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Globales
Ukrainische Swoboda erinnert gern an die Nazi-Vergangenheit im Land
Ein fataler Tabubruch
Von Hans Georg

Parlamentarier der neuen, mit deutscher Hilfe an die Macht gebrachten ukrainischen Regierung rufen mit Überfällen auf Fernsehredaktionen massive Proteste hervor. Bereits am Dienstag abend waren Abgeordnete der Partei Swoboda ins Büro des Direktors des staatlichen Fernsehsenders NTKU gestürmt und hatten ihn unter Schlägen und Beleidigungen zum Rücktritt gezwungen. Ähnliches war tags zuvor in Tschernihiw geschehen. Die Attacken haben in Kiew zu empörten Protesten dutzender Journalisten geführt und die OSZE-Beauftragte für die Medienfreiheit auf den Plan gerufen.

Sie entsprechen der Swoboda-Programmatik, die vorsieht, sämtlichen Medien die Lizenz zu entziehen, die "anti-ukrainische Propaganda verbreiten". Das Parteiprogramm fordert zudem, den Gründungstag der Ukrainischen Aufstandsarmee (UPA) zum nationalen Feiertag zu erheben. Die UPA beteiligte sich am Massenmord an ukrainischen Juden und massakrierte zudem zehntausende Polen; Schätzungen beziffern ihre Opfer mit um die 100.000 Menschen. Deutsche Medien attestieren der Partei, die der deutsche Außenminister international hoffähig gemacht hat, keine "faschistische", sondern eine höchstens "nationalistische" Partei zu sein; ihr Anführer Oleh Tiahnybok habe sie, behauptet eine bekannte Tageszeitung, "aus dem rechten Sumpf herausgeführt".

Der Swoboda-Medienspezialist

Auslöser der jüngsten Proteste gegen die neue Regierung in Kiew war ein Überfall einer Gruppe von Swoboda-Parlamentariern und -Schlägern auf den staatlichen ukrainischen Fernsehsender NTKU. Die Swoboda-Aktivisten drangen unter der Führung des Abgeordneten Ihor Miroshnychenko in das Büro von NTKU-Direktor Oleksandr Panteleymonov ein, warfen ihm vor, der von ihm geleitete Sender habe Ausschnitte der Rede wiedergegeben, die der russische Präsident Putin am selben Tag gehalten hatte, behaupteten dann, damit habe er Propaganda für Russland betrieben, verprügelten ihn und zwangen ihn, seine Arbeitsstelle zu kündigen. Miroshnychenko ist stellvertretender Leiter eines Parlamentsausschusses, der sich offiziell um die Rede- und Informationsfreiheit im Land kümmert. Ein Filmdokument, das den Überfall zeigt, kann im Internet eingesehen werden.[1]

Redaktionelle Zusammenarbeit

Der Überfall ist nicht der einzige seiner Art gewesen. Bereits am Montag hatte eine Gruppe nicht näher bezeichneter Personen laut einem Bericht der OSZE-Beauftragten für die Medienfreiheit das Büro des staatlichen Fernsehsenders in der Region Tschernihiw gestürmt; auch dort zwangen die Täter den Direktor, Arkadiy Bilibayev, zum Rücktritt.[2] Zudem wurde, wie berichtet wird, der Fernsehsender "Tonis" von der Miliz "Rechter Sektor" besetzt; diese habe, wie es heißt, "dem Sender eine 'redaktionelle Zusammenarbeit'" nahegelegt.[3]

Andere Methoden

Die Swoboda-Attacken haben mittlerweile zu Protesten geführt. So demonstrierten in Kiew einige Dutzend Journalisten gegen den einschüchternden Versuch, eine nicht-konforme Berichterstattung mit Gewalt auszuschalten. Die OSZE-Medienbeauftragte Dunja Mijatović teilte mit, sie sei "entsetzt"; vor allem der Angriff auf den NTKU-Direktor in Kiew sei ein "besonders schwerer Fall", weil er auch von Mitgliedern des Parlamentsausschusses für Rede- und Informationsfreiheit verübt worden sei. Swoboda-Anführer Oleh Tiahnybok hat sich inzwischen offiziell von dem Überfall distanziert; seine Partei müsse "verstehen", dass sie nicht mehr in der Opposition sei und daher nun "andere Methoden" einzusetzen habe, teilte er in einer Stellungnahme mit. In der Vergangenheit ist Tiahnybok selbst gemeinsam mit Miroshnychenko gegen Swoboda-Gegner handgreiflich geworden; das belegt ein Foto aus dem Kiewer Parlament. Miroshnychenko hat sich vor etwas über einem Jahr einen Namen gemacht, als er die aus der Ukraine stammende Schauspielerin Mila Kunis beschimpfen wollte - und dazu das Wort "Jude" benutzte.

"Klassische russische Propaganda"

Die Partei Swoboda, deren faschistischer Charakter immer deutlicher zutage tritt, hat in deutschen Leitmedien eine erstaunliche begriffliche Karriere gemacht. Herrschte im Herbst 2013 noch weitgehend Einigkeit, dass es sich um eine Partei der extremen Rechten handele, so ist seitdem ein erheblicher Wandel festzustellen. Während immer weniger Redaktionen Swoboda als "faschistisch" oder "extrem rechts" bezeichnen, nehmen Attribute wie "rechtspopulistisch", "nationalistisch" oder zuletzt auch "nationalkonservativ" zu. Noch vor wenigen Tagen schrieb eine deutsche Tageszeitung, Swoboda habe womöglich "vor 2004 ... rechtsradikale Traditionen gepflegt"; ihr Anführer Oleh Tiahnybok habe die Partei jedoch seitdem "aus dem rechten Sumpf herausgeführt". Es werde "schwerfallen, faschistische oder antisemitische Äußerungen von ihm [Tiahnybok, d.Red.] aus den letzten Jahren zu finden", hieß es im "Tagesspiegel"; der "Vorwurf des Faschismus" gehöre ohnehin "zur klassischen russischen Propaganda".[4]

Faschistisch?

Nähme man derlei Äußerungen ernst, dürfte man diverse Aktivitäten nicht als "faschistisch" oder "extrem rechts" einstufen, die Swoboda im Jahr 2013 unter Tiahnyboks Führung unternahm. Das gilt für ein Treffen am 23./24. März 2013 in Stockholm, zu dem die neonazistische "Svenskarnas Parti" ("Partei der Schweden") eingeladen hatte und bei dem Swoboda vertreten war; einer der Hauptredner kam von der deutschen NPD. Das gilt ebenso für die Teilnahme von Swoboda am "Boreal Festival" Mitte September 2013 im italienischen Cantù, bei dem außer der "Svenskarnas Parti" unter anderem die neofaschistische italienische "Forza Nuova" und die "British National Party" zugegen waren, oder für die Zusammenkunft einer Parteidelegation mit der sächsischen NPD-Landtagsfraktion Ende Mai.[5] Mit Faschismus hätte es demnach nichts zu tun, dass Swoboda am 28. April 2013 in Lwiw eine Kundgebung zur ehrenden Erinnerung an den 70. Jahrestag der Gründung der SS-Division "Galizien" durchführte; ein Swoboda-Parlamentarier aus Kiew hielt die Gedenkrede. Einen Tag später traf Tiahnybok mit dem Botschafter der Bundesrepublik in Kiew zusammen.[6] Dem Faschismus zuordnen ließe sich der Argumentation des "Tagesspiegel" zufolge auch nicht die Gedenkfeier, mit der Swoboda im Oktober 2013 an die Gründung der "Ukrainischen Aufstandsarmee" ("Ukrajinska Powstanska Armija", UPA) am 14. Oktober 1942 erinnerte. Die UPA massakrierte im Windschatten der NS-Okkupanten um die 100.000 Menschen; insbesondere Juden fielen ihren Mordtaten zum Opfer.


Nationaler Feiertag


Zwar behauptet die Bundesregierung, Swoboda habe "im Vorfeld der Parlamentswahlen 2012 ... ihr Wahlprogramm" überarbeitet und "rechtsextreme Statements" entfernt. Auch bekräftigt sie, der deutsche Botschafter habe in seinem Gespräch mit Tiahnybok am 29. April 2013 unterstrichen, "dass antisemitische Äußerungen aus deutscher Sicht inakzeptabel seien".[7] Dennoch spricht die Swoboda-Programmatik auch weiterhin eine deutliche Sprache. So verlangt die Partei, allen Medien die Lizenz zu entziehen, die "anti-ukrainische Propaganda verbreiten". Mit genau diesem Argument hatte ihr Abgeordneter Ihor Miroshnychenko seinen Überfall auf den NTKU-Direktor begründet. Swoboda will laut Programm "jegliche Zurschaustellung von Ukrainophobie" wie auch "sexuelle Perversionen" - gemeint ist unter anderem Homosexualität - unter Strafe stellen. Die Partei fordert zudem "ein staatliches Programm patriotischer Erziehung, das die Natur der jungen Generation abhärtet", und will "patriotische Organisationen" fördern. Der "Patriotismus" wäre wohl von der Swoboda-Geschichtspolitik geprägt, die vorsieht, die Mordtaten der NS-Kollaborateure der UPA und der "Organisation Ukrainischer Nationalisten" (OUN) zum "nationalen Befreiungskampf" zu erklären und UPA-Veteranen besondere "Privilegien" zu verleihen. Der UPA-Gründungstag (14. Oktober) soll zum "nationalen Feiertag" erklärt werden - zum "Tag der Ukrainischen Waffen".[8]

"Schon mehr als einmal schief gegangen"

Vor einigen Tagen hat sich der ehemalige EU-Kommissar Günter Verheugen (SPD) in deutlicher Weise über die Swoboda-Partei geäußert, die der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) am 20. Februar mit einem demonstrativen gemeinsamen Auftritt vor der Weltöffentlichkeit zur auch international hoffähigen Kooperationspartnerin aufwertete (german-foreign-policy.com berichtete [9]). Es sei ein fataler "Tabubruch" gewesen, "richtige Faschisten in eine Regierung zu lassen", erklärt Verheugen: "Die Sache mit der Einbindung von radikalen Kräften ist in der europäischen Geschichte schon mehr als einmal ganz, ganz furchtbar schief gegangen. Das sollten wir nicht vergessen."[10] (PK)

Weitere Berichte und Hintergrundinformationen zur aktuellen deutschen Ukraine-Politik finden Sie auf der Seite von http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58829 unter diesen Überschriften:
 Ein breites antirussisches Bündnis, Termin beim Botschafter, Expansiver Ehrgeiz, Zukunftspläne für die Ukraine, Unser Mann in Kiew, Die militärische Seite der Integration, Integrationskonkurrenz mit Moskau, In die Offensive, Die Expansion europäischer Interessen, Nützliche Faschisten, Oligarchen-Schach, Der Mann der Deutschen, Koste es, was es wolle, Vom Stigma befreit, Testfeld Ukraine, Der Krim-Konflikt, Kiewer Zwischenbilanz, Die Kiewer Eskalationsstrategie, Die Restauration der Oligarchen, Bilder des Kalten Krieges und Die freie Welt.


[1] www.youtube.com/watch?v=_ovUVqgk3CQ.
[2] OSCE media freedom representative outraged by attacks against managers of Ukrainian National TV. www.osce.org 19.03.2014.
[3] Reinhard Lauterbach: Putschisten ohne Basis. www.jungewelt.de 20.03.2014.
[4] Christoph von Marschall: Über Lügen in Zeiten der Krim-Krise. www.tagesspiegel.de 14.03.2014.
[5] S. dazu Eine Revolution sozialer Nationalisten und Die Expansion europäischer Interessen.
[6] Oleh Tyahnybok meets with Germany's ambassador. en.svoboda.org.ua 29.04.2013. S. dazu Termin beim Botschafter.
[7] Deutscher Bundestag: Drucksache 17/14603. 22.08.2013.
[8] All-Ukrainian Union "Svoboda" program - "Program for the Protection of Ukrainians". en.svoboda.org.ua.
[9] S. dazu Vom Stigma befreit.
[10] "Gefahr einer Spirale nach unten": www.deutschlandfunk.de 18.03.2014.
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58829


Online-Flyer Nr. 450  vom 22.03.2014

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