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Globales
Deutschland schickt schon jetzt Spionageschiff Richtung Mittelmeer
Der Krim-Konflikt
Von Hans Georg

Die deutsche Kriegsmarine entsendet parallel zur Eskalation der Krise um die Krim ein Spionageschiff in Richtung Mittelmeer. Berichten zufolge hat die "Alster", die bereits das syrische Kriegsgebiet ausspionierte, ihren Heimathafen verlassen; ob sie ihre Fahrt durch das Mittelmeer weiter ins Schwarze Meer fortsetzen wird, hält die Bundeswehr geheim. Mit den Auseinandersetzungen um die Krim erreicht der Machtkampf um die Ukraine ein Gebiet von immenser geostrategischer Bedeutung für Moskau.
 
Auf der Halbinsel ist die russische Schwarzmeerflotte stationiert; die Krim gilt dabei als "Sprungbrett ins Mittelmeer", wo Russland seit 2013 wieder stärkere Aktivitäten entfalten und ein Gegengewicht zu den USA bilden will. Die prowestliche Umsturzregierung in Kiew könne das Stationierungsabkommen kündigen und damit der russischen Stellung eine zentrale Grundlage entziehen, ist zu hören. Moskau hat ohnehin seit dem Kollaps der Sowjetunion 1991 ansehen müssen, wie die NATO ihre Stellung im Schwarzen Meer immer stärker ausgebaut hat - auf russische Kosten und unter Beteiligung der Bundeswehr. Die geostrategische Bedeutung der Krim erklärt, wieso die Bundesrepublik - anders als etwa im Falle des ehemaligen Jugoslawien - versucht, die Abspaltung der Halbinsel und ihre politische Annäherung an Russland mit allen Mitteln zu verhindern.
 
Flottenaufmarsch im Mittelmeer
 
Die deutsche Kriegsmarine beteiligt sich, während die Krise um die Krim eskaliert, am internationalen Flottenaufmarsch im Mittelmeer. Laut Medienberichten ist die "Alster", die zuvor unter anderem das syrische Kriegsgebiet ausspioniert hat, aus ihrem Heimathafen in Eckernförde ausgelaufen und hat Kurs auf das Mittelmeer genommen. Ob sie womöglich ins Schwarze Meer weiterfährt, hält die Bundeswehr bislang geheim. Im Mittelmeer sind bereits jetzt zwei deutsche Kriegsschiffe innerhalb eines NATO-Verbandes und zwei weitere im Rahmen von UNIFIL im Einsatz. Wie es heißt, hat Russland dort kürzlich einen nuklear angetriebenen Kreuzer und einen Flugzeugträger mitsamt Begleitschiffen postiert; die USA sind mit einem Flugzeugträger plus Begleitflotte präsent und werden wahrscheinlich einen weiteren Carrier-Verband mit zwei Landungsschiffen ins Mittelmeer entsenden.[1] In der Krise um die Krim, die von dem Flottenaufmarsch begleitet wird, verlangen Deutschland und alle anderen Staaten der EU und der NATO geschlossen, die Krim müsse bei der Ukraine verbleiben, eine Spaltung des Landes sei um jeden Preis zu verhindern. Die Forderung hat am Wochenende die deutsche Kanzlerin bekräftigt.
 
Deutsche Widersprüche
 
Berlins Sorge um die territoriale Integrität der Ukraine ist, ruft man sich etwa die deutsche Spaltungspolitik gegenüber dem ehemaligen Jugoslawien in Erinnerung, alles andere als selbstverständlich. Die Bevölkerung der Krim spricht in ihrer Mehrheit die russische Sprache, die sich zumindest im selben Maß vom Ukrainischen unterscheidet wie Kroatisch von Serbisch. Außer der russischsprachigen Mehrheit fühlen sich auch Teile der ukrainischsprachigen Krim-Minderheit eher Moskau denn Kiew verbunden. Die Russischsprachigen stehen unter Druck: Eine der ersten Amtshandlungen der neuen Machthaber in Kiew hat darin bestanden, dem Russischen den Status der zweiten Amtssprache zu nehmen - und damit den russischsprachigen Bevölkerungsteilen Minderheitenrechte zu verweigern. Zu der neuen, unter Bruch der gesetzlichen Bestimmungen ins Amt gelangten Kiewer Regierung gehören faschistische Kräfte, die es niemals verheimlicht haben, dass sie alles Russische als etwas Feindliches betrachten. Auf der Grundlage der Logik, welche die Bundesrepublik in den 1990er Jahren bemühte, um die Zerschlagung Jugoslawiens zu forcieren, müsste Berlin heute für die Krim Ähnliches fordern.
 
Spaltung abgelehnt
 
Eine Zerschlagung der Ukraine aber, bei der sich neben der Krim auch die Ostukraine eng an Moskau orientieren könnte, hat Berlin bereits zur Zeit der "Orangenen Revolution" von 2004 entschieden abgelehnt. Ursache ist nicht nur, dass die EU-orientierte Westukraine der ökonomisch weit schwächere Landesteil ist. Eine zentrale Rolle spielen vielmehr geostrategische Erwägungen.
 
Ausgangspunkt russischer Marinemacht
 
Die Grundlagen dieser Erwägungen lassen sich exemplarisch Zbigniew Brzezinskis im Jahr 1997 publizierten Band "The Grand Chessboard" entnehmen, einem populären Klassiker der modernen Geostrategie. Die Abspaltung der Ukraine im Jahr 1991 habe Moskau "seiner dominanten Stellung am Schwarzen Meer beraubt", hält Brzezinski fest. Für Russland sei zum einen das südukrainische Odessa "das lebenswichtige Tor für den Handel mit der Mittelmeerregion und der Welt jenseits davon gewesen". Zum anderen müssten auch militärstrategische Aspekte berücksichtigt werden. Bis 1991 sei das Schwarze Meer "der Ausgangspunkt für die Projektion russischer Marinemacht in die Mittelmeerregion" gewesen. Mitte der 1990er Jahre habe Russland nur noch "über einen schmalen Küstenstreifen am Schwarzen Meer" verfügt und mit der Ukraine über die Stationierung der Reste seiner Schwarzmeerflotte verhandeln müssen. Gleichzeitig habe es mit großer Verärgerung gemeinsame Schwarzmeer-Manöver der Ukraine mit der NATO beobachtet, Manöver auf See, aber auch an Land. Das Vorrücken der NATO sei ein gravierender Rückschlag für Moskau gewesen.[2] Zuletzt ist vor rund einem halben Jahr ein deutsches Kriegsschiff im Rahmen eines NATO-Trainingsprogramms in Sewastopol eingelaufen.
 
Der Westen rückt vor
 
In der Tat dringt der Westen seit den 1990er Jahren mit Macht ins Schwarze Meer vor - auf Kosten Russlands. Bildete rings um das Schwarze Meer in der Zeit der Systemkonfrontation nur die Türkei ein Gegengewicht zur Sowjetunion, so ist durch deren Zerfall und die NATO-Osterweiterung das westliche Kriegsbündnis in der Region erheblich gestärkt worden. Im Jahr 2004 - Bulgarien und Rumänien waren der NATO soeben beigetreten - publizierte der "German Marshall Fund of the United States" ein Strategiepapier, in dem das Schwarzmeergebiet für den Westen in Anspruch genommen wurde: "Die größere Schwarzmeerregion ist das große östliche Grenzgebiet der euroatlantischen Gemeinschaft zum größeren Mittleren Osten."[3] Gegen das zu erwartende russische Widerstreben könne man statt allzu konfrontativer oder allzu kooperativer Politik eine Doppelstrategie bei der Machtausdehnung verfolgen, hieß es weiter: "Mit Russland, wenn möglich, ohne es, wenn nötig." 2008 scheiterte die Einleitung eines ukrainischen NATO-Beitrittsverfahrens dann aber an innerwestlichen Widersprüchen: Washington war klar dafür, Berlin - auf exklusiven deutsch-europäischen Einfluss in der Ukraine bedacht - strikt dagegen. Auf die Risiken beider Varianten der Expansion - der transatlantischen wie der deutsch-europäischen - hatte mit Blick auf die Krim etwa der Russlandexperte Alexander Rahr schon beim 134. Treffen des "Bergedorfer Gesprächskreises" der Hamburger Körber-Stiftung im Juni 2006 in Odessa gewarnt: "Moskau wird kaum ohne jeden Widerstand seine Flottenbasis in Sewastopol aufgeben und zulassen, dass damit seine Schwarzmeerflotte im Asowschen Meer" - vor dem russischen Teil der Schwarzmeerküste - "eingeschlossen wird."[4]
 
Sprungbrett ins Mittelmeer
 
Angesichts der aktuellen Krise bestätigt der deutsche Marineexperte Klaus Mommsen die hohe strategische Bedeutung der Krim für Moskau. "Für Russland" sei sie "das Sprungbrett in Richtung Süden, also hin zum Mittelmeer und Nahen Osten", erläutert Mommsen - denn von Russlands Küsten in der Arktis oder in der Ostsee seien "die Wege in den Atlantik" sehr weit; wolle Moskau "tatsächlich in die Mittelmeerregion" hineinwirken, dann müsse es dies vom Schwarzen Meer aus tun. Dabei spiele das Mittelmeer "in der russischen Außenpolitik eine große Rolle": "Die Russen wollen dieses Gebiet nicht der US-amerikanischen Navy überlassen", sie hätten daher 2013 "wieder ein ständiges Mittelmeergeschwader aufgestellt".[5] Die Bedeutung einer Marinepräsenz in der Mittelmeerregion haben zuletzt etwa die Kriege in Libyen und in Syrien gezeigt. Geriete die Krim wieder stärker unter russische Kontrolle, dann hätte Moskau sich sein "Sprungbrett ins Mittelmeer" zuverlässig gesichert. Dass Berlin und der Westen eine solche geostrategische Stärkung Russlands freiwillig zulassen werden, kann nach all ihren Anstrengungen, in Kiew selbst unter Rückgriff auf faschistische Kräfte und einen illegalen Umsturz eine prowestliche Regierung zu installieren, als ausgeschlossen gelten.
 
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[1] Krise im Schwarzen Meer. www.kn-online.de 01.03.2014.
[2] Zbigniew Brzezinski: The Grand Chessboard. American Primacy and Its Geostrategic Imperativs. New York 1997.
[3] Ronald D. Asmus: Developing a New Euro-Atlantic Strategy for the Black Sea Region. Istanbul Paper #2. The German Marshall Fund of the United States 2004. S. dazu Das östliche Grenzgebiet.
[4] 134. Bergedorfer Gesprächskreis: Das Schwarze Meer zwischen der EU und Russland. Sicherheit, Energie, Demokratie. 24.-26. Juni 2006, Odessa.
[5] Marine-Experte: Krim ist Russlands "Sprungbrett ins Mittelmeer". www.dw.de 27.02.2014.
Diesen Beitrag haben wiwr mit Dank von german foreign policy übernommen:
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58811


Online-Flyer Nr. 448  vom 05.03.2014

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