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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Krieg und Frieden
Zivil-Militärisch-Industrieller Bildungs- und Forschungskomplex
Hochschulen: 100 Jahre WK1, 75 Jahre WK2
Von Dietrich Schulze

In der Mitgliederversammlung des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi) am 26. April 2014 in Heidelberg gab es eine spannende Diskussion zum Referat von Alex Demirović von der Goethe-Universität Frankfurt a.M. über das Thema „Autonomie der Hochschulen“. Das Thema ist allein wegen neuer Landeshochschulgesetze in einer Reihe von Bundesländern von erheblicher Bedeutung.
 

Prof. Dr. Alex Demirović
Quelle: gsw.tu-berlin.de ©Alex Demirovic
Das soll hier aber nicht beleuchtet werden, sondern das Voranschreiten der autoritären Formierung der Hochschulen. Wie in der Diskussion vielfach analysiert wurde, werden dadurch Bildung und Forschung an den Hochschulen degradiert. Dass die Qualität der Wissenschaft unter dieser Formierung leidet, wird selbst von konservativen Zeitungen wie der FAZ beklagt. Warum wird dieser Kurs unbeirrt fortgeführt? Er ist doch offensichtlich selbst für die internationale Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaftsgroßmacht Bundesrepublik völlig kontraproduktiv.
 
Ich habe dazu eine radikale These vorgetragen: „Die herrschenden Kreise nehmen die Degradierung von Bildung und Wissenschaft bewusst in Kauf. Der Zivil-Militärisch-Industrielle Bildungs- und Forschungskomplex Hochschule wird gezielt vorangetrieben. Für die Kriegspolitik nach außen werden keine Durchblicker, sondern jede Menge gehorsame Köpfen gebraucht und nur wenige TOP-Spezialisten.“
 
Der Krieg beginnt in den Universitäten, in den Köpfen der Lehrenden und Studierenden, wie vor 100 Jahren und wie vor 75 Jahren. Bundespräsident Gauck hatte bekanntlich in der Münchener „Sicherheitskonferenz“ in der Tonlage der alten deutschen Weltkrieger die neue deutsche Kriegspolitik mit der Forderung auf den Punkt gebracht, dass Deutschland mehr internationale Verantwortung übernehmen müsse. Selbstredend geht es um mehr humanitäre militärische Interventionen.
 
Zu meiner obigen These habe ich die anwesenden BdWi-KollegInnen ausdrücklich zum Widerspruch aufgefordert. Es gab keinen. Ich kann nicht sagen, dass ich darüber unglücklich bin, habe aber diese meine kürzeste Veröffentlichung in der Neuen Rheinische Zeitung genau mit der Absicht geschrieben, Widerspruch zu meiner These zu erhalten.
 
Über die diesbezügliche Formierung des KIT Karlsruhe und des BICAS München finden sich Einträge in der bekannten Online-Dokumentation [1] unter den Daten 30.01.2009, 24.04.2009, 27.07.2009, 08.01.2010, 01.03.2012 und 22.04.2013.
 

US-Präsident Dwight D. Eisenhower 1956
Quelle: White House
An den Ursprung des fetzigen Begriffs „Militärisch-Industrieller Komplex“ sei noch kurz erinnert. Ausgerechnet US-Präsident Dwight D. Eisenhower warnte in seiner Abschiedsrede 1961 vor dem Militärisch-Industriellen Komplex der USA als einer Gefahr für Demokratie und Frieden, wenn die Politik als verlängerter Arm der Rüstungsindustrie Konflikte eher militärisch als politisch lösen würde.
 
Die heutigen Realitäten in den USA hätte sich Eisenhower in seinen schlimmsten Alpträumen nicht vorstellen können. Die Bundesrepublik eifert der real existierenden US-Perversität immer stärker nach.
 
Der US-Friedenswissenschaftler Subrata Ghoshroy vom MIT hatte im Dezember 2009 im vollbesetzten Streikhörsaal der Uni Karlsruhe (KIT) in einer bewegenden Ansprache die Zivilklausel-Bewegung unterstützt und davor gewarnt, die umfassende Militarisierung der US-Universitäten übernehmen zu
wollen [2]. Just in diesen Tagen hat die Zivilklausel mit Unterstützung von Subrata Ghoshroy eine US-Webseite geentert. In einem Bostoner Bewe- gungsmagazin namens „encuentro5“ [3] erschien mein Beitrag „Ein Gespenst geht um ….“ [4] über die Zivilklausel-Bewegung vom Stand Juni 2013. Und weiter schreitet die Internationalisierung fort. Subrata Ghoshroy wird in der Potsdamer Konferenz „100 Jahre Erster Weltkrieg: Wissenschaft zwischen Krieg und Frieden. Militarismus und Militarisierung von Wissenschaft und Forschung damals und heute“ am 16.-18. Mai [5] über das Thema „Krieg heute: Interventionen, Drohnen, Cyberwar“ vortragen.
Nochmal zurück zur These. Wenn sie stimmt, bedeutet das: Dem Kampf gegen die Militarisierung der Hochschulen und Schulen kommt eine friedenspolitische Schlüsselstellung zu. 
 
Nichts ist für Jugendliche lehrreicher als das Studium von Menschen, die ihr Leben gegen Rüstung und Krieg und für Frieden und Demokratie eingesetzt haben. Den Rüstungsgegner Rudolf Diesel aus dem Vorfeld des 1. Weltkriegs habe ich kürzlich portraitiert [6]. Ein anderes Vorbild für die Studierenden wird im Laufe des Jahres vom BdWi mit einer Veranstaltung gewürdigt werden: der kürzlich verstorbene Marburger Historiker Reinhard Kühnl.
 
Dem manchmal schier aussichtslos erscheinenden Kampf gegen die neue Kriegspolitik möchte ich mit dem Schlussgedanken meines aktuellen Artikels „Ursprung der Sozialität“ in „Ossietzky“ [7] etwas Kraft einflössen: „Es gibt offenbar in der Natur des Menschen liegende Gründe für den Optimismus, den Krieg als Mittel der Politik mitsamt dem kapitalistischen Profitprinzip weltweit und dauerhaft zu überwinden.“ (PK)
 
Quellen:
[1] http://www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf
[2] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20100113.pdf
[3] http://encuentro5.org/home/civilclause
[4] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19275
[5] http://www.natwiss.de/fileadmin/user_upload/Konferenz_Potsdam_Flyer_Stand_140116_web.pdf
[6] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=20021
[7] http://www.sopos.org/aufsaetze/534d5d59d8811/1.phtml
 
 
Dr.-Ing. Dietrich Schulze (Jg. 1940) war nach 18-jähriger Forschungstätigkeit im Bereich der Hochenergie-Physik von 1984 bis 2005 Betriebsratsvorsitzender im Forschungszentrum Karlsruhe. 2008 gründete er mit anderen in Karlsruhe die Initiative gegen Militärforschung an Universitäten (WebDoku www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf ) und ist heute deren SprecherInnenkreismitglied. Er ist Beiratsmitglied der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit sowie in der Initiative „Hochschulen für den Frieden – Ja zur Zivilklausel“, BdWi-Mitglied. und publizistisch tätig.


Online-Flyer Nr. 456  vom 30.04.2014



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