NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

zurück  
Druckversion

Kommentar
Wir können nicht miteinander reden. Wir brauchen Vermittler.
Den Krieg beenden - ein für alle Mal!
Von Uri Avnery

In diesem Krieg haben beide Seiten dasselbe Ziel: Sie wollen der Situation ein Ende setzen, die vor dem Beginn des Krieges geherrscht hat. Ein für alle Mal! Sie wollen dem Beschuss Israels mit Raketen aus dem Gazastreifen ein Ende zu machen. Ein für alle Mal! Sie wollen der Blockade des Gazastreifens durch Israel und Ägypten ein Ende zu machen. Ein für alle Mal! Warum kommen also die beiden Seiten nicht ohne ausländische Einmischung zusammen, um sich auf das Wie-du-mir-so-ich-Dir zu einigen? Das können sie nicht, weil sie ja nicht miteinander reden. Sie können einander töten, aber sie können nicht miteinander reden. Gott bewahre.

Bombenangriff auf Gaza
NRhZ-Archiv
 
DAS IST KEIN Krieg gegen den Terror. Der Krieg an sich ist ein Terrorakt. Keine der beiden Seiten hat eine andere Strategie, als die Zivilbevölkerung der jeweils anderen Seite zu terrorisieren. Die palästinensischen Kampforganisationen in Gaza versuchen ihren Willen durchzusetzen, indem sie israelische Städte und Dörfer mit Raketen beschießen, weil sie hoffen, dass das die Moral der Bevölkerung untergaben und diese dann die Beendigung der Blockade erzwingen werde, die den Gazastreifen zu einem „Freiluftgefängnis“ macht. Die israelische Armee bombardiert die Bevölkerung des Gazastreifens und zerstört ganze Wohnviertel, weil sie hofft, dass die Bewohner (die überleben) die Führung durch die Hamas abschütteln würden.
 
Beide Hoffnungen sind natürlich töricht. Die Geschichte hat immer wieder gezeigt, dass Terrorisierung eine Bevölkerung nur dazu bringt, sich hinter ihre Führer zu stellen und den Feind nur noch stärker zu hassen.
 
WENN MAN von zwei Seiten in einem Krieg spricht, kann man kaum den Eindruck vermeiden, es handele sich um Symmetrie. Aber dieser Krieg ist weit von Symmetrie entfernt. Israel hat eine der größten und effizientesten Militärmaschinen in der Welt. Die Hamas und ihre Verbündeten vor Ort kommen nur auf ein paar tausend Kämpfer oder weniger. Die Analogie, die diesem Verhältnis am ehesten ähnelt, ist die mythische Geschichte von David und Goliath. Aber diesmal sind wir Goliath und sie sind David.
 
Die Geschichte wird im Allgemeinen missverstanden. Es stimmt, Goliath war ein Riese und David ein kleiner Hirte, aber Goliath war mit altmodischen Waffen ausgerüstet – einer schweren Rüstung, Schwert und Schild – und konnte sich kaum bewegen, während David eine neumodische Überraschungswaffe hatte, eine Schleuder, mit der er aus der Entfernung töten konnte.
 
Hamas hat gehofft, dasselbe mit ihren Raketen zu bewirken, deren Reichweite eine Überraschung war. Auch mit der Anzahl und Effizienz ihrer Tunnel, die bis nach Israel hineinreichen. Dieses Mal aber war auch Goliath erfindungsreich und die Eiserne-Kuppel-Raketen-Batterien fingen so gut wie alle Raketen ab, die die Bevölkerungszentren hätten beschädigen können, darunter auch mein Viertel in Tel Aviv. Inzwischen wissen wir, dass keine der beiden Seiten die jeweils andere zur Kapitulation zwingen kann. Es ist ein Unentschieden. Warum also weiter töten und zerstören? Ach, da liegt der Haken. Wir können nicht miteinander reden. Wir brauchen Vermittler.
 
EIN CARTOON in Haaretz in dieser Woche zeigt, wie Israel und die Hamas miteinander kämpfen und ein Haufen Mediatoren im Kreis um sie herumtanzt. Alle wollen mediieren. Sie bekämpfen einander, denn jeder von ihnen will mediieren, wenn möglich allein. Ägypten, Katar, die USA, die UN, die Türkei, Mahmoud Abbas, Tony Blair und noch ein paar andere. Mediatoren haufenweise. Jeder will aus dem Elend des Krieges etwas für sich herausschlagen. Es ist ein jämmerlicher Haufe. Die meisten sind jämmerlich, einige ausgesprochen ekelhaft.
Zum Beispiel Ägypten, das von einem blutbefleckten Militärdiktator regiert wird. Er arbeitet rund um die Uhr mit Israel zusammen, wie es Hosny Mubarak vor ihm getan hat, nur effizienter. Da Israel alle anderen Land- und Seegrenzen des Gazastreifens beherrscht, ist die ägyptische Grenze der einzig mögliche Ausweg Gazas in die Welt.
 
Aber Ägypten, einstmals das führende Land in der arabischen Welt, ist jetzt ein Subunternehmer Israels und entschlossener als Israel selbst, den Gazastreifen auszuhungern und die Hamas zu töten. Ägyptens Fernsehen ist voller „Journalisten“, die die Palästinenser in den gemeinsten Ausdrücken beschimpfen und die vor ihrem neuen Pharao katzbuckeln. Und doch besteht Ägypten jetzt darauf, der einzige Vermittler für einen Waffenstillstand zu sein.  
Der UN-Generalsekretär flitzt umher. Die USA haben ihn für diese Aufgabe ausgewählt, weil er nicht besonders klug ist. Jetzt sieht er erbärmlich aus. Aber nicht erbärmlicher als John Kerry, eine tragische Gestalt, die hin und her fliegt und versucht, alle davon zu überzeugen, dass die USA immer noch eine Weltmacht seien. Vergangen sind die Tage, als Henry Kissinger den Führern Israels und der arabischen Länder befahl, was sie zu tun und zu lassen hätten (besonders, dass sie nur mit ihm und nicht miteinander zu reden hätten).
 
Welche Rolle spielt eigentlich Mahmoud Abbas? Nominell ist er Präsident auch des Gazastreifens. Aber er erweckt den Eindruck, als versuche er zwischen der De-facto-Gazaregierung und der Welt zu vermitteln. Er steht Tel Aviv sehr viel näher als Gaza. Und so geht die Liste immer weiter. Die lächerliche Figur, die Tony Blair macht. Die europäischen Außenminister, die versuchen einen Fototermin mit ihrem neofaschistischen israelischen Kollegen zu ergattern. Alle zusammen sind ein ekelhafter Anblick. Ich möchte meiner Regierung und den Hamas-Führern zurufen: Um Himmels willen kümmert euch nicht um diesen ganzen erbärmlichen Haufen, sondern redet miteinander!
 
DIE KAMPFKRAFT der Palästinenser überrascht alle, besonders die israelische Armee. Anstatt mittlerweile darum zu betteln, weist die Hamas einen Waffenstillstand zurück, bis ihre Forderungen erfüllt seien. Benjamin Netanjahu dagegen scheint eifrig darauf bedacht, die Kampfhandlungen anzuhalten, bevor Israel noch tiefer im Gaza-Morast versinkt, ein Albtraum für die Armee.
 
Der letzte Krieg hatte mit der Ermordung des Hamas-Militärkommandeurs Ahmad al-Jaabari angefangen. Sein Nachfolger ist Israels alter Bekannter Mohammed Deif, den Israel schon mehrere Male zu ermorden versucht hat, wobei es ihm schwere Verwundungen beigebracht hat. Es sieht jetzt so aus, als sei er weit fähiger als sein Vorgänger: Das Netz von Tunneln, die Produktion weit effektiverer Raketen, die besser ausgebildeten Kämpfer – alles das weist ihn als kompetenteren Führer aus. (Das ist schon einmal passiert: Wir haben den Hisbollah-Führer Abbas al-Mussawi ermordet und haben an seiner Stelle den weit talentierteren Hassan Nasrallah bekommen.)
Am Ende wird ein irgendwie gearteter Waffenstillstand entstehen. Er wird nicht das Ein-für-alle-Mal-Ende sein. Das ist es nie. Was wird bleiben?
 
DER HASS zwischen den beiden Seiten hat zugenommen. Er wird bleiben. Der Hass vieler Israelis auf Israels arabische Bürger hat beträchtlich zugenommen und es wird viel Zeit nötig sein, um das wiedergutzumachen. Die israelische Demokratie ist schwer getroffen. Neofaschistische Gruppen, die einmal Randerscheinungen gewesen sind, werden jetzt in der Hauptströmung akzeptiert. Einige Minister und Knesset-Abgeordnete sind ausgesprochen faschistisch. Sie werden jetzt von fast allen Führern in der Welt bejubelt und wiederholen wie Papageien Netanjahus abgedroschene Prapagandasprüche. Aber Millionen in aller Welt haben Tag für Tag die schrecklichen Bilder von Verwüstung und Tod im Gazastreifen gesehen.
 
Diese Bilder werden durch einen Waffenstillstand nicht aus den Gemütern gelöscht. Israels ohnehin schon bedenkliche Stellung in der Welt wird sich noch weiter verschlechtern.
Viele Anständige fühlen sich im Land Israel zunehmend unbehaglich. Ich habe viele Äußerungen einfacher Leute gehört, die plötzlich von Auswanderung reden. Die erstickende Atmosphäre im Land, die schreckliche Konformität aller unserer Medien (wobei Haaretz eine glänzende Ausnahme ist), die Gewissheit, dass in Ewigkeit ein Krieg auf den anderen folgen wird – alles das bringt junge Leute dazu, von einem ruhigen Leben mit ihren Familien in Los Angeles oder Berlin zu träumen.
 
In der arabischen Welt werden die Folgen noch schlimmer sein. Zum ersten Mal haben fast alle arabischen Regierungen Israel in seinem Kampf gegen die Hamas öffentlich akzeptiert. Das ist für die jungen Araber allerorten eine beschämende Demütigung. Der Arabische Frühling war ein Aufstand gegen die korrupte, repressive und schamlose arabische Elite. Die Identifikation mit der Not des im Stich gelassenen palästinensischen Volkes war ein wichtiger Teil davon. Was jetzt geschieht, ist vom Gesichtspunkt der heutigen jungen Araber aus sehr viel schlimmer. Ägyptische Generäle, saudische Prinzen, kuwaitische Emire und ihresgleichen in der gesamten Region stehen nackt und verachtenswert vor ihrer jüngeren Generation. Die Hamas-Kämpfer dagegen erscheinen als leuchtende Vorbilder. Diese Wirkung kann zu unser aller Unglück zu einem noch radikaleren Islamismus führen.
 
ALS ICH AN einer Anti-Kriegs-Demonstration in Tel Aviv teilnahm, fragte mich ein netter junger Mann: „OK, nehmen wir mal an, dieser Krieg wäre schlecht, was würden Sie ‚um sechs Uhr abends nach dem Krieg‘ tun?“ (Das ist der Titel eines berühmten sowjetischen Filmes [1944] über den Zweiten Weltkrieg.) Also als Erstes würde ich alle Mediatoren davonjagen und direkte Gespräche mit den Kämpfern beider Seiten in die Wege leiten. Ich würde einer sofortigen Beendigung der Land-, See- und Luft-Blockade des Gazastreifens zustimmen und den Gazanern gestatten, einen anständigen Hafen und einen anständigen Flugplatz zu bauen. An allen Straßen müssten wirksame Kontrollen sicherstellen, dass keine Waffen nach Gaza gebracht werden. Nachdem ich internationale Garantien eingeholt hätte, würde ich von der Hamas fordern, dass sie in angemessenem Tempo schrittweise alle Raketen entfernt und alle Tunnel zerstört, die unter der Grenze hindurchführen. Ich würde ganz gewiss alle Gefangenen aus dem Schalit-Austausch, die zu Beginn der gegenwärtigen Krise wieder verhaftet worden sind, sofort freilassen. Auch eine Verpflichtung, die unter Druck eingegangen worden ist, bleibt eine Verpflichtung, und auch wenn es eine Regierung ist, die betrügt, ist das immer noch hässlich. Ich würde die palästinensische Einheitsregierung anerkennen und die Welt auffordern, sie anzuerkennen, und ich würde freie Wahlen eines palästinensischen Präsidenten und Parlaments unter internationaler Aufsicht nicht behindern. Ich würde mich zur Anerkennung der Ergebnisse, wie sie auch sein mögen, verpflichten. Ich würde sofort aufrichtige Friedensverhandlungen mit einer vereinigten palästinensischen Führung auf der Grundlage der „Arabischen Friedensinitiative“ beginnen. Jetzt, da so viele arabische Regierungen Israel akzeptieren, scheint es eine einzigartige Chance für Friedenserhandlungen zu geben.
Kurz gesagt: Ich würde dem Krieg ein Ende machen.
Ein für alle Mal! (PK)

Uri Avnery, geboren am 10. September 1923 in Deutschland, ist israelischer Journalist, Schriftsteller und Friedensaktivist. Er war in drei Legislaturperioden für insgesamt zehn Jahre Parlamentsabgeordneter in der Knesset. Sein neues Buch „Israel im arabischen Frühling – Betrachtungen zur gegenwärtigen politischen Situation im Orient“ hat einer unserer Autoren für die NRhZ rezensiert. Für die Übersetzung dieses Buches und des hier vorliegenden Artikels aus dem Englischen danken wir der Schriftstellerin Ingrid von Heiseler.
 
 


Online-Flyer Nr. 469  vom 30.07.2014

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE