NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

zurück  
Druckversion

Globales
Lohnschutz, Mindestlohn, oder: "Schweizer Schlaraffenland-Initiative"?
Faire Löhne in der Schweiz!
Von Heinrich Frei

Am 18. Mai wird in der Schweiz über die Mindestlohn-Initiative abgestimmt. Dieses Volksbegehren verlangt einen Mindestlohn von 4.000 Franken im Monat bei 42 Stunden Wochenarbeitszeit. Dies entspricht einem Stundenlohn von mindestens 22 Franken. Das Ziel dieser Initiative ist: „Auch in der teuren Schweiz müssten mit den Löhnen die Lebenshaltungskosten gedeckt werden“. (1) 
 

Plakat der Schweizer Mindestlohn-Initiative
Foto: Heinrich Frei
Hansueli Schöchli schrieb in der Neue Zürcher Zeitung: „Mit der Mindestlohninitiative droht befohlene Arbeitslosigkeit, und die "Schlaraffenland-Initiative" (bedingungsloses Grundeinkommen) lenkt vor allem von den wirklichen Problemen des Landes ab.“ (2)
 
Wie der ehemalige sozialdemokratische Nationalrat und Preisüberwacher Rudolf Strahm im Tages Anzeiger am 15. April 2014 schrieb, sieht ein „Bruttomonatslohn von 4000 Franken für eine Vollzeitstelle auf den ersten Blick nach viel aus. Doch wenn die obligatorischen Lohnprozente für die Sozialversicherungen und die pflichtgemässen Steuern abgezogen sind - nach neusten Erhebungen betragen sie je nach Kanton monatlich 1100 bis 1200 Franken - verbleiben weniger als 3000 Franken zum Leben. Wer eine nur halbwegs anständige Dreizimmerwohnung bewohnt, zahlt dafür je nach Wohnort 1200 bis 1500 Franken Miete.“
 
Gewinne privat - die Kosten dem Staat?
 
Gegner der Mindestlohn-Initiative wollen, dass der Staat weiterhin Tieflöhne subventioniert „Kein ernst zu nehmender Ökonom oder Politiker behauptet“, so der Wirtschaftswissenschafter Rudolf Strahm im Tages Anzeiger, „dass man mit dem verbleibenden Monatsgeld von 1500 Franken oder weniger in der teuren Schweiz anständig leben kann. Die Rechnung der Initiativgegner sieht anders aus: Sozialhilfe, Prämienverbilligung und Wohngeldzuschüsse sollen helfen, die Einkommen aufzubessern!“ …. „Die öffentliche Hand soll die Tiefstlöhne also mit Steuergeldern subventionieren nach der zynischen marktwirtschaftlichen Formel: Gewinne privat - die Kosten dem Staat!“
 
Wie Strahm ausführt ist die Mindestlohninitiative nicht starr, sie bedroht kein Lehrverhältnis und keine Arbeitsplätze. "Der Bund kann für besondere Arbeitsverhältnisse Ausnahmeregelungen erlassen", heisst es im Initiativtext wörtlich. Das Parlament soll nach der Annahme auf gesetzlicher Ebene festlegen, dass für Lehrlinge, Praktikanten und ehrenamtliche Tätigkeiten keine 22 Franken Stundenlohn gelten. Strahm vermutet, dass auch Erntehelfer, die kurzzeitig im Thurgau eingesetzt werden, oder Grenzgänger im Mendrisiotto im Tessin (dort arbeiten viele Grenzgänger aus Italien) unter die Ausnahmeregelung fallen.
 
Der Mindestlohnansatz von 4.000 Franken im Monat oder ein Stundenlohn von 22 Franken sei im Hochpreisland Schweiz gerechtfertigt, schreibt Rudolf Strahm. „In der Schweiz gehören die Krankenkassen-Kopfprämien zu den Zwangskonsumausgaben. Sie werden nicht abhängig vom Einkommen erhoben.“ In anderen europäischen Staaten werden die Krankenkassenprämien durch Steuern finanziert. Auch sind die Mietkosten in der Schweiz zwei- bis dreimal höher als im nahen Ausland.(3)
 
Ohne Beruf: eher arbeitslos und vielleicht für immer working poor
 
In der Propagandaschlacht gegen die Mindestlohninitiative wird jetzt auch behauptet ein Mindestlohn bedrohe die Berufslehre. Schüler würden dann einfach ab 15, 16 ohne Lehre zu arbeiten beginnen. Wer heute und auch in Zukunft keinen Beruf hat, muss sich mit einem kleinen Lohn durchschlagen, gehört auch in der Schweiz oft zu den working poor und ist eher arbeitslos. Dies wissen heute auch Schüler in der neunten Klasse die nach der Schule nicht so schnell eine Lehrstelle finden. Mein Bekannter schrieb über 150 Bewerbungen bis er eine Lehrstelle fand. Er fand seine Lehrstelle erst als er zusätzlich ein zehntes Schuljahr absolvierte, für das seine Eltern der Gemeinde Zürich ein Schulgeld bezahlen mussten.
 
Die Mindestlohninitiative wurde in der Neuen Zürcher von Hansueli Schöchli wie folgt in Frage gestellt: „Verhungern muss in der Schweiz niemand. Der Sozialstaat ist stark ausgebaut“, (4) In der Tat: Viele schlecht Verdienende in der Schweiz kommen nur mit der Sozialfürsorge über die Runden. Zu sagen ist noch: Etwa die Hälfte aller Leute die ein Recht auf soziale Hilfe hätten, beziehen diese Unterstützung nicht.
 
Mindestlohn und astronomisch hohe Gagen.
 
Fast keine Vergleiche zwischen dem Mindestlohn und den astronomisch hohen Gagen der Bänkler, der Pharmaindustrie und von anderen Branchen sind in den Medien zu lesen. Der Minimallohn von 4000 Franken im Monat könnte bezahlt werden, wenn Leute mit den hohen Salären ein wenig weniger verdienen würden. Vielleicht müssten diese Leute dann ein wenig ihren Luxuskonsum reduzieren, zum Beispiel eine etwas günstigere Zweitwohnung im Engadin kaufen und sich ein kleineres Zweitauto anschaffen.

Bankchef der Crédit Suisse, Brady Dougan
Quelle; wikipedia, Urheber: International Students’ Committee
 
Warum den Kuchen der Wirtschaft nicht ein wenig gerechter verteilen? Das würde niemandem weh tun. Die Lohnexzesse gehen in der Schweiz nämlich weiter: Der Bankchef der Crédit Suisse, Brady Dougan, verdiente im letzten Jahr 9,8 Millionen Franken und damit 2 Millionen mehr als 2012. Im Vergleich zum Vorjahr erhält er so ein Viertel mehr Lohn und sogar 75 Prozent mehr als vor zwei Jahren. Im Schnitt verdienten die Chefs von 15 der grössten Schweizer Unternehmen im vergangenen Jahr 6,5 Millionen Franken. Mit 15 mal 6,5 Millionen könnten über 2000 Minimallöhne von 4000 Franken im Monat bezahlt werden.
 
An der Spitze der Rangliste der bestbezahlten Firmenchefs steht Novartis-Chef Joseph Jimenez. Er erhielt 2013 Lohn und Bonus im Wert von 13,2 Mio CHF. Auch der zweite Platz wird von der Pharmaindustrie belegt: Roche-Chef Severin Schwan kassierte 11,9 Mio CHF.
(5)
 
Noch einmal: Nicht vergessen darf man, auch wenn die Mindestlohninitiative angenommen werden sollte, was leider nicht so aussieht, wird ein Familienvater in der Schweiz oft mit seinem Lohn von 4000 Franken die Miete, das Essen und die Kleider seiner Kinder dennoch nicht berappen können. Er bleibt Sozialhilfeempfänger der zwar einen Job hat, jedoch wegen seinem kleinen Lohn zusätzlich noch auf Sozialhilfe angewiesen ist. (PK)
 
 
(1) http://www.mindestlohn-initiative.ch/
(2) http://www.nzz.ch/wirtschaft/kommentare/der-staat-soll-nicht-gewinner-herauspicken-1.18285944
(3) Der Mindestlohn ist ein Gebot der ökonomischen Vernunft, Rudolf Strahm, Tages-Anzeiger, 2014-04-15
(4) http://www.nzz.ch/aktuell/schweiz/wenn-der-lohn-nicht-zum-leben-reicht-1.18285851
(5) http://www.cash.ch/news/alle/creditsuissechef_brady_dougan_ist_fuenftbestbezahlter_firmenchef-3190648-448
 
Heinrich Frei ist erreichbar in der Affolternstrasse 171, CH-8050 Zürich
Tel. 0041 44 491 19 73, E-Mail: heinrich-frei@bluewin.ch
 
 


Online-Flyer Nr. 458  vom 14.05.2014

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE