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Kommentar
Der erste Schritt hätte das Ende des Siedlungenbauens gewesen sein müssen
Israel will keinen (gerechten) Frieden!
Von Gideon Levy

Während die große Mehrzahl westlicher Politiker, wie beispielsweise der bayerische Ministerpräsident Seehofer, in stereotyper Weise die dümmlich-bornierte Rechtfertigung des aktuellen Feldzugs der israelischen Führung gegen die Palästzinenser mit den "Raketen der Hamas" verbreitet, ohne auch nur ansatzweise die Vorgeschichte und die Voraussetzungen dafür zu erwähnen, hatte der israelische Journalist Gideon Levy schon kurz vor der jüngsten Bodenoffensive des israelischen Militärs in der Zeitung Haaretz schonungslos die eigentlichen Wurzeln des Geschehens offengelegt:


Diese Montage erhielten wir anonym zugemailt.


Die Idee der Ablehnung liegt in Israels ursprünglichstem Glauben. Zutiefst liegt das Konzept, dass dies Land allein für die Juden bestimmt ist. - Israel wünscht keinen Frieden. Ich habe noch nie etwas geschrieben, über das ich glücklicher wäre, wenn mir bewiesen würde, dass ich unrecht hätte. Aber die Beweise häufen sich. In der Tat kann man sagen, dass Israel niemals Frieden wünschte - einen gerechten Frieden, d.h. einen Frieden, der sich auf einen gerechten Kompromiss für beide Seiten gründet.

Es stimmt, dass der Routine-Gruß auf Hebräisch 'Schalom' ist – 'Schalom' wenn man geht und 'Schalom', wenn man ankommt. Und fast jeder Israeli wird sagen, er wünsche Frieden, natürlich will er das. Aber er bezieht sich nicht auf jene Art von Frieden, der Gerechtigkeit mit sich bringt, ohne die kein Frieden vorhanden ist und kein Frieden entstehen kann. Israelis wünschen Frieden, doch keine Gerechtigkeit, und gewiss nicht solche, die sich auf universale Werte gründet. Also, "Frieden, Frieden, auch wenn es keinen Frieden gibt". Es gibt nicht nur keinen Frieden: in den letzten Jahren entfernte sich Israel sogar von der Hoffnung, Frieden zu schaffen; es hat alle Hoffnungen völlig aufgegeben. Frieden ist von der israelischen Agenda verschwunden - seinen Platz übernahm die kollektive Angst, die systematisch über Persönliches, Privates eingepflanzt wird, das jetzt vor allem anderen den Vorrang hat.

Das israelische Verlangen nach Frieden scheint vor etwa zehn Jahren gestorben zu sein, nach dem Scheitern des Camp-David-Gipfels im Jahr 2000: die Verbreitung der Lüge, dass es keinen palästinensischen Partner für Frieden gibt, und natürlich die entsetzlich blutige Periode der zweiten Intifada. Aber die Wahrheit ist, dass Israel sogar vorher nie wirklich Frieden wünschte. Israel hat niemals, nicht eine Minute, die Palästinenser wie Menschen mit gleichen Rechten behandelt. Es hat deren Leiden nie als verständliches menschliches und nationales Leid gesehen.

Auch das israelische Friedenslager - falls es je so etwas gegeben hat - starb einen langsamen Tod mitten in den gequälten Szenen der zweiten Intifada und der 'Kein-Partner'-Lüge. Alles was übrig geblieben ist, sind eine Handvoll Organisationen, die ebenso entschlossen und bestimmt wie unwirksam angesichts der Kampagnen der Entrechtung bleiben, die gegen sie entfaltet wurden. Deshalb blieb Israel mit seiner Ablehnungshaltung allein übrig.

Israelische Siedlung in besetztem Gebiet
NRhZ-Archiv
Der eine und erschüt-terndste Punkt des Beweises für Israels Zurückweisung von Frieden ist natürlich das Siedlungsprojekt. Von Anfang an hat es nie einen zuverlässigeren oder genaueren Lakmus-Test für Israels wahre Absichten gegeben, als dieses besondere Unterfangen. In klaren Worten: die Siedlungsbauer wünschen, die Besatzung zu festigen und diejenigen, die die Besatzung festigen wollen, wollen keinen Frieden. Das ist die ganze Geschichte: kurz und bündig.

Von der Voraussetzung ausgehend, dass Israels Entscheidungen rational sind, ist es unmöglich, gleichzeitig den Bau in den (besetzten) Gebieten und das Bestehen einer Hoffnung auf Frieden zu akzeptieren. Jeder Akt des Bauens in den Siedlungen, jeder Wohnwagen und jeder neue Balkon vermittelt die Zurückweisung. Falls Israel wirklich Frieden durch die Oslo-Verträge zu erlangen gewünscht hätte, hätte es mindestens mit dem Bau der Siedlungen auf eigene Initiative aufhören müssen. Dass dies nicht geschah, beweist: Oslo war ein Betrug oder bestenfalls die Chronik eines vorausgesagten Scheitern. Falls Israel in Taba, in Camp David, in Scharm El-Scheikh, in Washington oder in Jerusalem hätte Frieden machen wollen, dann hätte der erste Schritt das Ende allen Bauens in den Gebieten gewesen sein müssen. Bedingungslos. Die Tatsache, dass Israel dies nicht tat, ist der Beweis, dass es keinen gerechten Frieden wünscht.

Doch sind die Siedlungen nur ein Beweismittel der israelischen Absichten. Israels Zurückweisung hat viel tiefere Gründe in seinen politischen DNA, seinem Blutstrom, seinem 'raison d'être', seinem ursprünglichen Glauben. Dort, auf tiefstem Grunde liegt das Konzept, dass dieses Land allein für Juden bestimmt ist. Dort, auf dem tiefsten Grund ist der Wert von 'am sgula' – Gottes 'kostbares Volk' und 'Gott wählte uns aus'. In der Praxis wird dies übersetzt und meint, dass in diesem Land Juden alles erlaubt ist, was andern verboten ist.

Das ist der Punkt, von dem alles ausgeht und von da gibt es keinen Weg, um von hier zu einem gerechten Frieden zu kommen. Da gibt es keinen Weg zu einem gerechten Frieden, wenn das 'Spiel' lautet, die Entmenschlichung der Palästinenser zu betreiben. Kein Weg, um Frieden zu erreichen, wenn die Dämonisierung der Palästinenser täglich in die Köpfe gehämmert wird. Jene, die davon überzeugt sind, dass jeder Palästinenser eine verdächtige Person ist und dass jeder Palästinenser 'Die Israelis ins Meer werfen will', werden nie mit den Palästinensern Frieden machen. Die meisten Israelis sind von der Wahrheit beider Darstellungen überzeugt.

Im letzten Jahrzehnt sind die beiden Völker voneinander getrennt worden. Der durchschnittliche junge Israeli wird nie seinen palästinensischen Altersgenossen treffen, es sei denn während seines Armeedienstes (und nur dann, wenn er seinen Dienst in den besetzten Gebieten macht). Noch wird der durchschnittliche junge Palästinenser je einen Israeli seines Alters treffen. Es sei denn den Soldaten, der ihn am Checkpoint stößt und schlägt oder seine Wohnung mitten in der Nacht überfällt oder in der Person eines Siedlers, der sich widerrechtlich sein Land aneignet oder seine Ölbäume anzündet.

Folglich gibt es zwischen den beiden Völkern nur Begegnungen zwischen dem Besetzer, der bewaffnet und gewalttätig ist und dem Besetzten, der verzweifelt ist und dann auch zur Gewalt Zuflucht nimmt. Vergangen sind die Tage, als Palästinenser in Israel arbeiteten und Israelis in Palästina einkauften. Vergangen sind die Zeiten, wo es ein paar Jahrzehnte halbnormale Beziehungen zwischen den beiden Völkern gab, die dasselbe Stück Land teilten. Es ist sehr leicht, unter diesen Umständen die beiden Völker gegeneinander aufzuhetzen und anzustacheln, Furcht zu verbreiten und zu neuem Hass aufzuwiegeln, zusätzlich zu dem, der schon besteht. Auch dies ist ein sicheres Rezept für Nicht-Frieden.

So kam es, dass ein neues israelisches Sehnen hochkam: der Wunsch nach Trennung: 'Sie werden dort sein und wir werden hier (und auch dort) sein.' Zu einer Zeit, in der die Mehrheit der Palästinenser noch Koexistenz wünschte, doch immer weniger – eine Beurteilung, die ich mir erlaube, nachdem ich Jahrzehnte über die Gebiete berichtete - wünschen die meisten Israelis Loslösung und Trennung, doch ohne den Preis dafür zahlen zu müssen. Die Vision der Zweistaatenlösung hat weit verbreitete Beachtung gefunden, aber ohne jede Absicht, sie in die Praxis umzusetzen. Die meisten Israelis sind dafür, aber nicht jetzt und vielleicht nicht einmal hier. Sie sind trainiert worden zu glauben, dass es keinen palästinensischen Partner für Frieden gibt, dass es aber einen israelischen Partner gibt.

Leider ist die Wahrheit fast umgekehrt. Die palästinensischen Nicht-Partner haben nicht mehr die Chance zu beweisen, dass sie Partner sind; die israelischen Nicht-Partner sind davon überzeugt, dass sie selbst Gesprächspartner sind. So begann der Prozess, in dem Israel Bedingungen, Hindernisse und Schwierigkeiten aufhäufte – einen weiteren Meilenstein in Israels Zurückweisung. Zuerst kam die Forderung eines Endes des Terrorismus; dann die Forderung nach einem Wechsel in der Führung (Yasser Arafat als Hindernis) und danach wurde die Hamas die Hürde. Jetzt ist es die palästinensische Weigerung, Israel als 'jüdischen Staat' anzuerkennen. Israel betrachtet jeden Schritt, den es unternimmt – vom Massenarrest politischer Gefangener bis zum Bauen in den Siedlungen – als legitim, wobei aber jeder palästinensische Schritt als einseitig abgesehen wird.

Das einzige Land auf dem Planeten ohne Grenzen ist nicht bereit, wenigstens Kompromissgrenzen zu ziehen, mit denen es zufrieden ist. Israel hat nicht die Tatsache verinnerlicht, dass für die Palästinenser die Grenzen von 1967 die Mutter aller Kompromisse, die rote Linie der Gerechtigkeit (oder relativer Gerechtigkeit) sind. Für die Israelis sind es 'Selbstmord-Grenzen'. Deshalb ist die Aufrechterhaltung der Status quo, das wahre Ziel der israelischen Politik, fast sein Ein und Alles. Das Problem ist, dass die bestehende Situation nicht immer dauern kann. Historisch waren nur wenige Nationen damit einverstanden, ohne Widerstand unter Besatzung zu leben. Und auch die internationale Gemeinschaft wird eines Tages geneigt sein, eine klare Aussprache über diesen Zustand zu äußern, begleitet von Strafmaßnahmen. Das israelische Ziel ist also unrealistisch.

Von der Realität abgeschnitten, verfolgt die Mehrheit der Israelis ihren regelmäßigen Lebensweg. In ihren Augen ist die Welt immer gegen sie, und die Besatzungsgebiete vor ihrer Tür sind jenseits ihres Interesses. Jeder, der es wagt, die Besatzungspolitik zu kritisieren, wird als Antisemit gebrandmarkt. Jeder Akt des Widerstandes wird als existentielle Bedrohung angesehen. Die ganze internationale Opposition gegenüber der Besatzung wird als Delegitimierung Israels angesehen und als eine Provokation für die bloße Existenz des Landes. Die sieben Milliarden Menschen der Welt – von denen die meisten gegen die Besatzung sind – haben unrecht und die sechs Millionen israelischen Juden, von denen die meisten die Besatzung unterstützen, haben recht. Das ist die Realität in den Augen des durchschnittlichen Israeli.

Füge dem die Unterdrückung, die Unterschlagung und die Verworrenheit hinzu, und du hast eine andere Erklärung für die Zurückweisung. Warum sollte jemand für Frieden kämpfen, solange das Leben in Israel gut ist, Ruhe vorherrscht und die Realität verborgen bleibt. Der einzige Weg, die Leute an den belagerten Gazastreifen zu erinnern, sind die von dort abgefeuerten Raketen, und die Westbank kommt nur – wie in diesen Tagen – wenn Blut fließt, auf die Tagesordnung. Ganz ähnlich wird der Standpunkt der internationalen Gemeinschaft nur dann beachtet, wenn diese versucht, Boykotte und Sanktionen anzuwenden. Dies erzeugt dann sofort eine Kampagne über die eigene Opferrolle, die mit unverblümten und - manchmal unverschämten - historischen Anschuldigungen übersät wird.

Dies ist dann das trübe Bild. Es enthält keinen einzigen Hoffnungsstrahl. Der Wandel wird nicht von alleine kommen, nicht mitten aus der israelischen Gesellschaft, solange sich diese Gesellschaft weiter so benimmt. Die Palästinenser haben auch mehr als einen Fehler gemacht, aber ihre Fehler sind marginal. Grundsätzliche Gerechtigkeit ist auf ihrer Seite und grundsätzliche Ablehnung ist Israels Geltungsbereich. Die Israelis wollen die Besetzung des Landes - nicht Frieden.
Ich hoffe nur, dass ich nicht Recht habe. (PK)
Gideon Levy (geb. 1953) lebt in Tel Aviv und arbeitet für die Tageszeitung Haaretz unter anderem als Chefredakteur der Wochenendbeilage. Er gehört zu den wenigen israelischen Journalisten, die über das Leben der Palästinenser unter der israelischen Besatzung berichten, und ist wegen seiner kritischen Berichte, Angriffen seitens der israelischen Leser und Kollegen ausgesetzt. Auf die Zeitung Haaretz wird Druck ausgeübt, Gideon Levy nicht mehr zu Wort kommen zu lassen.
Gideon Levy recherchiert in Palästinensergebieten und ermöglicht so den Israelis einen von der Militärzensur ungetrübten Blick auf die Situation. Er ergreift in seinen Reportagen auch Partei für die palästinensischen Opfer: z. B. berichtete er über den palästinensischen Bauern, der auf seinem Feld von jüdischen Siedlern angeschossen wurde und nun im Rollstuhl lebt; über die Witwe eines Fatah-Führers, der von israelischen Sicherheitskräften liquidiert wurde usw.
Für seine kritische Berichterstattung und seinen Einsatz für einen Frieden im Nahen Osten, wurde Levy mit dem "Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien 2003" der Leipziger Medienstiftung ausgezeichnet.
Titel des Originalartikels: "Israel does not want peace", in: Haaretz, 4. Juli 2014; Quelle für die deutsche Übersetzung: TLAXCALA, 23.07.2014. Den Artikel haben wir mit Dank von http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Israel1/levy-neu.html übernommen.


Online-Flyer Nr. 469  vom 30.07.2014

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