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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Globales
Konrad-Adenauer-Stiftung kooperiert mit Swoboda-Führer Tjahnybok
Juschtschenkos ukrainische Mythen
Von Hans Georg

Mit einer öffentlichen Gedenkveranstaltung haben vergangene Woche mehrere hundert Menschen im westukrainischen Lwiw der Gründung der Waffen-SS-Division "Galizien" gedacht. Die Veranstaltung setzt die sich neu verdichtende Tradition ähnlicher SS-Ehrungen auch in anderen Städten der Westukraine fort, an denen sich mehrmals Politiker der Regierungspartei Swoboda beteiligt haben. Die SS-Ehrungen knüpfen an das Erstarken des Kultes um die früheren NS-Kollaborateure von der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) und der Ukrainischen Aufstandsarmee (UPA) an, den der 2005 ins Amt gekommene ukrainische Präsident Wiktor Juschtschenko systematisch gefördert hat.
 

Ukrainischer Faschistenführer Oleh Tiahnybok
Juschtschenko, prowestlich, eng mit Berlin kooperierend, habe ab 2005 "eine umfassende historische Mythenbildung in der Ukraine" betrieben, berichtet der Historiker Per Anders Rudling (Lund University) im Gespräch mit german-foreign-policy.com., das wir ebenfalls in dieser NRhZ-Ausgabe veröffentlichen. Dazu habe "ein umfangreicher Kult zugunsten der OUN, der UPA" und ihrer Führer, insbesondere Stepan Bandera, gehört. Juschtschenko sei damit auf Protest gestoßen - in der Ost-Ukraine und in Polen, das mehr als 90.000 Opfer des UPA-Terrors zu beklagen hatte. Berlin hingegen ließ Juschtschenko aus geostrategischen Gründen gewähren - und leitete ab Anfang 2012 sogar selbst eine immer engere Zusammenarbeit mit den OUN-Verehrern von der Partei Swoboda ein. Absehbares Ergebnis: Die forcierte Spaltung der Ukraine.
 

Ukraine-Präsident von 2005 bis 2010 -
Wiktor Juschtschenko
Quelle: wikipedia
"Nationale Befreiungs-bewegung"
 
Die aktuelle Stärke des Kults um Bandera, die OUN und die UPA ist in beträcht-lichem Maße ein Ergebnis der Geschichtspolitik des früheren ukrainischen Präsidenten Wiktor Juschtschenko. Dies bestätigt der Historiker Per Anders Rudling (Lund University) im Gespräch mit german-foreign-policy.com. "Als Juschtschenko Präsident wurde, leitete er eine umfassende historische Mythenbildung ein", berichtet Rudling: Zum einen habe er "die Darstellung der Hungersnot in der Ukraine von 1932/33 als absichtlich herbeigeführter Genozid an der ukrainischen Bevölkerung" gefördert, "dem angeblich bis zu zehn Millionen Ukrainer zum Opfer gefallen seien"; zum anderen habe er "einen umfangreichen Kult zugunsten der OUN, der UPA" und ihrer Führer unterstützt, die er als "nationale Befreiungsbewegung" habe darstellen lassen. Der Verbreitung dieser Mythen widmeten sich insbesondere das von Juschtschenko 2005 geschaffene "Institut des Nationalen Gedenkens" sowie das Archiv des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes, dem Juschtschenko eigens propagandistische Aufgaben übertragen hatte.[1] Die Maßnahmen griffen. Dies zeigt nicht nur die stark gestiegene öffentliche Präsenz der OUN, der UPA und ihrer Führer in Form von Denkmälern, Straßennamen oder Briefmarken, sondern auch der Boom einer nationalistischen Event-Kultur im Westen der Ukraine, den Rudling gegenüber german-foreign-policy.com plastisch beschreibt.[2] Die Stärkung der alten OUN-Tradition verhalf zudem der Partei Swoboda zu dramatischen Stimmengewinnen.
 
EU-Assoziierung
 
All dies geschah, während die Bundesrepublik ihre Zusammenarbeit mit der Ukraine systematisch intensivierte. Juschtschenko war schon vor 2005 der bevorzugte ukrainische Kooperationspartner des Auswärtigen Amts; nach seinem Amtsantritt galt er dort als Garant einer Westorientierung in Kiew, deren Sicherung aus geostrategischen Gründen für Berlin Priorität besaß (german-foreign-policy.com berichtete [3]). Die Kooperation wurde auch ausgebaut, als Juschtschenko im Oktober 2007 dem früheren Oberkommandierenden der UPA, Roman Schuchewitsch, per Präsidentenerlass den Ehrentitel "Held der Ukraine" verlieh - ein besonders provozierender Schritt, der im Osten und im Süden des Landes heftige Proteste auslöste. Mit derlei Maßnahmen habe Juschtschenko erheblich zur Spaltung des Landes beigetragen, bestätigt Rudling. Ohne sich daran zu stören und Einhalt zu fordern, nahm die EU 2007 die Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen mit der Ukraine auf; 2008 wurde die "Östliche Partnerschaft" auch mit der Ukraine beschlossen und 2009 offiziell initiiert. Dass Berlin grundsätzlich durchaus bereit war, auf Konfrontation zu Kiew zu gehen, zeigte der hartnäckige Kampf für die Freilassung der inhaftierten Politikerin Julia Timoschenko, der - insbesondere während der Fußball-EM 2012 - sogar kampagnenhafte Züge annahm. Juschtschenkos Einsatz für den Kult um frühere NS-Kollaborateure war Berlin hingegen nicht einmal eine kritische öffentliche Erwähnung wert.
 
"Sowjetisch-polnische Propaganda"
 
Nicht alle nahmen die Herausbildung des breiten OUN-/UPA-Kults so umstandslos hin wie Berlin. Zum einen gab es Widerstand im Osten und im Süden der Ukraine; zum anderen waren immer wieder empörte Proteste aus Polen zu hören. Die UPA-Massaker insbesondere der Jahre 1943/44 sind dort unvergessen; ihnen fielen mehr als 90.000 Polen zum Opfer. Im Milieu der OUN-/UPA-Anhänger werden die Verbrechen bis heute geleugnet oder als schlichte Kampfhandlungen im Rahmen eines angeblichen "zweiten polnisch-ukrainischen Kriegs" dargestellt. Rudling hat eine Erläuterungstafel dokumentiert, die Swoboda am Ort des einstigen polnischen Dorfes Huta Pieniacka aufgestellt hat. Der Ort wurde Ende Februar 1944 von Truppen der Waffen-SS-Division "Galizien" und der UPA niedergebrannt; über 700 Einwohner wurden ermordet. Auf der Swoboda-Erläuterungstafel ist zu lesen, dies sei "sowjetisch-polnische Propaganda"; vielmehr hätten die Deutschen in dem Ort nur polnische und bolschewistische "Subversion" bekämpft.[4]
 
"Held der Ukraine"
 
Wie Rudling berichtet, geht denn auch eine Passage in der Resolution des Europaparlaments vom 25. Februar 2010, die sich auf die Ukraine bezieht, auf die polnische Regierungspartei Platforma Obywatelska (PO) zurück. Kurz zuvor, am 22. Januar 2010, hatte der scheidende Präsident Juschtschenko in einer seiner letzten Amtshandlungen Bandera posthum den Ehrentitel "Held der Ukraine" verliehen. Das Europaparlament "bedauert diese Entscheidung zutiefst", heißt es in der polnisch inspirierten Resolution, in der der frisch gewählte Präsident Janukowitsch explizit aufgefordert wurde, die Titelverleihung rückgängig zu machen. Jerzy Buzek, polnischer Präsident des Europaparlaments, setzte sich wenige Tage später in einem Gespräch mit Janukowitsch sogar persönlich dafür ein. Der neue ukrainische Präsident kam der Aufforderung kurz darauf nach. In Warschau wurde die Entwicklung weiterhin mit großer Skepsis beobachtet; im Sommer 2011 publizierte etwa das dortige Zentrum für Oststudien (Ośrodek Studiów Wschodnich, OSW) eine kritische Untersuchung über die Partei Swoboda. Im Juni 2012 forderte Franciszek Stefaniuk von der Regierungspartei PSL (Polskie Stronnictwo Ludowe, "Bauernpartei") mit Blick auf die internationale Berichterstattung über den Bandera-Kult - Anlass war damals die Fußball-EM -, die Ukraine müsse endlich anerkennen, dass die UPA "für bestialische Morde an Polen verantwortlich" gewesen sei. Bandera-Denkmäler, wie es sie zahlreich in der Westukraine gibt, seien inakzeptabel.
 
Die Zukunft der Opposition
 
Während in Polen noch Protest laut wurde, hatte eine Vorfeldorganisation der deutschen Außenpolitik, weit davon entfernt, sich dem Widerstand gegen den OUN-/UPA-Kult anzuschließen, begonnen, Kontakt zu Swoboda aufzubauen. Am 24. Februar 2012 nahm Swoboda-Führer Oleh Tjahnybok an einer Veranstaltung teil, die die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung gemeinsam mit dem International Republican Institute (IRI) und dem National Democratic Institute (NDI, beide USA) organisierte. Thema: "Die Zukunft der ukrainischen Opposition". Im Juli 2012 vereinbarten die Partei Batkiwschtschyna von Julia Timoschenko, eine Partnerpartei der CDU, und Swoboda eine taktische Kooperation in Vorbereitung der Präsidentenwahl, die anschließend auf eine dauerhafte Kooperation ausgeweitet wurde - und die an Berlin orientierte Klitschko-Partei UDAR einschloss. Im Frühjahr 2013 nahmen zwei Swoboda-Abgeordnete an zwei Studienreisen der Entwicklungsagentur GIZ nach Deutschland teil; der deutsche Botschafter kam Ende April mit Swoboda-Führer Tjahnybok zusammen. Berlin half tatkräftig, die spätere Maidan-Opposition zusammenzuschweißen. Deren starker ultrarechter Flügel ließ dabei niemals Zweifel an seiner Orientierung aufkommen: Im Oktober 2013 etwa führte Swoboda eine Gedenkfeier zur Erinnerung an die UPA-Gründung am 14. Oktober 1942 durch; am 1. Januar 2014 marschierten unter Führung von Swoboda gut 20.000 Bandera-Anhänger durch Kiew, um dessen 105. Geburtstag zu zelebrieren.
 
Alternativen
 
Die Saat, die der frühere Präsident Juschtschenko, eng mit dem Westen kooperierend, gelegt hat, geht damit auf. Die Frage bleibt, wieso Juschtschenko ausgerechnet auf den OUN-/UPA-Kult als Leitbild für die neue Ukraine verfiel. Es hätte Alternativen gegeben, erklärt Per Anders Rudling: Juschtschenko hätte etwa auch "die kurzlebige Ukrainische Volksrepublik von 1918 bis 1920 als Modell auswählen können, aber er wählte stattdessen den 30. Juni 1941". Was auch immer die ausschlaggebenden Motive gewesen sein mögen: Juschtschenko wählte die am stärksten antirussische Variante - und damit eine, die dem geostrategischen Vorhaben Berlins, die Ukraine russischem Einfluss immer mehr zu entziehen und sie stattdessen der eigenen Hegemonialsphäre einzuverleiben [5], durchaus entsprach. - Lesen Sie dazu auch das Interview mit Per Anders Rudling. (PK)
 
Weitere Berichte und Hintergrundinformationen zur aktuellen deutschen Ukraine-Politik finden Sie auf der Seite http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58853, von der wir diesen Beitrag mit Dank übernommen haben, unter den Titeln: Ein breites antirussisches Bündnis, Termin beim Botschafter, Expansiver Ehrgeiz, Zukunftspläne für die Ukraine, Unser Mann in Kiew, Die militärische Seite der Integration, In die Offensive, Die Expansion europäischer Interessen, Nützliche Faschisten, Oligarchen-Schach, Der Mann der Deutschen, Koste es, was es wolle, Vom Stigma befreit, Testfeld Ukraine, Der Krim-Konflikt, Kiewer Zwischenbilanz, Die Kiewer Eskalationsstrategie, Die Restauration der Oligarchen, Bilder des Kalten Krieges, Die freie Welt, Ein fataler Tabubruch, Die Europäisierung der Ukraine, Alte Verhaltensmuster, Regierungsamtliche Vokative und Ein ungewöhnlicher Einsatz.
 
[1] Per Anders Rudling: The Return of the Ukrainian Far Right: The Case of VO Svoboda. In: Ruth Wodak, John E. Richardson (Hg.): Analyzing Fascist Discourse: European Fascism in Talk and Text, 228-255. London 2013. Online-Zugang: www.routledge.com/books/details/9780415899192/
[2] S. dazu "Wissenschaftliche Nationalisten".
[3] S. dazu Probleme der Ostexpansion, Integrationskonkurrenz mit Moskau und Die Europäisierung der Ukraine.
[4] Per Anders Rudling: The Return of the Ukrainian Far Right: The Case of VO Svoboda. In: Ruth Wodak, John E. Richardson (Hg.): Analyzing Fascist Discourse: European Fascism in Talk and Text, 228-255. London 2013. Online-Zugang: www.routledge.com/books/details/9780415899192/
[5] S. dazu Der zweite Kreis der EU


Online-Flyer Nr. 457  vom 07.05.2014

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