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Globales
Kapitalismus verliert Kraft zur Erneuerung
Wankender Schrotthaufen
Von Harald Schauff

Die Finanzkrise führte vor: Der kapitale Wachstumsriese schwächelt eifrig. Angeschlagen und angezählt, mit schwersten Blessuren übersät, hat er sich wieder aufgerafft und tänzelt weiter durch den Ring. Seine Erfolgsaussichten sind allerdings düster, gleich wie sehr ihm freundlich gesonnene Ökonomen bescheinigen, auf stabilen Füßen zu stehen. Zuletzt bewerteten IWF und WTO die Aussichten der Weltwirtschaft für dieses und kommendes Jahr als rundherum positiv. Sie konstatierten eine voran schreitende ‘konjunkturelle Erholung.’

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Karikatur: Kostas Koufogiorgos
 
Da wollte auch der Erzengel des Wirtschaftsministeriums, Gabriel, nicht hinten anstehen und verkündete, beseelt von wirtschaftsweisem Zweckoptimismus, grandiose Wachstumsprognosen für die deutsche Wirtschaft. Der kapitale Riese lebt, sein Schrottberg bebt. Doch richtig Substanzielles will er nicht mehr abwerfen. Der Schrotthandel blühte schon mal prächtiger und dauerhafter.
 
Auch auf Kostas Vergopoulos, emeritierter Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Paris, macht der Kapitalismus einen eher rostigen denn rüstigen Eindruck. Warum, erläutert er in einem Beitrag der März-Ausgabe der ‘monde diplomatique’ am Beispiel der US-Konjunktur. Diese kommt nicht recht in Schwung. Die Arbeitslosigkeit sank
zuletzt zwar etwas weniger. Doch ist sie nach wie vor hoch für US-Verhältnisse. Auch die Wirtschaftsleistung lässt zu wünschen übrig. Insgesamt sind die Aussichten trübe, wie einige Indikatoren verraten: Seit 30 Jahren sinkt der natürliche, inflationsbereinigte Zins. Die Arbeitsproduktivität nimmt seit 13 Jahren ab. Seit den 80ern verzeichnet die Binnennachfrage Einbußen. Außerdem lässt sich ein Rückgang der Investitionen beobachten. Großunternehmen und Kapitaleigner häufen lieber riesige Vermögensbestände an, anstatt diese in eine Ausweitung der Produktion zu stecken. Vergopoulos nennt dazu Zahlen aus der ‘Financial Times’ vom 22. Januar 2014:
 
Danach hocken amerikanische Unternehmen außerhalb des Finanzsektors auf 2.800 Milliarden Dollar. 150 Mrd. davon nennt allein Apple sein eigen. Das Geld wird gehortet oder dient zu Aktienrückkäufen. Jedoch wird es nicht in neuen Kapazitäten angelegt. Seit den 70er Jahren ist der Anteil immaterieller Vermögenswerte wie Know-how, Patente, Markenimage, Organisation und Vertrieb von einstmals 5 % auf sagenhafte 60 % in 2010 gestiegen. Unfassbar ist auch die Summe, welche die US-Notenbank zwischen 2010 und 2013 in die Wirtschaft pumpte: Fast 4.000 Mrd. Dollar. Großteile davon flossen nicht in den Ausbau heimischer Produktionsstätten, sondern in Spekulationsanlagen, vor allem in den Schwellenländern. Folge: Die US-Wirtschaft verfügt über weniger liquide Mittel als 2008. In Europa schaut es ähnlich aus. Einzig höhere Staatsausgaben helfen aus dieser ‘Liquiditätsfalle’. Ein weiterer entscheidender Faktor sind die Nachfrageausfälle infolge wachsender sozialer Ungleichheit. Die sinkende Nachfrage wird von neoliberalen Ökonomen gern unterschätzt, weil diese das soziale Gefälle als Voraussetzung für Aufschwung und Wohlstand betrachten.
 
Offenbar hat hier US-Präsident Obama mehr verstanden. In seiner Rede zur Lage der Nation vom 29. Januar diesen Jahres erklärte er die soziale Ungleichheit, die sich negativ auf Wirtschaftswachstum und Beschäftigung auswirke, zum ‘Schlüsselproblem unserer Epoche.’ In einem Dokumentarfilm über das wachsende soziale Gefälle in den USA verweist Robert Reich, ehemaliger Arbeitsminister der Regierung Clinton, auf brisante Fakten: 1978 betrug in den USA der Gegenwert eines Durchschnittsgehaltes noch 48.000 Dollar. Seitdem ist er kaufkraftbereinigt auf 34.000 Dollar gesunken. Im Gegenzug ist das Durchschnittseinkommen des reichsten Prozents der US-Haushalte seit 1978 von 393.000 auf 1,1 Millionen Dollar gestiegen. Dieses spitzenverdienende eine Prozent hat in den letzten 5 Jahren 90 % des Wirtschaftswachstums abgeschöpft. Somit blieben den übrigen 99 % der Bevölkerung ganze 10 %. Die 400 reichsten Einzelpersonen besitzen genau so viel an Vermögen wie die 150 Millionen ärmsten US-Bürger.
 
Ähnlich steil war das Wohlstandsgefälle zuletzt in den 20er Jahren. Das Ende vom Lied dieser Ungleichheit war der Börsencrash von 1929. Ebenso wie heute ignorierte man damals bereits den Zusammenhang zwischen der Verarmung einer Bevölkerungsmehrheit und der Schwäche der Wirtschaft. 400 superreiche US-Bürger können niemals dieselbe konjunkturell wirksame Nachfrage entfalten wie 150 Millionen Amerikaner. Die wenigen können unmöglich die ausfallende Kaufkraft der vielen auffangen. Daraus ergibt sich: Je stärker sich Einnahmen
und Vermögen ganz oben an der Spitze konzentrieren, desto mehr sinken die Gesamtausgaben. Der Sparquote und dem Finanzsektor mag dies gut tun. Der Investitionstätigkeit und der Beschäftigung bekommt es ganz übel. Die großen Vermögen werden nicht mehr durch steigende Produktion gemehrt, sondern durch eine zunehmende Abschöpfung des Mehrwerts. Dies erfolgt zu Lasten des Wachstums.
 
So sägt das System, am Ast, worauf es sitzt, sprich an den Grundlagen seiner Reproduktion. Der Neoliberalismus, schließt Vergopoulos, hat dem Kapitalismus kein neues Modell beschert, sondern ihn in die Sachgasse geführt. Der rostende Riese hat sich nicht zum stabilen Stahlkoloss erneuert, sondern wird lediglich von gigantischen Finanzblasen notdürftig am Laufen, besser Schwanken, gehalten. (PK)
 
 
Diesen Beitrag haben wir mit Dank aus der Kölner Arbeits-Obachlosen-Selbsthilfe-Mitmachzeitung Querkopf übernommen, deren Redakteur Harald Schauff ist.


Online-Flyer Nr. 462  vom 11.06.2014

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