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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Inland
Akademiker und Dichter zogen begeistert in den ersten Weltkrieg
Säbelrasselnde Eliten
Von Harald Schauff

100 Jahre ist es her, da machte sich ein Teil der geistigen Spitze der deutschen Gesellschaft zur Speerspitze: Mit wehender Reichskriegsflagge, fanfarenartigen Tönen und lautem Hurra-Geschrei schritt der Tross der Eliten aus Kultur und Wissenschaft den Armeen voran ins Inferno. Von Nationalismus und Militarismus verblendet, von Idealismus und Heroismus volltrunken rief man zum Waffengang auf, den man als reinen Akt der Selbstverteidigung
empfand.
 

Auch er ein Kriegsfreund: Der
Physiker Max Planck
Quelle: wikipedia
Unlängst hat Klaus Böhme einen Sammelband zu der Thematik heraus gebracht. Titel: "Aufrufe und Reden deutscher Professoren zum ersten Weltkrieg"(Reclam-Verlag, Stuttgart 2014). Ein Bericht der Frankfurter Rundschau empfahl den Band Mitte Juni. Er spiegelt die Kriegsbegeisterung eines Teils der staatstragenden (geistigen) Elite des Wilhelminismus wider.
 
Ins Auge sticht der "Aufruf an die Kulturwelt" vom 4. Oktober 1914, seinerzeit unterzeichnet von 93 Professoren, Malern und Schrift-stellern. Er besteht aus 6 kurzen Absätzen, jeder davon beginnt mit
"Es ist nicht wahr". U.a. heißt es
darin, Deutschland habe die Neutralität Belgiens "nicht freventlich verletzt". „Nachweislich waren England und Frankreich zu ihrer Verletzung entschlossen. Nachweislich war Belgien damit einverstanden. Selbstvernichtung wäre es gewesen, ihnen nicht zuvorzukommen.“
 
Man hat die Neutralität Belgiens also nur verletzt, um sich selbst zu verteidigen, aus "Putativnotwehr". Das Deutsche Reich missachte nicht die Gesetze des Völkerrechts, meint der Aufruf weiter, dann folgt ein denkwürdige Satz: "Sich als Verteidiger europäischer Zivilisationen zu gebärden, haben die am wenigsten das Recht, die sich mit Russen und Serben verbündeten und der Welt das schmachvolle Schauspiel bieten, Mongolen und Neger auf die weiße Rasse zu hetzen.“
 
Eine nationalistische wie unverhohlen rassistische Entgleisung, die man als Vorstufe der NS-Ideologie betrachten kann. Es gilt, das "zivilisierte" Europa = Mitteleuropa und allerhöchstens noch Westeuropa gegen "Untermenschen" aus dem Osten und aus den afrikanischen Kolonien zu verteidigen bzw. gegen die Mächte, welche sich dieser "Untermenschen" bedienen.
 
Weiter heißt es das: "Glaubt uns! Glaubt, dass wir diesen Kampf zu Ende kämpfen werden als ein Kulturvolk, dem das Vermächtnis eines Goethe, eines Beethoven, eines Kant eben so heilig ist wie sein Herd und seine Scholle. Dafür stehen wir euch ein mit unserem Namen und unserer Ehre.“
 
Nationalistisches Besitzdenken vereinnahmt vergangene Geistesgrößen und spricht sie zusammen mit dem Haus- und Grundeigentum heilig. Das hätte besagte Herren zu Lebzeiten garantiert alles andere als begeistert, besonders Kant mit seiner Schrift zum "ewigen Frieden." Genauso an den Kopf fasst man sich, wenn man sieht, wer alles diesen Aufruf unterzeichnete. Es finden sich darunter so bekannte Namen wie Paul Ehrlich (Nobelpreis für Medizin), Fritz Haber (Nobelpreis für Chemie 1919), Ernst Haeckel (Zoologe), Gerhart Hauptmann (Schriftsteller), Engelbert Humperdinck (Komponist), Max Liebermann (Maler), Max Planck (Nobelpreis für Physik 1919), Max Reinhardt (Direktor des Deutschen Theaters Berlin), Wilhelm Röntgen (erster Nobelpreis für Physik) und Wilhelm Wundt (Philosoph und Psychologe). Sie alle schlossen sich der "geistigen Mobilmachung" an und hielten das für selbstverständlich.
 
Zu beachten gilt: Das Militär genoss in den damaligen europäischen Gesellschaften einen hohen Stellenwert, zu Männern in Uniform wurde aufgeblickt. Das machte den Krieg unausgesprochen zum probaten Konfliktlösungsmittel. Dennoch ist die Bedenkenlosigkeit, mit der er begrüßt wurde, erschreckend.
 
Stifte zu Bajonetten, Dichter für den Krieg
 
Auch die poetische Gilde Europas war nicht gefeit gegen die Kriegsbegeisterung. Der flämische Literaturwissenschaftler Geert Buelens gab dieses Jahr dazu einen Sammelband heraus. Titel: "Europas Dichter und der Erste Weltkrieg" (Suhrkamp 2014). Die Frankfurter Rundschau stellte das Buch am 16.6.14 vor als "Pflichtstück zum Thema: Kriegsbegeisterung ist geistiges Versagen." Mit überzogenem Pathos und leidenschaftlicher Verblendung wird der anstehende Waffengang lyrisch bekränzt, der Krieg als Heilmittel angepriesen. „Wir wollen den Krieg verherrlichen, diese einzige Hygiene der Welt“, tönt Marinetti. Georg Heym befindet: „Der Krieg ist aus der Welt gekommen, der ewige Friede hat ihn erbärmlich beerbt.“
 
Beim Exzentriker und Bellizisten (überzeugten Kriegsbefürworter) D’Annunzio können "degnerierte Völker" nur durch Krieg "ihren Niedergang verhindern." Majakowski sieht den Krieg als „Poem. . .von der befreiten und zur Größe erhobenen Seele.“ Der Krieg kann nicht nur der Größe, Freiheit und Reinheit dienen, sondern auch der Gerechtigkeit, meint Charles Péguy in seinem Versepos "Evé": "Selig, die im gerechten Krieg gefallen. Selig das reife Korn, der Ernte Ähren.“ Peguy stirbt später genau so im Graben wie der Brite Charles Sorley, der nüchtern wie treffend festhielt: „So stehen wir uns im Weg und haßentbrannt,/ Fallen wir, Verblendete, uns tödlich an.“
 
Die Erfahrungen an der Front widerlegen brutal alle Schwärmerei. Der Krieg zeigt mehr und mehr seine hässliche Fratze: "Krieg. Alles liegt hinter mir. Hoffnungen, Freundschaft und Liebe“, schreibt August Stramm seinem Verleger Herwarth Walden. In den ersten fünf Kriegsmonaten fallen 11 deutsche Lyriker. Die Russin Anna Achmatowa sieht in ihrem Gedicht "Juli 1914" das Grauen aufziehen: "Schreckenszeiten sind nahe, / Frische Gräber
dicht an dicht!“ Rainer Maria Rilke wird 1915 eingezogen. Er bemerkt: "Warum gibt es nicht ein paar, drei, fünf, zehn, die zusammenstehn’ und auf den Plätzen schreien: Genug!“ Der Portugiese Fernando Pessoa bezeichnet den Krieg 1917 als "Idealbild des philosophischen Irrtums“.
 
Für Karl Kraus sind Dichter, die begeistert in den Krieg ziehen, keine Dichter mehr. Zusammen mit weiten Kreisen der akademischen Eliten versagten sie im Vorfeld geistig angesichts des späteren Grauens auf den Schlachtfeldern. Erst danach wussten die meisten es besser. Davor erreichte der Pazifismus, für den vor allem Bertha von Suttner stand, nur wenige. Ihr seien folgende Verse gewidmet:
 
Zwei Berthas, zwei Kriege
 
Es schrie fordernd ‘Die Waffen nieder’
Bertha von Suttners Friedensroman
Noch lauter sang man Schlachtenlieder
und verschrieb sich ganz dem Heldenwahn
 
Die eine Bertha bald verstummte,
kurz bevor der Weltenbrand begann
Die andere, die dicke, brummte
und zerfetzte herzlos Mann für Mann
 
Die Moral von der Weltkriegsgeschicht’
hat man so gut wie nicht begriffen
Stattdessen wuchs der Bomben Gewicht
Noch schärfer wurd’ das Beil geschliffen
 
Es fällte Abermillionen
Und weiteren stahl es die Heimat
Für wenige tat es sich lohnen
Sie sind noch heute auf dem Kriegspfad
(PK)
 
Harald Schauff ist Redakteur der Arbeits- Obdachlosen- Selbsthilfe- Mitmach-Zeitung "Querkopf" die monatlich in Köln erscheint, dort auf der Straße verkauft wird und von der wir diesen Text mit Dank übernommen haben. Mehr Informationen http://www.querkopf-koeln.de/
 


Online-Flyer Nr. 471  vom 13.08.2014



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