NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 24. April 2024  

zurück  
Druckversion

Inland
Berlin will seinen Einfluss auf Erdoğan und die Türkei verstärken
Geostrategisch sehr exponiert
Von Hans Georg

Bei mehreren Treffen mit dem Ministerpräsidenten und dem Außenminister der Türkei hat sich die Bundesregierung um neue Absprachen zu ihrer Syrien- und Ukraine-Politik bemüht. Kanzlerin Merkel und Außenminister Steinmeier kamen am gestrigen Dienstag mit Ministerpräsident Erdoğan zusammen; Steinmeier hatte bereits am Montag seinen Amtskollegen Davutoğlu im Auswärtigen Amt empfangen.
 
Im Gespräch ist in Berlin unter anderem, Ankara zu "Finanzhilfen" für die Ukraine heranzuziehen, um Moskaus Einfluss auf Kiew auszustechen. Im Hinblick auf den Syrien-Krieg führt die Türkei Gespräche mit Iran, die offenbar die Verhandlungen der "5+1"-Staaten - darunter Deutschland - mit Teheran ergänzen sollen. Zudem intensiviert Ankara seine Kooperation mit der Autonomieregierung des kurdischsprachigen Nordirak; sollte Syrien endgültig zerfallen, könnte dies eine territoriale Neugliederung der Region, insbesondere der kurdischsprachigen Territorien, vorantreiben. Berlin hat, um seine Einflussnahme auf die türkische Außenpolitik zu sichern, letztes Jahr einen "Strategischen Dialog" mit Ankara gestartet, der sich nun in der Ukraine und in Syrien bewähren soll.
 
Ein Blick auf die Landkarte
 
Jenseits der üblichen Wortgefechte um einen etwaigen künftigen EU-Beitritt der Türkei ist Berlin bereits seit geraumer Zeit bemüht, seinen Einfluss auf Ankara zu verstärken - aus außenpolitischen Gründen. Bereits "ein Blick auf die Landkarte" zeige, "welch große Bedeutung der Türkei in einer geostrategisch sehr exponierten Lage" zukomme, erklärte Außenminister Frank-Walter Steinmeier in einem Namensartikel, der am Wochenende in der türkischen Presse erschienen ist. Sein Hinweis bezieht sich aktuell vor allem auf das südlich an die Türkei grenzende Syrien, allgemein jedoch auf alle türkischen Einflussaktivitäten im Nahen und Mittleren Osten, die in den vergangenen Jahren neue Intensität gewonnen haben. Die Bundesrepublik hat deshalb im vergangenen Frühjahr einen "Strategischen Dialog" mit der Türkei vereinbart, der regelmäßige Treffen der Außenminister beider Staaten vorsieht und auch darüber hinaus eine intensivere Kooperation zwischen den Außenministerien in Berlin und Ankara garantieren soll.[1] Bereits vor dem Treffen der deutschen Kanzlerin mit dem türkischen Ministerpräsidenten am gestrigen Dienstag waren am Montag Frank-Walter Steinmeier und sein Amtskollege Ahmet Davutoğlu zu Gesprächen zusammengekommen. Thema war neben dem Krieg in Syrien auch die Entwicklung in der Ukraine.
 
Unterstützung gegen Moskau
 
Bei seinen Bemühungen, den russischen Einfluss in Kiew zurückzudrängen, mobilisiert Berlin alle greifbaren Ressourcen und will nun auch Ankara zu stärkerer Unterstützung bewegen. Die Türkei und die Ukraine, beide wichtige Schwarzmeer-Anrainer, kooperieren längst etwa beim sogenannten Anti-Terror-Kampf und bei polizeilichen wie bei grenzpolizeilichen Maßnahmen; sie haben im Herbst beschlossen, ihre Zusammenarbeit weiter zu intensivieren. Dabei geht es auch darum, Kiew neue Spielräume gegenüber Moskau zu verschaffen, während das NATO-Mitglied Türkei seinerseits die eigene Stellung im Schwarzmeergebiet stärken will. In Berlin heißt es daher, man solle die Türkei nun auch zur Finanzierung von Schritten heranziehen, die dazu beitragen könnten, die Westbindung der Ukraine zu erzwingen. Entsprechende "Finanzhilfen" sind seit letztem Wochenende in Berlin, Brüssel und Washington im Gespräch; sie sollen Russlands Unterstützung für die Ukraine ausstechen.
 
Unterstützung in Nah- und Mittelost
 
Vor allem aber geht es bei den deutschen Bestrebungen, Einfluss auf die Türkei zu nehmen, um die Nah- und Mittelost-Politik - in der Region hat Ankara in den letzten Jahren weitreichende Aktivitäten entfaltet (german-foreign-policy.com berichtete [2]). Dies gilt insbesondere für Syrien. Dort hat die türkische Regierung seit dem Sommer 2011 mit aller Macht den Sturz der Regierung von Bashar al Assad betrieben - an der Seite der westlichen Führungsmächte, Deutschland inklusive.[3] Ergebnis der Kooperation ist unter anderem die Stationierung von Patriot-Batterien der Bundeswehr auf türkischem Territorium, die der Bundestag letzte Woche verlängert hat; Zustimmung gab es auch von Bündnis 90/Die Grünen. Weitreichende Folgen für die Entwicklung Syriens sind zurzeit aber vor allem von zwei Aktionsfeldern der türkischen Außenpolitik zu erwarten: von den Entwicklungen in den kurdischsprachigen Gebieten der Region sowie von Ankaras Beziehungen zu Teheran. In beides ist Berlin zumindest indirekt involviert.
 
"Großkurdistan"
 
Im Falle der kurdischsprachigen Gebiete der Region geht es unter anderem um den kurdischen Nordirak, in dem gegenwärtig der Barzani-Clan regiert. Der Clan und sein Oberhaupt Masud Barzani, Präsident der kurdischen Autonomieregierung, halten seit den 1980er Jahren Kontakte in die Bundesrepublik, insbesondere zu CDU und CSU (german-foreign-policy.com berichtete [4]). Das deutsche Interesse an den umfangreichen Erdöl- und Erdgasreserven "Irakisch-Kurdistans" ist nicht erst bekannt, seit Nechirvan Barzani, Masuds Neffe und Ministerpräsident der "Autonomen Region Kurdistan" im Norden Iraks, am 20. März 2013 beim "4. Rohstoffkongress" der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in Berlin auftrat - unter anderem neben dem Vorstandsvorsitzenden der E.ON Ruhrgas AG sowie dem Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Die "Autonome Region Kurdistan" unter Masud und Nechirvan Barzani hat kürzlich begonnen, Öl und Gas per Pipeline an die Türkei zu liefern, die einen Teil davon selbst verbrauchen, den anderen Teil auf dem Weltmarkt verkaufen will. Die irakische Regierung in Bagdad protestiert gegen das eigenmächtige Vorgehen der kurdischen Autonomieregierung und hat Schritte dagegen eingeleitet. Besondere Bedeutung kommt der Angelegenheit zu, weil Strategen seit letztem Jahr erwägen, die kurdischen Gebiete des Irak und Syriens langfristig aus ihren Staaten zu lösen, mit denen sie schon heute nur noch locker verbunden sind, und sie mit den kurdischen Regionen der Türkei innerhalb des türkischen Staates zu einer Art "Provinz Großkurdistan" zusammenzuschließen (german-foreign-policy.com berichtete [5]). Ob die zahlreichen Widersprüche, die dem Vorhaben entgegenstehen, zu überwinden wären, ist vollkommen unklar; die Option, die zumindest in Ankara Anklang gefunden hat, überschattet bis heute jedoch die Debatte.
 
Der Deal mit Iran
 
Bei den Berliner Treffen mit Erdoğan und seinem Außenminister dürften auch Erdoğans jüngste Gespräche in Teheran thematisiert worden sein, die offenkundig die Verhandlungen der "5+1"-Staaten mit Iran begleiten. Bei den "5+1"-Staaten handelt es sich um die Mitgliedsländer des UN-Sicherheitsrats plus Deutschland. Die Türkei hat die Aufständischen in Syrien massiv unterstützt, Berichten zufolge auch salafistische Milizen. Iran hingegen stärkt der mit ihm verbündeten Regierung von Bashar al Assad den Rücken. Wie der türkische Staatspräsident Abdullah Gül nun berichtet, eröffneten die Fortschritte in den Gesprächen der "5+1" mit Teheran auch Chancen für "Alternativen" im syrischen Stellvertreterkrieg; gelinge es Ankara, in Verhandlungen mit Teheran Absprachen über Syrien zu erreichen, dann könne man diese der "westlichen Welt" unterbreiten.[6] Tatsächlich sei es am 29. Januar bei Gesprächen, die Ministerpräsident Erdoğan in Teheran führte, nicht, wie es offiziell dargestellt wurde, "um Wirtschaft, Verträge und die bilateralen Beziehungen" gegangen, sondern "um Syrien, Syrien und Syrien", berichten Insider.[7] Wie sich die Ergebnisse der Gespräche in die "5+1"-Verhandlungen mit Teheran einfügen, dürfte in den vergangenen Tagen in Berlin besprochen worden sein. (PK)
 
[1] "Die Türkei, ein unverzichtbarer Partner". www.auswaertiges-amt.de 01.02.2014.
[2] S. dazu Die neuen Partner in Ankara (I), Die neuen Partner in Ankara (II) und Freunde, kommt zu uns!.
[3] S. dazu Verdeckte Kriegspartei und Flugabwehr für die Exilführung.
[4] S. dazu Partnerpflege in Mittelost.
[5] S. dazu Brücke in die islamische Welt und Das Ende künstlicher Grenzen.
[6] Kadri Gursel: Gul proposes Turkey-Iran cooperation in Syria. www.al-monitor.com 03.02.2014.
[7] Ali Hashem: Erdogan discusses Syria policy in visit to Iran. www.al-monitor.com 30.01.2014.
 
Weitere Informationen und Hintergründe zur deutschen Türkei-Politik finden Sie unter http://www.german-foreign-policy.com/, woher wir diesen Beitrag mit Dank übernommen haben, hier: Die neuen Partner in Ankara (I), Die neuen Partner in Ankara (II), Eine Brücke nach Asien, Die größte Botschaft, Freunde, kommt zu uns!, Brücke in die islamische Welt, Islamisten als Partner und Ein deutscher Leuchtturm in Istanbul.


Online-Flyer Nr. 444  vom 05.02.2014

Druckversion     



Startseite           nach oben

KÖLNER KLAGEMAUER


Für Frieden und Völkerverständigung
FOTOGALERIE