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Globales
Seine Politik: Die syrische Zivilisation des "Zusammenlebens" bis zum Ende verteidigen
Die Metamorphose von Baschar Al-Assad
Von Thierry Meyssan

Seit dem Rücktritt von Fidel Castro, dem Tod von Hugo Chávez und dem Mahmoud Ahmadinedschad auferlegten Verbot, einen Kandidaten bei den iranischen Präsidentschaftswahlen zu präsentieren, hat die revolutionäre Bewegung keinen globalen Führer mehr. Oder besser gesagt, hatte keinen mehr. Jedoch machte die unglaubliche Hartnäckigkeit und Kaltblütigkeit von Baschar Al-Assad aus ihm den einzigen Machthaber der Welt, der einen konzertierten Angriff einer großen kolonialen Koalition unter der Führung von Washington überlebt hat und der von seinem Volk wieder neu gewählt wurde.

Schon bei seinem ersten Treffen mit Baschar Al-Assad erklärte Hugo Chávez, dass dieser der wichtigste revolutionäre Führer der Welt werden würde.
Quelle: Thierry Meyssan
 
Baschar Al-Assad wollte nicht Politik machen. Er wollte Augenarzt werden. Jedoch nach dem Tod seines Bruders Bassel kehrte er von Großbritannien, wo er sein Studium fortsetzte, nach Syrien zurück und sagte zu, seiner Heimat und seinem Vater zu dienen. Zum Zeitpunkt dessen Todes akzeptierte er sein Nachfolger zu werden, um die Einheit des Landes beizubehalten. Seine ersten Regierungsjahre waren ein Versuch, die Zusammensetzung der sozialen Klassen zu ändern, um ein demokratisches System zu ermöglichen, das ihm niemand reklamiert hatte. Geduldig baute er das autoritäre System der Vergangenheit ab und begann die Bevölkerung am öffentlichen Leben teilnehmen zu lassen.
 
Jedoch kaum war er an der Macht, wurde ihm mitgeteilt, dass die Vereinigten Staaten beschlossen hatten, Syrien zu zerstören. So orientierte er seine Präsidentschaft vor allem auf die Stärkung der syrischen arabischen Armee, die Entwicklung externer Bündnisse und versuchte Verschwörungen zu vereiteln. Seit dem Jahr 2005, mit der Kommission Mehlis, musste er die Opposition der ganzen Welt aushalten, die ihn für die Ermordung von Rafik Hariri verantwortlich machte. Es war aber erst im Jahr 2011, als die Kolonialmächte sich gegen ihn persönlich und gegen Syrien zusammenschlossen.
 
Zu seiner großen Überraschung, zu Beginn der Ereignisse, als er eine Delegation des syrischen Dorfs, wo sich die größte Demonstration abgespielt hatte, empfing, hörte er ihre Ansprüche, die einfach die Vertreibung der alawitischen Einwohner der Stadt verlangten. Empört beendete er das Gespräch und beschloss, die syrische Zivilisation des "Zusammenlebens" bis zum Ende zu verteidigen.
 
Während drei Jahren verwandelte sich der schüchterne Arzt in einen Kriegshäuptling. Zunächst fast ausschließlich von seiner Armee unterstützt, dann nach und nach auch von seinem Volk, wurde er mit 88,7 % der abgegebenen Stimmen während des Krieges für eine dritte Amtszeit gewählt, d.h. von 65 % der Wähler. Seine Antrittsrede bringt zum Ausdruck, wie sehr er sich im Laufe der Ereignisse geändert hat [1].
 
Das Ideal, das er hochhielt, ist vorerst jenes des Dienstes der republikanischen Heimat. Er kämpfte, um diese Männer und Frauen zu verteidigen, die man dazu bestimmt hatte, unter der Vormundschaft einer religiösen Diktatur im Dienst des Imperialismus zu leben. Und manchmal kämpfte er für sie, aber gegen ihren Willen. Er kämpfte für sie, trotz der Zweifel, den Sieg davontragen zu können, und war eher bereit für die Gerechtigkeit zu sterben, als ein beschämendes goldenes Exil anzunehmen, welches der "Westen" ihm angeboten hatte.
 
Jedoch kurz zuvor, als die ersten Drohungen aus Washington gekommen waren, haben die Diktatoren Zine el-Abidine Ben Ali und Mubarak sofort aufgegeben, und ihr Land den Händen der Muslimbruderschaft überlassen. Schlimmer noch, der Autokrat Hamad Ben Khalifa Al Thani hatte beim ersten Stirnrunzeln von Barack Obama wie ein gefügiges Kind abgedankt, und zog vor, sein gestohlenes Vermögen zu genießen statt zu kämpfen.
 
Ursprünglich ging es für Baschar Al-Assad darum, den Schlägen des Imperialismus zu widerstehen. Aber als der Sieg näher rückte, kam in ihm der Wille auf, die Weltunordnung infrage zu stellen. Er entpuppte sich als wirklicher Revolutionär, genau wie Hugo Chávez es gespürt hatte, während die Welt ihn noch für einen einfachen „Sohn seines Vaters“ hielt. Und auf dieser Grundlage, und unabhängig von den Verbrechen mancher Politiker, kann er nicht die Verteidigung des palästinensischen Volkes aufgeben, das die israelischen Siedler im Gaza-Streifen massakrieren.
 
Die Revolution von Baschar Al-Assad ist vorerst ein Befreiungskampf gegen den religiösen Obskurantismus, den die Wahhabiten-Monarchien von Saudi-Arabien und Katar in der arabischen Welt verkörpern. Die Revolution beabsichtigt, die freie Entwicklung eines jeden, unabhängig von seiner Religion, zu gewährleisten und behauptet sich daher als säkular, d. h., sie lehnt die religiöse Konformität ab. Sie fordert, dass die Gottgläubigkeit keine besondere Religion unterstützt, sondern die gemeinsame Gerechtigkeit für alle. Tatsächlich befördert sie die Gottgläubigkeit in den privaten Bereich, um daraus eine Quelle der Kraft zu machen, die jedem ermöglicht, gegen einen überlegenen Feind zu kämpfen und ihn gemeinsam zu besiegen.
 
Wie alle diejenigen, die einen Krieg durchgemacht haben, konnte Baschar Al-Assad die Idee nicht dulden, dass die begangenen Schrecken von Bösewichten gemacht würden, die "ihre Zähne in den syrischen Körper pflanzten, Tod und Zerstörung verbreiteten, Herzen und menschliche Lebern verschlungen, abschlachteten und enthaupteten". Das zu akzeptieren, wäre der Verlust aller Hoffnung in die Menschheit gewesen. So sah er auch hinter ihrem Handeln den Einfluss des Teufels, eine Manipulation durch die sogenannten "muslimischen Brüder".
 
Der Name des ’Teufels’ bezieht sich etymologisch auf den doppelten Diskurs, den er praktiziert. Präsident Al-Assad demontierte so das vom amerikanischen Außenministerium entwickelte Motto des "arabischen Frühlings", um die muslimischen Brüder überall in Nordafrika, in der Levante und dem Golf ans Ruder zu bringen. Überall folgte die Unterwerfung unter den Imperialismus der kolonialen Flagge, die der wahhabitischen Monarchie der Senussi in Libyen, die des französischen Mandats in Syrien, und behauptete sich ironischerweise als "Revolution" an Seiten der Tyrannen von Riyad und Doha.
 
Der Krieg war für ihn ein langer persönlicher Weg. Er hat ihn mit seiner Ethik geführt: der "öffentliche Dienst", was die Römer "Republik" nannten, den die Briten aber als eine Chimäre betrachteten, um autoritären Ehrgeiz zu verbergen. Wie Robespierre, "l‘Incorruptible" [der Unbestechliche] hat er verstanden, dass dieser Dienst keinen Verrat duldete, also auch keine Korruption. Wie sein Vater, Hafez Al-Assad, lebt er bescheiden und hütet sich vor dem auffälligen Prunk mancher Handels- und Industrie-Kapitäne, auch wenn sie nahe Bekannte sind.
 
Er wurde ein revolutionärer Führer; der einzige exekutive Leiter der Welt, der einen konzertierten Angriff durch eine große koloniale Koalition unter der Führung von Washington überlebt hat, und der von seinem Volk weithin wiedergewählt wurde. Damit geht er in die Geschichte ein. (PK)

[1] "Discours inaugural du président Bachar el-Assad", par Bachar el-Assad, Réseau Voltaire, 16 juillet 2014.
 
Thierry Meyssan ist französischer Intellektueller, Präsident und Gründer des Réseau Voltaire und der Konferenz Axis for Peace. Er veröffentlicht Analysen über ausländische Politik in der arabischen, latein-amerikanischen und russischen Presse. Letztes, auf Französisch veröffentlichte Werk : L’Effroyable imposture : Tome 2, Manipulations et désinformations (hg. JP Bertand, 2007).
Übersetzung dieses Artikels aus der syrischen Tageszeitung Al-Watan: Horst Frohlich


Online-Flyer Nr. 470  vom 06.08.2014

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