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Globales
Frieder Wagner im Interview mit der serbischen Zeitschrift „Geopolitika“
„Die verheimlichte Massenvernichtungswaffe“
Von Milan Starcevic

Der Kölner Kameramann und Filmemacher Frieder Wagner hat im Jahr 2007 den 93-minütigen Kinodokumentarfilm “Deadly Dust – Todesstaub“ fertiggestellt. Darüber und über die schlimmen Folgen für den Grimme-Preisträger im Sender WDR berichtete damals die NRhZ. Nun hat ihn Milan Starcevic von der serbischen Zeitschrift „Geopolitika“ zum Thema Uranmunition und deren Folgen interviewt und uns erlaubt, dieses Gespräch auch in der NRhZ zu veröffentlichen. – Die Redaktion.
 

Frieder Wagner
NRhZ-Archiv
Milan Starcevic: Die USA und ihre Alliierten haben in den Kriegen im Irak 1991 und 2003, in Bosnien 1995, in Serbien und Kosovo 1999 und in Afghanistan 2001 bis heute Uranbomben und Uranmunitionen eingesetzt. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe für den Einsatz dieser Vernichtungswaffen?
 
Frieder Wagner: Es gibt für die US-amerikanischen Militärs und ihre Alliierten in der Nato mehrere gewichtige Gründe diese Vernichtungswaffen einzusetzen: Das in der Waffe verwendete abgereicherte Uran (englisch: Depleated Uranium, kurz DU genannt) ist ein Abfallprodukt der Atomindustrie und damit äußerst preiswert. Dazu ist dieses DU fast doppelt so schwer wie Blei. Beschleunigt man ein solches DU-Geschoss entsprechend, dringt es in einen feindlichen Panzer ein wie ein heißes Messer in ein Stück Butter. Dabei entsteht an dem Uranstab ein Abrieb und der entzündet sich durch die Reibungshitze explosionsartig von selbst und alles im Panzer verglüht. Dieser doppelte Effekt der DU-Munition, diese hohe Durchschlagskraft und die Fähigkeit, explosionsartig zu verbrennen, die macht diese DU-Munition bei den Militärs so beliebt. Warum sollten die Militärs eine andere Waffe verwenden, wenn sie mit so einem einzigen Geschosseinen Millionen teueren Panzer vernichten können?
 
Ihren Dokumentar-Film „Deadly Dust“ haben Hunderttausende von Menschen weltweit gesehen. Obwohl Sie darin ganz klar feststellen, dass Uranmunition ein Kriegsverbrechen ist und damit gegen die Haager und Genfer Konvention verstößt, ist bis jetzt niemand von den Kriegsherren vor ein internationales Kriegsgericht gestellt worden. Warum? Wo bleibt die Gerechtigkeit?
 
Ihre Frage ist völlig berechtigt. Auch ich frage mich, warum man den amerikanischen Präsidenten Bill Clinton und seine Außenministerin Madeleine Albright wegen ihres illegalen Einsatzes der US-Streitkräfte gegen Jugoslawien nie vor ein internationales Kriegsgericht gestellt hat? Vielleicht deshalb, weil die USA den Internationalen Strafgerichtshof Den Haag nicht anerkennen. Aber Tony Blair, den britischen Ex-Premierminister und den französischen Ex-Staatspräsidenten Jaques Chirac könnte man inzwischen nach Den Haag bringen, beide genießen auch keine Immunität mehr. Auch den deutschen Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder könnte man wegen der deutschen Teilnahme am Jugoslawienkrieg heute noch vor Gericht bringen. Genau so wie den deutschen Ex-Außenminister Joschka Fischer, der die „Auschwitz-Lüge von Radcak“ ins Spiel brachte und seinen Kollegen, den damaligen Verteidigungsminister Rudolf Scharping, der mit seiner Propagandalüge um den so genannten Hufeisenplan uns Deutsche in diesen Krieg hinein gelogen hat. Als Deutscher schäme ich mich dafür. Aber hier bewahrheitet sich leider das Sprichwort: die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.
 
„Uranbomben – die verheimlichte Massenvernichtungswaffe“, so heißt Ihr Buch über die Folgen der Uranmunition. Wollen Sie mit dem Titel sagen, dass der Krieg irgendwann vorbei geht, aber die tödlichen Folgen von Uranbomben bleiben immer?
 
Mit den tödlichen Folgen der Uranmunition werden wir uns nach ihrem Einsatz für immer auf dieser Erde beschäftigen müssen, weil abgereichertes Uran eine Halbwertszeit von 4,5 Milliarden Jahren hat. So alt ist heute unser Sonnensystem. Und Haager und Genfer Konvention sagen, wenn eine Kriegswaffe noch Jahrzehnte oder wie bei Uranwaffen noch Jahrtausende nach dem Einsatz Natur, Menschen und Tiere schädigt, ja sogar tötet, dann ist das ein Kriegsverbrechen größten Ausmaßes.
 
Unsere Leser interessiert vor allem, was Sie zu den Uranbomben in Bosnien, Serbien und Kosovo sagen können? Im Jahre 1999 starben in Serbien 2000 Leute im Jahr an Krebs, heute sind es 22.000 jährlich. Ein Zufall? In welchem Maß sind die Menschen und die Natur verstrahlt?
 
Das britische Verteidigungsministerium hat schon 2001 bekannt gegeben, dass man nach dem Einsatz von 40 Tonnen Uranmunition in bewohntem Gebiet damit rechnen muss, dass etwa 500.000 Menschen danach an Krebs oder Leukemie erkranken und sterben werden. Die EUROMIL, sozusagen die Gewerkschaft der europäischen Soldaten, veröffentlichte 2007, dass von 3000 im Irak eingesetzten italienischen Soldaten inzwischen 109 durch die Folgen des Einsatzes von Uranmunition gestorben sind. Das sind 3,6% der Soldaten, die im Irak Dienst taten. Rechnet man das auf die Bevölkerung des Irak hoch, deren Bevölkerung etwas über 31 Millionen zählt, so muss man damit rechnen, dass dort in den nächsten Jahren 1.116.000 Menschen sterben werden. Da die italienischen Soldaten aber nur einige Monate im Irak lebten, die irakische Bevölkerung aber immer dort lebt, ist zu befürchten, dass die irakischen Opferzahlen wohl weit höher ausfallen werden. Der Berliner Wissenschaftler Prof. Dr. Albrecht Schott nannte deshalb die Uranwaffen eine Ausrottungswaffe. Sie können sich also selbst ausrechnen, was da auf die Bevölkerung in Serbien und im Kosovo zukommt.
Ergebnisse des Einsatzes von radioaktiver Munition im Kosovo legte Dr. Milan Ivanovic, Chefarzt der serbischen Klinik in Kosovska Mitrovica schon 2001 in Form von seither gesammelten Daten vor. Die Zahl der Krebserkrankungen jeglicher Art war seit 1999 um das Doppelte angestiegen, ebenso die registrierten missgebildeten Neugeborenen, die denen nach der Tschernobyl-Katastrophe ähnelten. In den Jahren 1997 bis 2000 wurden in der Klinik
Kosovska Mitrovica klinische Untersuchungen an 30.000 Patienten durchgeführt. Die malignen Erkrankungen der Urologie stiegen in diesem Zeitraum von 1,6 % auf 16 %; Lungenkrebserkrankungen erhöhten sich von 2,6 % auf 22 %. Bei Kindern wurde im Jahr 2002 ein gehäuftes Auftreten maligner hämatopoetischer Organe (Thymus, Milz, Knochenmark) festgestellt. Weiterhin kam es zu vermehrten Fehlgeburten, aufgrund von Degenerationen der Föten. Nach Angaben von Professor Stanojevic (Gynäkologische Klinik Belgrad) werden heute im Kosovo 10 bis 20-mal so viele Kinder mit Fehlbildungen geboren wie vor 1999. Der Arzt Dr. Nebojsa Srbljak aus Kosovska Mitrovica gab bekannt, dass bis 1998 nur 1 Kind von 1000 an Leukämie erkrankte. Im Jahr 2008 waren es 10 bis 15 Kinder. Nach Informationen von Ärzten aus dem Krankenhaus Vranje wurden 1998 21 Kinder mit Missbildungen zur Welt gebracht. Bei gleicher Geburtenrate stieg die Zahl im Jahr 2008 auf 73. Zunahme also 248 %, das ist beängstigend.
 
Welche Länder sind indirekt neben Serbien noch von Uranstaub betroffen?
 
Betroffen sind bis heute neben Serbien der Irak, Afghanistan, Somalia, der Libanon, aber auch Libyen und womöglich auch Gaza.
 
Manche westlichen Medien behaupten, die Russen haben diese Waffe in Grosni eingesetzt. Stimmt das?
 
Ich bin nicht ganz sicher. Wenn ich mir Bilder des bombardierten Grosni ansehe, dann würde ich sagen eher nicht; diese Stadt sah eher wie das bombardierte Köln nach dem 2. Weltkrieg aus.
 
Was für Krankheiten lösen die Uranbomben aus?
 
Die Uranwaffen lösen folgende Krankheiten aus:
- einen Zusammenbruch des Immunsystems, mit ansteigenden Infektionskrankheiten, insbesondere auch Viruskrankheiten,
- Krebsbildungen und Leukämien,
- Chromosomenschäden und Erkrankungen genetischer Art mit Missbildungen auch schwerster Art bei Neugeborenen und Frühgeburten und
- Fehlgeburten, ähnlich wie nach dem Atomunfall in Tschernobyl und wie wir sie
jetzt leider auch schon nach der Fukushima-Katastrophe sehen.
 
Seit den Kriegen in Kosovo und Afghanistan, haben sich immer wieder Bundeswehr-Soldaten bei Ihnen gemeldet, die an Krebs leiden, um zu fragen, ob ihre Krankheit womöglich durch Uranmunition hervorgerufen wurde. Wieviele sind es bis heute und was hat man festgestellt?
 
Das Problem ist, dass das Bundesverteidigungsministerium bis heute behauptet, dass keine Bundeswehrsoldaten/innen an Krebs oder Leukämie erkrankt sind bzw. nicht mehr als in der Bevölkerung auch. Und die Soldaten, die sich bei mir gemeldet haben, weil sie befürchtet haben, dass sie sich ihre Krebserkrankung durch den Einsatz der Uranmunition geholt haben, sind so schnell gestorben, dass wir keine entsprechenden Untersuchungen durchführen konnten – leider. Ich habe aber den Fall des deutschen Soldaten Erich Schempp recherchiert.
Im August 1983 hat die Bundeswehr, unter strengster Geheimhaltung, selbst Tests mit Uranwaffen durchgeführt. Dabei handelte es sich nicht um die heute verwendete Munition aus abgereichertem Uran, nein, in den Granaten sind damals abgebrannte Brennelemente aus Kernkraftwerken verarbeitet worden! Wegen der hohen Geheimhaltungsstufe wurden für die beteiligten Soldaten bei diesen Tests keinerlei Schutzmaßnahmen getroffen. Einer dieser Soldaten war der 21-jährige Panzerschütze Erich Schempp. Er war im Sommer 1983 per
Telegramm aus dem Urlaub nach Munster zu diesen Tests beordert worden. Zwei Jahre später war der vorher kerngesunde junge Mann, an Krebs erkrankt und klagte seitdem auf Entschädigung.
Dem Gericht hatte er folgende Beweise vorgelegt: Die Namen und Adressen von sechs Kameraden, die bei den Tests dabei waren. Mehrere dieser Soldaten hatten von den Tests Granathülsen mit nach Hause genommen, auch Erich Schempp. Drei Hülsen wurden mittels Massenspektroanalyse untersucht. Außerdem wurden bei Schempp eine Urin- und eine Haaranalyse durchgeführt. Beide Untersuchungen waren positiv. Sowohl in den Granathülsen als auch bei Erich Schempp wurden Spuren von Uran, Plutonium und Uran 236 festgestellt. Da Uran 236 in der Natur nicht vorkommt und nur bei der Wiederaufbereitung von atomaren Brennstäben entsteht, müssen die Granaten mit 100-prozentiger Sicherheit auch Material aus abgebrannten Brennelementen enthalten haben, in denen sich immer auch Reste von Plutonium befinden. Die Bundeswehr leugnete das alles auch vor dem Sozialgericht.
Eine Verhandlung vor dem Landessozialgericht am 20. November 2008 endete dann aber mit einer faustdicken Überraschung. Die Bundeswehr hatte eine Klagerücknahme angeregt, da die Hülse angeblich niederländischer Herkunft gewesen sei und die Bundeswehr nie mit niederländischer Munition geschossen habe. Diese Aussage hatte Erich Schempp schon seit Jahren als völlig unsinnig bezeichnet, da die Hülsen mehrfach verwendet wurden und auf den Hülsen, wie bekannt, auch mehrere Nummern deutscher Hersteller eingraviert waren. Das Gericht hatte es bisher versäumt, seine Angaben zu überprüfen. Die Überprüfung der Hülse in der erneuten Verhandlung bestätigte jedoch seine Aussagen eindeutig. Das Gericht war der Ansicht, dass der Bundeswehrexperte das Gericht bewusst getäuscht hat, da für jeden Laien eindeutig erkennbar ist, dass es sich um deutsche Munition gehandelt hat. Damit war auch die Bundesregierung blamiert, die sich ebenfalls auf diese Aussage gestützt hatte. Das Gericht der ersten Instanz wurde verpflichtet völlig neu zu ermitteln. Das sollte jedoch wieder Jahre dauern. Dabei wäre eine schnelle Aufklärung wichtig gewesen, da auf dem kontaminierten Übungsplatz in Munster immer noch Soldaten üben und auch die Zivilbevölkerung gefährdet ist. Inzwischen ist Erich Schempp im Dezember 2011 im Alter von nur 49 Jahren seinem Krebsleiden erlegen. Die Bundeswehr wird zukünftig – meiner Befürchtung nach – eine Aufklärung ähnlicher Fälle ebenfalls behindern und damit Menschenleben gefährden – für mich unfassbar.
 
Wie steht es mit Soldaten aus anderen internationalen Ländern, die im Kosovo beteiligt waren?
 
Das ist eine gute Frage. Denn die Italiener haben direkt neben dem deutschen Kontingent um Prizren herum ihre Soldaten nordwestlich davon stationiert. Von 16 italienischen Soldaten, die dort an Krebs durch den Einsatz der Uranmunition im Kosovo verstorben sind, haben die Familienangehörigen dieser Verstorbenen das italienische Verteidigungsministerium auf Wiedergutmachung verklagt. Und siehe da, alle 16 Familien haben diese Prozesse gewonnen, weil das italienische Verteidigungsministerium seine Soldaten nicht angemessen wegen der eingesetzten Uranmunition aufgeklärt und geschützt hatte. Alle 16 Familien wurden durch Gerichtsurteil entschädigt und zwar mit Summen zwischen 200 Tausend und 1,4 Millionen Euros.
 
Sie haben für die Todesfälle von mehreren deutschen Soldaten an das
Bundesverteidigungsministerium geschrieben. Bekommen Sie überhaupt eine Antwort?
 
Ja, man hat mir bisher immer geantwortet, aber diese Korrespondenz ist etwas mühsam, weil das Verteidigungsministerium immer erst alles abstreitet. Deshalb hat auf mein Drängen der Vater eines deutschen Soldaten, der am 31. Januar 2000 unter sehr merkwürdigen Umständen im Feldlazarett von Prizren verstorben ist, alle Verteidigungsminister rückwirkend bis einschliesslich Herrn Rudolf Scharping verklagt. Und zwar wegen:
- Verdacht auf Angabe einer falschen Todesursache,
- Verdacht auf Tötung durch den Einsatz von Uranmunition und anderer Schwermetalle im Kosovo und Bosnien-Herzegowina von 1994/95 -1999
- Vertuschung von Gefahrenrisiken durch Uranmunition und anderer Schwermetalle und
- Verdacht auf unterlassene Hilfeleistung mit Todesfolge.
 
Und gab es schon ein Urteil?
 
Die Klage ist zwar zunächst abgewiesen worden, was wir erwartet hatten, aber wir haben schon dagegen Beschwerde eingelegt. Wir sind auch sehr optimistisch, denn was den 16 betroffenen Familien in Italien gelungen ist, sollte uns doch auch gelingen.
 
Sehen Sie eine Hoffnung, dass die Uranmunition irgendwann nicht mehr zum Einsatz kommt?
 
Also, da bin ich sehr skeptisch. Ich war im Jahr 2010 einmal ins Deutsche Auswärtige Amt eingeladen zu einem 2-Stunden-Gespräch zum Thema: „Uranmunition und die Folgen“. Mit eingeladen waren auch Prof. Albrecht Schott und der Völkerrechtler Prof. Manfred Mohr. Ich würde sagen, wir haben da sehr gut argumentiert und diskutiert. Und am Ende sagte der Diskussionsleiter des Auswärtigen Amtes: „Ich muss sagen, Ihre Argumentation, die Uranwaffen zu ächten und zu verbieten, waren sehr beeindruckend und überzeugend. Aber alle Argumente, die Sie aufgeführt haben, diese Waffen zu ächten, sind doch eigentlich nur humanitäre Argumente, und mit humanitären Argumenten können wir der US-amerikanischen Führung leider nicht kommen.“
Das ist doch unfassbar; da brach für mich wieder einmal eine ganze Welt zusammen. Also zu Ihrer Frage: Die USA und ihre Alliierten werden auf die Uranwaffen erst verzichten, wenn sie dafür eine noch bessere Waffe einsetzen können – und die ist dann wahrscheinlich noch furchtbarer – leider.
Herr Wagner, vielen Dank! (PK)
 
Dank an die KollegInnen von „Geopolitika“, die dieses Interview in ihrer Mai-Ausgabe 2014 veröffentlicht haben.


Online-Flyer Nr. 457  vom 07.05.2014

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