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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Globales
Interview mit Prof. Per Anders Rudling über die ukrainische Rechte
"Wissenschaftliche Nationalisten"
Von Hans Georg

Über die Wurzeln des Aufstiegs der äußersten ukrainischen Rechten in der Geschichtspolitik des früheren ukrainischen Präsidenten Wiktor Juschtschenko sprach german-foreign-policy.com mit Per Anders Rudling. Rudling ist Associate Professor an der historischen Fakultät der Universität Lund; er hat zahlreiche Publikationen zum Nationalismus, zur historischen Kultur und zur Instrumentalisierung der Geschichte in verschiedenen osteuropäischen Ländern mit Schwerpunkt Ukraine, Belarus und Litauen vorgelegt.

Julia Timoschenko
NRhZ-Archiv
 
gfp: "Ruhm den Helden!" ist zu einer bekannten Parole der Maidan-Proteste geworden, "Ruhm den Helden!" waren Julia Timoschenkos erste öffentliche Worte nach ihrer Freilassung am 22. Februar. Hat Sie das überrascht? Immerhin wurde die Parole in den 1940er Jahren von ukrainischen NS-Kollaborateuren genutzt.
 
Per Anders Rudling: Nein, das hat mich nicht wirklich überrascht. Timoschenko hat den ersten Teil der Parole, "Ruhm der Ukraine!", schon früher gerufen, im Jahr 2011 - gleich dreimal, in einem Gerichtssaal, als sie unter Janukowitsch zu sieben Jahren Haft verurteilt worden war. Ihre Unterstützer im Publikum antworteten mit einem dreimaligen "Heroiam Slava!", "Ruhm den Helden!" Es hat mich damals mehr überrascht, dass ausgerechnet Timoschenko die Parole nutzte - ich denke, es ist wichtig, sich in Erinnerung zu rufen, dass sie zur früheren Komsomol-Nomenklatura gehörte und aus der Zentral-Ukraine stammt, einer Region, die nicht für politischen Radikalismus bekannt ist, weder für rechten noch für linken. Außerdem hat sie einen armenischen Hintergrund und spricht Russisch als Muttersprache. "Ruhm der Ukraine!" war der Gruß der OUN, der Organisation Ukrainischer Nationalisten; 1941 gab die OUN Anweisungen heraus, denen zufolge der Gruß mit erhobenem rechtem Arm getätigt werden sollte, mit "den Fingerspitzen ein wenig nach rechts, etwas oberhalb des Kopfes". Ähnliche Grußpraktiken wurden von den kroatischen Ustaschi, von der slowakischen Hlinka-Garde, von den spanischen Falangisten und natürlich von den Nazis benutzt.
 
Es gibt das Phänomen der Wiederaneignung einer gewissen historischen Symbolik, besonders bei denjenigen, die sich als direkte ideologische Nachfahren der OUN betrachten - etwa im Falle der Partei Swoboda, des Rechten Sektors und des Kongresses Ukrainischer Nationalisten (KUN). In Kroatien gab es im vergangenen Jahr einen Skandal, als ein kroatischer Fußballspieler den Ustascha-Gruß "Za dom!", "Für die Heimat!", rief und das Publikum antwortete: "Spremni!", "Bereit!" In der Ukraine war der Gruß "Ruhm der Ukraine! Ruhm den Helden!" umstritten, aber in der letzten Zeit ist er irgendwie akzeptabel geworden. Viele Menschen, die ihn nutzen, kennen seinen Hintergrund nicht. Timoschenko ist eine Populistin; sie stammt aus einem Teil der Ukraine ohne starke nationalistische Traditionen und begann erst als Erwachsene, Ukrainisch als Erstsprache zu nutzen. Sie hat Juschtschenkos OUN- und Bandera-Kult nie gebilligt. Ich vermute, sie spürt, woher der Wind weht, und als Populistin schlägt sie Kapital aus dem mutmaßlichen politischen Nutzen einer Aneignung der ultrarechten Polit-Liturgie.
 
Juschtschenkos OUN- und Bandera-Kult? Juschtschenko war der prowestliche Präsident der Ukraine, der nach der "Orangenen Revolution" Anfang 2005 ins Amt kam.
 

Wiktor Juschtschenko – von 2005 bis 2010
Präsident der Ukraine
Quelle: wikipedia
Als Juschtschenko Präsi- dent wurde, leitete er eine umfassende historische Mythenbildung in der Ukraine ein. Sie gründete haupt-sächlich auf zwei Themen. Eines war die Darstellung der Hungersnot in der Ukraine von 1932/33 als absichtlich herbeigeführter Genozid an der ukrainischen Bevölkerung, dem angeblich bis zu zehn Millionen Ukrainer zum Opfer gefallen seien. Vertreter dieser Geschichtsauffassung bezeichnen das Ereignis gewöhnlich als "Holodomor" und sprechen von mindestens sieben Millionen Opfern. Nun besteht ein Konsens in der Historischen Demographie, dass die Zahl der Toten in der Ukrainischen SSR zwischen 2,6 und 3,9 Millionen Menschen lag - und bei ihnen handelte es sich übrigens nicht nur um ethnische Ukrainer. Juschtschenkos Propaganda fügte also mehr als sechs Millionen Menschen hinzu, die niemals existiert haben, Menschen, die - so argumentierte man - ohne die Hungersnot hätten geboren werden können.
 
Zweitens initiierte Juschtschenko einen umfangreichen Kult zugunsten der OUN, der UPA - der Ukrainischen Aufstandsarmee - und ihrer Führer Stepan Bandera, Jaroslaw Stezko und Roman Schuchewitsch, die er als "nationale Befreiungsbewegung" darstellen ließ. Es wurden Briefmarken mit ihren Porträts gedruckt, Straßen und Gebäude zu ihren Ehren umbenannt, sie erhielten posthum die höchsten staatlichen Auszeichnungen, Schulbücher wurden umgeschrieben und so weiter. Dabei wurde ihre Beteiligung an "ethnischen Säuberungen" und an Pogromen an der polnischen und der jüdischen Minderheit in der Ukraine geleugnet. Juschtschenko tat das zu einer Zeit, als die Forschung zu diesen Themen große Fortschritte gemacht hatte; wir wissen heute mehr denn je über die mehr als 140 Pogrome in der Westukraine im Jahr 1941 und über die "ethnischen Säuberungen" der UPA mit mehr als 91.200 polnischen Todesopfern in Wolhynien und Ostgalizien in den Jahren 1943/44. Als westliche Historiker auf die Beteiligung dieser Organisationen am Holocaust und an anderen furchtbaren Menschenrechtsverbrechen hinwiesen, antworteten Juschtschenkos Regierungsapparate mit der Veröffentlichung einer Vielzahl von Dokumenten, Fälschungen der OUN aus der Zeit nach Stalingrad und nach dem Krieg, verfasst in der Emigration - darüber, wie die OUN es angeblich abgelehnt habe, an den Pogromen teilzunehmen, oder eine Biographie einer fiktiven Jüdin, Stella Krenzbach, die von der OUN(b) nach dem Krieg im Exil erfunden worden war. Ein Zitat aus dieser Biographie zeigt, worauf sie abzielt: "Ich danke Gott und der Ukrainischen Aufstandsarmee, dass ich noch am Leben bin." Diese Fälschung wurde schon in den späten 1950er Jahren von dem verstorbenen Historiker Philip Friedman entlarvt, aber das hielt Juschtschenko nicht davon ab, sie als Tatsache zu verbreiten.
 
Wie organisierte Juschtschenko die Verbreitung dieser Geschichtsmythen?
 
Im Jahr 2005 gründete Juschtschenko ein "Institut des Nationalen Gedenkens" unter der Leitung des 1925 geborenen Physikers Ihor Juchnowski, der unter Gorbatschow in der Oppositionsbewegung Ruch, in den 1990er Jahren dann in "Sozial-Nationalistischen" Kreisen aktiv gewesen war. Er wurde unter Janukowitsch durch einen Kommunisten ersetzt, Waleri Soldatenko, und das Institut wandelte sich in eine forschungsorientierte Einrichtung; seine Propaganda-Aufgaben wurden in großem Maße reduziert. Heute, nach dem Rücktritt der Regierung von Asarow und Janukowitsch, wird es von dem jungen Historiker Wolodymyr Wjatrowytsch geführt, der unter Juschtschenko die Archive des Ex-KGB geleitet hatte, die SBU-Archive; der SBU ist der ukrainische Inlandsgeheimdienst. Als Leiter der SBU-Archive unter Juschtschenko hatte Wjatrowytsch aggressiv für Bandera, Schuchewitsch und Stezko geworben, die Beteiligung der OUN am Holocaust geleugnet und die "ethnischen Säuberungen" der UPA als "zweiten polnisch-ukrainischen Krieg" dargestellt, wobei er die Opfer von Verbrechen, die in Polen als genozidale Morde beschrieben werden, als - nun gut - Kriegsopfer einstufte. Wie Juchnowski war Wjatrowytsch 2010 entlassen worden, als Janukowitsch ins Amt kam; er leitete danach ein "Institut" in Lwiw, das "Zentrum für das Studium der Befreiungsbewegung"; dieses wird finanziert und geführt von der OUN(b) im Exil, die vor allem in Kanada und den USA tätig ist.
 
Sie berichten in Ihren wissenschaftlichen Arbeiten auch von einer nationalistischen Event-Kultur im Westen der Ukraine, vor allem in Lwiw. Wie muss man sich diese Event-Kultur vorstellen?
 
Die Nationalisten und die äußerste Rechte sind sehr geschickt darin, jugendlich wirkende, neckische Events mit einem großen Spaßfaktor zu organisieren. Sie sind dabei sehr erfinderisch; es gibt nahezu alles von Spielkarten und Brettspielen, die die "heroische" UPA und ihren Kampf für die Nation zum Gegenstand haben, bis zu Tanz- und Sportveranstaltungen, Schreibwettbewerben, Pfadfinder-Events und so weiter. Dieses Narrativ gilt im ukrainischen Westen weithin als legitim. In Lwiw bekam Swoboda um die 40 Prozent der Stimmen; dort gibt es ein Taxiunternehmen, das sich nach der Waffen-SS-Division "Galizien" nennt, oder ein Themen-Restaurant, das sich der OUN und der UPA widmet, mit Blut-und-Boden-Fahnen an der Wand - das sind rot-schwarze Fahnen - und mit "jüdischen Anekdoten" in den Toiletten, man kann, "scherzhaft", ein Gericht mit der Bezeichnung "koscheres Salo" bestellen (Salo ist Schweineschmalz) oder eines, das "Schlachtplatte à la Hajdamaky" heißt, benannt nach der Kosakenrebellion im 17. Jahrhundert. Es gibt dort also ein hochinteressantes Feld, das Geschichtsrevisionismus, ultrarechte Politik und kommerzielle Interessen verbindet; dies wiederum fördert das nationalistische Narrativ.
 
Juschtschenkos neue Mythen sind offensichtlich um Faschisten und NS-Kollaborateure herum konstruiert worden. Gab es keine Proteste dagegen?
 

Janukowitsch - 2010 zum Präsidenten gewählt
NRhZ-Archiv
 
Doch, gewiss, die gab es. Die Mythen stießen in den südlichen und östlichen Teilen der Ukraine auf starke Ablehnung. Die Partei der Regionen und die Kommu-nisten nutzten sie, um bei Wahlen Unterstützung zu mobilisieren, und sie trugen wahrscheinlich dazu bei, dass Janukowitsch 2010 zum Präsidenten gewählt wurde - in einer Wahl, bei der nur fünf Prozent der Stimmen für Juschtschenko abge- geben wurden. Die Mythen haben das ohnehin gespa- ltene Land weiter polarisiert, und - das ist nicht weniger wichtig - sie haben Polen und andere Partner in der EU verärgert. Im Jahr 2010 machte das Europaparlament ein Ende des Bandera-Kults und der Verehrung vergleich- barer Gestalten zur Bedingung für eine weitere Integration mit Europa. Die Initiative dazu ging von der Platforma Obywatelska aus, der in Polen regierenden Partei, die sonst dafür bekannt ist, mit der ukrainischen Euro-Integration zu sympathisieren. In Israel legte der Leiter von Yad Vashem scharfen Protest ein. Unglücklicherweise kommen die meisten Proteste nicht von professionellen Historikern und Forschern; die schärfste Kritikerin ist vielmehr Janukowitschs Partei der Regionen gewesen, und heute ist es die russische Staatspropaganda, die das Thema im Propagandakrieg gegen die aktuelle ukrainische Regierung unablässig instrumentalisiert, die sie beschuldigt, aus Bandera-Anhängern und Faschisten zu bestehen. Die liberale ukrainische Intelligenz hingegen hat den Bandera-, Stezko-, OUN- und UPA-Kult leider weitgehend widerstandslos hingenommen, auch diejenigen, die den Westen, insbesondere Deutschland, oft an seine angeblichen Pflichten gegenüber der Ukraine erinnern.
 
Ich meine aber, dass es heute, wo eine Vielzahl von Büchern und Artikeln über die OUN, über Bandera, über die Pogrome und den Holocaust und die NS-Kollaboration erscheinen, die auf neu zugänglichen Archivquellen beruhen, immer schwieriger werden wird, bei der Leugnung historischer Fakten zu verharren. Aber das wird keine sanfte Entwicklung sein. In der Westukraine werden sie die Bandera-, Stezko- und Schuchewitsch-Denkmäler wohl nicht bald niederreißen. Die Lenin-Denkmäler in der Ostukraine werden erst jetzt so langsam geschleift, fast ein Viertel-Jahrhundert nach der Auflösung der UdSSR. Es könnte vielleicht 30 Jahre dauern, bis sie das Bandera-Denkmal in Lwiw entfernen. Aber Historiker können versuchen, eine Debatte darüber zu entfachen. Jaroslaw Stezko, der selbsternannte ukrainische Premierminister vom 30. Juni 1941, der die "deutschen Methoden der Judenvernichtung" billigte, lebte bis zu seinem Tod 1986 in der Zeppelinstraße 67 in München. Dort ließ Juschtschenko eine große Erinnerungstafel anbringen, die auf Deutsch und Ukrainisch diesen "herausragenden Freiheitskämpfer" ehrt. Vielleicht könnte man hier beginnen? In Kanada gibt es Denkmäler für Schuchewitsch und die Veteranen der Waffen-SS-Division "Galizien". Ich meine, es gibt gute Gründe, Fragen über diese Art von Manifestationen hier in Westeuropa und in Kanada zu stellen. Es gibt sie nicht nur in der Ukraine.
 
Während Juschtschenko die OUN- und UPA-Mythen stärkte, wurde die Partei Swoboda immer stärker. Sehen Sie einen Zusammenhang?
 
Allerdings. Und die Ukraine ist nicht der einzige derartige Fall. In Ungarn, Kroatien, Rumänien und Litauen kann man ähnliche Phänomene beobachten: dass der Weg für die äußerste Rechte oft von revisionistischen, nationalistischen Historikern bereitet wird. Swoboda füllte nach Juschtschenko eine Lücke. Ironischerweise hat ausgerechnet der prowestliche, auf die EU orientierte bekennende Demokrat Juschtschenko den Kult der äußersten Rechten auf eine nationale Ebene gehoben. Es ist nicht unbegreiflich oder unlogisch, dass diese Erbschaft nun von den wahren ideologischen Nachfolgern der OUN übernommen wird: von Swoboda, vom KUN, vom Pravy Sektor und von der UNA-UNSO. Diese historischen Narrative nähren die äußerste Rechte. Und das natürlich nicht nur in der Ukraine. Trianon dient in Ungarn ähnlichen Zwecken, Kosovo Pole in Serbien, Bleiburg in Kroatien und so weiter.
 
Wie wurde die Entwicklung im Osten und im Süden der Ukraine vor dem Beginn der Maidan-Proteste aufgenommen?
 
Sie half vermutlich, Unterstützung für Janukowitsch zu mobilisieren, wie das Schreckgespenst Bandera den Separatisten auf der Krim geholfen hat und jetzt in der Ostukraine hilft. Russland beutet die Thematik schamlos aus, um seine Aggression zu rechtfertigen. Man hätte sich als politisches Symbol wohl keine stärker spaltende Gestalt als Bandera ausdenken können und keine stärker spaltenden Organisationen als die OUN und die UPA. Es ist schwer, einen Vergleich zu deutschen Verhältnissen zu ziehen, aber vielleicht wäre es wie ein Versuch, Martin Luther zum Symbol für Bayern zu machen. Oder vielleicht Ernst Thälmann. Aber das sind nur dürftige Vergleiche. Banderas Kräfte waren regional verankert und fast ausschließlich in den ehemaligen polnischen Gebieten im westlichen Teil der Ukraine konzentriert. Sie waren ausdrücklich antidemokratisch und totalitär. Es kommt mir mehr als naiv von Juschtschenko vor, dass er den Gedanken hatte, er könne für diese Gruppierungen eine landesweite Zustimmung erreichen. Juschtschenko und Janukowitsch trugen beide in hohem Maße dazu bei, den Osten und den Westen der Ukraine auseinanderzubringen. Unglücklicherweise wird diese Politik heute unter der neuen Regierung weitergeführt. Wenn ich mich nicht irre, stammt kein einziges Mitglied der aktuellen Regierung aus dem Osten oder dem Süden. Und eine ihrer ersten Taten bestand darin, den Status des Russischen als Minderheitensprache abzuschaffen, auch wenn das Gesetz dazu vom Präsidenten nicht unterzeichnet wurde.
 
War Juschtschenko wirklich so naiv? Schließlich muss ihm klar gewesen sein, dass die Menschen im Osten und im Süden der Ukraine kaum geneigt sein würden, Bewunderer Banderas und der OUN zu werden, um es mal vorsichtig zu formulieren.
 
Er muss sich in der Tat darüber im Klaren gewesen sein. Juschtschenkos Ehefrau Kateryna war in den 1980er Jahren in rechtslastigen ukrainischen Emigrantenkreisen aktiv. Sie hatte als Assistentin für Stezko gearbeitet und ist eine treue Anhängerin dieser Narrative. Juschtschenko ernannte auch Roman Swaritsch, einen New Yorker Bandera-Anhänger und ehemaligen Stezko-Sekretär, im Jahr 2005 zum Justizminister. Swaritsch wurde später gefeuert, weil er vorgetäuscht hatte, er habe einen PhD-Grad an der Columbia University erworben, was nicht stimmte. Kurz - in der Ukraine hat es nie einen Elitenwechsel gegeben. Die ersten vier Präsidenten der Ukraine waren alle ehemalige Kommunisten und Mitglieder der Nomenklatura. Juschtschenko war 1977 in die KPdSU eingetreten. Die alten Eliten, die "wissenschaftlichen Marxisten-Leninisten" von gestern, wurden über Nacht zu "wissenschaftlichen Nationalisten". Die alten Eliten waren wieder im Sattel, und Nationalismus wurde die neue Währung.
 
Das Problem von Ländern wie der Slowakei und Kroatien, die von 1991/93 keine eigenen Staaten waren, bestand darin, dass sie historische Vorläufer suchten - und sie in den Perioden 1939-44 und 1941-45 fanden; das waren die einzigen Perioden, während derer sie in modernen Zeiten als "unabhängige" Einheiten existiert hatten. Mit der Ukraine verhält es sich ähnlich. Juschtschenko hätte die kurzlebige Ukrainische Volksrepublik von 1918 bis 1920 als Modell auswählen können, aber er wählte stattdessen den 30. Juni 1941. 1918 wäre vielleicht die erfolgreichere Variante gewesen. Meiner Ansicht nach sprechen die fünf Prozent bei den Präsidentenwahlen von 2010 - wohl ein Weltrekord für einen Amtsinhaber - Bände. Aber Juschtschenkos Politik trug zum Erfolg der äußersten Rechten bei. Ich meine dennoch, dass es klug wäre, noch bis zu den Wahlen im Mai zu warten. Swoboda bekam 2012 in der Tat 10,44 Prozent der Stimmen. Und die Partei hat in der Tat vier Mitglieder im Kabinett; hinzu kommen drei weitere ultrarechte Regierungsmitglieder, die nicht formell Swoboda angehören, aber dennoch frühere Soziale Nationalisten, UNA-UNSO-Aktivisten und Ähnliches sind. Allerdings liegt Swoboda gegenwärtig in Umfragen bei rund drei Prozent, der Rechte Sektor bei rund einem Prozent. Es könnte sein, dass beide bei den Wählern wieder an Bedeutung verlieren. In vier Wochen werden wir mehr wissen. (PK) 


Online-Flyer Nr. 457  vom 07.05.2014

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