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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Inland
Bundestagsrede zur 2./3. Lesung des Haushaltsgesetzes am 24.6.14
"Dieser Haushalt verspielt unsere Zukunft"
Von Dietmar Bartsch

In der Allgemeinen Finanzdebatte zur mächtig verspäteten Lesung des Haushaltsgesetzes 2014 vom 24. Juni hat der Bundestagsabgeordnete der LINKEN, Dietmar Bartsch am Morgen eine Rede gehalten, die wir unseren LeserInnen nicht vorenthalten wollen. Wesentlich erscheint uns dabei die Enttarnung der Tricksereien des Bundesfinanzministers, mit denen dieser die Neuverschuldung im Haushalt durch angebliche Neueinnahmen herunterzuspielen versucht und gleichzeitig auf höhere Steuern für die Superreichen weiter verzichtet. Noch schlimmer der Schwindel der Regierungskoalition über die Arbeitsplatzvernichtung und -verschlechterung in den vergangenen Jahren.
 

Dietmar Bartsch
NRhZ-Archiv
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben Ende Juni. Wir beraten den Haushalt für dieses Jahr. Im Juli wird dann der Bundesrat beschließen. Die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt wird wahrscheinlich Ende Juli stattfinden, sodass wir festhalten können, dass es sieben Monate vorläufige Haushaltsführung gab, ohne Investitionen demzufolge und mit vielen Dingen, die nicht gemacht werden konnten. Das ist für das Land mit Sicherheit nicht von Vorteil gewesen.
 
(Beifall bei der LINKEN)
 
Wir konnten hier hoffen: Was lange währt, wird endlich gut. Das ist aber nicht der Fall; denn das ist ein Haushalt der sozialen Spaltung.
 
(Volker Kauder (CDU/CSU): Was?)
 
Dieser Haushalt ist nicht zukunftsgewandt, sondern er verspielt Zukunft.
 
Wir Mitglieder des Haushaltsausschusses hatten teilweise das Gefühl, in der David-Copperfield-Show zu sein. Der Regierungsentwurf von vor einigen Monaten beinhaltete eine Neuverschuldung von 6,5 Milliarden Euro. Es gab dann monatelange Diskussionen zwischen den Fachpolitikerinnen und Fachpolitikern und zwischen den Haushältern, es gab diverse Anträge und auch Veränderungen ‑ teilweise sogar zum Positiven ‑, und am Ende standen dort wieder 6,5 Milliarden Euro. Das ist schon eine Besonderheit. Aber das war Trickserei.
 
Ich will diesen Trick erklären: Die Koalition hat die Zinslasten in einer Nachtsitzung einfach einmal um 1,2 Milliarden Euro reduziert,
 
(Andreas Mattfeldt (CDU/CSU): Sauber durchgerechnet!)
 
und nachdem klar war, dass die Einnahmen aus der Brennelementesteuer nicht wie geplant anfallen werden, hat die Koalition die Steuerschätzung neu interpretiert und gesagt: 1,4 Milliarden Euro neue Einnahmen. Außerdem wurden noch 500 Millionen Euro bei den Bildungsausgaben gestrichen, und in dem Haushalt von Frau von der Leyen wurde eine globale Minderausgabe von 400 Millionen Euro eingestellt. So ist da getrickst worden. Aber: Nicht alle Instrumentarien der Haushaltsplanung sind auch verantwortbar, und nicht jede Operation ist erlaubt.
 
Lassen Sie mich etwas zum Thema „Schulden und schwarze Null“ sagen. Über die schwarze Null wird ganz viel geredet. Ich will kurz und knapp feststellen: Es gibt in dem Haushalt für das Haushaltsjahr 2014 keine schwarze Null, sondern 6,5 Milliarden Euro neue Schulden. Die Schuldenbilanz von Herrn Schäuble seit 2009 lautet 112 Milliarden Euro neue Schulden, und das Ende der Neuverschuldung ist nicht abzusehen. Warten wir jetzt erst einmal den September ab und schauen wir, wie an dieser schwarzen Null gebastelt wird. Die weltweite Zinsentwicklung ist dabei das größte Haushaltsrisiko, das wir haben. Mehr Schuld gegenüber künftigen Generationen hat bisher kaum ein Finanzminister auf sich geladen.
 
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
 
Herr Schäuble, Sie wollen offenbar um jeden Preis mit dem Prädikat „Erster Haushalt ohne Neuverschuldung seit 1969“ aus dem Amt scheiden. Das ist persönlich legitim, und im Übrigen teilen wir das Ziel, dass es keine Neuverschuldung geben soll.
 
(Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Was haben Sie dann dagegen einzuwenden?)
 
Wenn das aber die einzige Richtschnur des politischen Handelns wird, dann ist das schlicht zu wenig. Ihr Weg der Ausgabenkürzungen zulasten der Arbeitenden, der Arbeitsuchenden, der Rentnerinnen und Rentner und der Kranken ist falsch. Das ist ein Haushalt der sozialen Spaltung.
 
(Beifall bei der LINKEN ‑ Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Oh!)
 
Ich will es hier wiederholen, damit es keine Missverständnisse gibt: Ja, wir als Linke sind dafür, dass die Schuldenquote heruntergeht und dass Schuldenabbau betrieben wird. Das ist doch völlig klar. Da, wo wir für Länderhaushalte Verantwortung tragen, kann man übrigens exemplarisch sehen, wie wir agieren. Gucken Sie nur nach Brandenburg: Vier Jahre ohne Neuverschuldung, und sogar die Rückzahlung der Schulden hat begonnen.
 
Ich will den DIHK-Chef Eric Schweitzer zitieren, der Ihnen bei allem Respekt bescheinigt hat:
 
„Bei der Haushaltskonsolidierung kann ich allerdings keine besonderen Leistungen erkennen. Sie erfolgt ausschließlich auf Grundlage der guten Konjunktur.“
 
Wir sagen: Wir brauchen eine andere Einnahmepolitik, wenn wir die Haushalte wirklich konsolidieren wollen.
 
(Beifall bei der LINKEN)
 
Dafür haben wir entsprechende Vorschläge vorgelegt. Schauen Sie sie sich an!
 
Ich will Ihnen noch ein Zitat vortragen:
 
„Die doppelte Aufgabe in Deutschland ‑ die Schulden unseres Landes abzubauen und gleichzeitig vor allem in Bildung und Infrastruktur zu investieren ‑ lässt sich nicht mit dem Wahlversprechen verbinden, gleichzeitig die Steuern zu senken. Sondern im Gegenteil: Wir werden Steuern sogar erhöhen müssen. Nicht alle Steuern für alle, aber einige Steuern für wenige.“
 
Das ist ein hervorragendes Zitat aus dem Wahlprogramm der SPD. Nichts davon ist übriggeblieben. Wo ist denn irgendeine Maßnahme, mit der Sie die Steuern der Vermögenden und Superreichen in diesem Land erhöhen? Null! Fehlanzeige! Und das ist falsch.
 
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
 
Herr Schäuble und Herr Barthle werden sich jetzt gleich feiern und von der wunderbaren wirtschaftlichen Entwicklung, von der Rekordbeschäftigung und von steigenden Löhnen, Gehältern und Renten reden.
 
(Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Zu Recht!)
 
Es wird also ein großes Lob sein.
 
(Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Weltfremd!)
 
Was sind aber die Fakten? Ja, der konjunkturelle Verlauf im ersten Quartal ist besser als in den anderen Jahren. Von Rekordbeschäftigung zu reden, ist angesichts der Arbeitsplatzvernichtung in den letzten Jahren aber nicht zu akzeptieren.
 
(Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Wo haben wir denn eine Arbeitsplatzvernichtung?)
 
Von 2000 bis 2013 ist die Zahl der Vollzeitarbeitsplätze um 1,7 Millionen gesunken. Gleichzeitig ist die Zahl der Teilzeitarbeitsplätze um 2,5 Millionen, die Zahl der Minijobs um 500 000, die Zahl der 1-Euro-Jobs um 100 000 und auch die Zahl der Leiharbeitsplätze gestiegen. Das ist die reale Situation. Ihr Arbeitsplatzaufschwung findet im Bereich der prekären Beschäftigung statt.
 
(Beifall bei der LINKEN)
 
Wenn Sie über steigende Löhne und Gehälter reden, dann will ich Ihnen auch dazu eine Zahl nennen: Die Steigerung der preisbereinigten Reallohnsumme seit 2000 liegt bei sage und schreibe 1,7 Prozent. Donnerwetter! In 13 Jahren ist das ja eine große Steigerung.
 
„Deutschland hat im internationalen Vergleich ein geringes Investitionsniveau.“
 
Das ist ein Zitat von Sigmar Gabriel im Geleitwort zum Jahreswirtschaftsbericht 2014. Der Mann hat recht. Die Investitionen sind in den letzten Jahren immer weiter zurückgegangen: 27,6 Milliarden Euro 2012, 26,1 Milliarden Euro 2013 und 25 Milliarden Euro in diesem Jahr. Der DIW kritisiert, dass die Verkehrsinfrastruktur dabei ist, sich von einem Standortvorteil zu einem Standortproblem zu entwickeln. Nehmen Sie doch wenigstens das zur Kenntnis. Das ist das entscheidende Defizit dieses Haushaltes.
 
Sie investieren zu wenig in die Zukunft. Im Koalitionsvertrag haben Sie 5 Milliarden Euro an zusätzlichen Verkehrsinvestitionen in dieser Legislatur vereinbart. Aber Experten schätzen den Bedarf in jedem Jahr auf über 7 Milliarden Euro. Sie fahren das Land auf Verschleiß. Schauen Sie sich die Brücken an! Schauen Sie sich die Netzstruktur an! Schauen Sie sich die Krankenhäuser an! Die Schlagworte „Haushaltskonsolidierung“ und „Schuldenabbau“ sind irreführend. Das sind in Wahrheit die Schulden für die nächste Generation.
 
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
 
Mit dem Haushalt 2014 werden wichtige gesellschaftliche Herausforderungen nicht angegangen, und selbst Ihre Wahlversprechen und Ihr Koalitionsvertrag werden gebrochen. Die Vermögensungleichheit im Euro-Raum ist nirgendwo größer als in Deutschland. Das ist eine skandalöse Entwicklung.
 
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
 
Weder der ungeheure Reichtum bei wenigen noch die sich immer mehr öffnende Schere zwischen Arm und Reich ist irgendwie vom Himmel gefallen. Das ist Ergebnis Ihrer Politik. Die Bundesregierung verzichtet auf haushaltspolitische Weichenstellungen für mehr Steuergerechtigkeit und für Einkommens- und Vermögensgerechtigkeit in Deutschland. Absolute Fehlanzeige in diesem Haushalt!
 
Die Vertreter der Koalitionsfraktionen haben verkündet, alle Menschen in Deutschland sollen ein gutes Leben führen können. Meinen Sie, dass die 3 Millionen Arbeitslosen in Deutschland ein gutes Leben führen können? Meinen Sie, dass die 900 000 Menschen mit Grundsicherung im Alter oder diejenigen, die diese wegen Erwerbsminderung bekommen, ein gutes Leben führen können? In Deutschland droht nicht Armut; in Deutschland gibt es Armut, und das in unserem reichen Land. Das ist ein Skandal. Da muss man doch als Regierung etwas tun, um das zu ändern.
 
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
 
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Haushalt ist nicht gut für unser Land. Er leistet keinen Beitrag zu mehr sozialer Gerechtigkeit und zu gesellschaftlichem Zusammenhalt. Dieser Haushalt vernachlässigt sträflich Zukunftsinvestitionen für unser Land. Dieser Haushalt ist nicht solide. Die Linke wird diesen Haushalt deshalb ablehnen.
 
Herzlichen Dank.
 
(Beifall bei der LINKEN) (PK)


Online-Flyer Nr. 464  vom 25.06.2014



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