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Kommentar
Der Verdächtigte ist gesellschaftlich tot, auch wenn er noch lebt
Sebastian Edathy - Was bleibt?
Von Peter Vonnahme

Ob Sebastian Edathy etwas Strafbares oder nur etwas Anrüchiges getan hat, ist noch unklar. Doch egal, was die Ermittlungen zu Tage bringen, Edathy ist politisch (und als Privatmensch!) erledigt – und zwar für immer. Vom Makel des Plagiats, der Steuerhinterziehung, der Untreue, der Bestechlichkeit, vielleicht sogar vom Verdacht des Terrorismus kann man sich im Laufe der Zeit reinwaschen und man kann sogar wieder in Spitzenämter zurückkehren und Nobelpreise gewinnen. Der Vorwurf der Pädophilie legt sich jedoch wie Mehltau über den Beschuldigten, auch wenn sich die strafrechtlichen Vorwürfe irgendwann als unberechtigt erweisen sollten. Der einmal Verdächtigte ist gesellschaftlich tot, auch wenn er noch lebt.
 
 
So gesehen ist das Geschehen um Sebastian Edathy kein Ruhmesblatt für die beteiligten Politiker, Dienststellen, Medien und Moralpäpste. In diesem Fall waren viele am Werk. Zu viele! Mit dem Fall Edathy waren nach meiner bisherigen Kenntnis zumindest folgende Stellen dienstlich befasst: der ehemalige Innenminister Friedrich, sein Staatssekretär Fritsche, das Bundeskriminalamt, alle 16 Landeskriminalämter, einige Landesministerien und Polizeipräsidenten, die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main, sowie die Staatsanwaltschaften Viersen, Berlin und Hannover. Wenn man bedenkt, wie viele Mitarbeiter jede dieser Behörden beschäftigt (vom Behördenleiter bis zu den Schreibdamen und Offizianten), dann ist es nach meiner Erfahrung fast unvermeidlich, dass geheime Informationen nach außen dringen. Ebenso wenig lässt sich hinterher feststellen, wo eine undichte Stelle war. Die gegen Gabriel, Steinmeier und Oppermann erhobenen Vorwürfe sind zwar plausibel, gleichwohl sind sie spekulativ und opportunistisch. Geradezu abwegig ist die von Seehofer und der CSU erhobene Forderung, die drei genannten SPD-Politiker sollten an Eides statt versichern, dass sie Edathy nicht gewarnt haben. Das ist wie in einer Ehe: Wenn der eine vom anderen verlangt, er möge eidesstattlich versichern, dass er nicht fremdgegangen sei, dann ist die Beziehung gescheitert. Durch erzwungene Erklärungen dieser Art kann zerstörtes Vertrauen nicht wieder hergestellt werden. Im Verhältnis zwischen zwei Koalitionspartnern ist das nicht anders.
 
Obwohl das BKA im Oktober 2013 die von Edathy erworbenen Filme als "strafrechtlich irrelevant" einstufte, ordnete das Amtsgericht Hannover gleichwohl am 10. Februar 2014 die Durchsuchung der Wohn- und Diensträume Edathys an. "Aufgrund kriminalistischer Erfahrung" sei nämlich davon auszugehen, dass Besitzer von erlaubten Kinder-Nacktfotos auch strafbares Material besitzen. Das mag ja so sein. Ich finde das Verfahren trotzdem ungeheuerlich. Man stelle sich vor, ein Staatsanwalt würde zur Begründung von Ermittlungen anführen: Wer Tabak raucht, der raucht auch Hasch. Wer zur Demo geht, zündet auch Autos an. Und wer schwarzfährt, überfällt auch Banken. Wir würden zu Recht an seinem Verstand zweifeln. Für staatsanwaltschaftliche Ermittlungen genügen nämlich nicht Mutmaßungen, sondern das Gesetz verlangt konkrete Anhaltspunkte. Normalerweise wird das auch so gehandhabt. Unter dem Schlagwort Kinderpornografie geschehen jedoch Dinge, die dem Rechtsstaat wesensfremd sind.
 
Um es deutlich zu sagen: Die erkennbar gewordenen Vorlieben Edathys mag man verwerflich, anrüchig, unmoralisch finden. Solche Menschen wünscht man sich auch nicht im Parlament. Ein Grund zur öffentlichen Hinrichtung ist das jedoch nicht.
 
Zugegeben, Minister Friedrich war in einer schwierigen Situation. Es erinnert an eine griechische Tragödie. Wie immer man sich entscheidet, man handelt falsch. Doch solche Konflikte muss ein Staatsdiener aushalten, das schuldet er seinem Amt. Der Minister war zu Verschwiegenheit verpflichtet, zumal als Verfassungsminister! Ich habe kein Verständnis dafür, dass Friedrich seine Information an Gabriel weitergegeben hat. Auch wenn er geglaubt haben sollte, er trage eine besondere Verantwortung dafür, dass der ins Zwielicht geratene Edathy nicht Mitglied der Bundesregierung wird, rechtfertigt das keinen Gesetzesbruch. Friedrich hat Parteiräson vor Staatsräson gestellt. Und das geht nicht! Nebenbei gefragt: Wenn der tragische Held Friedrich schon so große Bedenken gegen die Person Edathy und dessen Aufrücken in die Bundesregierung hatte, warum hat er sie nicht der Kanzlerin mitgeteilt? Schließlich ist sie es doch, die ihr Kabinett auswählt. Wollte er einer allzeit guten und entscheidungsschwachen Mutti weitere Last ersparen?
 
Im Übrigen, was wäre denn so schlimm daran, wenn (ein zum Minister beförderter) Edathy später wegen eines - zweifelsfrei nachgewiesenen - illegalen Verhaltens sein Amt wieder hätte räumen müssen? Rücktritte gab es in den letzten Jahren zuhauf, ohne dass unsere Republik in den Grundfesten erschüttert worden wäre. Wir haben sogar den Verlust der Lichtgestalt Karl Theodor verschmerzt. Unvermeidliche Ministerrücktritte schwächen den Rechtsstaat nicht, sondern sie stärken das Vertrauen der Bürger in die Funktionsfähigkeit und Reinigungskraft des Rechtsstaates – jedenfalls mehr als ein „gutgemeinter“ Geheimnisbruch.
 
Was bleibt?
 
Der längst überfällige und endlich erfolgte Rücktritt eines von Anfang an überforderten Ministers (siehe auch NSA-Affäre!).
 
Drei politisch angeschlagene Spitzenpolitiker (Gabriel, Steinmeier, Oppermann).
 
Eine Kanzlerin, die von all dem mal wieder "nichts gewusst" hat.
 
Ein weiterer Beleg dafür, dass Seehofer ein hemmungsloser Populist ist.
 
Die traurige Erkenntnis, dass Strafverfolgungsbehörden Moral und Strafrecht nicht haben auseinanderhalten können.
 
Die Erkenntnis, dass im Umfeld von Pornographie und Pädophilie nochmaliges gesetzgeberisches Nachdenken erforderlich ist.
 
Und es bleibt das traurige Bild eines begabten Politikers, der wegen seiner krankhaften Veranlagung und wegen des Versagens Dritter zur tragischen Figur geworden ist. (PK)
 


Online-Flyer Nr. 447  vom 26.02.2014

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