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Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

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Globales
Präsidentschaftswahlen in El Salvador in zweiter Runde entschieden
Von Gewinnern und Enttäuschten
Von Anne Hild

Das Oberste Wahlgericht in El Salvador wird mit Glückwünschen von allen Seiten überhäuft, die Vereinten Nationen, die Organisation Amerikanischer Staaten, die nach alter Monroe-Doktrin immer noch maßgebliche US-amerikanische Botschaft, kirchliche und andere zivile Wahlbeobachter sind sich einig, dass auch die zweite Abstimmung zur Präsidentschaftswahl am 9. März absolut friedlich, transparent und sauber vonstatten gegangen ist. Nur die ultrarechte Oppositionspartei ARENA sah das zunächst anders. Aber der ehemalige Vizepräsident Sánchez Cerén ist inzwischen als neuer Präsident der Nationalen Befreiungsfront Farabundo Marti (FMLN) anerkannt.
 
Nachdem im ersten Wahlgang am 2. Februar keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit erreicht hatte, wurden für den 9. März Neuwahlen einberufen. Der zweite Wahlgang wird jeweils durch eine einfache Mehrheit entschieden. Im ersten Wahlgang lag die linke FMLN mit 48,93% fast 10 Punkte vor der rechten ARENA mit 38,95%. Das reichte nicht ganz, deshalb ging es in die nächste Wahlkampfrunde, in der mit wesentlich härteren Bandagen gekämpft wurde als im ersten Wahlgang. ARENA schloss ihre zuvor gespaltenen Reihen und griff auf ihre altbewährten Methoden zurück wie das Schüren von Angst vor den „kommunistischen Guerilleros“ und verstärkten Druck der Unternehmer auf ihre Angestellten, das Kreuz an die richtige Stelle zu setzen, um nicht ihren Arbeitsplatz zu verlieren. In der letzten Woche vor den Wahlen organisierten sie massiv Personalausweiserneuerungen von abgelaufenen oder ungültigen Dokumenten. Das mit der Dokumenten-ausstellung beauftragte Subunternehmen Mühlbauer konstatierte einen Arbeitsaufwand von über 180% gemessen an normalen Arbeitstagen.
 
Für ARENA ging es ums Ganze. Fünf Jahre musste die in der Rechtspartei vereinte wirtschaftliche und politische Elite des Landes bereits die totale Kontrolle über den Staatsapparat abgeben, was in ihren Reihen zu enormen Verlusten führte, waren sie es doch gewohnt, Gesetze und Politik nach ihren persönlichen Bedürfnissen zu gestalten und den Staatsapparat als Selbstbedienungsladen zu benutzen. Die Amtszeit des jetzigen, von der FMLN eingesetzten Präsidenten Mauricio Funes, kulminierte denn auch in einer massiven Aufdeckungskampagne von Korruptionsfällen seiner Vorgängerregierungen. Prominentestes Beispiel ist der inzwischen untergetauchte Expräsident Francisco Flores, der schätzungsweise 25 Millionen Dollar Wiederaufbauhilfe nach den Erdbeben von 2001 unterschlagen hatte. Etliche weitere Fälle sind in Aufbereitung.
 
Es geht, trotz Kontinuität der generell neoliberal ausgerichteten Politik, ans Eingemachte von Oligarchen und Großunternehmern, die versuchten, nach den Wahlen um jeden Preis ihre politischen und wirtschaftlichen Privilegien zurück zu erobern. Die Anstrengungen dieser Kampagne trugen zunächst Früchte, ARENA holte innerhalb von zwei Wochen rund 400.000 Stimmen auf. In der vorläufigen Auszählung, die 15 Minuten nach Schließung der Wahllokale im Beisein von jeweils zwei Vertretern beider Parteien pro Urne begann, und durch das direkte Einscannen der Akten öffentlich über das Internet verfolgt werden konnte, lag ARENA knapp zwei Stunden im Kopf an Kopf-Rennen vorne, doch dann holte die FMLN auf und bestimmte letztendlich das Wahlergebnis für sich.
 
Insgesamt reichte ARENA bei unterschiedlichen Behörden 10 verschiedene rechtliche Widersprüche gegen das Wahlergebnis ein, jeder einzelne wurde nach ordentlicher Prüfung abgelehnt. Außerdem griff die Rechtspartei auf für sie ungewöhnliche Protestformen zurück: Straßenproteste blockierten zunächst den Zugang zum obersten Wahlbüro, in den darauffolgenden Tagen wurden Mahnwachen gehalten, Cacerolazos (Kochtopfdemos) und sogar Straßensperren mit brennenden Autoreifen veranstaltet. Der allgemeine Aufruf zum Aufstand sollte vor allem destabilisierend wirken und wurde von Großteilen sowohl der salvadorianischen Bevölkerung als auch der internationalen Gemeinde mit Besorgnis zur Kenntnis genommen, blickt das Land doch auf eine vor allem von Gewalt geprägte Geschichte mit 12 Jahren Bürgerkrieg und anhaltender Gewalt in den Familien, zwischen Banden und von organisiertem Verbrechen auf eine noch recht jungen Demokratie zurück.
 
Für viele trugen die Vorkommnisse auch die Handschrift von J.J.Rendon, einem Berater von ARENA, der auch eng mit der rechten Opposition in Venezuela zusammenarbeitet, die dort seit Monaten die Destabilisierung des Landes durch Gewalt und Eskalation heraufzubeschwören versucht. Die Argumente und Parolen stammen aus den 80er Jahren („Vaterland ja, Kommunismus nein!“). Dada Hirezi, ehemaliger Wirtschaftsminister der Regierung Funes, appellierte an seine Mitbürger, als letztes doch endlich auch den kalten Krieg hinter sich zu lassen.
 
Dass die Situation nicht außer Kontrolle geriet, wie bei ähnlichen Versuchen in Honduras oder Paraguay, lag sicher vor allem an folgenden Faktoren: zum einen brachte die Bevölkerung eine tadellose Ausübung ihres Wahlrechtes zustande. Es kam zu keinen größeren Zwischenfällen in den Wahllokalen, im Gegenteil, die ersten Wähler wurden mit Applaus von den Wahlhelfern aller Parteien empfangen. Auch die Basen beider Parteien verhielten sich am Wahltag einwandfrei. Das oberste Wahlgericht verrichtete eine exzellente Arbeit vor, während und nach den Wahlen, durch detaillierte Informationen für die Bevölkerung und ausführliche Ausbildung der Wahlhelfer, vor allem auch durch Kontrolle des Wahlkampfes, schnelle Reaktion und Ankündigung von Sanktionen beim Überschreiten des Wahlgesetzes, und eine absolut agile und transparente Auszählung der Stimmen sowie Kommunikation der Zwischen- und Endergebnisse. Dies wurde von tausenden nationaler und internationaler Wahlbeobachter bestätigt, unter anderem von Delegationen der Vereinten Nationen, der Vereinigten Staaten von Amerika, ökumenischen und zivilen Wahlbeobachtern. Und letztendlich ließ sich die FMLN auch nicht von Parolen und Aktionen provozieren, so dass schließlich die Ruhe ins Land zurück kehrte.
 
Am 26. März wurde das endgültige Verdikt des obersten Wahlgerichtes bekannt gemacht: Die FMLN hält mit 1.495.815 Stimmen einen Vorsprung von 6.634 Wählern vor ARENA. Der neugewählte Präsident und sein Vize wurden offiziell als Amtsnachfolger bestätigt. Noch am selben Tag gestand die Parteiführung von ARENA ihre Wahlniederlage ein, ihr Ideologiechef Muyshondt bezeichnete das neue Landesoberhaupt als legal, jedoch nicht legitim. Es gibt Befürchtungen, dass dieser Diskurs sich durch die Legislaturperiode ziehen wird. Sicher war die Enttäuschung der Rechten groß, hatten sie doch in den letzten Wochen alles investiert, um den Unterschied von 10 Punkten im ersten Wahlgang auszugleichen. Letztendlich stieg die Wahlbeteiligung allgemein von 61% am 2. Februar auf 75% der wahlberechtigten Bevölkerung am 9. März, und in der Geschichte des Landes gab es bislang keinen Präsidenten, der so viele Stimmen für sich vereinen konnte wie der ehemalige Guerillakommandant, Lehrer und Unterzeichner der Friedensverträge Salvador Sánchez Cerén.
 
Für viele hatte die Regierung von Mauricio Funes, der erst als Präsidentschaftskandidat der FMLN beigetreten war, eine Übergangsregierung dargestellt, welche den Weg für die neue Regierung des tiefergreifenden strukturellen Wandels bereitete. Eine zentrale Herausforderung für die Regierung des Wandels stellt zweifelsohne der marode Staatshaushalt dar. Die Steuerpolitik braucht dringend Reformen: der ärmste Teil der Bevölkerung trägt die größte Steuerlast. Großunternehmen zahlen oft keine Steuern, die Pensionskasse wurde bereits von ARENA an der Börse verspielt, und die Balance von Staatsausgaben und Einnahmen ist derart negativ, dass die Regierung voraussichtlich im August pleite sein wird.
 
Die Umweltkrise nimmt ebenfalls bedrohliche Ausmaße ein, und laut Angel Ibarra, Präsident der Salvadorianischen Umweltorganisatin UNES, besteht der dringende Bedarf, eine nachhaltige Grundlage für das Wohl der Bevölkerung zu schaffen, über Umweltstandards in der Wirtschaft, durch Regulierung der Wasserreserven und der Bodennutzung, um nicht in ein paar Jahren im kompletten Notstand zu stehen.
 
Um den vielfältigen Problemen Einhalt zu gebieten, bedarf es jedenfalls eines Staatsprojektes, welches sowohl die Grenzen der alle fünf Jahre neu ausgehandelten Regierungspolitik wie auch die Polarisierung des Landes überwindet. Man braucht ein Entwicklungsmodell, welches nicht große Teile der Bevölkerung ausschließt und in die Migration treibt, sondern die verschiedenen Generationen mit einbezieht und Räume zum Dialog und Mitbestimmung öffnet und bestärkt, das soziale Geflecht festigt und so unter anderem auch der strukturellen Krise der Gewalt entgegenwirkt.
 
Sánchez Cerén hat sich bereits mit verschiedenen Sektoren wie z.B. Wirtschaftsvertretern getroffen und die Opposition zum nationalen Dialog eingeladen. Der Rechtsbeirat von ARENA, Juan Jose Guerrero, rief seine Parteigenossen dazu auf, die Entscheidung des Wahlgerichtes anzunehmen, die Institutionen zu respektieren, die wichtigen Themen des Landes gemeinsam zu diskutieren und sich auf die Parlamentswahlen 2015 vorzubereiten. (PK)
 
Anne Hild lebt in San Salvador und hat diesen Beitrag in den Lateinamerikanachrichten vom April 2014 veröffentlicht.


Online-Flyer Nr. 452  vom 02.04.2014

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