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Globales
Nach der Präsidentenwahl in der Ukraine - Frieden in Europa?
«Wir müssen es nur wollen.»
Von Karl-Jürgen Müller

Am 16. und 17. Mai haben zwei Altkanzler der Bundesrepublik Deutschland, Helmut Schmidt (SPD) und Helmut Kohl (CDU), erneut zur Ukraine und zum Verhältnis der westlichen Staaten zu Russland Stellung genommen. Sie haben dies in einer Situation permanenter Eskalation getan – und über die meistgelesene Zeitung in Deutschland.

Oligarch und Wahlgewinner Pjotr Poroschenko
Quelle: Tagesschau
 
Helmut Schmidt kritisierte die Ukraine-Politik der EU. Brüssel mische sich zu sehr in die Weltpolitik ein: «Das jüngste Beispiel ist der Versuch der EU-Kommission, die Ukraine anzugliedern.» Schmidt bezeichnete die weltpolitischen Ambitionen der EU mit deutlichen Worten: «Das ist Größenwahn.» Auf eine Kriegsgefahr angesprochen, äußerte der Altkanzler: «Ich halte nichts davon, einen dritten Weltkrieg herbeizureden. Aber die Gefahr, dass sich die Situation verschärft wie im August 1914, wächst von Tag zu Tag.» Vor allem aber: Zurzeit gebe es «niemanden, der konstruktive Vorschläge zur Zukunft der Ukraine vorbringt».
 
Die Aussagen von Helmut Kohl korrespondieren mit denen seines Amtsvorgängers: «Ich bin voller Sorge über die Entwicklung. Das ist eine sehr ernste Situation. Wir müssen jetzt vor allem schnell miteinander ins Gespräch kommen. Meine Lebenserfahrung sagt mir, dass das auch möglich ist. Wir müssen es nur wollen.»
 
Wir müssen es nur wollen … Dazu gehört es, die Realität, so weit es möglich ist, genau zu erfassen und ernst zu nehmen. Wer zum Beispiel die allgemein zugänglichen Stellungnahmen und Quellen studiert, also nicht nur die westlichen, sondern auch die russischen Medien und die offiziellen Stellungnahmen aus Russland, der erkennt, dass die russische Seite durchweg sachlicher, nicht so polemisch, nicht so aggressiv wie die westliche Seite argumentiert und statt dessen eher defensiv, aber durchaus erhobenen Hauptes und selbstbewusst auftritt. Man lese zum Beispiel die in deutscher Sprache zugänglichen Mitteilungen des russischen Außenministeriums und vergleiche diese mit denjenigen der meisten westlichen Politiker und Amtsträger.
 
Wer die langen Schlangen vor den Abstimmungslokalen im Osten der Ukraine am 11. Mai gesehen, die Menschen genau beobachtet und den Stellungnahmen dieser Menschen, auch gegenüber westlichen Medien, genau zugehört hat, der konnte nur einen Eindruck gewinnen: Diese Menschen haben sich mit großer Ernsthaftigkeit an der Abstimmung beteiligt. Die Reaktionen der Machthaber in Kiew, der Nato und der EU hierauf sind diesen Menschen und ihren Anliegen nicht gerecht geworden. Stattdessen gehen die gewalttätigen Auseinandersetzungen weiter, und besonders alarmierend sind die Berichte darüber, dass die USA schon jetzt mit verdeckten Gewaltoperationen in die inneren Auseinandersetzungen in der Ukraine eingegriffen haben.
 
Nun hat der Vorsitzende der OSZE, auch in Absprache mit dem russischen Präsidenten, einen Runden Tisch vorgeschlagen, an dem alle am Konflikt in der Ukraine Beteiligten Platz nehmen sollen, um die Gewalt im Land zu beenden und zu einer friedlichen Lösung zu kommen. Die Machthaber in Kiew sind bislang nicht bereit gewesen, diesem Vorschlag wirklich zu entsprechen. Und was tut die westliche Politik? Sie nimmt hierzu nicht deutlich Stellung, sondern stellt sich mehr oder weniger hinter die Politik Kiews.
 
Es gibt viele weitere Beispiele, die leider noch immer darauf hinweisen, dass vor allem von westlicher Seite eine Eskalation betrieben wird, mag man auch offiziell immer wieder behaupten, man dürfe den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen, und ein militärischer Weg sei nicht gangbar. Zugleich versucht man, Russland und seinem Präsidenten die Schuld an der Eskalation zuzuschieben. Aber auch hier gilt der Satz, dass man den Menschen nicht auf den Mund, sondern auf die Hände schauen muss, um festzustellen, was sie tatsächlich tun.
 
«Wir müssen es nur wollen», hat Altkanzler Helmut Kohl gesagt. So etwas hätte er nicht gesagt, wenn er den Eindruck gewonnen hätte, dass dies schon der Fall ist. Es sind mahnende Worte wie die von Altkanzler Helmut Schmidt oder – nicht weniger deutlich – von Altkanzler Gerhard Schröder. Was kann man diesen 3 Personen, die Deutschland immerhin 30 Jahre regiert haben, unterstellen? Dass sie keine Ahnung haben? Dass sie verlogene Lobbyisten deutscher Wirtschaftsinteressen sind? Dass sie von Russland abhängig sind? Das ist doch Unsinn! Wenn 3 ehemalige deutsche Kanzler unisono mahnen, dann ist das doch ein Grund, genau hinzuhören und nachzudenken.
 
Wir müssen es nur wollen … Das betrifft nicht nur unsere Politiker, sondern auch jeden Bürger. Die Leitmedien in unseren Staaten sind dabei keine Unterstützung. Das ist offensichtlich. Aber wer stützt sich heute noch darauf?
 
Um den drohenden Ersten Weltkrieg zu verhindern, haben sich in Konstanz am Bodensee anlässlich des damals 500 Jahre zurückliegenden Konstanzer Konzils Persönlichkeiten aus ganz Europa vom 1. bis 3. August 1914 zu einer Internationalen Ökumenischen Friedenskonferenz treffen wollen. Aber da war es schon zu spät. Am 30./31. Juli hatten die Mobilmachungen in Europa begonnen. So lange dürfen wir nicht warten. Helmut Kohl hat Recht. Wir müssen es nur wollen.
 
Diesen Gedanken gilt es zu verbreiten und umzusetzen. Dabei muss aber jeder wissen, um was es sehr wahrscheinlich geht: Russland soll mit allen Mitteln in die Knie gezwungen werden. Nicht wegen all den Dingen, die man in unseren Leitmedien liest, sondern weil Russland stört. Es stört das westliche Projekt «Globalia». Jean-Christophe Rufin, ehemaliger Vizepräsident von «Ärzte ohne Grenzen» und ehemaliger Staatssekretär im französischen Verteidigungsministerium, hat das Szenario in seinem Schlüsselroman schon 2004 sehr treffend beschrieben. Es ist eine finstere Welt mit dem totalen Machtanspruch von vermeintlich Auserwählten, der Glasglocke eines schönen Scheins für nur wenige auf unserem Planeten und einem elenden Kampf ums Überleben für die große Mehrheit. Humanität und Nächstenliebe, Freiheit des Individuums und Selbstbestimmung der Völker, kulturelle Vielfalt und ein friedliches Miteinander der Menschen gibt es da nicht.
 
Der Kreis der Beteiligten am finsteren Werk auf dem Weg nach «Globalia» gibt sich mächtig und hat sich eine Aura der Unantastbarkeit zugelegt. Dazu gehören nicht nur staatliche und wirtschaftliche Akteure und deren Mediensprachrohre, sondern auch Kreise aus den Vereinten Nationen wie Vertreter des Menschenrechtsrates in Genf, die am 15. Mai einen völlig einseitigen Bericht über die Menschenrechtslage im Osten der Ukraine vorgelegt haben. Hinzu kommen die intellektuellen Schreibtischtäter wie Timothy Snyder, der eine entsprechende Konferenz in Kiew organisiert hat und in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» vom 17. Mai erneut seine kruden Thesen vom Faschismus in Russland und den «Rechten» Europas unter Führung des russischen Präsidenten Vladimir Putin ausbreiten konnte.
 
Auch Angela Merkel hat sich hinsichtlich «Globalia» geäußert, selbstverständlich mit vornehmen Worten: «Auch Russland wird sich auf Dauer weder politisch noch wirtschaftlich der Globalisierung entziehen können.» Das sagte sie der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» in einem Interview am 16. Mai 2014. Die Linie derjenigen, die Globalisierung sagen, Unterordnung unter den US-amerikanischen Herrschaftsanspruch meinen und zugleich all denen drohen, die eine andere Entwicklung in der Welt wünschen und anstreben, ist recht lang. Thomas P. M. Barnett zum Beispiel, neo-konservativer Berater des US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld, hat schon vor mehr als 10 Jahren kurz nach der ersten Phase des Irak-Krieges von der «nächsten Runde von Auswärtsspielen des US-Militärs» («Frankfurter Rundschau» vom 25. Juni 2003) gesprochen und dabei auch Russland genannt, schon damals mit großer Überheblichkeit.
 
Diese Überheblichkeit verkennt allerdings, dass die russische Regierung nicht aus Hasardeuren besteht, sondern aus Politikern, die alles tun, um Eskalationen zu vermeiden, zugleich aber auch alle Eventualitäten mitdenken und Vorsorge treffen. Dazu gehört wohl auch die weitere Annäherung zwischen Russland und China und mehr noch der Ausbau der asiatischen Allianzen und der Bestrebungen der dortigen Länder, sich von den USA unabhängig zu machen, zum Beispiel im Rahmen des Projektes der «Konferenz über Zusammenarbeit und vertrauensbildende Maßnahmen in Asien» (CICA), die jetzt in Shanghai getagt und eine beachtliche Schlusserklärung verabschiedet hat. Man findet in deutschsprachigen Medien praktisch keine Hinweise darauf, aber man kann sie in englischer Fassung auf der Webseite des russischen Präsidenten nachlesen. (1)
 
Nun hat die Ukraine versucht, einen neuen Präsidenten zu wählen. Wie vorausgesagt hat der Oligarch Pjotr Poroschenko die Wahlen gewonnen. Wie fair diese Wahlen waren, kann an dieser Stelle noch nicht beurteilt werden. Dem Land zu wünschen wäre eine bessere Zukunft als die Jahre seit 1991. Die Aussichten darauf sind nicht gut. Wegen der Fortsetzung der Macht der Oligarchen. Vor allem aber, weil es den großen Mächten, die Einfluss auf das Land und dessen Politik nehmen, gar nicht um das Wohl der Ukraine geht, sondern um eine weltpolitische Auseinandersetzung. Sicher ist, dass der Aggressor dabei aus dem Westen kommt. (PK)
 
(1) http://eng.news.kremlin.ru/ref_notes/115/print
 
Der Autor ist Berufschullehrer in Konstanz und Mitarbeiter der Redaktion «Zeit-Fragen»


Online-Flyer Nr. 460  vom 28.05.2014

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