beauftragte des Roten Kreuzes.
 
Darüber hinaus ergreift die Fraktion DIE LINKE eine Initiative, um Geld für Medikamente für die Krankenabteilung eines Waisenhauses zu sammeln. Kinder sterben, weil sie keine Medikamente mehr erhalten können. Wir wollen nicht wegsehen. Die LINKE wird einen Kommunikationspartner in Donezk auf der Ebene einer nicht-staatlichen Organisation dafür gewinnen.
 
Soziale Grausamkeiten
 
5. Der Ukraine stehen Jahre sozialer Grausamkeiten bevor, wenn sie die Vorgaben der EU und des IWF umsetzten will. Dies betrifft die Renten, Löhne und soziale Gerechtigkeit. Die gewerkschaftliche Gegenwehr ist unter den Bedingungen des Krieges schwach, der neoliberale Umbau der Gesellschaft hat rasant Fahrt aufgenommen. Den Menschen wird vorgegaukelt, „noch 9 Jahre“ Schwierigkeiten und dann wird in der EU alles besser. Das Land wird von Oligarchen ausgeplündert wie zuvor. Laut Aussagen des Konsuls in Odessa haben alle Oligarchen den Maidan unterstützt. Die LINKE wird die Ratifizierung der EU-Assoziierungsverträge mit der Ukraine, Moldawien und Georgien aus sozialen und strategischen Gründen ablehnen.
 
6. Die LINKE wird Vorschläge für eine neue Ostpolitik und damit für eine Überwindung der Spaltung Europas unterbreiten. Auch und gerade der Ukraine-Konflikt hat zu einer Renaissance der OSZE geführt. Ein Rückgriff auf die NATO oder gar die Aufnahme der Ukraine in die NATO bedeutet: Ein ukrainischer Antrag für eine NATO-Mitgliedschaft ist eine deutliche Überschreitung einer roten Linie für Russland, das darauf mit der Unterstützung von ‚frozen conflicts‘ reagieren wird. Mit dem Assoziierungsvertrag der EU und seinen Verpflichtungen und mit der Pro-NATO-Entscheidung im Koalitionsvertrag der fünf Parteien in der Ukraine ordnet sich die Ukraine deutlich dem westlichen Bündnis zu. Verbunden mit dem Krieg in der Ost-Ukraine hat dieses Land seinen Charakter als Brücke zu Russland bereits heute verloren bzw. aufgegeben.
 
7. Europäische Sicherheit braucht eine strukturelle Grundlage. Die OSZE könnte solch eine strukturelle Grundlage sein, wenn sie neutral bleibt und nicht vollständig von der NATO überlagert wird. Unsere Gespräche mit den OSZE-Vertretern in der Ukraine und in Russland waren sinnvoll. Ohne Russland wird es keine friedliche Lösung der Ukraine-Krise geben. Minsk war ein wichtiger Schritt und muss verteidigt (in alle Richtungen) und fortgesetzt werden. Auch der Vorstoß von Matthias Platzeck hat positive Debatten ausgelöst. Aber: Die wenigen Dialogansätze wie das Petersburger Forum sind gefährdet. Die aufgeheizte Rhetorik, zu der sich auch die Bundeskanzlerin entschieden hat, ermuntert die Rechtskräfte in der Ukraine und verstärkt die Front in Russland. Der eigene Weg der Linken findet Unterstützung." (PK)
 
Ulrich Gellermann hat uns diesen Bericht von seinem Blog http://www.rationalgalerie.de/kritik/linker-ukraine-bericht-an-lammert.htm
zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. 


Online-Flyer Nr. 488  vom 10.12.2014

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