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Kommentar
Die IS-Debatte: Zwischen Heuchelei und Schlaubergerei
Kobane retten - Mit Syrien reden!
Von Ulrich Gellermann

Mach mal Türkei! Das ist eine der gängigen Forderungen deutscher Medien zur Rettung der vom "Islamischen Staat" bedrohten Kurden im syrischen Grenzort Kobane. Mach mal UNO, lautet die Forderung der GRÜNEN-Chefin Göring Eckardt, wenn es um den Kampf gegen den IS und die Verteidigung der Stadt Kobane geht. Dieser bestenfalls naiven Forderung haben sich Abgeordnete der Linkspartei angeschlossen. Dass Kobane in Syrien liegt, dass dort immer noch eine Regierung im Amt ist, die man mal fragen müsste, wenn man militärisch auf ihrem Gebiet agiert, dass es zur Rettung der Menschen in Kobane und anderswo sinnvoll wäre, mit dieser Regierung zumindest zeitweilig zu kooperieren, mag den nur scheinbaren Moralisten nicht einfallen.

Erdogan will den Sturz Assads
NRhZ-Archiv
 
Mach mal Türkei: Es sind die selben deutschen Politiker, die heute auf die Türkei setzen, die sich seit Jahrzehnten der türkischen Sprachregelung angeschlossen haben, nach der die PKK (Kurdische Arbeiterpartei) - die aktivste, schlagkräftigste der kurdischen Oppositionsgruppen - terroristisch sei. Kein Wort dieser Heuchler zur erneuten Bombardierung von PKK-Kräften durch die türkische Armee. Keine Rücknahme des Terrorismus-Verdiktes. Auch nur wenige Worte darüber, dass die Türkei eine neo-osmanische Politik gegenüber Syrien betreibt. Herr Erdogan will den Sturz Assads, um sich mindestes ein Stück aus Syrien rauszuschneiden, wenn nicht gar das ganze Land zum Einflussbereich des NATO-Partners Türkei zu erklären.
 
Der deutsche NATO-Partner schweigt auch deshalb so finster, weil er selbst am Regime-Change in Syrien beteiligt ist: Hatte doch der notorische Think-Tank der Bundesregierung, die "Stiftung Wissenschaft und Politik", schon im Juli 2012 rund 50 syrische Oppositionelle nach Berlin eingeladen, um den "Day After" zu beraten, den Tag nach dem Sturz von Präsident Assad. Die Opposition der PKK galt und gilt der Bundesregierung als böse. Die syrische Opposition, weitgehend islamistisch und in ihren bewaffneten Formationen kaum vom IS zu unterscheiden, galt und gilt als gut. Auch deshalb empfand die Merkel jüngst den Chef-Diktator von Katar, Scheich Tamim bin Hamad al-Thani, als "glaubwürdig" und als Verbündeten im Kampf gegen den "Islamischen Staat". Nur zu Erinnerung: Es ist das selbe Katar, dass seit Jahr und Tag, mit freundlicher Unterstützung der USA, brutale islamistische Milizen aller Art in Syrien mit Waffen und Geld versorgt.
 
Mach mal UNO: Das hört sich doch gut an. Die Völkergemeinschaft wendet sich gegen den Völkerfeind IS, und dann ist Frieden und wir alle singen irgendeinen Choral. Mag sich diese oder jener doch bitte erinnern, dass es ein UNO-Ticket war, mit dem die USA in Libyen einen Regime-Change exekutierten, der 50.000 Tote und ein kaputtes Land hinterließ. Auch in Syrien geht es den USA und ihren dumm-gefährlichen deutschen Verbündeten um einen Machtwechsel und darum, den letzten russischen Militärstützpunkt außerhalb des alten sowjetischen Gebietes zu liquidieren. Und es geht natürlich auch um Öl und Gas und überhaupt. Wer die UNO als Schutzschild vor seine Interessen hält, der hält sich für besonders schlau und setzt auf die Vergesslichkeit der Medien-Konsumenten.
 
Diese Schlaumeierei muss auch jene 14 Abgeordnete und Funktionsträger der Linkspartei angetrieben haben, die - hinter dem Rücken der Fraktionsmehrheit und im Bündnis mit der Chefredaktion des "Neuen Deutschland" - einen Aufruf für einen Militäreinsatz in Syrien mit einem UNO-Mandat veröffentlicht haben. Unterschrieben haben die üblichen Verdächtigen vom rechten Rand der linken Partei: Bartsch, Liebig, Pau und wer sonst noch gerade ein taktisches Schlupfloch für die "Regierungsfähigkeit" gefunden und seinen Verstand verloren hatte. Als Oskar Lafontaine in einem Interview die Linkspartei-Schlauberger unmissverständlich an das Programm der Partei und ihre Traditionen als Friedenspartei erinnerte, keimte Hoffnung auf: Die LINKE verbiegt sich doch nicht, dachte man, um kurze Zeit später vom Geschäftsführer der LINKEN, Matthias Höhn, dieser Hoffnung beraubt zu werden. In einer ebenso dummen wie dreisten Erwiderung auf Lafontaine fiel dem ein: "Wir haben dazugelernt und die Mehrheit der Mitglieder will diesen Stil nicht mehr, sondern eine problemorientierte Debatte." Das majestätische WIR soll verbergen, dass Höhn noch keine Mehrheit hat. Und auch, dass er kaum die Geschäfte der Partei führt, sondern nur die seines unbändigen Ehrgeizes.
 
Einfache Lösungen in der Nord-Irak-Syrien-IS-Frage verbieten sich: Nur nach mehr Waffen zu rufen führt nur zu mehr Toten. Auch der Ableger der kurdischen PKK in Kobane (die PYD/ Demokratische Union und ihre "Volksverteidigungs-Einheiten"/ YPG) ist nicht frei von Verantwortung für das Desaster, in dem sich die Menschen der kurdisch-syrischen Grenzregion befinden: Im Rahmen des US-geführten Versuches eines Regime-Change in Syrien war Kobane bereits im Juli 2012 die erste kurdische Stadt in Syrien, aus der die syrische Armee vollständig vertrieben wurde. Noch bis vor kurzem hätte man im Bündnis mit der syrischen Armee dem IS erfolgreich entgegentreten können. Stattdessen gingen die syrischen Kurden ein Bündnis mit der Islamischen Front (IF) ein. Das sind jene islamistischen Anti-Assad Gruppen, die nach der Behauptung der USA "moderat" sind und bewaffnet werden sollen. Human Rights Watch hingegen beschuldigt diese "moderaten" Kräfte organisierter Massaker an der syrischen Zivilbevölkerung. - Nichts ist einfach in dieser Gegend der Welt. Wer den "Islamischen Staat" schlagen und Kobane retten will, der wird mit dem syrischen Präsidenten Assad reden müssen. Schnell! (PK)
 
Diesen Artikel haben wir mit Dank von Ulrich Gellermanns Blog entnommen.
http://www.rationalgalerie.de/home/kobane-retten-mit-syrien-reden.html
 


Online-Flyer Nr. 481  vom 22.10.2014

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