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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Kommentar
Wie Journalisten sich von US-Politikern zum Thema Syrien einspannen lassen
Lob des Zufalls
Von Volker Bräutigam

Dem homo sapiens-sapiens kommt er gelegentlich in die Quere, dem homo politicus-stupidus hingegen ist er mindestens ebenso oft ein dienstbarer Avatar.(1) So auch am Dienstag, dem 21. Jänner. An diesem denkwürdigen Tag präsentierte St. Zufall, der Scheinheilige, die Gruselstory von „industriellem Massenmord“ und systematischer Folter in syrischen Gefängnissen. Sie war d e r Renner in allen Nachrichten unserer Massenmedien, der kommerziellen wie der öffentlich-rechtlichen. Ein Glanzstück. Ein Pracht-Aufmacher. Das maßgeschneiderte, wenn auch nach Art des Hauses plumpe Präludium zur am Folgetag angesetzten Syrien-Befriedungs-Konferenz in Genf. 



 
Die dem Imperialismus stets dienstbare Journaille griff die Tatarenmeldung freudig auf. Pars pro toto sei die gute alte Tante ARD-Tagesschau vom 21.01. zitiert: „In syrischen Gefängnissen sollen internationalen Rechtsexperten zufolge Tausende Häftlinge systematisch gefoltert und zu Tode gequält worden sein. Dem britischen „Guardian“ sowie dem Sender CNN liegt ein Bericht von Human Rights Watch vor, der sich auf Aussagen eines nach eigenen Angaben übergelaufenen syrischen Polizei-Fotografen stützt. Dieser habe demnach rund 27.000 Bilder von 11.000 toten Häftlingen auf Datenträgern aus dem Land geschmuggelt, die er selbst fotografiert haben will. Insgesamt werteten die Autoren des Berichts etwa 55.000 Fotos aus.“
 
Wer diese Autoren sind, wer wo und mit welcher Fachlichkeit ihr Material „auswertete“, mit welchen Mitteln, in wessen und mit welchem Auftrag und von wem bezahlt, wurde in keinem der ungezählten Berichte der Koof-mich-Medien umfassend dargelegt. Was Tante Tagesschau & Co. zunächst verschwiegen, berichtete vor Ort eine der bemerkenswerten journalistischen Ausnahmeerscheinungen, die Nah-Ost-Korrespondentin Karin Leukefeld in junge Welt:
„Auftraggeber des Berichts war das Emirat Katar, das auch bewaffnete Gruppen in Syrien militärisch und finanziell unterstützt.“ (jW, 22.01. 2014, Titelseite, „Störfeuer gegen Frieden“)
 
Der Geldgeber im Hintergrund
 
Wer zahlt, schafft an. Im vorliegenden Zufall saß die Londoner Kanzlei Carter-Ruck am Schalter, ein weltweit im Auftrag der Geldaristokratie, des Showgeschäfts, diverser Regierungen und übelster Diktaturen tätiger Anwaltskonzern. Ihr Geldgeber: Scheich Tamim bin Hamad Al Thani, Herrscher des Emirats Katar. Ein unermesslich reicher Despot, der Fremdarbeiter wie Sklaven halten lässt – 382 Nepalesen verreckten allein in den vergangenen beiden Jahren beim Stadionbau für die Fußballweltmeisterschaft 2022 – und dem Menschenrechte soviel gelten wie seinen saudischen und zionistischen Verbündeten.
 
Auf Scheich Al Thani hätte Franklin D. Roosevelts Satz „Er mag ein Schweinehund sein, aber er ist unser Schweinehund“ gemünzt sein können; er wird geschätzt als „solider Partner“ (Angela Merkels autorisierte Qualifizierung) und ist deshalb jeglichen kritischen Hinterfragens enthoben. Freilich, er ist ja auch ein Großaktionär mit gewaltigen Aktienpaketen von Porsche SE und von VW... Dieser Scheich, eine der zentralen Figuren im nahöstlichen Machtkampf um Öl, Gasfelder, Pipeline-Routen, Seewege, militärische und geostrategische Interessen der USA, ein Blutsäufer par excellence, wird nunmehr Garant/Finanzier objektiver Berichterstattung über seinen Erzfeind Assad. Und keiner nennt das Kind beim Namen.
 
Nicht gestellte Fragen
 
Auch für weitere Pseudo-Nachrichten - und im selben Zusammenhang - sorgte der Zufall an besagtem Datum. Einer der Auftragsnehmer des Scheichs, der Jurist Desmond de Silva, der das Sondertribunal über Sierra Leone geleitet hatte, sagte dem Guardian, was er gesehen habe, beweise, dass die syrischen Streitkräfte „im industriellen Maßstab morden“. Er lieferte damit eine bemerkenswerte Vielfachrolle: Als Gutachter, Zeuge, Ankläger und Richter in einem, durfte er Syriens Armee als „Mördertruppe Präsident Assads“ verurteilen, ohne Beweise offenlegen zu müssen und ohne den einzigen obskuren Zeugen, einen Überläufer, namhaft zu machen; Begründung: „... um seine Sicherheit nicht zu gefährden.“ 
 
Dank soviel Zufalls hatte die für die Massenmedien schmierende Journaille wieder einmal keine Zeit, auf all diese Absonderlichkeiten hinzuweisen und auch nur ansatzweise kritische Gegenrecherchen anzustellen: Wer hat die entsetzlichen Aufnahmen gemacht? Sind sie nachprüfbar authentisch? Wo genau sind sie entstanden? In Syrien - oder nicht vielleicht doch in US-Militärgefängnissen wie dem afghanischen Bagram oder dem irakischen Abu Ghuraib? In welchen Zeiträumen? Wer sind die Opfer? Handelt es sich wirklich um Syrer? Wer hat sie gefoltert? Wer hat sie umgebracht?
 
Trübe Quellen



Human Rights Watch-Logo

Quelle: ishabaydhaba.com

Nein, dazu gab es seitens der Journaille keine Nachforschungen, erst recht keine Expertisen und argumentativ belegten Antworten. Es reichte nicht einmal dazu, die Plausibilität des anwaltlichen Informationsangebots zu prüfen: Ein Militärpolizei-Fotograf soll mehr als elftausend Opfer fotografiert haben? Die Tötungen sollten aber geheim bleiben? 27.000 Bilder brachte der Überläufer? Ausgewertet aber wurden “etwa 55.000“ Fotos?
Gar viele kritische Fragen ließ der wohllöbliche Zufall nicht aufkommen: Warum begnügten sich der Ami-Sender CNN, das britische Bürgerblatt The Guardian und die inzwischen reichlich heruntergekommene BBC mit einer einzigen Quelle für ihre Gruselstory, und zwar ausgerechnet mit der US-amerikanischen „NGO“ Human Rights Watch? Als ob dieser obskure Verein nicht von dem Multimilliardär und internationalen Großspekulanten George Soros schon mit 100 Millionen US-Dollar Spenden gesalbt und noch nie bei krummen Touren ertappt worden wäre? Ein HiWi, der immer zur Stelle ist, wenn es angebliche Menschenrechtsverbrechen in Ländern anzuprangern gilt, die sich dem US-Imperium nicht beugen. Eine „NGO“, die sich andererseits äußerster Zurückhaltung befleißigt gegenüber den ungeheuerlichen Kriegs- und sonstigen Verbrechen der USA und der NATO gegen die Menschheit.
 
Nebenwirkungen
 
Dieser geheiligte Zufall hält viele Klone auf Trab: Einer sorgte am besagten Dienstag dafür, dass der anerkannte Oberlakai des US-Imperiums, UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, die Iraner erst zur Syrienkonferenz nach Genf ein- und kurz darauf wieder auslud.
Nun also wird es so viel Zufälligkeit zu danken sein, dass die Friedenskonferenz für Syrien so ausgeht, wie es dem Imperium beliebt. In Syrien morden die von Amis, Saudis, Franzosen und Sonstigen bezahlten und mit schweren Waffen belieferten ausländischen Söldner und abgerichteten inländischen Terroristen weiter. Es lassen sich füglich noch viele schöne gruselige Fotos von Verbrechen machen, die man dann Assad unterschieben kann. Amis, Zionisten und die Internationale der Rüstungslobby reiben sich die Hände, und die Welt muss weiter vor dem Weltkriegszünder Naher Osten zittern.
 
Und immer sind genügend Bretter zur Hand, die sich die Journaille vor den Schädel nageln lässt, damit ihre Schmocks beim Produzieren dieses Zündstoffs von Zweifeln unbelastet bleiben, nicht einen Gedanken an die Pentagon-Spezialisten für psychologische Kriegsführung verschwenden, an deren ausgefeilte Desinformation und Agitprop. Das pp. Publikum will inzwischen auf Gruselmär wie die von der irakischer Soldateska, die in Kuwait Babys aus ihren Brutkästen riss und zerschmetterte, nicht mehr verzichten.
Reiner Zufall natürlich: Kein prominenter Journalist fragte an diesem Dienstag öffentlich, wem es wohl nütze, dass die Genfer Friedensbemühungen scheitern und Krieg und Kriegsverbrechen in Syrien ungehemmt weitergehen.
 
Unsere Tugendwächter
 
Wer will, mag den geradezu demonstrativen, kollektiven Gedächtnisschwund in den Redaktionen der bundesdeutschen Leitmedien als Tributzahlung an den Zufall ansehen:
Hinweise auf die Beteiligung deutscher „Dienste“ und Politiker an den Folterpraktiken der US-Geheimdienste im allgemeinen und der syrischen im besonderen unterblieben. Holen wir hier also einiges nach:
Der Bundesnachrichtendienst, BND, das Bundeskriminalamt, BKA, und das Bundesamt für Verfassungsschutz, BfV, waren auf diversen Ebenen und mit Wissen der Bundesregierung dem CIA-System geheimer Foltergefängnisse nützlich, in denen systematisch gefoltert wurde – und wird. Vergessen?
Deutsche Behörden haben Namen vorgeblicher Terroristen sowie bei illegalen Abhörmaßnahmen gewonnenes Material an die CIA weitergegeben. Das geschieht mutmaßlich auch bis zur Stunde noch. Vergessen?
Das BKA hatte nicht nur Kenntnis von illegalen und geheimen Gefängnissen, sondern hat in ihnen auch selbst Verhöre durchgeführt. „Befragte“: Murat Kurnaz in Guantánamo, Muhammad Haidar Zammar in Syrien und andere. Vergessen?
Auch Khaled al-Masri sagt von einem seiner Peiniger in Afghanistan, er sei Mitarbeiter des BND gewesen. Zumindest legen Indizien nahe, dass die Fragen vom BND geliefert wurden. Vergessen?
Dass deutsche Agenten Verhöre in Guantánamo durchgeführt haben, wurde von der ARD-Tagesschau ganz förmlich gemeldet. Ist das Archiv in Hamburg abgebrannt?
Wolfgang Schäuble, CDU, seinerzeit Innenminister, hat die Verwendung von unter Folter gewonnenen Erkenntnissen vehement verteidigt. Er hatte dabei die volle Rückendeckung der Kanzlerin Angela Merkel. Vergessen?
Die Bundesregierung hat 2006 eingeräumt, dass das Bundeswehr-Kommando Spezialkräfte, KSK, in Afghanistan Geheimgefängnisse schütze; aktive Beteiligung von KSK-Soldaten an Folterungen wurde, allerdings wenig glaubhaft, bestritten. Vergessen?
 
Die Entrüstung deutscher Politiker und ihrer journalistischen Kamarilla über Folter, Mord und Totschlag in Syrien hat nichts Zufälliges. Sie ist inszeniert und bezweckt nicht nur, von US-amerikanischer Einmischungs-, Folter- und Kriegspolitik abzulenken, sondern vor allem von der deutschen Komplizenschaft dabei. (PK)
 
 


Online-Flyer Nr. 443  vom 29.01.2014

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