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Globales
Obama-Fonds von 100 Millionen für "Militarisierung der Gehirnforschung"?
Dein Gehirn - privatisiert
Von Steven Strauss

Ich bin praktizierender Neurologe. Für mich ist das Gehirn die faszinierendste Einheit im Universum. Eine körperliche Struktur, die uns befähigt, Werkzeuge zu handhaben und mit Sprache zu kommunizieren, und die uns auch erlaubt, das Unbekannte mit Vernunft zu erkunden und in unserer Fähigkeit vorwärts zu schreiten, die Bedürfnisse der Menschen und des Planeten zu erfüllen. Es ist die fortgeschrittenste Errungenschaft der Evolution.

Daher sollte ich überglücklich sein zu hören, dass Präsident Obama im letzten April einen zunächst mit 100 Millionen US-Dollar ausgestatteten Fonds für "anspruchsvolle Forschung" vorgeschlagen hat, um das menschliche Hirn vollständig zu kartieren, um seine zahlreichen neuronalen Schaltkreise zu identifizieren, jeder eine komplexe Verbindung jener lebenden Drähte, die wir Nerven nennen. Am Ende werden wir in der Lage sein, Patientinnen und Patienten mit zerstörerischen Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson etwas wirklich Bedeutsames anzubieten. Sogar der Titel des Projekts ist bestrickend – "The BRAIN Initiative" (auf deutsch: "Die Gehirn-Initiative") - für "Brain Research through Advancing Innovative Neurotechnologies" (auf deutsch: "Gehirnforschung durch fortschrittliche innovative Neurotechnologien").
 
Aber ich war skeptisch und nicht überglücklich, weil ich nicht nur Neurologe bin, sondern auch Sozialist. Indem ich mein Gehirn benutze, habe ich gelernt, dass keine kapitalistische Regierung 100 Millionen US-Dollar für rein humanitäre Zwecke investiert. Und immer wenn sie einen bestrickenden Titel erfinden, gibt es auch Fallstricke.
 
Obama hat drei Empfänger für den Zuschuss vorgesehen: die Nationalen Gesundheitsinstitute (NIH), die Nationale Wissenschaftsstiftung und die Agentur für fortgeschrittene Forschungsprojekte der Verteidigung (DARPA). Um Himmelswillen! Die NIH zum Beispiel forscht für politische Programme wie etwa Bushs unwissenschaftliches, bildungsfeindliches Fiasko "Kein Kind zurücklassen". Und DARPA, gegründet 1958, hat den Auftrag "die nationale Sicherheit der USA" zu beschützen, indem sie "die technologische Überlegenheit des US-Militärs bewahrt". DARPA sagt, dass "US-Krieger unter den herausforderndsten Einsatzbedingungen Leistung erbringen", so dass "die Aufrüstung der neurowissenschaftlichen Kapazitäten" dazu beitragen könnte, die geistige Aufmerksamkeit in verlängerten Einsätzen zu bewahren.
 
Der amerikanische Wissenschafts-Blogger John Horgan, ein journalistisches Urgestein, kritisierte BRAIN am 22. Mai 2013 zu Recht für das, was er die "Militarisierung der Gehirnforschung" nennt. Das ist nichts Neues. In den 1990ern studierte das Forschungsinstitut der US-Army Neurowissenschaft, um damit die kognitiven Fähigkeiten für das Schlachtfeld zu verbessern.
 
Das Big Business lauert auf die großen Dollarzeichen von BRAIN. Die Pharmaindustrie zum Beispiel möchte öffentlich finanzierte wissenschaftliche Erkenntnisse erwerben, um damit ihre teuren, in Privateigentum befindlichen Medikamente herzustellen. Im Wall Street Journal forderte Gregory Sorensen am 15. April 2013 BRAIN durch die Aufhebung der Unternehmenssteuern für die medizintechnologische Industrie zu unterstützen
 
Aber das wirtschaftliche Amerika ist auch besorgt. Der Autor des Forbes Magazine, David DiSalvo, fragte am 3. April 2013 in einem Artikel: "Sind wir zu spät?", Bezug nehmend auf das Milliarden-Euro umfassende Hirnforschungsprojekt der EU und Chinas Brainnetome. (Hirnforschungsprogramm der chinesischen Regierung. Anm. d. Ü.)
 
Um BRAIN zu verstehen, müssen wir auch die kapitalistischen Patente berücksichtigen, ein exklusives Zugriffsrecht des Eigentümers. Helen Mayberg, Neurologin an der Emory Universität, hat einen neuronalen Schaltkreis tief im Gehirn identifiziert, der starke Depressionen beeinflusst. Indem sie eine bereits verfügbare Technologie nutzte und die Nerven mit elektrischen Drähten stimulierte, konnte sie ihren Patientinnen und Patienten eine dramatische Besserung verschaffen. Jetzt hält Mayberg ein Patent auf diese Technik, deren einzig neue Komponente jener Schaltkreis ist, den sie identifiziert hat. Forscherinnen und Forscher müssen bezahlen um solche Patente zu nutzen, und das beeinträchtigt medizinische Entwicklungen. Stellen Sie sich vor, wie viele Patente BRAIN generieren wird!
 
Wenn all dies für Sie klingt wie ein ganz großer Plan, um das eine Prozent noch reicher zu machen und die mentalen Waffen der imperialistischen Kriegführung zu schärfen - dann willkommen in der Wissenschaft unterm Kapitalismus.
 
Wissenschaft ist ein soziales Unternehmen, bei dem einzelne Forschende auf dem angesammelten Wissen aufbauen. Aber der Kapitalismus nutzt dieses Wissen zum Nutzen der Wenigen. Auf der Suche nach einer Lösung für seine letzte Krise versucht dieses todgeweihte Wirtschaftssystem unsere Hirne in Privateigentum und in Massenvernichtungswaffen zu verwandeln. Wir brauchen eine radikale Alternative - eine gesunde, sozialistische Welt, in der die Wissenschaft den Interessen der Menschlichkeit dient, Leiden mindert und unseren Planeten nachhaltig erhält. (PK)
 
Dr. Steven Strauss ist Neurologe in Baltimore und Autor. Der Beitrag stammt von der Website der Freedom Socialist Party in den USA (www.socialism.com). Rückmeldungen nimmt der Autor gerne entgegen (auch in deutscher Sprache) unter fspbaltimore@hotmail.com.
Der Artikel wurde auf Englisch in der Zeitung Freedom Socialist (http://www.socialism.com/drupal-6.8/?q=node/2894) in den USA veröffentlicht, und Kathrin Vogler (MdB, Links Partei) hat ihn ins Deutsche übersetzt.
 


Online-Flyer Nr. 446  vom 19.02.2014

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