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Inland
Anzeige gegen Geheimdienste & Bundesregierung wegen Massenüberwachung
Gründe: Ausforschung durch NSA & Co.
Von Peter Kleinert

Am 3. Februar hat die Internationale Liga für Menschenrechte zusammen mit dem Liga-Vizepräsidenten und Rechtsanwalt Dr. Rolf Gössner, dem Chaos Computer Club e.V., Hamburg, und dessen Sprecherin Dr. Constanze Kurz, dem Datenschutzverein digitalcourage e.V. (Bielefeld) und den Vorstandsmitgliedern Rena Tangens und "padeluun" Strafanzeige beim Generalbundesanwalt gegen die Bundesregierung und die Geheimdienste erstattet.
 
Die anlasslose Massenüberwachung und Ausforschung der Bevölkerung, die systematische Digitalspionage durch den US-Geheimdienst NSA und andere Geheimdienste und die damit mutmaßlich verbundenen Bürgerrechts- und Strafrechtsverstöße müssten "endlich gerichtlich überprüft und ggf. geahndet werden" heißt es in einer Pressemitteilung. "So etwa die Straftatbestände der verbotenen Geheimdiensttätigkeit, der Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs, des Ausspähen von Daten und der Strafvereitelung.
 
Die Strafanzeige richtet sich sowohl gegen US-amerikanische und britische wie auch deutsche Geheimdienste (Bundesnachrichtendienst, Verfassungsschutz, Militärischer Abschirmdienst) und namentlich gegen "die jeweils zuständigen Leiter, die über enge Kooperationen in diese flächendeckenden Geheimdienstaktivitäten verstrickt und mit uferlosen Datenübermittlungen an diesem globalen Ausforschungs-system und den Datenexzessen unmittelbar und mittelbar beteiligt sind". Die Anzeige richtet sich auch gegen Bundeskanzlerin Merkel und ihren Bundesinnenminister "als Verantwortliche für die mutmaßliche Mittäter- und Gehilfenschaft bundesdeutscher Geheimdienste". Sie richtet sich schließlich auch gegen die gesamte Bundesregierung sowie gegen alle zuständigen Amtsvorgänger während der letzten beiden Jahrzehnte.
 
Rolf Gössner zu seiner Motivation, die Anzeige mit zu erstatten:
 
„Dieser Schritt ist der Versuch, die allenthalben spürbare Ohnmacht und Duldungsstarre angesichts der Überwachungsdimension und der täglichen Enthüllungen zu durchbrechen und die politisch und strafrechtlich Mitverantwortlichen in Bundesregierung und Geheimdiensten endlich ausfindig zu machen und zur Rechenschaft zu ziehen. Und zwar für deren enge Kooperation und den intensiven Datenaustausch mit der NSA und anderen Geheimdiensten und dafür, dass bundesdeutsche Geheimdienste, wie der BND, sogar Überwachungsinstrumente und –Infrastrukturen mit der NSA teilen, wie Edward Snowden vor kurzem dargelegt hat.“
 
Die inzwischen bekannt gewordenen Geheimdienst-Praktiken und Strukturen jenseits demokratischer Kontrolle hätten gravierende Auswirkungen auf die betroffenen BürgerInnen, auf zivilgesellschaftliche Vereinigungen, auf Staat und Gesellschaft, auf Politik und Wirtschaft, auf die Substanz von Grund- und Bürgerrechten sowie auf Bewusstsein und Verhalten der Menschen.
 
Rolf Gössner: „Das von der Verfassung garantierte Recht des Einzelnen, unkontrolliert zu kommunizieren, ist unverzichtbare Grundvoraussetzung einer offenen demokratischen Gesellschaft – wird aber unter den Bedingungen dieser Massenüberwachung schwer verletzt. Doch sowohl die alte als auch die neue Bundesregierung haben es bislang sträflich unterlassen, mit der Massenüberwachung verbundene Straftaten und Bürgerrechtsverletzungen zu unterbinden und die BürgerInnen und von Wirtschaftsspionage betroffene Unternehmen pflichtgemäß vor diesen feindlichen Attacken zu schützen - obwohl es zu ihren Kernaufgaben gehört, diesen Schutz zu gewährleisten und der Erosion des demokratischen Rechtsstaates und der Bürgerrechte wirksam Einhalt zu gebieten.“
 
Liga-Präsidentin Prof. Dr. Fanny-Michaela Reisin ruft aus all diesen Gründen dazu auf, sich kollektiv zu widersetzen und die Strafanzeige zu unterstützen:
 
„Wir brauchen dringend eine straf- und verfassungsrechtliche Klärung der Verantwortlichkeiten in dieser Affäre – ohne Rücksicht auf (außen-)politische Interessen. Deshalb hat die Liga die Strafanzeige gegen Verantwortliche der Massenüberwachung initiiert - parallel zu unseren Schwesterligen in Frankreich und Belgien und koordiniert durch unsere gemeinsame internationale Dachorganisation FIDH in Paris.
 
Unsere Initiative soll die Zivilgesellschaft eindringlich dazu ermuntern, sich diesen bürgerrechtsfeindlichen Angriffen auf geltendes Recht mit aller Kraft zu widersetzen - ehe es zu spät ist. Wir rufen Vereinigungen sowie Bürgerinnen und Bürger dazu auf, sich zahlreich der Anzeige anzuschließen und sie öffentlichkeitswirksam zu unterstützen!“ (PK)
 
Weitere Informationen finden Sie in der hier drunter stehenden Pressemitteilung der Anwälte Eberhard Schultz und Claus Förster in Berlin, die die Strafanzeige für die Liga und im Namen der beteiligten AnzeigeerstatterInnen verfasst haben:
 
PRESSEMITTEILUNG
 
Strafanzeige beim Generalbundesanwalt erstattet gegen Agenten US-amerikanischer, britischer und deutscher Geheimdienste, ihre Vorgesetzen sowie Mitglieder der Bundesregierung wegen geheimdienstlicher Massenüberwachung durch NSA u. a.
Edward Snowden muss als sachverständiger Zeuge vernommen werden!
 
Mit Schriftsatz vom 03.02.2014 haben wir namens und im Auftrag der Internationalen Liga für Menschenrechte e.V., Berlin, und ihres Vizepräsidenten Rechtsanwalt Dr. Rolf Gössner als persönlich Betroffenem, des Chaos Computer Clubs e. V., Hamburg, und seiner Sprecherin Dr. Constanze Kurz sowie des Vereins digitalcourage e.V., Bielefeld, und seiner Vorstandsmitglieder Rena Tangens und padeluun Strafanzeige erstattet gegen
 
1) US-amerikanische, britische und deutsche Geheimdienstagenten und ihre Vorgesetzten,
2) den Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes (BND), Herrn Gerhard Schindler,
3) den Präsidenten des Bundesamtes fürVerfassungsschutzes (BfV) Herrn Dr.
Hans-Georg Maaßen,
4) den Präsidenten des Amtes für den Militärischen Abschirmdienstes (MAD),
Herrn Ulrich Birkenheier,
5) die Leiter der Landesämter für Verfassungsschutz,
6) den Bundesminister des Inneren, Herrn Dr. Thomas de Maiziére,
7) die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und die übrigen Mitglieder der Bundesregierung,
8) sowie die Amtsvorgänger der Beschuldigten zu 2) bis 7)
insbesondere wegen verbotener Geheimdiensttätigkeit, Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs sowie Strafvereitelung
 
Das Ergebnis der mehr als 50 Seiten umfassenden Strafanzeige ist eindeutig:
Es bestehen in ausreichendem Umfang Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten der Verdächtigen. Ein Anfangsverdacht der in Frage kommenden Delikte ist zu bejahen.
Demnach hat der Generalbundesanwalt die Ermittlungen aufzunehmen und ein
Ermittlungsverfahren durchzuführen.
 
Die Präsidentin der Liga, Prof. Dr. Fanny-Michaela Reisin, erklärt hierzu:
„Koordiniert von unserem internationalen Dachverband FIDH (Paris/Brüssel) erfolgt die Strafanzeige in Deutschland parallel zu vergleichbaren Anzeigen unserer Schwesterligen in Frankreich und Belgien. Damit sollen die geheimdienstlichen Übergriffe auf die Grundrechte in den jeweils unterschiedlich verfassten Staaten zunächst getrennt vor nationale Justizinstanzen und im Falle der Abweisung hier als Verstoß gegen die Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gemeinsam zur Anzeige gebracht werden. Die Liga ruft Vereinigungen und Einzelpersonen in der Bundesrepublik auf, sich der Strafanzeige anzuschließen und sie öffentlichkeitswirksamzu unterstützen."

 
Die Strafanzeige wird eingeleitet durch eine Vorbemerkung zur Bedeutung der
Strafverfolgung der geheimdienstlichen Massenüberwachung und anschließend in
tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht umfangreich begründet; insbesondere werden dargelegt
> die bisher bekannt gewordenen Fakten über die Organisation der anlasslosen
Massenüberwachung und –ausforschung durch die NSA und den britischen Geheimdienst
> die enge Kooperation und die Unterstützung dieser Massenüberwachung durch ihre bundesdeutschen Partnerdienste BND, MAD und Verfassungsschutz, für die im Wesentlichen die Leiter der Behörden, das Bundeskanzleramt, der Bundesinnenminister und die gesamte Bundesregierung die Verantwortung tragen;
 
Anschließend wird die digitale Massenüberwachung an den Maßstäben der Grundrechte des Grundgesetzes und den Menschenrechten der EMRK gemessen. Es wird weiter begründet, dass nach geltendem Recht keine Rechtfertigungsgründe für die Überwachung vorliegen und weshalb der Versuch der US-Administration, die Massenausforschung im Rahmen des so
genannten „internationalen Kriegs gegen den Terror“ als notwendig zu rechtfertigen, völlig unhaltbar ist und gegen geltendes internationales Recht verstößt. Die Verfolgung von Terroristen ist die Aufgabe von Polizei und Justiz, die nicht einfach zur Aufgabe von Geheimdiensten und Militär gemacht werden kann.
 
Schließlich wird der Tatverdacht nach den Straftatbeständen des Strafgesetzbuchs untersucht mit dem Ergebnis, dass ein begründeter Anfangsverdacht der verbotenen Geheimdiensttätigkeit nach § 99, Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs nach §§ 201 ff. sowie Strafvereitelung nach § 258 StGB besteht. Demnach hat der Generalbundesanwalt die Ermittlungen aufzunehmen.
 
Nach bisherigen Antworten der Bundesregierung auf parlamentarische Anfragen liegen dieser angeblich keine gesicherten Erkenntnisse über die Massenüberwachung durch NSA & Co. vor, andererseits heißt es, sie gehe davon aus, dass die NSA sich an das hiesige Recht halte, obwohl dies spätestens seit dem Bekanntwerden des Abhörens des Handys der Bundeskanzlerin unhaltbar geworden ist.
 
Deshalb wird in der Strafanzeige u.a. die Ladung und Vernehmung des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden als sachverständiger Zeuge verlangt – unter der Voraussetzung, dass ihm der notwendige Schutz vor Auslieferung in die USA bzw. vor Kidnapping durch US-Spezial-Kommandos gewährleistet wird
 
Berlin, den 3.2.2014
H.-Eberhard Schultz und Claus Förster,
Rechtsanwälte


Online-Flyer Nr. 444  vom 05.02.2014

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