NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

Fenster schließen

Kultur und Wissen
Kurzfilmsession, Fotos, Livemusik in der Kölner Galerie Arbeiterfotografie
Zeugen der Revolution der Nelken
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

Umgeben von Klaus Steinigers „Gesichter der Revolution“ bieten sich den Galeriebesucherinnen und -besuchern am Abend des 22. Mai 2014 bewegte Bilder. Einer der vorzustellenden Kurzfilme stammt vom ausstellenden Fotografen und ist ein zehnminütiger Beitrag, "Der Augenzeuge“, aus der DEFA-Wochenschau von 1974. Weitere Filme präsentiert der Düsseldorfer Filmemacher Georg Bender, "Short Cuts", die er 1974-77 als Student der Filmklasse der Düsseldorfer Kunstakademie erstellte. Dazu gibt’s Livemusik von Trafik mit Christian Hinz am Kontrabass und Jan Henin mit Gitarre und Gesang.


Aus dem Film "Cabanas“ von Georg Bender

Der heute 40jährige Musiker, Gitarrist, Sänger und Dichter Jan Henin feierte in diesem Jahr seinen runden Geburtstag – am 27. April 1974 erblickte er das Licht der Welt, das den gelungenen Staatsstreich der revolutionären Truppen MFA im Verbund mit dem Volk in einen Freudentaumel tauchte. Dieser Tag nach dem 25. April, an dem als Startsignal das Lied "Grandola Vila Morena“ erschallte, diese Nacht des 27. April, galt der Befreiung der Gefangenen, die unter der Folterherrschaft des 1926 durch einen faschistischen Putsch mit Hilfe des Klerus an die Macht gelangten Diktators António de Oliveira Salazar gelitten hatten. Der Direktor der verbotenen kommunistischen Zeitung Avante!, Antonio Dias Lourenço, befand sich 17 Jahre in faschistischer Haft. Die Mitglieder des Zentralkomitees der kommunistischen Partei brachten es auf insgesamt 308 Jahre Kerker.

Die Brücke des 25. April

"Ponte – Initiativen in Kunst und Politik – Portugal 1974“ ist der Zwanzigminüter, in dem Georg Bender und seine Produktionskollegin Ina Brandt die weltweit einzig bekannten Aufnahmen der Demontierung der Brückenbeschriftung mit Namen des absolutistischen Staatschefs Salazar dokumentieren. Große Wandlungen vollziehen sich seit April 1974 auch in der Kunst. Künstler wie der Maler Julio Pareira ehren den Volkspoeten Luiz de Camoes, nach dem das heutige portugiesische Kulturinstitut benannt ist. Sie wollen dem Volk eine Identifikationsfigur zurückgeben, die nach ihren Angaben während der Vergangenheit manipuliert und missbraucht wurde. Die revolutionäre Kunstproduktion befreite sich aus der Isolation reproduktiver Stile und Inhalte. "Salazar war der Mann, der Künstler, Arbeiter und Intellektuelle ins Konzentrationslager von Tarafal deportierte“, sagt der Maler, der selbst dort zwei Jahre verbracht hat. Peireira überlegt sich, wie er dessen Portrait darstellen kann.

Zwei Jahre später kommt Georg Bender ins Fischerdorf Cabanas im portugiesischen Süden. Im 32minütigen Dokumentarfilm "Cabanas oder sie haben es auf die Wände gemalt“ begleitet er ein Bauvorhaben, das auf Forderungen der Bevölkerung aus der Revolution hervorgeht. Kunst und Leben wachsen in dieser (nach-)revolutionären Zeit zusammen. „Bei den bildenden Künstlern ist ein starkes Engagement für den Menschen der Gesellschaft zu beobachten,“ stellt der junge Filmemacher fest, wobei der „Weg in die Zukunft gefunden werden soll.“ Er beobachtet die Auseinandersetzung mit der Gegenwart (1977) in realistischer Darstellung.

Der freie Regisseur, Autor und Produzent Georg Bender studierte in der Filmklasse der Kunstakademie und lebt heute in Düsseldorf. Lehraufträge führten ihn nach Duisburg, Bochum, Paderborn und als Gastprofessor an die Kunsthochschule Kassel. Heute leitet der 1942 geborene Filmemacher Workshops an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. In der rheinischen Region hat er sich einen Namen mit Filmprojekten über kulturelle Initiativen mit Bürgerbeteiligung gemacht.

Möglicherweise hat der Cineast und nachhaltige Sympathisant der Nelkenrevolution („Der Eintritt in die EU bedeutete für Portugal den Einstieg in den nackten Kapitalismus“) auch eine Überraschung aus dem Portugal von 2012 in der Tasche: „Am 25. November 2010 wurde das Haus Nr. 94 in der Straße São Lázaro nach zehn Jahren Leerstand besetzt. Einen Tag später wurde es von der Polizei unter dem Vorwand geräumt, dass die gesamte Straßenseite, auf der es sich befindet, vollständig von der Stadt saniert wird. Nachdem zwei Jahre nichts passiert ist, wurde es erneut besetzt und mit viel Arbeit gesäubert und renoviert. Ein freier Ort für Kultur und Wohnraum war entstanden, bevor die Polizei im Auftrag des Immobilienspekulanten erneut anrückte und alles zunichte gemacht hat“, so die Skizzierung eines 15 minütigen Beitrags des Cinema Libertário Acção Projeção mit dem Titel "São Lázaro 94“.

Die Film-Musik-Symbiose


Akkordeonklänge wehen im Wind, eine feste weibliche Stimme singt vom Sommer des Lebens – im Film. Vor Ort: der Revolutionsgeborene Jan Henin trägt aus seinem lyrischen Tagebuch während eines ponitka’schen Winters den Prologue vor:

Im freien improvisatorischen Spiel entfacht sich eine schier unendliche Menge
möglicher musikalischer Spinnfäden, möglicher Zusammenklänge.
Aber nur eine einzige Spur entsteht, verweht – im Sande – unwiederholbar – es sei denn sie würde simultan und steno-seismographisch aufgezeichnet.
In der arrangierten Komposition wird eine Spur akribisch abgearbeitet,
bis ins Detail ein festgesetztes Spiel, das bereits bestehende musikalische Oeuvre der Menschheit um einen geringsten Ausschnitt des Künftigen zu erweitern.
Zufällig kann es passieren, dass sich ein- und dieselbe Melodie, ein- und dasselbe quasi-sinfonische Werk sowohl auf improvisatorische als auch kompositorische Art generieren.
An einem seltenen Ort, auf dieser seltenen Erde.


Die Dichtung von Jan Henin, eine Hommage an Lota Ponitka, zeitgenössischer Kölner Schriftsteller, der in einem seiner Romane sehr eindrücklich auf absurde Weise den Winter in der Zukunft des Klimawandels beschreibt, da man sich im Januar in Schweisspfützen badete... wird musikalisch von Christian Hinz’ Kontrabass begleitet.

TRAFIKA (im mittel-osteuropäischen Sprachraum für Büdchen/ Lädchen) ist ein offenes Ensemble-Projekt in wechselnden Besetzungen mit Jan Henin (Gitarre und Gesang), Christian Hinz (Kontrabass), Hugo Minsat (Saxophon), der zurzeit in Paris weilt. Das Freiheitslied, „canto libro“ als Hommage an Victor Jara und das Lied der Nelkenrevolution „Grandola, Vila Morena“ könnten an diesem Abend erklingen.


Aus dem Film „Ponte“ von Georg Bender


Aus dem Film „Cabanas“ von Georg Bender


Aus dem Film „Ponte“ von Georg Bender


Aus dem Film „Cabanas“ von Georg Bender
Rosario Silva – Wandfries im Postamt, wo der Maler lange gearbeitet hat


Aus dem Film „Der Augenzeuge” von Klaus Steiniger


Aus dem Film „Der Augenzeuge” von Klaus Steiniger – basierend auf Fotografien von Klaus Steiniger


Kurzfilmabend und Livemusik: Donnerstag, 22. Mai 2014, 19.30 Uhr
(Eintritt frei - Spenden willkommen)

Kurzfilme mit dem Düsseldorfer Filmemacher Georg Bender
„Ponte“, BRD 1974, 20min, Spielort: Brücke über den Tejo nach Lissabon, von Georg Bender
„Cabanas“, BRD 1976, 32min, Spielort: ein Fischerdorf im Süden Portugals, von Georg Bender
“Der Augenzeuge”, DEFA-Wochenschau, DDR 1974, 10min, von Klaus Steiniger, Chronist der Revolution

Livemusik von Trafika (Jan Henin und Christian Hinz), offenes Ensemble-Projekt


Hinweise

In der bis zum 31. Mai verlängerten Ausstellung laufen die Filme “Der Augenzeuge” und ein 20minütiger atmosphärischer, persönlicher Beitrag von Bruni Steiniger über eines der größten und berauschendsten roten Pressefeste – das jährlich im September stattfindende Avante!-Fest in Lissabon: „Bei portugiesischen Freunden“.

Freundliche Unterstützung gewährt das Camoes-Institut mit Beatriz Meideiras und Sabine Rollberg (wdr/arte-Beauftrage und Professorin der Kunsthochschule für Medien Köln KHM)


Kurzfristig in Planung:

Vorführung des Spielfilms „Nelken für die Freiheit / Capitães do Abril von Maria Meideiras" (Regie und Schauspiel, u.a. Pulp Fiction)

Buchvorstellung mit
Urte Sperling „Die Nelkenrevolution in Portugal“, PapyRossa 2014

Aktuelle Hinweise auf der website der Galerie Arbeiterfotografie
http://www.arbeiterfotografie.com/galerie/2014-klaus-steiniger-portugal

Online-Flyer Nr. 459  vom 21.05.2014



Startseite           nach oben