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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Kultur und Wissen
Vortrag bei einer Tagung zur Arbeiterkultur im Bildungszentrum HVHS Hustedt
Arbeiterfotografie: Weiterentwicklung eines Erbes – Teil 2
Von Anneliese Fikentscher

In einer Hochzeit der Arbeiterkultur – in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts – entstand die Arbeiterfotografen-Bewegung. Sie lebt bis heute weiter – zurzeit in einer Situation, in der die Arbeiterfotografie als „das bild-gewordene Gewissen eines untergehenden Sozialstaates“ bezeichnet worden ist. Vom 29. bis 31. Januar 2014 fand am gewerkschaftsnahen Bildungszentrum Heimvolkshochschule Hustedt in Celle bei Hannover in Kooperation mit der Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel e.V. und der Friedrich-Ebert-Stiftung eine Tagung über das kulturelle Erbe der Arbeiterbewegung und die politische Kulturarbeit heute statt. „Von der Arbeiterkultur zur Kultur der Arbeit?“ war sie betitelt. Im Rahmen dieser Tagung hielt Anneliese Fikentscher den Vortrag „Arbeiterfotografie – die Weiterentwicklung eines Erbes“, den wir in drei Teilen wiedergeben – nachfolgend Teil 2.


Anneliese Fikentscher im Bildungszentrum HVHS Hustedt am 30.1.2014
Foto: arbeiterfotografie.com

Hier sind wir in einem weiteren Block des auf der Präsentation von Bildern basierenden Vortrags zu Erbe und Aufgabe der heutigen Arbeiterfotografie angekommen. Es geht um Krieg und Sozialabbau.

Die folgenden Aufnahmen sind entstanden bei einer Reise, die wir (Andreas Neuman und ich) 1999 nach Beendigung des Krieges gegen die Bundesrepublik Jugoslawien in das Kriegsgebiet unternommen haben. Es war der erste Krieg nach dem Zweiten Weltkrieg, an dem Deutschland beteiligt war. In der Folge wurde der Begriff  „Kollateralschaden“ zum Unwort des Jahres gekürt, denn er „vernebelte“ laut Jury (unwortdesjahres.net) „auf doppelte Weise die Tötung vieler Unschuldiger durch NATO-Angriffe“.


Anneliese Fikentscher  und Andreas Neumann – Deutschlands erste Kriegsbeteiligung nach 1945 – zerstörtes Zastava-Autowerk in Kragujevac, Bundesrepublik Jugoslawien, 1999


Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann – Deutschlands erste Kriegsbeteiligung nach 1945 – NATO-Angriff auf einen Personenzug (10 Tote, 16 Verletzte), Grdelica, Bundesrepublik Jugoslawien, 1999


Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann – Deutschlands erste Kriegsbeteiligung nach 1945 – Von NATO-Bomben zerstörte neurologische Klinik, Belgrad, Bundesrepublik Jugoslawien, 1999

Als Kollateralschaden wurden die vielen menschlichen Opfer bezeichnet, die angeblich zufällig und unvermeidlich getroffen sein sollten. Wir haben uns vor Ort mit eigenen Augen (und Kameras, auch Gesprächen) davon überzeugt, was kollateral angeblich zufällig getroffen worden ist. Im ersten der drei Bilder zu sehen ist das Tor zum Werk des Autoherstellers Zastava. Und es gab viele weitere zivile Gebäude und Einrichtungen, Wohnblocks, Krankenhäuser (in einer gynäkologischen Klinik hatte gerade ein Kaiserschnitt stattgefunden) und Schulen, die getroffen worden sind. So mussten wir feststellen, dass es sich nicht um perfide so genannte Kollateralschäden handelte, was im Umfeld von Belgrad, Novi Sad und Nis (Granatbeschuss eines voll besuchten Marktplatzes) getroffen worden war. Das Ganze verkauften uns „unsere Medien“ und die verantwortliche rot-grüne Regierung als Kosovo-Konflikt. Bombardiert wurde Serbien, wogegen sich vor allem die Gewerkschafter Rolf Becker (verdi, bekannt als Schauspieler und Rezitator)  und Eckart Spoo (langjähriger dju-Vorsitzender, FR-Redakteur, Herausgeber und Redakteur des Ossietzky) mit weiteren MitstreiterInnen sehr deutlich und öffentlichkeitswirksam positioniert haben.


Andreas Neumann – Gewerkschaftskollegen des WDR von DGB, IG Bau und ver.di protestieren gegen Irakkrieg – "Bush's Neue Weltordnung. Für viele: Krieg und Terror, Sozialabbau, Bildungs- und Kulturklau. Für wenige: Riesenprofite" – Köln, 14.3.2003

Proteste von Gewerkschaftskollegen – ver.di-WDR-Kollegen. Dabei geht es um den Krieg gegen den Irak 2003 in der Folge der eingangs so bezeichneten Zeitenwende. Der Irak-Krieg wurde mit dem 11. September 2001 legitimiert. US-Außenminister Colin Powell musste, nachdem der Krieg längst in Gang gesetzt war, eingestehen, dass er vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York gelogen hatte, in dem er gefälschtes, angebliches Beweismaterial über den Besitz und die Produktion von Massenvernichtungswaffen des Irak vorlegt hatte.


AF – Schauspieler und Mitarbeiter der Lindenstraße gegen den IRAK-Krieg, Köln, 15.3.2003

In Berlin und weltweit gingen Hunderttausende auf die Straßen, um gegen die geplante, scheinbar unaufhaltsame Eskalation dieses so genannten „Krieg gegen den Terror“ zu protestieren. Kollegen der WDR-Fernseh-Sendereihe Lindenstraße protestieren mit diesem Plakat zudem auf eine stille aber eindrückliche Art, in dem sie den Krieg als das bezeichnen, was er ist: ein Angriffskrieg. Alles zusammen sind das Dokumente von historischer Bedeutung.


Andreas Neumann – Der soziale Krieg – beginnende Montags-Demos 2004, Köln, 13.9.2004

Der Sozialkrieg verschärft sich: Das wachsende Heer der Arbeitslosen im Land wird mit Beginn des Jahres 2005 den bisherigen Anspruch auf Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe verlieren. Im August 2004 kommt es zu den ersten Montagsdemos – zunächst im breiten Bündnis der Parteien und Organisationen. Im laufenden Jahr (2014) gibt es demnach das zehnjährige Existieren dieser Montagsdemos.


AF – Montagsdemonstranten ziehen zum DGB in Köln, 24.1.2005

Häufig setzten die TeilnehmerInnen der Montagsdemos sich Ziele wie in Köln die Stadtverwaltung, die Medienverantwortlichen des WDR (teils mit bekannten RednerInnen). Am 24. Januar 2005, ein halbes Jahr nach dem Aufkommen der Montagsdemos, war das Ziel der Sitz des DGB und der im dortigen Sitzungssaal stattfindende, so genannte „Linke Dialog“. Die DemonstrantInnen dringen in die Gesprächsrunde ein, bekräftigen die Bedeutung der Gewerkschaften und stellen die Forderung nach „Gewerkschaften, die die Hartz-Gesetze ablehnen und bekämpfen und ihre Rücknahme erstreiten! Diese Anforderungen erfüllen die Gewerkschaften und der DGB unter ihrer jetzigen Führung nicht!“

Die wöchentlich regional abgehaltenen Demonstrationen kommen auch bundesweit zusammen. 2005 treffen am 14. Mai in Gelsenkirchen tausende DemonstrantInnen aus Mannheim, München, Magdeburg, Berlin, Bottrop, Bremen, Braunschweig, Böblingen, Hannover, Darmstadt, Leverkusen und Ludwigshafen, Aschaffenburg, Stuttgart, Solingen, Köln und zahlreichen weiteren Orten – Vertreter der ver.di-Jugend und eine Delegation von Opel-KollegInnen aus Bochum finden sich zum Protest gegen die Hartz-Gesetzgebung der rot-grünen Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) zusammen.


Hubert Thiermeyer – Streikdemonstration zu Stoibers Staatskanzlei gegen Verlängerung der Wochenarbeitszeit im Öffentlichen Dienst, München, 24.3.2006

Das ist ein Bild aus München von Hubert Thiermeyer. Wehr.di - das kann verstehen, nicht nur wer bayrisch spricht. „Unternehmer sahnen ab, wir arbeiten bis ins Grab“, heißt es auf einem der weiteren Transparente. Christian Zahn vom ver.di-Bundesvorstand: „Es ist menschenunwürdig wie Sie mit ihren Beschäftigten umgehen, Herr Stoiber." Die 4.500 Kundgebungsteilnehmer, Streikende aus Universitätskliniken, Straßenmeistereien, Hochschulen, Justizbehörden und Polizeieinrichtungen sprachen sich einstimmig dafür aus, Ministerpräsident Stoiber (CSU) zum „größten Arbeitsplatzvernichter in Bayern“ zu küren. Der hatte verkündet, dass er 11.000 Planstellen abbauen will. Darüber hinaus wolle er seinen Mitarbeitern das Urlaubs- und das Weihnachtsgeld streichen.


Andreas Neumann – Bombenstimmung beim sog. Militärmusikfestival, Köln, 27.10.2002 (ausgestellt u.a. beim 1. ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin)

Militärische Spektakel. Das ist ein weiterer Fall, bei dem wir journalistisch unterwegs waren. Hier handelt es sich um das Militärmusikfestival, das jährlich durch deutsche Städte tourt, hier in Köln, bei dem auch sehr viel "Kultur" geboten wird, bei dem gejubelt und geschunkelt wird. Zur Musik kommen in den letzten Jahren vermehrt artistische „Show Acts“, mit denen die tollen Jungs vorführen, wie sie mit Motorrädern umgehen können oder wie sie als Überfallkommando aus dem Himmel springen. Es gibt Bratwurst, Bockwurst und alles, was der Mensch gerne mag. Das Foto gehört zu einer Präsentation, die wir beim 1. ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin gezeigt haben. Da gibt es dann schon mal Nachfragen...

Frage eines Zuhörers, ob dieses Bild mittels Photoshop freigestellt sei: Nein, es ist nichts freigestellt. Der Hintergrund ist dunkel. Bei einer besseren Wiedergabe des Bildes sieht man im Hintergrund die Zuschauerränge mit der Aufschrift "KölnArena". Die Wirkung entsteht durch die Lichtsituation. Die hübschen Jungs im Vordergrund sind beleuchtet. Und dahinter ist das Publikum im Dunkeln.


Anneliese Fikentscher – der 35. so genannte Soldatengottesdienst am katholischen Weltfriedenstag, Köln, 13.1.2011

Hier ist etwas Bildbearbeitung im Spiel, aber nicht allzuviel. Es hatte stark geregnet. Das ist am Weltfriedenstag der katholischen Kirche. Der 1. September ist der von den Gewerkschaften initiierte „Antikriegstag“. Und den 21. September hat die UNO 1981 zum Internationalen Tag des Friedens ausgerufen. Folgerichtig im Januar zelebriert Kardinal Meisner im Dom zu Kölle „seinen“ Soldatengottesdienst. Das sind Bilder von mir. Die Zusammenstellung habe ich "Köln im Frieden" genannt. Es ist für uns ArbeiterfotografInnen eine kleine Tradition, dabei zu sein, um zu sehen, wie sich Militär und Kirche präsentieren. Dazu haben wir 2009 einen Kurzfilm gedreht. (NRhZ 430) Im Text zum Filmclip in der Neuen Rheinischen Zeitung (NRhZ 180) heißt es dazu unter anderem: Setzt die Armee sich künftig aus einem Heer von Arbeitslosen zusammen, die von Werbeoffizieren der Bundeswehr in regelmäßigen Veranstaltungen in den „Agenturen für Arbeit“ und zuvor bereits in Schulen, bei Industrie- und Handelsmessen mit Versprechen von Karriere und Kameradschaft geködert werden? Funktioniert Sozialabbau als Rekrutierungshilfe der Bundeswehr? Jonna Schürkes schreibt im IMI-Magazin 10/2005 von einer möglichen Zwangsrekrutierung mit Hartz IV: „Der Druck, eine Ausbildungs-/Arbeitsstelle zu finden, und sei es als Soldat bei der Bundeswehr, wurde mit Hartz IV zum Zwang.“

Vor den Domportalen – oft auch innerhalb der Kathedrale – wird alljährlich einfallsreich protestiert und zur Ächtung von Krieg und Waffen aufgerufen. In diesem Jahr kam von Pax Christi der Vorschlag, einen Gottesdienst ohne Soldaten aber dafür mit Menschen der Friedensbewegung abzuhalten und diese zu Wort kommen zu lassen.


AF – Militär-Aufmarsch '50 Jahre Bundeswehr' am Weltfriedenstag der UN (mit ausgesuchten Journalisten und Publikum) vor dem Kölner Dom, 21.9.2005

50 Jahre Bundeswehr – zelebriert auf dem Roncalliplatz vor dem Kölner Dom. Es war ein Zuschauerraum eingerichtet. Die Veranstaltung fand aber nur vor ausgesuchtem Publikum statt. Als Journalisten musste man sich dort durchsetzen. Zwei unserer FotografInnen haben sie schließlich die Akkreditierung, die wir erhalten hatten, wieder abgenommen, als der Eindruck entstand, dass wir nicht ganz im Sinne der Veranstalter fotografierten. So etwas kommt schon mal vor.


Christian Fiege – F&G-Kabelwerke, in der Ausbildungswerkstatt, Köln, 1998 (gezeigt in zwei leer stehenden Fabrikhallen von F&G im Rahmen der Ausstellung "100/4 Jahre/Orte")

Endlich einige gewohnte, vielleicht sogar schöne Fotos von Arbeitssituationen. Sie verdeutlichen Konzentration, evtl. Anspannung. Die Fotos sind 1998 beim Kabelhersteller Felten & Giullaume (F&G) in der Kölner Schanzenstraße entstanden, in der dortigen Ausbildungswerkstatt. Ich fürchte, die Firma gibt es in dieser Form schon lange nicht mehr. Die stillgelegten Werkshallen, in denen unsere Ausstellung stattfand, beherbergen heute Unternehmen der Medienbranche. Wir hatten 1998 die Möglichkeit, eine Fotoreportage zu erstellen, die wir in zwei stillgelegten Werkshallen unter dem Titel „ArbeitsZeitLebens“ ausstellen konnten. Eins unserer Unterthemen beschäftigte sich mit der Darstellung von viel Halle und Maschine aber wenig Mensch.

Diese und weitere Fotos waren Bestandteil des Ausstellungs-Reigens "100/4 Jahre/Orte" aus Anlass des 25jährigen Bestehens der Kölner Gruppe Arbeiterfotografie (vor Gründung des Bundesverbands 1978), im Rahmen der 12. Internationalen Photoszene Köln, in zwei leer stehenden Fabrikhallen von F&G


Christian Fiege – F&G-Kabelwerke, in der Ausbildungswerkstatt, Köln, 1998 (gezeigt in zwei leer stehenden Fabrikhallen von F&G im Rahmen der Ausstellung "100/4 Jahre/Orte")

Auch dieses Bild ist bei F&G entstanden. Dazu lässt sich bemerken: die Kollegen, die den ganzen Tag bei F&G gearbeitet haben, zeigten wenig Interesse, sich die Fotos, auf denen sie abgebildet waren, bei der Eröffnung der Ausstellung – oder auch später – anzusehen. Wenn das Feierabendsignal ertönte, ging es auf dem schnellsten Weg nach Haus, raus aus dem Werk, ab in die Freizeit.


Christian Fiege – Schiffspropellerherstellung Ostermann in Köln-Ehrenfeld, 1989 (Projekt „Industrie und Alltag in Ehrenfeld gestern und heute)

Schiffschraubenhersteller, korrekt: Schiffspropellerhersteller Ostermann in Köln. Hierbei handelt es sich um ein Projekt zusammen mit der IG Metall,  mit IGM-Sekretär Günter Rombey und der Ehrenfelder Geschichtswerkstatt. Das Vorhaben war, einen Stadtteil im Wandel zu porträtieren und zu zeigen, wie die Industrie nach und nach verschwunden ist. Die Firma Ostermann z.B. sei aus praktischen, nicht zuletzt Transportgründen an die Küste nach Rostock gezogen, lautete unsere damalige Information. Aber das Archiv „Rheinische Industriekultur e.V.“ gibt Auskunft über die Stilllegung des Werkes 1992 aus Gründen der internationalen Schiffsbaukrise. „Hinzu kam, dass durch die Grenzöffnung Ost in den 90er Jahren erheblich billigere Konkurrenten auf den Markt drängten.“

Andere Industrien – inmitten der Gemengelage des Kölner Stadtbezirks Ehrenfeld – beispielsweise das „Werk für Industrie- und Außenbeleuchtung, Vulkan“, berichten von Mitarbeiter-Rückgang. Josef Duppach, seit 1972 Geschäftsführer, der bei seinem Eintritt in die Firma 1952 noch von 400 Mitarbeitern zu berichten weiß: „Seither hat eine völlige Umstrukturierung stattgefunden. Wir setzen heute das 20fache mehr um bei einem Mitarbeiterstamm von knapp 165. Man sieht, wie die Zeit am Arbeitsplatz genagt hat.“ Und mit Sicherheit nicht nur die Zeit. Auch hier dokumentiert das Archiv „Rheinische Industriekultur e.V.“, Ute Jarosch zur Denkmalpflege: „Ende der 80er Jahre wurde die Produktion schließlich immer mehr an andere deutsche Standorte und ins Ausland verlagert. Die Zahl der Beschäftigten sank: von 500 auf 40 Mitarbeiter.“ Heute befindet sich auf dem Gelände ein Dienstleistungs-„Zentrum für Kreative“.


aus der Ausstellung „Wacht auf, Verdammte dieser Erde“, 2013 – Fotografien von Werner Bachmeier, Christian Fiege, Anneliese Fikentscher, Martin Büttner, Jörg Bostrom und Jürgen Seidel aus den Jahren 1982 bis 1998

Das ist ein Ausschnitt unter dem Aspekt „Arbeit“ aus der Ausstellung „Wacht auf, Verdammte dieser Erde“, die wir anlässlich des 35jährigen Bestehens des Bundesverbands 2013 in Werder an der Havel gezeigt haben. Das sind Arbeitsplätze – aber nicht nur die rein zugewandten Arbeitsplätze und -situationen. Es geht auch um die Problematisierung der Arbeitsbedingungen. Das Bild links oben stammt von Werner Bachmeier. Das ist der Fotograf (ein Kölner Studienkollege von mir und zu dieser Zeit Mitglieder Kölner Gruppe Arbeiterfotografie), mit dem Udo Achten viel zusammen arbeitet, der u.a. das Klavier- und das Hände-Projekt realisiert hat. Darunter ein Bild von Martin Büttner „Rabeneick 12.30 Uhr“ aus seiner Diplomarbeit an der Fachhochschule Bielefeld bei Prof. Jörg Boström. Gleich daneben die Arbeiterin an den Spinnapparaten ist ein Foto von Jörg Boström, der lange Zeit in Bielefeld unterrichtet, dort die Sozialfotografie gepflegt hat und der – gemeinsam mit dem Münchner Kunsthistoriker Richard Hiepe – Gründungsmitglied des Bundesverbands Arbeiterfotografie ist. Rechts daneben ein Bild wieder von einem Gewerkschaftsfotografen: Jürgen Seidel. Es zeigt die Kontrolle der automatischen Verpackung von Verhütungsmitteln bei Schering in Berlin. Mehrere dieser Fotos sind ebenso Bestandteil der Ausstellung „Deutschlandreise“ (Start 1993 in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst, NGBK in Berlin, gezeigt u.a. in Wuppertal, Fototage Herten, Köln, Magdeburg, zur phototrienale Hamburg, Erfurt 2007)


Anneliese Fikentscher – Arbeiterstadtteil Köln-Kalk, Chemische Fabrik, 1998 (gezeigt u.a. 1998 in einer von zwei leer stehenden Fabrikhallen von F&G im Rahmen der Ausstellung "100/4 Jahre/Orte" als großformatige Drucke, in der Halle des Schauspielhauses Köln-Kalk und anlässlich 35 Jahre Arbeiterfotografie in Werder an der Havel, 2013)

Köln-Kalk: Wiederum ein Stadtteil im Wandel. Dieses Werk der Chemie-Industrie gibt es nicht mehr. Haus und Werk – zugegeben spezialidyllisch dargestellt – sind verschwunden. Geblieben ist der Wasserturm, der heute nicht mehr als Wahrzeichen des Quartiers sondern von einem der heute üblichen Einkaufstempel umbaut, wie dessen Wahrzeichen fungiert.


Anneliese Fikentscher – Arbeiterstadtteil Köln-Kalk, Chemische Fabrik, 1998 (gezeigt u.a. 1998 in einer Fabrikhalle von F&G im Rahmen der Ausstellung "100/4 Jahre/Orte" und in Werder 2013)

... und jemand, der dort in Chemischen Fabrik Kalk (CFK) gearbeitet hat, die über Jahrzehnte das Leben und den Wohnraum im Arbeiterstadtteil Köln-Kalk für Einheimische und „Gastarbeiter“ prägte. Die Geschichtswerkstatt Kalk notiert zum „Niedergang und Ende der Chemischen Fabrik“: „Mit den siebziger Jahren beginnt der Niedergang in Kalk, der letzte verheerende Einschnitt. Arbeitsplätze werden aus übergeordnetem Konzerndenken vernichtet, Produktionsüberkapazitäten ‘bereinigt’, veraltete Industrie aufgegeben, nicht modernisiert. Kleine und mittlere Betriebe müssen schließen. Über Alternativen wird lange nicht nachgedacht. Erfahrungen liegen brach, Menschen mit hohem Ausbildungsstand, qualifizierte Facharbeiter – durchaus in der Lage neue Produktionsverfahren zu erlernen – stehen auf der Straße.“ Günter Rombey zur Eröffnung von „Industrie und Alltag in Ehrenfeld...“ (s.o.): Diese Ausstellung solle „die Geschichte eines Stadtteils ergründen und das nicht wie häufig aus der Perspektive einiger Persönlichkeiten der herrschenden Schicht, sondern aus dem Blickwinkel der Menschen, die (hier) gelebt und gearbeitet haben.“ Soweit dieses Kapitel...

Es folgen jetzt einige (nicht erschöpfend repräsentative) Beispiele vom Einsatz der Fotos in Publikationen, in denen unsere Arbeiten eingesetzt werden.


Publikationsbeispiel

Häufig haben wir die Verleihung des Aachener Friedenspreises dokumentiert, PreisträgerInnen portraitiert. Hier: Pater Roy Bourgeois aus den USA, der 2005 den internationalen Preis verliehen bekommen hat – zusammen mit der Tochter von Bert Brecht, Hanne Hiob, die mit dem nationalen Preis ausgezeichnet worden ist. Roy Bourgeois erhielt die Ehrung für seinen (mit 4 Jahre Haft in US-Gefängnissen bestraften) Einsatz zur Schließung der School of the Americas SOA (Nachfolgeeinrichtung ist das Western Hemisphere Institute for Security Cooperation, kurz WHINSEC). SOA, die berüchtigte US-amerikanische Folterschule in Fort Benning, bildete lateinamerikanische Soldaten (und paramilitärische Truppen) in Foltertechniken aus, die in „revolutionsgefährdeten“ Gebieten zum Einsatz kamen. Davon handelt die Publikation, auf deren Titel der katholische Priester, Foltergegner und Friedensaktivist abgebildet ist.


Publikationsbeispiel

Düsselmosaik wird herausgegeben vom Düsseldorfer Sozialforum, attac Düsseldorf und der Arbeitslosen-Initiative Düsseldorf – hier mit AF-Titelbild einer Aktion der Studenten- und Schüler-Protestbewegung in NRW gegen die von der schwarz-gelben Landesregierung geplanten Studiengebühren


Publikationsbeispiel

Leipzigs Neue, Linke Zweiwochenzeitung. Das ist eins der Plakate aus dem Zyklus „Rettet den Reichtum“, die wir im Seminarraum der Tagung ausgestellt haben – hier auf der Titelseite einer Leipziger Zeitung. Eine Druckauflage des Plakats war beauftragt von ver.di München. Die Erstpräsentation des Plakatzyklus fand im Januar 2005 in der verdi-Mediengalerie im Haus der Buchdrucker in Zusammenarbeit mit Constanze Lindemann statt.


Publikationsbeispiel

Eine „Flugschrift“ der VVN/BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschisten), Berlin mit der Titelzeile: „Alles wächst: die Gewinne, die Arbeitslosigkeit, die Armut“


Publikationsbeispiel

Titelfoto der „Zeitung gegen den Krieg“ zum Thema: Nein zu Auslandseinsätzen und Einsätzen der Bundeswehr im Innern...


Publikationsbeispiel

Und hier: Der rechte Rand. Es geht um nicht aufgearbeiteten Rechtsextremismus, im Titel-Foto geht es um die Verbrechen der Wehrmacht. Hier der Fall Mittenwald - ein besonderer Fall: „Seit 1952 treffen sich jährlich zu Pfingsten ehemalige Gebirgsjäger der Wehrmacht. Das Treffen findet seit vielen Jahren am Hohen Brendten in Mittenwald statt. Dort organisiert der ‘Kameradenkreis der Gebirgstruppe’, ein Zusammenschluss von Wehrmachtsveteranen und Bundeswehrsoldaten, jeden Pfingstsonntag eine Gedenkfeier mit Militärgottesdienst für die im Zweiten Weltkrieg gefallenen Gebirgsjäger.“ – so der Wortlaut des AK Angreifbare Traditionspflege und VVN-BdA Bayern. Bekannte PolitikerInnen, die sich gerne bei „Anti-Nazi-Veranstaltungen“ inszenieren, lassen sich hier nicht blicken. Protestgruppen (darunter HistorikerInnen, ZeitzeugInnen) dagegen werden kriminalisiert.


Publikationsbeispiel

Ein Foto von Eugen Heilig (siehe Vortrag Teil 1) aus der Umgebung von Berlin, 1936: „Juden sind in unsern deutschen Wäldern nicht erwünscht“ kommt zum Einsatz als Bühnenbild von acht Metern Höhe (Bühne: Bert Neumann) in der Inszenierung von Frank Castorf „DER KAUFMANN VON BERLIN ein historisches schauspiel aus der deutschen inflation“ von Walter Mehring an der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Premiere 18. November 2010


Publikationsbeispiel

Das Katalog-Buch "Gegen den Braunen Strom" (1. Auflage 1991 zur Ausstellung im Kölner Stadtmuseum, 2. Auflage 2000 zur Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln) enthält neben Einleitungs- und Begleittexten Porträts und Interviews von Widerstandskämpfern gegen das NS-Regime. Das Projekt haben wir mit einer größeren Zahl Kölner Gruppemitgliedern realisiert. Die Fotos fallen dann unterschiedlich aus. Auch Anfängern wird die Gelegenheit gegeben, bei solchen Projekten mitzuwirken. So müssen wir sehen, wie wir eine solche Aufgabe gemeinsam bewältigen. Es sind Porträts entstanden, die sicher herausragend sind – wie das des damaligen Jugendleiters im Einheitsverband der Eisenbahner Deutschlands EdED, Willi Komorowski, das von der Fotografin Almut Wilms-Schröder sehr gut ins Licht gesetzt ist. So kann man - learning by doing - gemeinsam dabei lernen. Der bereits erwähnte Fotograf Werner Bachmeier war – während seiner Kölner Studienzeit – ebenfalls beteiligt.


Publikationsbeispiel
Postkarte gegen Stimmungsmache beim Neubau der Kölner DITIB-Moschee, 2007

Das ist ein grafisches Beispiel in Zusammenhang mit dem Moscheebau in Köln. Wir sind von einem Verlag beauftragt worden, eine Aufnahme der Trinitatis-Kirche zu machen. Es geht darum, den Vergleich zu zeigen zwischen den tatsächlichen Ausmaßen des katholischen Kölner Dom, der evangelischen Trinitatis-Kirche, der jüdischen Synagoge und des geplanten, von Ralp Giordano als „Groß-Moschee“ verunglimpften Neubaues der sunnitischen Moschee.


Anneliese Fikentscher – Beitrag zur Beteiligung an der Themenausschreibung "fair teilen", 2002

"fair teilen" – Ein Wettbewerb des Fördervereins gewerkschaftliche Arbeitslosenarbeit e.V. (Bielefeld) und der IG Metall Frankfurt unter gestalterisch-organisatorischer Leitung des Grafikbüros luxsiebenzwo mit Willi Hoelzel, der 2012 viel zu früh gestorben ist. Daran haben wir uns (weniger wettbewerbs- als beteiligungsorientiert) – in für Arbeiterfotografie vielleicht etwas ungewöhnlich optimistischer Sichtweise – beteiligt. Im Aufruf „gefragt waren Fotos, Bilder und Ansichten, die die soziale Wirklichkeit und die Alltagserfahrung einfangen, die zum Nachdenken über eine gerechte Verteilung von Lebenschancen anregen und die zum sozialen Engagement ermutigen und solidarisches Handeln sichtbar machen.“ 


Anneliese Fikentscher – „fair teilen macht Spaß!“ Beitrag für das Ausstellungs- und Katalog-Projekt "fair teilen", 2002

Fotos, nicht vorgefunden, sondern inszeniert. Der über rein realistisch und dokumentarische Fotografie hinausweisende Arbeitsansatz der Neuen, nach-weimarer Arbeiterfotografie hat in dieser Vorstellung einen Auftakt und findet im nächsten Vortragsblock seine Fortsetzung. (PK)


Anmerkung:

Bei dem hier wiedergegebenen Text handelt es sich um die verschriftlichte Fassung auf der Basis eines frei gehaltenen Vortrags mit anschließender Diskussion.

Hinweise:

Teil 1 des Vortrags "Arbeiterfotografie: Weiterentwicklung eines Erbes"
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=19989

Teil 3 des Vortrags „Arbeiterfotografie: Weiterentwicklung eines Erbes“
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=20053

Arbeiterfotografie-Ausstellung bei der Tagung „Von der Arbeiterkultur zur Kultur der Arbeit?“
http://www.arbeiterfotografie.com/verband/2014-arbeiterkultur/ausstellung.html

Online-Flyer Nr. 445  vom 12.02.2014



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